Redner(in): Johannes Rau
Datum: 9. Mai 2001
Anrede: Herr Präsidentmeine Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2001/05/20010509_Rede.html
ich bin der Einladung der New Zealand German Business Association zum heutigen Empfang gerne gefolgt. Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für die herzlichen Worte, die Sie zu meiner Begrüßung gefunden haben.
Meine Reise hierher war keine Reise in ein unbekanntes Land. Deutschland und Neuseeland kennen sich seit Georg Forster und Katherine Mansfield recht gut durch das Medium der Literatur. Beide waren auf ihre Weise ja scharfe Beobachter.
Heute ist der Kontakt ganz anderer Natur und viel intensiver. Unsere beiden Länder stehen angesichts der technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte vor ganz neuen und meist gemeinsamen Herausforderungen: Die Entwicklung der elektronischen Kommunikationsmittel, der Fortschritt der Verkehrstechnologie und die Entwicklung des Internets haben die Menschen einander in einem Ausmaß nähergebracht, das noch vor wenigen Jahrzehnten unvorstellbar gewesen wäre. Weltweit sind Märkte verschmolzen, ungeheuere Kapitalströme fließen tagtäglich um dem Globus, Investitionsentscheidungen werden unter Abwägung der Standortbedingungen in den verschiedenen Weltregionen getroffen. All das ist möglich und heute schon selbstverständlich.
Deutsche und Neuseeländer stehen heute vor der Aufgabe, Chancen, die sich aus der Globalisierung des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch kulturellen Lebens ergeben, rechtzeitig zu erkennen und zu nutzen.
Und ich höre, dass die Neuseeländer in dieser Hinsicht Vorbildliches leisten. Ich finde es bemerkenswert, wie dieses Land sich die neueren technischen Entwicklungen zu eigen gemacht hat, um die geographische Distanz zu vielen seiner Partner zu überbrücken - mit dem Ergebnis, dass es heute zu den Ländern mit der größten Dichte von Internetanschlüssen in der Welt gehört. Neuseeland hat die Welt zu sich herangeholt und seine Chancen im weltweiten Wettbewerb verbessert. Diese Offenheit für Neues ist in Deutschland nicht unbeachtet geblieben. Sie verstärkt auch den Anreiz für weitere Investitionen.
Auch in Fragen des Handels stehen wir uns nahe. Globalisierte Märkte und nationale Abschottung sind nicht vereinbar, das ist unsere gemeinsame Position. Abschottung dient langfristig nicht dem Schutz der eigenen Wirtschaft. Wer die Chancen der Globalisierung nutzen will, der braucht freien Welthandel und muss selbst offene Märkte bieten. Unsere neuseeländischen Partner wissen, dass für Deutschland der freie Handel die Grundlage des Wohlstands ist. Und wir sind uns bewusst, welche Rolle der Export für das neuseeländische Wirtschaftsleben spielt.
Dabei sind wir uns auch dessen bewusst, dass der freie Welthandel nicht verwechselt werden darf mit einem Zustand ohne Regeln. Wir brauchen einen klar definierten Rahmen für Weltwirtschaft und Welthandel.
Die Europäische Union nimmt unter den Handelspartnern Neuseelands inzwischen den zweiten Platz ein. Zurecht verfolgen deshalb neuseeländische Politik und Wirtschaft aufmerksam, in welche Richtung sich die Gemeinschaft entwickelt.
Die Europäische Union wird auch in Zukunft eine nach außen offene Gemeinschaft sein. Dem steht der laufende Prozess der Vertiefung und Erweiterung nicht entgegen. Für uns Deutsche ist das eine ganz wichtige Frage, und darin wissen wir uns mit unseren europäischen Partnern einig.
Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte ich Ihnen berichten, wie erfreulich sich unsere bilateralen Wirtschaftsbeziehungen entwickeln. Auch die Struktur des Austausches ist so, wie wir alle es erwarten: überwiegend Industrieprodukte in der einen und überwiegend landwirtschaftliche Produkte in der anderen Richtung.
Soweit scheint alles normal. Wir wissen aber auch, welchen Schaden unbedachte und dazu noch falsche Äußerungen aus Deutschland zur Qualität neuseeländischer Produkte im Zusammenhang mit den Tierseuchen in Europa anrichten können. Die Autoren einer entsprechenden Broschüre haben das zum Glück ja bald richtiggestellt. Lassen Sie mich aber dennoch heute noch einmal mein Bedauern dafür ausdrücken. Vertrauen und Verlässlichkeit sind im internationalen Handel unverzichtbar. Neuseeland gehört zu unseren ganz zuverlässigen Partner.
Ich hatte in den vergangenen Tagen Gelegenheit, ein wenig in diesem Lande unterwegs zu sein. Ich fand zum einen das Bild bestätigt, das sich viele Deutsche von Neuseeland machen. Es ist ein wunderbares Land mit einmaligen landschaftlichen Reizen und einer intakten Umwelt. Zum anderen glaube ich aber, dass das Bild von einem Land der Agrarwirtschaft und des Tourismus nicht die ganze Wirklichkeit zeigt.
