Redner(in): Johannes Rau
Datum: 11. Mai 2002

Anrede: Herr Rektor Berchem,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/05/20020511_Rede.html


hochansehnliche Festversammlung,

des Hinweises auf das rheinische Idiom des Rektors hätte es so wenig bedurft wie der Erinnerung an die westfälische Herkunft des Festredners, um ein unterfränkisches Evakuierungskind, das jetzt Bundespräsident ist, zur Teilnahme an Ihrem Festakt zu bewegen. Ich bin sehr gern gekommen, um zu diesem 600. Jahrestag herzliche Grüße zu sagen und ein paar vielleicht nachdenkliche Worte.

Ein Spötter hat einmal gesagt: "Erfahrung ist der Name, den wir unseren Fehlschlägen geben." Die Gründung der Universität zu Würzburg im Jahr des Herrn 1402 war, vom Ergebnis her betrachtet, zunächst ein Fehlschlag, aber auch eine Erfahrung, aus der sich bis zum heutigen Tag manche Lehre ziehen lässt.

Geplant war die Universität als handfestes Stück Regionalpolitik: Würzburg sollte wieder blühen und gedeihen, und eine Hohe Schule versprach kräftig dazu beizutragen. Sie würde von überallher Talente anziehen und das geistige Klima beleben, und sie würde der Stadt Arbeit und Einkommen bringen. Wie richtig das gedacht war, das beweist die Bayerische Julius-Maximilians-Universität seit langem schon jeden Tag aufs Neue, vor sechshundert Jahren aber ist das noch nicht gelungen.

Das hatte vor allem finanzielle Gründe. Schon damals war es falsch, ausgerechnet an der Bildung zu sparen. Diese Lehre hat man in Würzburg seither beherzigt - vom imposanten Investitionsprogramm am Ende des sechzehnten Jahrhunderts bis zu den enormen Investitionen der vergangenen Jahrzehnte in die Leistungsfähigkeit dieser Universität. Würzburg ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig "Nachhaltigkeit" auch in der Hochschulpolitik und in der Hochschulfinanzierung ist. Es gibt auch künftig für unser Land kein wichtigeres Feld für Investitionen als eine möglichst breite und gute Förderung kluger Köpfe und Talente, denn von ihnen hängt die Zukunft unseres Landes ab. Darum darf hierzulande an der Bildung nicht gespart werden!

Die Finanzierung der hiesigen Alma Mater zeigt übrigens auch, wie wertvoll und wie dauerhaft Stiftungen zum Kapitalstock einer Universität beitragen können. Gottlob nimmt seit einigen Jahren die Zahl der privaten Stiftungen in Deutschland deutlich zu. Ich hoffe, das kommt auch den Universitäten gehörig zugute. Ich will dazu jedenfalls gern anstiften.

Die Gründung von 1402 ist nicht allein am Geld gescheitert. Es fehlte auch am rechten Miteinander von Stadt und Universität. Die Bürgerschaft misstraute den Motiven des Fürstbischofs, sah die Privilegien der Hohen Schule mit Unmut und leistete nicht selten passiven Widerstand. Die Universitätsangehörigen ihrerseits taten nach allen Berichten wenig, um in der Stadt beliebter zu werden - man liest so einiges über nächtliche Ruhestörung und über alle Arten von Raufhändeln zwischen den Studiosi und den Einheimischen.

Solche Gegensätze zwischen Stadt und Universität wird man heute vergebens suchen. Die beiden wissen längst, was sie aneinander haben, und beide tragen ihren Teil zu dem weltoffenen, internationalen und kreativen geistigen Klima bei, das jede Universitätsstadt so dringend braucht wie die Luft zum Atmen. Natürlich gilt das nicht nur für Universitätsstädte allein: Internationale Vielfalt und Lebendigkeit bereichern ganz Deutschland.

Das weiß niemand besser als Sie, Herr Professor Berchem, der Sie sich als Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes genauso wie als Präsident dieser Universität mit großem Erfolg dafür einsetzen, dass möglichst viele Deutsche Studienerfahrung im Ausland sammeln und dass möglichst viele ausländische Studierende unsere Hochschulen bereichern, also zum Beispiel noch lieber nach Würzburg gehen als nach Cambridge.

Die Geschichte Ihrer Universität hält auch manche Lehre zum Thema Profilbildung bereit. Besonders ausgeprägt war ihr Profil in den Zeiten der Zweitgründung: Da wurde Würzburg zum Vorposten des Katholizismus gegen theologische und politische Einflüsse gewisser Nordlichter von Wittenberg und Halle bis nach Rostock und Greifswald, ja bis nach Marburg und Gießen. Das war das Zeitalter der "Universitas militans", aber auch die bleibt "semper reformanda", und das hat man in Würzburg gut verstanden und beherzigt. Gerade deshalb zählt die hiesige Katholisch-theologische Fakultät auch heute zu den anerkanntesten und einflussreichsten in ganz Deutschland.

Es ist kein Zufall, dass Herman Schell, ein moderner Theologe, am Eingang der neuen Universität das Motto "Veritati" anbringen ließ, als Selbstverpflichtung aller Wissenschaft auf die Wahrheit. Das war nicht zuletzt ein Zeichen dafür, dass die Universität sich längst auch den modernen Naturwissenschaften geöffnet hatte. Sie bestimmen heute mehr denn je das Profil ihrer Hochschule.

Ich brauche Ihnen nicht den Registerauszug all dessen zu verlesen, was es hier an Forschungseinrichtungen und Sonderforschungsbereichen der Spitzenklasse gibt. Ich will aber zwei Dinge nennen, die mich bei der Vorbereitung auf meinen Besuch besonders beeindruckt haben, und ich will eine Erwartung aussprechen: