Redner(in): Johannes Rau
Datum: 15. Dezember 2001

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2001/12/20011215_Rede.html


I. Das Internationale Jahr der Freiwilligen, das jetzt zu Ende geht, hat eine große Bedeutung. Die Vereinten Nationen haben es ausgerufen und wir haben es hier in Bonn am 5. Dezember des vergangenen Jahres eröffnet. Sie haben heute Abend noch eine Veranstaltung, zu der Sie die Stadt Bonn eingeladen hat zusammen mit den Mitgliedern und Mitarbeitern der Familie der Vereinten Nationen. Da wird dann auch vom Ehrenamt die Rede sein. Das ist gut, denn inzwischen ist Bonn eine Stadt der Vereinten Nationen geworden. Von hier aus wird das Ehrenamt in aller Welt gefördert.

II. Heute gilt es Menschen zu würdigen, die mitgeholfen haben, dass ehrenamtliches Tun zur Normalität gehört. Ich kann Ihnen berichten, wenn die Statistik stimmt, dass von den über Vierzehnjährigen in Deutschland 22 Millionen ehrenamtlich tätig sind - von der Freiwilligen Feuerwehr über das Rote Kreuz bis zum Kirchenchor. Ich selber bin ja auch früher ehrenamtlich Sänger gewesen, bis dann die Lärmschutzverordnung kam.

III. Ein Zusammentreffen wie unser heutiges soll auch dem Gedankenaustausch unter den Ehrenamtlichen gelten. Sie sollen erfahren, was andere getan haben, und dieser Austausch soll helfen, Motivation zu verstärken. Deshalb sind nun aus aller Herren Länder, also aus sechzehn Ländern, Menschen hierher gekommen, die mit dem Verdienstorden ausgezeichnet werden, damit öffentlich deutlich wird: Wirklich mündige Bürgerinnen und Bürger übernehmen Verantwortung. Sie warten nicht darauf, dass andere handeln. Sie sehen, wer aus unterschiedlichen Gründen Hilfe braucht und sie helfen. Das kann übrigens auch Freude machen. Es gibt ein Bild vom Ehrenamtlichen, als wenn der ganz selbstlos wäre. Vieles ist selbstlos, aber es ist auch Entfaltung des eigenen Lebens, der eigenen Persönlichkeit. Es macht reicher, wenn man etwas für andere tut und nicht nur dem eigenen Broterwerb zugewandt ist.

Wir müssen noch lernen, wie Ehrenamtliche und Hauptamtliche miteinander umgehen. Manche Hauptamtliche haben die Sorge, die Ehrenamtlichen könnten ihnen die Daseinsberechtigung wegnehmen. Manche Ehrenamtliche glauben, nur die Hauptamtlichen hätten Sachkunde genug, und sie müssten sich immer auf die Weisung der Hauptamtlichen verlassen. Auch das ist falsch.

IV. Es gibt einen berühmten Soziologen, Ulrich Beck; dessen Bücher viel gelesen werden. Er sagt: "Das ehrenamtliche Engagement ist die Seele der Demokratie." Für den bayerischen Landesbischof Friedrich sind die Ehrenamtlichen "der größte irdische Schatz der Kirche". Ich finde, beides ist schön und beides ist richtig. Und beide - sowohl der Soziologe als auch der Bischof - wenden sich gegen Wilhelm Busch, der gesagt hat: "Willst du froh und glücklich leben, lass kein Ehrenamt dir geben."

V. Wir beweisen hier heute das Gegenteil, froh und glücklich und dankbar. Und dankbar ist unsere Gesellschaft, ist unser Staat, unsere Bundesrepublik Deutschland. Ich erwähne nur einige Beispiele, denn ich will ja dem, was wir gleich an einzelner Würdigung hören, nicht vorgreifen.

Aus der breiten Palette ehrenamtlicher Tätigkeit sind vertreten:

Das ist nur ein Ausschnitt.

Ich finde, wir haben Anlass wirklich festlich und fröhlich miteinander zu feiern. Darum freue ich mich, dass Sie hier sind.

Ein Fünftel von Ihnen kommt aus den neuen Ländern; manche von Ihnen sind vielleicht zum ersten Mal in Bonn.

V. Ich will noch auf zwei Fakten hinweisen. Von denen spreche ich öfters, wenn sogenannte "Ordensstunden" sind.

Das erste ist: Niemand ist so aktiv im Ehrenamt, wie es die Frauen sind. Die Frauen spielen bei den Ordensvergaben nie die erste Rolle. Ich finde das falsch. Wir haben nicht nur 53 Prozent Frauen in Deutschland, sondern im Ehrenamt sind es eher 70 Prozent. Wenn ich mir dann die Ordenslisten ansehe, dann steht da "20 Prozent Frauen". Heute sind es immerhin deutlich mehr als die Hälfte. Ich würde das gerne für alle Ordensverleihungen ändern. Deshalb bin ich ganz begierig darauf, von Frauen zu hören, die sich ehrenamtlich engagieren. Das ist das eine.

Und das zweite: Ich bin froh darüber, dass wir auch junge Ehrenamtliche hier haben. Denn ein Verdienstorden darf keine Alterserscheinung sein und darum ist der Bogen der zu Ehrenden weit gespannt. Ja, es könnte noch besser sein. Aber immerhin: Die jüngste ist 30 und die Älteste ist 83 Jahre alt. Das zeigt uns, dass es beim Ehrenamt keine Altersgrenze gibt; alle sind gefordert.

Das Bundesverdienstkreuz, so die übliche Sammelbezeichnung, ist in diesem Jahr fünfzig Jahre alt geworden, liegt also in der Mitte zwischen der 30-Jährigen und der 83-Jährigen. In diesem Jubiläumsjahr liegt mir besonders daran, dass dieser Orden zu Ehren kommt. Die Menschen sollen merken, dass der Orden nicht nur dazu da ist, dass jemand sich freut und stolz ist. Wenn man ihn trägt - und bitte tragen Sie ihn auch - , dann will er zugleich andere fragen: Tust Du mehr, als Dir eigentlich zuzumuten ist? Tust Du mehr als Deine Pflicht? Legst Du etwas drauf auf das, was Tarif- und Beamtenrecht Dir vorschreiben?

Ich bin froh darüber, dass Sie, und das sage ich nun im Advent, mit Ihrem Engagement das Leben der Menschen und unseren Alltag ein Stückchen heller machen. Herzlichen Dank. Schön, dass Sie gekommen sind.