Ich werde versuchen, nach meiner Rückkehr dazu beizutragen, dass ein wirklichkeitsnäheres Bild entsteht, ein Bild, das sich mir in Gesprächen und Besichtigungen erschlossen hat: Neuseeland als ein Land der Spitzenforschung, mit hohem technologischen Niveau. Ich werde besonders auf die Biotechnologie hinweisen, auf die Umweltforschung und auf die Materialwissenschaften. Hier, so sagt man mir, bieten sich gerade für deutsche Unternehmen aus der Hochtechnologiebranche große und bisher ungenutzte Chancen. Das Wissen darüber zu verbreiten, ist in unserem beiderseitigen Interesse, denn das Potential der Handels- und Investitionsbeziehungen, die unsere beiden Länder verbinden, ist offensichtlich bei weitem noch nicht ausgeschöpft.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Überlegungen zum Verhältnis von Umwelt und Wirtschaft wiederholen, die ich eben an der Universität von Auckland vorgetragen habe. Das ist mir wichtig. Ich weiß, dass auch Sie diesem Thema große Aufmerksamkeit schenken.
Die Diskussion um das Kyoto-Protokoll hat meines Erachtens erneut gezeigt, wie wichtig es ist, den Blick in Umweltfragen über den Moment hinaus auf das langfristige gemeinsame Interesse zu richten.
Die klimatischen Wirkungen der Veränderungen im Kohlendioxidausstoß sind noch nicht hundertprozentig nachgewiesen, und ich frage mich, ob das jemals möglich sein wird. Ich kenne jene scheinbar wissenschaftliche Position, die sagt: Solange nicht bewiesen ist, dass der CO2 -Ausstoss zu Klimaveränderungen führt, sollte man nichts dagegen tun, jedenfalls nichts, was Unternehmen kurzfristig belastet.
Ich hielte es für nicht verantwortbar, wenn fehlende wissenschaftliche Gewissheit zur Begründung für unterlassenes Handeln würde. Hier muss das Vorsorgeprinzip gelten: Es wäre zu spät, erst dann zu handeln, wenn die Folgen der durch menschliches Handeln verursachten Klimaveränderungen schon eingetreten sind. Vorsorglich zu handeln sollte uns in diesem Fall besonders leicht fallen, weil die Verringerung des Ausstoßes von Kohlendioxid und anderer klimarelevanter Emissionen ja auch ein wirtschaftlich wünschenswerter Beitrag zu einer höheren Energie- und Ressourcenproduktivität ist. Neue Technologien für mehr Energieeffizienz und für die Nutzung von Sonne, Wind und Wasserkraft haben in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weltweit ein außerordentlich großes Marktpotential.
Wir sollten in der Klimapolitik wie ein guter Arzt handeln, der einen Patienten mit Fieber vor sich hat, aber im Blutbild keinen der bekannten Erreger feststellen kann. Er darf nicht warten, bis der Tod des Patienten den Beweis der Ernsthaftigkeit der Krankheit erbringt.
Die Beschäftigung mit Umweltfragen ist für mich kein Zeichen von Kulturpessimismus, wie das manchmal gesehen wird, sondern der Wille zu wirtschaftlichem und technischem Optimismus. Investitionen in die Umwelt zahlen sich aus. Das haben uns die japanischen Autobauer in den siebziger Jahren gezeigt, als sie vor allen anderen den serienmäßigen Katalysator in ihre Fahrzeuge einbauten und damit in den USA und in Europa Exporterfolge ohnegleichen erzielt haben.
Die Umweltdiskussion ist ein Teil - ein wichtiger Teil - der Globalisierungsdiskussion. Wenn wir von den Vorteilen sprechen, die die Globalisierung unseren Gesellschaften bieten kann, dann dürfen wir auch nicht die Verantwortung übergehen, die sie besonders den Industrieländern auferlegt. Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie der wirtschaftliche Wandel, der mit der Globalisierung verbunden ist, nicht nur innerhalb unserer Länder, sondern auch international in sozial ausgewogener Weise gestaltet wird. Der Erfolg unserer Politik in diesen Zeiten umfassenden Wandels wird sich daran messen lassen müssen, ob es gelingt zu verhindern, dass die Gesellschaften - national oder international - in Nutznießer und Opfer der Globalisierung auseinanderfallen.
Wenn Migrationsströme, wenn wachsende Konflikte durch den Zerfall bisher homogener Kulturen, wenn sozialer Abstieg ganzer Regionen und Kontinente die wichtigste Folge der Globalisierung wären, dann liefe etwas ganz falsch. Dann würden sich angesichts der Zunahme von Nationalismen und Fundamentalismen auch die Gewinner nicht lange ihres Gewinns freuen.
Ich glaube, dass auch diese Themen zu einem Feld politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Neuseeland und Deutschland werden könnten. Die Verwandtschaft unserer Positionen in diesen Fragen legt es nahe, einen gemeinsamen Versuch zu wagen. Das geistige und materielle Innovationspotential, das sich daraus entwickeln könnte, würde uns allen, auch den Unternehmen in unseren Ländern zugute kommen.