Redner(in): Johannes Rau
Datum: 10. Mai 2002

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/05/20020510_Rede.html


Diese ehemals geteilte Stadt ist ja nicht nur ein Symbol gewesen für die Teilung Deutschlands, sondern auch für die Teilung Europas, und das kann uns den Blick dafür erweitern, wie wichtig der Brückenschlag zwischen den Nationen und den Regionen Europas ist. Nur so kann Europa zu einer Staatengemeinschaft zusammenwachsen, die auf gegenseitiger Anerkennung und auf friedlichem Miteinander beruht.

Allein auf staatlicher Ebene könnte dieser Brückenschlag nicht gelingen. Versöhnung und Dialog kann man nicht verordnen. Der Brückenschlag, von dem ich gesprochen habe, kann nur gelingen, wenn sich möglichst viele Menschen und möglichst viele gesellschaftliche Gruppen beteiligen. Darum freue ich mich darüber, dass es in Europa eine Fülle von Einrichtungen gibt, die die Begegnung mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen fördern.

Zu diesen Einrichtungen gehört auch die Pro Europa - Europäische Kulturstiftung, die ganz gewiss nicht zufällig in einer Region entstanden ist, die eine lange Tradition des Austausches über Staatsgrenzen hinweg hat.

Die Geschichte der Beziehungen zwischen dem Elsaß und Baden-Württemberg und der Schweiz zeigt uns, was Miteinander in Europa bedeuten kann. Sie zeigt uns auch, dass fruchtbarer Austausch zwischen Regionen in unterschiedlichen Nationalstaaten möglich ist. Und sie zeigt: Regionaler Austausch muss kein Verlust an nationaler Identität sein, sondern regionale und nationale Identitäten bestehen gleichzeitig und können sich gegenseitig befruchten.

Die Stiftung Pro-Europa möchte mit ihren Preisen, die hier und an anderen Orten ausgehändigt werden, Leistungen bedeutender Persönlichkeiten anerkennen und Initiativen und Engagement junger Menschen fördern. Sie tut das bewusst nicht im wirtschaftlichen und politischen Bereich, sondern auf dem Feld der Kultur.

Ich finde das besonders wichtig, denn ich bin davon überzeugt: Europa kann nur gelingen, wenn sein Zusammenwachsen und seine Verflechtung nicht bloß politisch und wirtschaftlich stattfinden, sondern auch kulturell.

Das wichtigste Ziel dieses kulturellen Dialogs zwischen den europäischen Nationen und Regionen sollte es sein, die Einsicht dafür zu fördern, dass kulturelle Vielfalt keine Gefahr ist, sondern Bereicherung sein kann - für den Einzelnen, für die Regionen und für die Nationen. Erst in der Begegnung mit anderen Kulturen erkennen wir unsere eigene kulturelle Identität, und wir können sie festigen und weiterentwickeln.

Pro Europa trägt mit der Verleihung der Kulturpreise dazu bei, diese Begegnung zwischen den Kulturen Europas zu fördern. Sie wird das gewiss auch weiter tun. Dafür möchte ich allen Beteiligten meinen Respekt und meinen herzlichen Dank sagen. Das gilt ganz besonders Ihrem Präsidenten, Herrn Dr. Seidel, den bitte ich jetzt, zu mir zu kommen, um mit der Verleihung der Preise zu beginnen.