Redner(in): Johannes Rau
Datum: 4. Oktober 2001
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2001/10/20011004_Rede.html
Herzlich Willkommen meine Damen und Herren,
was für ein Abend, was für Geburtstagskinder.
Von jedem könnte man viel erzählen aus vielen Jahren persönlicher Begegnungen und ich muss gestehen, ich finde diese Kombination wunderbar. Wolfgang Mischnick und Hildegard Hamm-Brücher. Beide in einer Partei. Man hat ' s nicht immer gemerkt. Beide mit sehr unterschiedlichen Temperamenten, Biographien, mit Lebensgeschichten, die aufzuschreiben sich wahrlich lohnte. Die Autobiographie von Hildegard Hamm-Brücher habe ich mal vorstellen dürfen, in Köln bei Kiepenheuer & Witsch.
Wolfgang Mischnick: Dresden - Bonn - Dresden. Und dann Hildegard Hamm-Brücher: Essen - München - Bonn - Berlin. Wenn man die Stichworte jetzt alle nennen würde, wenn man erzählen würde von den beiden, würde man fünfzig Jahre deutsche Geschichte erzählen. Beide sind nach dem Krieg zuerst journalistisch tätig gewesen. Beide haben ihr Engagement und ihren Einsatz für unsere parlamentarische Demokratie nie davon abhängig gemacht, wie viele Bataillone sie hatten. Und das galt bei Wolfgang Mischnick in zwei Staaten. Zuerst in den Jahren des Widerstandes und der Verfolgung in der DDR. Hildegard Hamm-Brücher hatte Widerstand schon erlebt, unter dem Stichwort Weiße Rose und hat das in München mit erlitten, wie wir haben nachlesen können. Beide haben immer politische Widersacher gehabt, das hat sie nie gestört. Beide haben eigenes Profil entwickelt, unverwechselbar und authentisch. Beide haben bei allen Unterschiedlichkeiten der Temperamente und der Lebensführung immer für die Freiheit in der Politik und in der Parteiarbeit gestritten und zwar für eine Freiheit die auch Unterschiede zulassen kann.
Es ist ja nicht ganz ungefährlich, wenn man das Datum nennt. Aber ich tu ' s einfach: Denken Sie einmal an den 1. Oktober 1982. An die beiden Reden die Wolfgang Mischnick und Hildegard Hamm-Brücher damals im Bundestag gehalten haben. In einer Partei mit unterschiedlichen, ja mit gegenläufigen Positionen. Das ist in die Parlamentsgeschichte eingegangen. Und jeder der ihnen damals zugehört hat, hat ihnen Respekt gezollt. Auch, wenn er anderer Meinung war. Und darum finde ich es schön, dass wir hier heute Abend zusammen sein können und dass wir Ihnen beiden danken können: für ein Lebenswerk und für eine Lebensleistung die unverzichtbar zur Geschichte Deutschlands gehört.
Bei Hildegard Hamm-Brücher war es Theodor Heuss, der sie gewonnen, überzeugt, missioniert hat. Der Satz ist ja richtig und jeder kennt ihn von uns: "Mädle, Sie müssen in die Politik!"
Und dann kam die Zeit, in der Sie die bayerische Politik aufgemischt haben. Ich habe das eine Ergebnis damals, als Sie die Frankenliste angeführt haben, noch gut in Erinnerung. Hätte es dies merkwürdige bayerische Wahlsystem nicht gegeben, hätte es die FDP nicht im Landtag gegeben.
Dann haben Sie den Weg nach Wiesbaden und den nach Bonn genommen. Zweimal Staatssekretärin, dreimal Staatssekretärin. Erst im hessischen Ministerium, dann im Bundesbildungsministerium, im Bundeskanzleramt, im Auswärtigen Amt. Man denkt daran, dass Sie mal die jüngste Münchner Stadträtin gewesen sind. Und als Georg Picht den Bildungsnotstand konstatierte, da haben Sie die Probleme gesehen, wahrgenommen und sich engagiert.
Wir haben damals viel miteinander zu tun gehabt. Ich war dann acht Jahre lang der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister und damals pflegte man noch zu sagen, das gehöre mit zu den schwierigsten Ämtern, die man haben könne.
Wenn ich daran denke, was das damals für Zeiten gewesen sind. Anfang der sechziger Jahre stand noch in Lesebüchern der 5. und 6. Klasse: "Willst Du sein ein guter Christ, Bauer bleib auf Deinem Mist, lass die anderen Freiheit singen, Düngen geht vor allen Dingen." Das stand noch in den sechziger Jahren in Schulbüchern. Und ich habe noch erlebt, die Diskussion darüber, ob evangelische und katholische Studenten zusammen Sportwissenschaften studieren können. Wir haben den Streit um die Bekenntnisschule damals gehabt. Ende der fünfziger Jahre. Was sind das für Zeiten gewesen. Damals wurde übrigens aus dem Fach Nadelarbeit das Fach des Frauenschaffens. So haben wir damals Reformationsgeschichte geschrieben.
Also, ich sage einfach, wie gut liebe Hildegard Hamm-Brücher, dass es Sie gibt. Dass Sie Bundespräsidenten auf die Nerven fallen, wenn die nicht so reagieren, wie sie sollten. Dass Sie drängen, dass Sie nicht zu den Angepassten gehören. Dass Sie mitgeholfen haben auf einem breiten Feld, vor allem in Europa. Denken Sie an die Anerkennung der Bildungsabschlüsse innerhalb Europas. Das war eine Aufgabe für die Staatssekretärin im Bildungsministerium wie für die im Auswärtigen Amt. Und wenn ich an Ihre Aufgaben denke in der auswärtigen Kulturpolitik und mir dann ansehe, was wir heute vor uns haben, an Schwierigkeiten, an Herausforderungen, die zu meistern nicht leicht sind, dann denke ich, dass es gut ist, das alles hier zu nennen.
Und wenn ich jetzt Wolfgang Mischnick anspreche, dann sage ich hier einfach, der war mal Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Dresden. Der jetzige Fraktionsvorsitzende aus dem Stadtrat in Dresden, der ist auch hier. Und was gibt es dazwischen für eine Geschichte! Der Wolfgang Mischnick, den hab ich erlebt als Fraktionsvorsitzenden in Bonn, den habe ich erlebt als Bundesminister in Bonn und den habe ich erlebt in Gremien und Ausschüssen, in Vermittlungsausschüssen. Er war immer glaubwürdig, er war immer authentisch und er hat immer gestanden für seine Sache. Ich habe nie gemerkt, dass er getrickst hätte und ich glaube nicht, weil er so geschickt war, sondern weil ihm das nicht lag. Weil er die politische Kultur der freiheitsbewussten Zivilcourage kannte. Darum sind wir froh darüber, dass Wolfgang Mischnick so viele Jahre hat mitgestalten und hat mitprägen können.
Ich erinnere an eine ganz kleine Begebenheit. 1947 stand in den Verfassungen aller fünf Länder der damaligen SBZ schon eine Andeutung der späteren DDR. Es war nämlich ausdrücklich die Rede von einer zukünftigen Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. In vier Texten waren "Deutsch" und "Demokratisch" groß geschrieben. Nicht in Sachsen. In Sachsen hatte nämlich Wolfgang Mischnick die Großschreibung der Worte "deutsch" und "demokratisch" im Zusammenhang mit "Deutsche Demokratische Republik" zurückgewiesen und hatte mit seiner LDP dafür gesorgt, die anderen davon zu überzeugen, dass diese Großschreibung ein unzulässiger Vorgriff auf Gesamtdeutschland sei. Und so ist dann nur eine Miniaturausgabe der "ddR" in die Sächsische Verfassung gekommen. Ich glaube, das muss man bedenken, wenn man überlegt, dass dieser Mann im April 1948 Dresden verlassen musste, Rede- und Schreibverbot hatte und dass es 41 Jahre gedauert hat, bis er von Dresden aus wieder politisch aktiv werden konnte. Am 22. Oktober 1989 waren Sie der erste Spitzenpolitiker der Bonner Koalition, der nach dem Rücktritt von Honecker und noch vor dem Fall der Mauer, das Gespräch gesucht hat, wieder in Dresden. Sie haben in Ihrem politischen Leben viele wichtige Ämter wahrgenommen. Dass Sie im Kuratorium unteilbares Deutschland waren und im Gesamtverband der Sowjetzonenflüchtlinge, das war nicht aus dem Amt des Vertriebenenministers heraus, sondern aus gesamtdeutscher Verantwortung, wie Sie sie immer gesehen und auch in der Sicherheits- und in der Europapolitik immer formuliert haben.
Ich habe heute Abend, als wir zusammensaßen, gesagt, ich hätte Grippe. Und das, was mir eigentlich am besten täte, wäre ein Skatspiel mit Wolfgang Mischnick. Dann würde ich es wohl wieder hinter mich bringen, mit der Grippe. Das lässt sich heute Abend nicht machen, weil Ihre Frau Ihnen verboten hat, Karten mitzubringen. Meine ist gar nicht erst auf die Idee gekommen, dass wir heute Abend miteinander Skat spielen könnten.
Dass wir diese beiden Geburtstagskinder hier heute haben, das ist ein Anlass zu heller Freude und darum möchte ich Ihnen beiden im Namen der Deutschen danken für Ihr Lebenswerk. Und möchte Ihnen sagen, Männer und Frauen Ihres Profils, Ihrer Statur werden auch in der Zukunft gebraucht. Hoffentlich wachsen sie heran.
Herzlich willkommen und alles Gute für jeden Tag, der kommt.