Redner(in): Johannes Rau
Datum: 29. Dezember 2002

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/12/20021229_Rede.html


Hauptmann Friedrich Deininger, Stabsunteroffizier Frank Ehrlich, Hauptfeldwebel Heinz-Ullrich Hewußt, Hauptfeldwebel Bernhard Kaiser, Hauptfeldwebel Thomas Schiebel, Hauptgefreiter Enrico Schmidt, Oberleutnant Uwe Vierling: Das sind die Namen der Sieben und das sind die Chiffren für sieben sehr unterschiedliche Lebensgeschichten. Die Geschichten von Menschen, die voller Hoffnungen und voller Erwartungen waren, die nicht ohne Ängste gelebt haben und nicht ohne Sorgen. Es sind zugleich die Namen von sieben Menschen, um die wir heute trauern. Der Staat kann nicht trauern, trauern können nur einzelne, aber das Vaterland kann Dank sagen für gelebtes Leben und für geleisteten Dienst. Darum bin ich heute hier, um stellvertretend diesen Dank auszusprechen an diese sieben Männer, die ihr Leben hergegeben haben im Dienst einer Sache, die uns wichtig und unverzichtbar ist. Darum wünsche ich den Angehörigen, dass der Tag bald kommt, nicht der Tag, an dem die Trauer weg ist, aber der Tag, an dem der Dank für das gemeinsame Leben stärker wird als der Schmerz über den Tod. Sie nehmen Abschied in Trauer und Schmerz und Liebe. Die Liebe bleibt und soll bleiben. Das wünsche ich den Frauen und den Kindern, den Eltern und den Geschwistern, den Freunden und den Kameraden, mit denen wir trauern und denen wir im Leid verbunden bleiben, das Ihnen so kurz vor dem Weihnachtsfest widerfahren ist. Jeder Tod ist ein schmerzhafter Verlust - ein unwiederbringlicher Verlust, jeder Tod eines uns nahen Menschen reißt eine Lücke in unser Leben, die niemand schließen kann. Die sieben Soldaten sind weit weg von zu Hause gestorben, in Afghanistan. Sie gehörten zum deutschen Teil der internationalen Streitkräfte, die dort im Interesse der Menschen Frieden und Sicherheit schaffen, die den Wiederaufbau des Landes schützen und fördern. Wir gedenken heute dieser Sieben und auch all der Soldaten der Bundeswehr, die in den vergangenen Jahren bei Einsätzen ums Leben gekommen sind. Ihr Einsatz für Menschenrechte und für Freiheit, gegen den Krieg und für Frieden und Sicherheit hat Bedeutung weit über die Region hinaus. Die ganz große Mehrheit der Deutschen unterstützt diesen Einsatz unserer Soldaten. Das haben auch die Reaktionen gezeigt, besonders an den Standorten der sieben Soldaten - in Laupheim, in Faßberg und in Rheine. Die Betroffenheit der Mitbürgerinnen und Mitbürger unseres Landes, das Mitgefühl, ist groß. Das zeigt auch: Wir Deutsche halten es für richtig, dass wir mit unserer Bundeswehr auf vielfache Art und Weise mithelfen, den weltweiten Terrorismus zu bekämpfen, der uns auch im eigenen Land bedroht. Wir wissen, dass Urheber und Drahtzieher furchtbarer Anschläge in weit entfernten Teilen der Welt operieren, dass ihre Ziele aber durchaus auch in unserem Land liegen können. Wenn die Bundeswehr in solchen Ländern eingesetzt wird, verteidigt sie auch unsere Sicherheit und unsere Freiheit und auch die Sicherheit und Freiheit unserer Verbündeten. Das gilt für unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan genauso wie für die in anderen Regionen. Auch bei den friedenserhaltenden Einsätzen in Bosnien, in Mazedonien und im Kosovo können die Soldatinnen und Soldaten auf das Vertrauen und die Unterstützung der Deutschen bauen. Sie wissen, dass die Soldaten sich dort für eine gerechte und richtige Sache einsetzen. Für die Soldatinnen und Soldaten, die ihre Gesundheit und ihr Leben einsetzen, ist es wichtig zu wissen, dass ihr gefährlicher Dienst in Deutschland bejaht und unterstützt wird. Sie haben diese Unterstützung, weil die Menschen in Deutschland wissen, dass der Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Krisenregionen der Sehnsucht nach Frieden entspringt und nicht der Freude an militärischen Aktionen. Wir alle sind darauf angewiesen, dass andere ihr Leben einsetzen, damit wir alle frei und friedlich leben können. Das geschieht in vielen Fällen unbemerkt. Darum will ich heute auch daran erinnern, dass Soldatinnen und Soldaten nicht nur im Kampfeinsatz und nicht nur im Auslandseinsatz gefährdet sind. Wir sollten auch an die denken, die bei Übungen und Manövern, auch hier in Deutschland, Leben und Gesundheit riskieren. Was für die Soldaten gilt, das gilt auch für unsere Polizisten und Feuerwehrleute, das gilt auch für die vielen zivilen Helferinnen und Helfer, die in den Krisengebieten der Welt einen oft gefährlichen Dienst tun. Noch einmal: Wer sein Leben riskiert, der muss wissen, dass er es für eine richtige und gute Sache tut - und dass sein Dienst von seinem Volk getragen, bejaht und unterstützt wird. Die Älteren denken in diesen Tagen an ein Ereignis zurück, das wie kein anderes für uns Deutsche zum Symbol für einen verbrecherischen Krieg und für sinnlose militärische Befehle geworden ist: an die Schlacht um Stalingrad. In diesen Tagen vor sechzig Jahren schloss sich der Ring um den sogenannten Kessel, in dem eine ganze Armee eingeschlossen war. Zehntausende waren schon gefallen, vor Hunger und Kälte gestorben, Hunderttausende gingen in Kriegsgefangenschaft, nur wenige kamen zurück. Die Erinnerung daran hat uns Deutsche tief geprägt. Auch in das Gedächtnis der Nachgeborenen hat sich diese Erfahrung tief eingegraben. Die Erinnerung an den Krieg einer menschenverachtenden Diktatur ist uns heute in der freiheitlichen Demokratie Mahnung und Verantwortung zugleich. Deutschland stellt nach den Vereinigten Staaten weltweit die meisten Soldaten für humanitäre und friedenserhaltende Einsätze der Vereinten Nationen. Wir leisten damit unseren Beitrag zum Schutz von Frieden und Freiheit. Dieser Beitrag kann schmerzlich sein. Das wird uns an Tagen wie diesem bewusst. Die Einsätze von Soldaten der Bundeswehr dienen auch in Zukunft dem Schutz von Frieden und Freiheit, der Sicherheit unseres Landes und unserer Bündnispartner. Heute vereint uns hier im Bonner Münster die Trauer um sieben Männer, die mitgeholfen haben, dass die Bundeswehr in Afghanistan gemeinsam mit Kameraden aus anderen Ländern den Auftrag erfüllen kann, den die Vereinten Nationen gegeben haben. Wir wollen - gemeinsam mit ihren Familien und ihren Kameraden - das Andenken dieser Männer in dankbarer Erinnerung halten, und wir wünschen den Angehörigen, weil menschliche Worte sie nicht erreichen können, Gottes Trost.