Redner(in): Roman Herzog
Datum: 15. Januar 1996
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1996/01/19960115_Rede.html
Ich freue mich, Sie auf dem Petersberg begrüßen zu dürfen. Für uns ist ein Besuch aus Ihrem Lande immer etwas Besonderes.
Ihr Besuch ist der zweite eines israelischen Staatsoberhauptes in Deutschland. Acht Jahre ist es her, seit Ihr Amtsvorgänger Chaim Herzog, mein Namensvetter, als erster israelischer Staatspräsident die Bundesrepublik Deutschland besuchte. Vor wenig mehr als einem Jahr galt meine erste Reise als Bundespräsident in ein außereuropäisches Land dem Staat Israel. Meine Frau und ich waren bewegt von der herzlichen Aufnahme in Ihrem Land.
Der intensive Besuchsaustausch auf allen Ebenen zeigt, wie sehr sich der Prozeß der Verständigung zwischen unseren Ländern vertieft hat. Im vergangenen Jahr haben wir den 30. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen begangen. Das deutsch-israelische Verhältnis selbst ist schon ein Stück Geschichte, und zwar eine Erfolgsgeschichte! Aber die menschlichen Beziehungen sind es, die zu diesem Erfolg geführt haben und die dem Verhältnis zwischen unseren beiden Staaten Dauer und Wärme verleihen.
Beide Staaten begannen nach dem Zweiten Weltkrieg neu. Sie entstanden vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und ihrer Verbrechen. Wo immer Israelis und Deutsche aufeinandertreffen, ist diese Vergangenheit gegenwärtig. Gestern haben wir im Konzentrationslager Sachsenhausen gemeinsam derer gedacht, die Opfer unfaßbarer Grausamkeit wurden. Opfer von Verbrechen, die Deutsche begangen haben. Wir wissen aber: Wer vor seiner Vergangenheit wegläuft, wird von ihr eingeholt. Wir Deutsche stellen uns der Vergangenheit um der Zukunft willen.
Aus der Erinnerung an die Vergangenheit und aus dem Wunsch nach einem Neubeginn entstand auch die besondere Verantwortung, die wir gegenüber dem Staat Israel verspüren. Die Beziehungen zwischen dem neuen Deutschland und dem jungen Staat Israel wuchsen auf der Grundlage gemeinsamer demokratischer und rechtsstaatlicher Werte. David Ben Gurion und Konrad Adenauer schlugen unter schwierigen Bedingungen die ersten Brücken über Gräben hinweg, die die Geschichte hinterlassen hatte.
Wohl kaum jemand hätte damals oder auch noch bei Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu hoffen gewagt, daß sich das deutsch-israelische Verhältnis zu einer so engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit auf nahezu allen Gebieten entwickeln würde. Ihr Besuch, Herr Präsident, bezeugt die Freundschaft, die unsere Beziehungen heute kennzeichnet. Politiker und Beamte, Wissenschaftler und Künstler, Gewerkschafter und Wirtschaftsvertreter, Repräsentanten der Kirchen und viele andere engagierte Bürger in Deutschland und in Israel arbeiten in Politik und Wirtschaft zusammen, im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich, in unzähligen Städtepartnerschaften sowie im Jugendaustausch und in den Freundschaftsgesellschaften.
Die Geschichte dieser letzten dreißig Jahre hat gezeigt, daß die Vergangenheit, die zwischen uns steht, zwar nicht verdrängt werden kann und darf. Wohl aber ist es möglich, sie zu überbrücken und ihr so das Trennende zu nehmen. Unser gestriges Gespräch mit den Jugendlichen in Berlin hat mir gezeigt, wie groß die Bereitschaft zum gegenseitigen Kennenlernen und zum verstärkten Austausch ist. Wir wollen diese Bereitschaft nutzen.
Sie, Herr Präsident, sind bereits ein Kenner unseres Landes. Sie haben die Bundesrepublik Deutschland unter anderem im April 1989 als Minister für Wissenschaft und Technologie besucht. Damals wußte noch niemand, daß wenige Monate später die Berliner Mauer fallen würde und daß dies den Weg zur Vereinigung Deutschlands ebnen sollte. Seither haben wir große Anstrengungen unternommen, deren Früchte Sie zu einem kleinen Teil bereits in Berlin gesehen haben und die Sie bei Ihrem Besuch in Sachsen noch sehen werden. Mir liegt sehr daran, daß Sie sich selbst einen Eindruck von der Wirklichkeit und vom Alltag des vereinten Deutschland machen können.
Ihr erster Besuchstag galt Berlin, einem Brennpunkt deutsch-jüdischer Geschichte, in all ihren glänzenden und ihren düsteren Facetten. Das geistige Berlin, zu dem unsere Landsleute jüdischen Glaubens über Jahrhunderte hinweg hervorragende Beiträge geleistet haben, hat sich von dem Verlust durch den Naziterror bis heute nicht erholt. Ein Kernelement deutscher Kultur wurde damals ausgelöscht. Darum sind wir über die Ansätze einer wieder wachsenden jüdischen Gemeinde sehr froh.
