Redner(in): Johannes Rau
Datum: 20. Februar 2002

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/02/20020220_Rede2.html


Wer in späteren Jahren Zeitungsartikel, Rundfunk- und Fernsehkommentare oder Essays über die Parteienlandschaft kurz nach dem Jahrtausendwechsel nachliest, der wird sich vermutlich wundern."Krise" ist der alles beherrschende Ausdruck, Krise der Parteien, Krise der Demokratie, Krise des Parteienstaates. Wo sich die Kommentatoren und Essayisten nicht bis zum Krisen-Begriff vorwagen wollten, da ist zumindest von "Gefahr" für die Parteien und für die Demokratie die Rede, von "Enttäuschung" und "Verdrossenheit", von "Verweigerung" und "Abkehr".

Ich habe keinen Zweifel daran, dass viele dieser Befürchtungen echt und nicht nur Ausfluss nachrichtenarmer Zeiten waren; ich habe auch keinen Zweifel daran, dass die Beobachter Recht hatten, als sie "Verdrossenheit" und "Abkehr" ausmachten.

Der Parteispenden-Skandal gab dazu Anlass genug. Er war auch nicht das erste Beben, von dem die Parteienlandschaft erschüttert wurde - auch wenn dieser Skandal heftigere Diskussionen ausgelöst hat als je eine Parteien- oder Partei-Affäre zuvor.

Umso mehr muss eigentlich erstaunen, dass bereits im Frühjahr 2001 alle Parteien demoskopisch ungefähr wieder da lagen, wo sie am Abend der Bundestagswahl 1998 auch waren."Sobald sich die Aufregung nach den großen Krisenstürmen in schöner Regelmäßigkeit wieder legt," hat ein Beobachter dazu angemerkt,"pendeln sich die zuvor jäh verrutschten Sympathiewerte für die Parteien ebenso regelmäßig wieder auf ein unspektakuläres Maß ein... trotz aller Turbulenzen über Regierungspannen und Schwarze Kassen. Nichts davon hat die Struktur des deutschen Parteiensystems durcheinander gewirbelt".

Die vermeintlich stabile Zustimmung zu den verschiedenen Parteien verdeckt jedoch eine andere, beunruhigende Entwicklung: einen grundsätzlichen Vertrauensverlust. Während vor 1997 noch 75 Prozent der Bevölkerung den Parteien die Lösung der wichtigsten Probleme zutrauten, tut das heute nur noch knapp die Hälfte. Bei Jugendlichen liegt dieser Wert noch niedriger.

Stimmanteile und Wahlbeteiligung können leicht darüber hinweg täuschen, dass viele Bürger einer der Kerninstitutionen der repräsentativen Demokratie zunehmend skeptisch gegenübersteht. Weit höher war und ist das Vertrauen in Gerichte, Polizei, Bundeswehr.

II. In den gleichen Zusammenhang gehört die demoskopische Feststellung, dass es für 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler keinen Unterschied macht, welcher der beiden großen Volksparteien die Bundesregierung führt. Natürlich lässt sich das auch positiv interpretieren: die Zeiten ideologischer Grabenkriege gehören der Vergangenheit an. Andererseits sollten wir nicht übersehen, welch latente Gefahr Vertrauensverlust und Gleichgültigkeit in sich bergen: Demokratische Politikgestaltung und Problemlösung mit Hilfe der Parteien könnten sich als Veranstaltungen erweisen, die nur unter Schönwetterbedingungen akzeptiert werden.

Wirtschaftsordnung, Wiederbewaffnung, Ostpolitik - zu den großen Herausforderungen, mit denen die Politik in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des zweiten Weltkrieges konfrontiert war, formulierten die politischen Parteien die Alternativen, sie scharten Anhängerschaften und polarisierten. Ihrem Profil und ihrer Zustimmung kam zugute, dass sie für bestimmte Milieus, für soziale Gruppen und Bekenntnisse standen. Die haben sich stark verändert oder aufgelöst. Das führt, positiv betrachtet, auch dazu, dass mehr Bürgerinnen und Bürger sich mit einer Politik "des anderen Lagers" arrangieren können.

