Redner(in): Johannes Rau
Datum: 15. Januar 2003

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/01/20030115_Rede2.html


Konfliktprävention und internationale Zusammenarbeit "

I. Der Neujahrsempfang hat Tradition. Er unterstreicht die guten Beziehungen, die zwischen unseren Ländern bestehen und die uns verbinden. Uns verbindet auch die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, die sich regional oder weltweit um Frieden und Zusammen-arbeit bemühen. Diese Organisationen sind in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Sie bestimmen in zunehmendem Maße das Verhältnis unserer Länder zueinander.

Bei uns in Europa zeigt sich ihre Bedeutung darin, dass so viele Länder Mitglied der Europäischen Union und der NATO werden möchten. Die Erweiterung von Europäischer Union und NATO ist eine der großen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre. Sie war nicht selbstverständlich, wenn man die Herausforderungen bedenkt, die damit verbunden waren und sind:

Die regionale Zusammenarbeit kommt nicht nur in Europa voran. Die Organisation für Afrikanische Einheit ist zur Afrikanischen Union geworden. Die Staaten Afrikas wollen damit besser zum gemeinsamen Vorteil zusammenarbeiten. Dazu gehört die Initiative der "Neuen Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas". Sie hat einen Fahrplan für die Zukunft des Kontinents entwickelt mit einer klaren Perspektive. Bei meinem Besuch in Afrika vor einem Jahr habe ich mir bei vielen Gesprächen ein gutes Bild von dieser wichtigen Initiative machen können.

Aber ich habe auch erkennen müssen, dass es zu ihrer Umsetzung noch großer, auch politisch schwer durchsetzbarer Anstrengungen bedarf. Jetzt kommt es darauf an, tatsächlich gegen Korruption und Rechtsmissbrauch einzuschreiten und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Dabei gibt es erfreuliche Entwicklungen, aber auch solche, die mir Sorgen machen. Das Vertrauenskapital, das die "Nepad-Initiative" erworben hat, darf nicht verspielt werden.

II. Ob in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft oder in der gesellschaftlichen Entwicklung: Wir sind immer stärker darauf angewiesen, uns abzustimmen und zusammen-zuarbeiten. Daraus ergeben sich große Chancen und Vorteile, und deshalb ist die Globali-sierung auch eine Geschichte eindrucksvoller Erfolge. Zugleich bereitet sie vielen Menschen in manchen Ländern Angst und Unbehagen. Dafür gibt es handfeste Gründe: Den Verlust des Arbeitsplatzes, die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen oder das Wirken von über-mächtig erscheinenden wirtschaftlicher Kräfte.

Die Länder, die besonders wohlhabend und politisch einflussreich sind, müssen sich deshalb auch als Anwalt jener verstehen, die die Globalisierung nicht mit gleichem Einfluss gestalten können. Sie haben den gleichen Anspruch darauf, dass ihre Interessen gewahrt und geachtet werden.

III. Wenn wir die Herausforderungen der Globalisierung bestehen wollen, dann brauchen wir gar nicht unbedingt neue politische Instrumente. In vielen Fällen müssen wir die vorhandenen bloß konsequenter einsetzen.

Die Konferenz von Monterrey zur Finanzierung von Entwicklung und der Gipfel von Johannesburg für nachhaltige Entwicklung haben im vergangenen Jahr gezeigt: Die Vereinten Nationen wollen ihrer Verantwortung gerecht werden und sie wollen die Rolle ausfüllen, die ihnen zugedacht ist. Die Vereinten Nationen müssen das entscheidende Forum sein, in dem die Normen und Regeln festgelegt werden für eine friedliche, gerechte und solidarische Welt.

Die Weltorganisation kann nur so gut und so erfolgreich sein, so stark und gestaltend, wie wir, ihre Mitglieder, das möglich machen und zulassen. Wir müssen bereit sein, mehr zu tun, als bloß symbolische Akte und wohlmeinende Erklärungen zu verabschieden. Aus guten Absichten müssen wir eine - manchmal vielleicht unbequeme und oft teure - Wirklichkeit werden lassen. Das ist gewiss schwierig. Doch können wir das von den Vereinten Nationen nurverlangen, wenn wir auch selbst dazu bereit sind.

Wir müssen Beziehungen zwischen unseren Staaten nach dem Prinzip der Gleichberechti-gung auf einer verlässlichen, berechenbaren Grundlage gestalten. Gemeinsam müssen wir uns darüber verständigen, nach welchen Kriterien in wichtigen Fragen entschieden wird, beispiels-weise wenn es darum geht, Gewalt anzudrohen oder anzuwenden.

IV. Zu den vorrangigen Aufgaben des Sicherheitsrates gehört die Wahrung des Friedens in der Welt. Deshalb blicken wir zu Beginn dieses Jahres mit besonderer Sorge in Richtung Irak. Uns alle bewegt die Hoffnung, dass es nicht zu einem Krieg kommt. Die beteiligten Staaten müssen alles tun, um die vollständige Umsetzung der einschlägigen Resolutionen des Sicher-heitsrates zu ermöglichen und die wirtschaftliche und politische Stabilität in der Region zu sichern.

Wir dürfen uns aber auch keine schwelenden Konflikte mehr leisten. Die Annahme trügt, Konflikte könnten sich mit der Zeit gewissermaßen von allein erledigen. Die Zeit spielt in den meisten Fällen nicht für den Frieden. In besonders dramatischer und tragischer Weise zeigt das der Konflikt im Nahen Osten. Immer wieder erreichen uns schreckliche Bilder, und fast regelmäßig hören wir, dass wieder Unbeteiligte zu Opfern geworden sind, dass Kinder, Frauen, Alte getötet worden sind. Die Spirale der Gewalt muss zu einem Ende kommen, denn jede neue Gewalttat schwächt die Friedenswilligen.

Gewiss: Nichts kann gegen den Willen der unmittelbar Beteiligten geschehen. Wir müssen aber mithelfen, Wege zum Frieden zu bahnen; wir können dazu beitragen, Angst zu nehmen, Vertrauen zu schaffen und so die Hoffnung auf eine friedliche Lösung zu nähren. Gewalt ist ein untaugliches Mittel. Weder können Terroristen einen Frieden herbeibomben, noch kann der Einsatz militärischer Macht alleine zu einer dauerhaften und stabilen Lösung im Nahen Osten führen. Das gilt nicht nur für diese Region.

Dauerhafter Friede kann nur entstehen, wenn wir die Ursachen von Konflikten erkennen und bekämpfen. Sie sind vielfältig. Ich bin davon überzeugt, dass fehlende Lebensperspektiven eine entscheidende Rolle spielen. Zu den tieferen Ursachen von Konflikten, auch von manchem Terrorismus, gehört die Angst, in dieser Welt keine faire Chance zu bekommen, und die Verbitterung darüber, ausgegrenzt und nicht geachtet zu werden.

In jedem Staat haben es die Verantwortlichen in der Hand, durch gutes und glaubwürdiges Regierungshandeln den Menschen eine Perspektive zu geben. Gute Regierungsführung, das heißt ganz praktisch: Die Menschenrechte achten, soziale Ungerechtigkeiten abbauen, die Korruption wirksam bekämpfen und Staat und Gesellschaft demokratisieren.

Ich wünsche Ihnen und uns allen ein gutes und friedliches Jahr 2003.