Redner(in): Johannes Rau
Datum: 13. März 2001
Anrede: meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2001/03/20010313_Rede.html
Frau Präsidentin, Exzellenzen, In der strahlenden Lichtfülle eines wolkenlosen Tropenmorgens betrat ich den Boden der immergrünen Wunderinsel Ceylon," schwärmte einst der deutsche Zoologe Ernst Haeckel, als er am 21. November 1881 in Ihrer Heimat von Bord ging.
Berlin hat im März solche Reize nicht zu bieten, aber ich heiße Sie, Frau Präsidentin, dennoch von Herzen willkommen und hoffe zuversichtlich, dass Sie sich bei uns wohlfühlen.
Ernst Haeckel war keineswegs der erste Deutsche, der die "Wunderinsel" Ceylon betrat. Er konnte sich zur Vorbereitung seiner Reise auf zahlreiche Berichte und Studien stützen, die Deutsche seit dem sechzehnten Jahrhundert geschrieben hatten.
Die Kenntnis der fernen Insel ist in Deutschland aber noch viel älter, als die meisten vermuten würden: Schon im achten Jahrhundert erwähnt Rhabanus Maurus in seiner Schrift "De Universo" die Insel Tapobrane. So wurde Ceylon in der europäischen Antike genannt. Man stellte sich darunter ein rätselhaftes Land der Märchen, der Edelsteine und der Elefanten vor. Dreizehn Jahrhunderte später haben wir unsere Kenntnisse gründlich vertieft, aber ich denke, dass ein wenig von der zauberhaften Aura jener Legenden auch heute noch im Spiel ist, wenn sich Deutsche für Sri Lanka begeistern.
Manchen Deutschen, die mit den Holländern nach Ceylon kamen, gefiel es so gut, dass sie blieben und Familien gründeten. Es gibt wohl wenige asiatische Länder, in denen Familiennamen wie Wolf, Lorenz oder Weinmann existieren - für einheimische Familien, wohlgemerkt.
Die Deutschen kamen im neunzehnten Jahrhundert, als das Fieber des "Imperialismus" unter den Großmächten grassierte, nicht als Kolonialisten nach Sri Lanka.
Was hat die Deutschen an Ceylon so fasziniert? Vielleicht war es die buddhistische Fähigkeit zu Kontemplation, Spiritualität und Toleranz, die sie anzog und die sie in ihrer deutschen Heimat vermissten? Vielleicht die Schönheit der Landschaft? Vielleicht der natürliche Reichtum des Landes? Vielleicht das Klima? Vielleicht alles zusammen?
Lassen Sie mich mit diesen Tugenden den Bogen zurück in die Gegenwart schlagen: Wir wissen heute, dass sie einer Gesellschaft nicht angeboren oder naturgegeben sind, sondern immer wieder neu im Alltag erworben werden müssen - und manchmal auch in Vergessenheit geraten. Seit nun 18 Jahren leidet Sri Lanka unter einem grausamen Bürgerkrieg, der grenzenloses Leid verursacht hat. Sie selbst, Frau Präsidentin, haben in Ihrer Familie und am eigenen Leib die Schrecken terroristischer Gewalt erleben müssen.
Von Ihrer Grundüberzeugung, ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf Sri Lanka müsse möglich sein, haben Sie sich dennoch nicht abbringen lassen. Ich bewundere den Mut, mit dem Sie unbeirrt Ihre Politik fortsetzen und nach Wegen zur Aussöhnung suchen. Ich möchte Sie ermutigen, weiterhin auf Verhandlungen zu setzen und nicht denen nachzugeben, die glauben, eine gerechte Lösung ließe sich mit Gewalt herbeiführen.
Wie groß die Herausforderung ist, vor der Sie bei Ihren Bemühungen um Versöhnung stehen, ist mir bewusst. Ethnische oder religiöse Unterschiede werden ja allzu oft als Deckmantel benutzt, um politische oder soziale Interessen zu verbergen. Wir brauchen einen langen Atem, um Vorurteile zwischen Ethnien und Religionen abzubauen und erfolgreich für Toleranz zu werben. Noch schwieriger ist es, zu guter Nachbarschaft und gegenseitiger Achtung zurückzukehren, wenn die Gegensätze über lange Zeit mit Gewalt ausgetragen worden sind und nicht nur körperliche, sondern auch tiefe seelische Narben hinterlassen haben.
Es gibt keine Patentrezepte dafür, wie man Menschen dazu bringen kann, sich zu versöhnen. Nach meiner Überzeugung sind aber Demokratie und Achtung der Menschenrechte die Grundlage jeder Versöhnung innerhalb und zwischen Staaten. Nur ein Staat, der der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet ist, wird auf Dauer die Vielfalt in seinem Inneren respektieren und dennoch die Einheit wahren können.
Die Fähigkeit zu Respekt und Toleranz ist auch in Deutschland zu einer sehr aktuellen gesellschaftlichen Frage geworden. In Sri Lanka leben Buddhisten, Hindus, Muslime und Christen seit Jahrhunderten miteinander. Sri Lanka ist gleichsam ein Mikrokosmos des interkulturellen Systems, das sich im Zeichen der Globalisierung in der ganzen Welt heranbildet. In Deutschland ist das noch neu und ungewohnt.
In Deutschland wie anderswo stehen Erzieher und Politiker vor einer großen Aufgabe: Die Angst vor dem Fremden muss dem Bewusstsein weichen, dass in der Begegnung der Kulturen und Religionen eine Chance liegt, den eigenen Horizont zu erweitern. Der Weg führt von der Fremdheit über die Neugier zur Bereicherung. Gerade die Unterschiede der Kulturen sorgen für die produktive Spannung, die Fortschritt und Innovation bringen kann.
Wir sollten das schnell lernen, denn die vielzitierte Globalisierung wird nicht nur Märkte zusammenrücken, sondern auch Kulturen zu Nachbarn machen, die früher kaum Kontakt zueinander hatten. Gute Nachbarn respektieren die Sitten und Bräuche nebenan, aber sie wissen auch Wege, sich zu einigen, wenn es um übergreifende Aufgaben geht. Das gilt für die Nachbarn in einer Straße genauso wie für Staaten.
Wer diese Welt mit offenen Augen und wachem Herzen betrachtet, der wird feststellen, dass wir mehr Gemeinsames besitzen, als uns im Alltag bewusst ist. Dieses Gemeinsame zu entdecken und zu pflegen, wird eine der wichtigsten Aufgaben sein, die wir im 21. Jahrhundert anpacken müssen.
Auch Deutschland und Sri Lanka rücken im Zeitalter der Globalisierung näher zueinander. Wir sind gute Partner. Die Beziehungen zwischen unseren Ländern sind fruchtbar und gründen auf einer langen Tradition der Freundschaft. Daran wollen wir weiter arbeiten.
Frau Präsidentin, ich sprach zu Anfang von den deutschen Wissenschaftlern und Dichtern, die sich für Südasien und Ceylon begeisterten. Goethe ist nie dort gewesen, er hat sich im "West-östlichen Divan" vielmehr Asien in seiner dichterischen Phantasie erschlossen. Und er hat uns eine schöne Devise hinterlassen: Er sprach von "der Insel Ceylon, die uns nunmehr immer interessanter werden muss." So sei es.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, mit mir das Glas zu heben und einen Toast auszubringen auf die Gesundheit von Frau Präsidentin Kumaratunga, auf das Wohl des Volkes von Sri Lanka und auf die fortdauernde Freundschaft zwischen unseren Ländern.