Die tiefsitzenden Überzeugungen sind freilich nicht gänzlich geschwunden und viele Herausforderungen sind heute und in der Zukunft ebenso grundsätzlicher Natur und in ihren Auswirkungen ebenso einschneidend wie in der Vergangenheit. Den Bürgerinnen und Bürgern wird es auf Dauer nicht gleichgültig sein, wie die Parteien darauf reagieren, ja ob sie bestimmte Themen überhaupt in ihrem Sinne aufgreifen.

Sind nicht die Proteste gegen die Auswirkungen der Globalisierung ein Hinweis darauf, dass Menschen die Fähigkeit traditioneller Politik, existentielle Probleme zu lösen, zunehmend in Frage stellen? Dieser Protest, dessen eigentliche Bedeutung durch das gewalttätige Vorgehen Weniger überdeckt wird, artikuliert sich in der Sache und benennt das Lösungsdefizit, das Politik und Parteien vorgehalten wird. Das muss nicht immer so sein: Wir sollten sorgfältig darauf achten, ob nicht auch andere Vorgänge, die uns in der zurückliegenden Zeit beunruhigt haben, im Kern möglicherweise Ausdruck tiefgehender Widersprüche sind, ohne gleich als solche erkennbar zu sein: Steckt nicht in manch jugendlichem Gewaltexzess, in provozierendem rechtsextremem Auftreten auch ein bewusster Tabubruch, der die Aufmerksamkeit auch auf ganz andere Probleme lenken sollte? Handelt es sich dabei nicht auch um Zeichen eines "Aufstandes hilfloser Unterprivilegierter", wie ein kluger Beobachter das formuliert hat?

Ich halte es für eine bedenkliche Täuschung zu glauben, die Welt lasse sich zuverlässig nur aus der Talkshow oder aus den Parteizentralen an der Spree erklären. Wer annimmt, Probleme existierten nicht, die sich einfacher Deutung und suggestiver Formulierung entziehen, hat sich von der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen in Deutschland weit entfernt.

III. Wenn die Menschen das Gefühl haben, die Parteien seien nicht oder nicht mehr bereit oder fähig, jene Themen aufzugreifen und jene Probleme zu lösen, die ihnen wirklich auf den Nägeln brennen, dann kann es nicht erstaunen, wenn grundsätzlich gefragt wird: Sind die Parteien überhaupt die geeignete Form der Willensbildung und Machtorganisation in der repräsentativen Demokratie?

Wer oder was, so ist aber zu fragen, träte an die Stelle der Parteien? Welche Alternative schiene wünschenswert und wie wäre sie legitimiert? Wem sonst würden wir es überlassen, über unsere politischen Geschicke zu entscheiden?

Im Gefolge der Spendenaffäre sind zahlreiche Vorschläge gemacht worden, die auf einen Rückzug der Parteien aus vielen Bereichen des öffentlichen Lebens hinausliefen - die meisten dieser Vorschläge sind nach kurzer Zeit wieder vergessen, weil sie kritischen Anfragen nicht standhalten konnten.

Niemand kann sich Verhältnisse wünschen, in denen sich - nach dem Zufallsprinzip oder dem Einfluss der stärksten Hand - lediglich Individualinteressen durchsetzen. Und niemand kann sich ernsthaft die Rückkehr zum Ständestaat wünschen. Nein, die Parteiendemokratie ist die angemessene Art und Weise, eine Staatsform zu organisieren, von der wir aus Erfahrung wissen, dass sie bei allen Mängeln die beste ist. Die Parteien ordnen die politische Debatte, sie entwerfen Modelle und Gegenmodelle, sie decken Schwachstellen und Widersprüche auf und benennen die Kosten und Folgen bestimmter Entscheidungen.

Doch gerade weil wir die integrierende Kraft der Parteien brauchen, brauchen wir auch eine breite Debatte darüber, wie die Parteiendemokratie sich verbessern lässt.