Auch auf dem Gebiet der Wirtschaft nimmt die Kooperation zwischen unseren beiden Ländern zu. Es freut mich besonders, daß sich die deutsche Wirtschaft in Israel und auch die israelische Wirtschaft in Deutschland verstärkt engagieren. Ihr Besuch in Wolfsburg wird Gelegenheit geben, der bilateralen Zusammenarbeit besonderes Augenmerk zu widmen. Ich hoffe, daß das Zusammenwirken der "Dead Sea Works" und der "Volkswagen AG", die vor einigen Monaten ein Joint Venture als bisher größtes gemeinsames deutsch-israelisches Unternehmen vereinbarten, Schule machen wird.
Ich kann von den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern nicht reden, ohne das Ereignis anzusprechen, das uns alle entsetzt und erschüttert hat: die Ermordung von Ministerpräsident Itzchak Rabin. Dieser Mord stellte eine Zäsur dar, die jeden von uns innehalten ließ. Ihre Bedeutung wird uns in ihrer ganzen Tragweite erst allmählich bewußt.
Wir befinden uns an einem Wendepunkt, an dem es gilt, mit einem klaren Bekenntnis zum Frieden ein Zeichen zu setzen - gegen all jene, die den Frieden mit Gewalt verhindern wollen. Wir bezeugen unseren Respekt vor dem Mann, der die Stärke und den Mut hatte, Ausgleich mit den ehemaligen Gegnern zu suchen. Gegen alle Widerstände schritt er auf dem begonnenen Weg fort und ist dadurch zu einem bleibenden Symbol des Friedens geworden.
Die große internationale Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten in Jerusalem war eine eindrucksvolle Demonstration der Solidarität mit dem israelischen Volk und mit seinem Willen zum Frieden. Das bedeutet einen schwierigen und langen Prozeß, der von allen Beteiligten Geduld und Stärke verlangt. Geduld, weil nach Jahrzehnten der Feindschaft Vertrauen erst wachsen muß. Stärke, um den Widerständen zu begegnen, die oft aus jener Unsicherheit und Angst erwachsen, die jedem Umbruch innewohnt.
Nach den historischen Vereinbarungen mit Ägypten, den Palästinensern und Jordanien ist ein wichtiges Element in diesem Prozeß jetzt der Ausgleich Israels mit Syrien und dem Libanon. Es ermutigt, daß die israelisch-syrischen Gespräche in den letzten Wochen wieder aufgenommen wurden. Wir alle hoffen, daß sie in Kürze zu substantiellen Ergebnissen führen werden. Sie selbst, Herr Präsident, haben mehrfach Ihre Bereitschaft zu einer Begegnung mit dem syrischen Präsidenten bekundet und damit Entgegenkommen signalisiert.
Frieden und Sicherheit sind unteilbar. Frieden ist uns nur vergönnt, wenn auch unser Nachbar in Frieden lebt. Und Frieden ist nur sicher, wenn seine Früchte für den Einzelnen spürbar werden. Das gilt im großen wie im kleinen, sowohl innerhalb der Region, als auch zwischen benachbarten Regionen. Schon deshalb ist der Friedensprozeß auch für uns Europäer von eminenter Bedeutung.
Solidarität erschöpft sich nicht in Worten, sie muß sich in Taten erweisen. Wir wissen um die Notwendigkeit der Fortsetzung unserer Hilfe, und wir sind dazu bereit. Deutschland will weiterhin bilateral und gemeinsam mit seinen europäischen Partnern zum Friedensprozeß beitragen, indem wir helfen, dessen Rahmenbedingungen zu verbessern. Die Hilfe der Europäischen Union und Deutschlands soll zu einer Stabilisierung der Region insgesamt beitragen.
Dazu dient die Unterstützung beim Aufbau der palästinensischen Verwaltung und bei den bevorstehenden Wahlen in den autonomen Gebieten ebenso wie die Verstärkung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Israel, für die sich die deutsche Seite stets nachdrücklich eingesetzt hat und die mit dem Abschluß des Assoziierungsabkommens und der Erarbeitung eines Abkommens zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit eine neue Qualität gewonnen hat.
Zu Beginn habe ich die deutsch-israelischen Beziehungen eine Erfolgsgeschichte genannt. Das war gewiß richtig. Aber auf dem Erfolg soll man sich nicht ausruhen. Um ihn zu bewahren, bedarf es weiterer Anstrengungen und intensiver Pflege. Wir sind bereit dazu. Ich kann Ihnen versichern, daß die Bundesrepublik Deutschland nach Kräften alles dazu tun wird, um den Austausch zwischen unseren beiden Ländern fortzuführen und zu vertiefen und zu dem Aufbau eines sicheren und friedlichen Nahen Ostens beizutragen.
Lassen Sie mich nun das Glas erheben und anstoßen
auf das Wohl von Präsident Weizman und Frau Weizman,
auf die freundschaftlichen und vertrauensvollen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern und
auf eine gesicherte und glückliche Zukunft des israelischen Volkes in einem friedlichen Nahen Osten.