IV. Eine wesentliche Ursache für das demoskopisch feststellbare geringe Ansehen der Parteien und für den Vertrauensverlust ist sicherlich auch die mangelhafte Transparenz der Parteien. Damit meine ich vor allem - aber nicht nur - die in jüngster Zeit bekannt gewordenen Fälle undurchsichtiger, illegaler Parteienfinanzierung und mangelhafter Kontrolle. Aus diesen Fällen sind wichtige Konsequenzen gezogen worden. Die von mir neu berufene Kommission zur Parteienfinanzierung hat dem Gesetzgeber achtzig Maßnahmen empfohlen, die das Finanzgebaren der Parteien transparenter machen und Missbräuche weitgehend ausschließen sollen. Diese Vorschläge haben Eingang in die Beratungen über eine Neufassung des Parteiengesetzes gefunden und müssen nun dringend und schnell umgesetzt werden.

Hätte derartiger Missbrauch vielleicht eher bekannt werden, hätte ihm eher ein Riegel vorgeschoben werden können? Hätte der Schaden für das Ansehen der Parteien durch früheres Handeln abgewendet werden können?

Das Entstehen der staatlichen Einheit in Deutschland vor mehr als einem Jahrzehnt wäre ein guter und geeigneter Zeitpunkt gewesen, Bilanz auch über vierzig Jahre Parteiensystem der Bundesrepublik zu ziehen und zu entscheiden, was überholt ist, also geändert werden muss und was sich bewährt hat und deshalb bleiben soll. Ich habe damals zu denen gehört, die für eine umfassende, offene Verfassungsdebatte eingetreten sind. Nicht, weil ich unser Grundgesetz für überholt und erneuerungsbedürftig gehalten hätte, sondern weil ich damals der Auffassung war, dass wir uns im vereinten Deutschland auch dessen neu versichern und vergewissern sollten, was wir beibehalten wollen. Diese Position hat damals allerdings keine Mehrheit gefunden.

Den Parteien wird auch vorgeworfen, dass sie sich zu stark zwischen die Bürger und den Staat geschoben haben. Kritisiert wird, dass die Parteien nicht nur - wie es das Grundgesetz schreibt - ,"an der Willensbildung des Volkes mitwirken", sondern dass sie gewissermaßen auch staatliche Ämter in Besitz genommen haben. Über den Zugang entscheide nicht länger, wie es das Grundgesetz vorschreibe, Eignung, Befähigung und fachliche Leistung. Selbst Schulleiterstellen, so lautet der Vorwurf, würden "nach Parteibuch" vergeben. Und gibt es eigentlich, so lässt sich fragen, auch ausreichende Verhaltensregeln dafür, wenn ehemalige Abgeordnete ihre Verbindungen in Politik und Verwaltung nutzen, um die Interessen von Wirtschaftsunternehmen oder Verbänden zu befördern?

Das sind Vorwürfe und kritische Fragen, die in jedem Einzelfall sorgfältige Prüfung verdienen und vor denen uns mehr Offenheit und Transparenz in den Parteien und in den Entscheidungsgremien schützte. Die Demokratie darf auch in der Zukunft kein Parteienstaat sein - was wir freilich brauchen, ist eine lebendige Parteiendemokratie.

V. Dazu gehört, dass die Parteien ein eigenes, unverwechselbares Profil haben. In der Auseinandersetzung zwischen den Parteien muss deutlich werden, dass es in der Politik um unterschiedliche Interessen und um unterschiedliche Wertungen geht.

Die Demokratie lebt davon, dass die politische Auseinandersetzung so geführt wird, dass die Positionen der Parteien klar zu unterscheiden sind. Eine Partei, die man mit anderen verwechseln kann, macht sich selber überflüssig.

Wenn sich die Parteien nur noch durch die Köpfe an ihrer Spitze, durch die Gestaltung ihres Internet-Auftritts und die Farben ihrer Wahlplakate unterschieden, dann wären wir auf dem Weg zu einer Art Parteien-Holding, deren Teile nach außen unterschiedlich auftreten, aber ein gemeinsames Unternehmensinteresse haben.

Die politische Auseinandersetzung muss aber eine Konkurrenz um die besten Zukunftsentwürfe sein. Wir brauchen Parteien, in denen Bürgerinnen und Bürger sich gerne engagieren, um den notwendigen Streit über ihre unterschiedlichen Interessen und Meinungen demokratisch zu organisieren.

Die Parteien haben die Aufgabe, Antworten auf Fragen zu suchen, die sich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit stellen. Sie müssen dabei darauf achten, nichts auszuklammern - das darf keine Partei tun und erst recht nicht alle zusammen. Wenn die Parteien diese Aufgabe ernst nehmen, kommen sie neben wichtigen Gemeinsamkeiten zu ganz unterschiedlichen Antworten auf viele gesellschaftliche Fragen.

Die Antworten fallen nicht deshalb unterschiedlich aus, weil sich die Parteien von einander unterscheiden müssen. Die Antworten fallen deshalb unterschiedlich aus, weil die Parteien grundlegende Werte unterschiedlich gewichten und weil sie unterschiedlichen Interessen innerhalb der Gesellschaft unterschiedliche Bedeutung beimessen. Darum ist politischer Streit, wenn er um die Sache geführt wird, richtig und notwendig, ja ein Lebenselixier der Demokratie.

VI. Die Demokratie lebt vom Streit, vom Konflikt, aber nicht vom Konflikt um des Konfliktes willen. Zur Fähigkeit und auch zur Lust am Streit muss die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Konsens kommen. In den meisten politischen Streitfragen gibt es Lösungen, die für die unterschiedlichen politischen Kräfte nicht nur erträglich, sondern auch tragbar sind. Oft resultieren Innovationen aus intelligenten Lösungen von Gegensätzen und Spannungen. Die Bereitschaft zu Konsens und Kompromiss bedeutet aber nicht, unterschiedliche Interessen zu leugnen oder die Sauce der Harmonie über die Konflikte der Welt zu gießen.

Wer Konsens will, darf von anderen nicht verlangen, dass sie etwas für richtig erklären, was sie aus Überzeugung für falsch halten. Die Bereitschaft zum Konsens darf nicht damit verwechselt werden, dass Parteien ihre Einsichten und ihre Überzeugungen aufgeben. Sie sollten aber um der Menschen und um der Sache willen bereit sein, da gemeinsam zu handeln, wo gemeinsames Handeln möglich ist und die bleibenden Unterschiede zurückzustellen.

Auch innerhalb der Parteien muss breit und kontrovers diskutiert werden Das verträgt sich nicht mit dem ständig wiederholten beschwörenden Ruf nach "Geschlossenheit", mit dem Überspielen innerparteilicher Kontroversen, der Ausgrenzung von "Querdenkern", mit aller Art von Kanalisierung und Egalisierung im Interesse einer glatten Parteifassade. All das trägt dazu bei, dass die Parteien nicht genug Ideen entwickeln und nicht genug Persönlichkeiten herausstellen, mit denen sich die Wahlbürger identifizieren wollen und mit deren Hilfe die Parteien in einen wirklichen, nicht nur in einen vorgeblichen und von der Medien-Wirkung bestimmten Wettkampf treten können. Das heißt: sie werden für die Bürgerinnen und Bürger uninteressanter.

VII. Für alle Parteien muss es ein Alarmzeichen sein, wenn Meinungsumfragen zu dem Ergebnis kommen, dass immer mehr Menschen keiner Partei zutrauen, die großen Zukunftsaufgaben zu lösen. Das hat damit zu tun, dass die Parteien viele Jahre den Eindruck erweckt hatten, sie seien für alles zuständig und hätten Antworten auf alle Hoffnungen und Ängste der Menschen.

Das war und das bleibt falsch. Genauso falsch ist es aber, wenn an die Stelle von Allmachtsphantasien heute immer stärker der Rückzug der Politik tritt bis hin zu Ohnmachtsbekundungen. Darum wachsen bei vielen Menschen Zweifel daran, ob demokratisch legitimierte Politik überhaupt noch dazu fähig und dazu bereit ist, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, die jeden einzelnen existentiell betreffen, aktiv zu gestalten.

Das scheint mir der tiefere Grund dafür zu sein, dass so viele Menschen keiner Partei mehr zutrauen, die großen Zukunftsaufgaben zu lösen. Das ist gewiss auch eine Erklärung dafür, dass die Wahlbeteiligung so stark zurückgegangen ist - am stärksten übrigens bei den jungen Menschen, die den Parteien insgesamt besonders kritisch begegnen.

Auch überzeugte Marktwirtschaftler fragen ja inzwischen, ob Regierungen nicht immer stärker zu Vollzugsgehilfen wirtschaftlicher Interessen werden. Es genügt eben nicht, wenn die Politik auf die unbestreitbaren Vorteile hinweist, die Welthandel und Globalisierung mit sich bringen. Die Politik muss sich auch mit den negativen Folgen und mit den unerwünschten Nebenwirkungen der Globalisierung auseinandersetzen.

Das ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben, der sich alle Parteien stellen müssen.

Wenn sich der Eindruck verfestigte, Politik sei nur noch die mehr oder minder intelligente Kommentierung dessen, was ohnehin geschieht, dann wäre das weit mehr als ein Beitrag zur Parteienverdrossenheit; das führte zur Abwendung von der Politik, zur Aushöhlung der Demokratie und damit zur Gefährdung unserer freiheitlichen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung.

VIII. Die Kritik an unseren Parteien ist oft berechtigt, manchmal vielleicht auch nur eine Medien-Mode, gelegentlich aber beruht sie wohl auch auf Unkenntnis der tatsächlichen Funktionsweise unseres politischen Systems. Zwar ist 60 Prozent der Bundesbürger bekannt, dass die Regierung aus dem Parlament hervorgeht - nur 30 Prozent ist aber die Aufgabe der Mehrheitsfraktionen vertraut, die Regierung zu stützen. Weit verbreitet ist die Annahme, Gewaltenteilung lasse sich eben nur im ' klassischen ' Gegensatz von Legislative und Exekutive verwirklichen. Wenn deutlich mehr als die Hälfte der Bundesbürger keine Angaben darüber machen kann, wo, außer im Plenarsaal, die Arbeit des Bundestages stattfindet - kann es dann wundern, dass Kritik an der Arbeit von Parlament und Parteien verbreitet, ja populär ist?

Solche Erkenntnisse können weder entschuldigen noch sollten die Parteien sich mit ihnen trösten. Die Konsequenz können nur verstärkte Anstrengungen - auch der Parteien - in der politischen Bildungsarbeit sein.

Gewiss: Unser politisches System lässt sich verbessern und reformieren. Die Vorschläge, die in den zurückliegenden Monaten vorgebracht wurden, sollten ernsthaft geprüft werden. So halte ich es für richtig, dass verstärkt darüber nachgedacht wird, wie wir unser Grundgesetz durch plebiszitäre Elemente bereichern können. Bürgerforen und Planungszellen sind andere Möglichkeiten, Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu eröffnen, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen, ohne sich dauerhaft an eine Organisation zu binden. Ganz wichtig ist zudem, dass die Parteien sich auch für Nichtmitglieder und Noch-Nichtmitglieder öffnen. Die Verfahren bei öffentlichen Wahlen könnten stärker darauf ausgerichtet werden, dem Wähler mehr Einfluss auf die Auswahl der Kandidaten zu geben.

Bei allem sollten wir aber darauf achten, dass Änderungen im Einklang mit der grundlegenden Funktionsweise unserer Demokratie bleiben. Volksbegehren und Volksentscheide können und sollen die Parlamente nicht ersetzen, sondern deren Arbeit ergänzen. In einem halben Jahrhundert hat die repräsentative Demokratie sich insgesamt eindrucksvoll bewährt. Wir sollten sie verbessern, aber beibehalten. Das bedeutet, bei aller berechtigter Kritik und allem Reformbedarf eben auch: Die Alternative zu den heutigen Parteien können nur erneuerte, verbesserte Parteien sein, die sich nicht bevorzugt mit sich selber und der politischen Konkurrenz beschäftigen, sondern sich um die wirklichen Probleme und Aufgaben kümmern.