Redner(in): Johannes Rau
Datum: 30. August 2003

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/08/20030830_Rede.html


Allen hier in der Halle einen herzlichen Gruß, aber auch denen, die uns jetzt am Fernsehschirm miterleben, die zuhören und die, so hoffe ich, wie ich aus dem Staunen gar nicht herauskommen.

Ich bin heute Morgen zum ersten Mal in Morgenröthe-Rautenkranz gewesen. Das hat mich sehr bewegt; da habe ich Dinge gesehen, die kannte ich zum Teil aus Büchern. Da habe ich Menschen getroffen, die hatte ich vorher nur gelegentlich und von fern gesehen, und da habe ich einen Ort kennen gelernt, der hat 870 Einwohner und 50.000 Besucher im Jahr. Das ist eine Relation, die kriegt nicht einmal Mallorca zustande; so schön ist Morgenröthe-Rautenkranz und so schön ist das geliebte Vogtland, in dem ich schon als Kind gewesen bin.

Aus dieser Zeit, da war ich noch nicht einmal schulfähig, ist mir dann doch vieles wieder ins Gedächtnis gekommen. Unter anderem ist da eine Geschichte, die mir kürzlich eine Bewohnerin der früheren DDR aus ihrer Kindheit erzählt hat. Sie hat erzählt, dass man im Kindergarten und in der Grundschule bei besonderem Fleiß und bei besonderer Tüchtigkeit ins Heft ein Bienchen bekam. Ich kannte das nicht aus meiner Heimat, aus Wuppertal, aber ein Bienchen zu bekommen, das machte stolz, das machte den Rücken gerade, das hob heraus. Dann hat sie hinzugefügt, wer drei Bienchen hatte in einem bestimmten Zeitpunkt, der kriegte einen Sigmund.

Sigmund Jähn, der erste deutsche Raumfahrer vor 25 Jahren. Wir damals im Westen, wir haben das schon erlebt vor 25 und vor 20 Jahren, dass die jeweils andere Seite das herunterzuspielen versuchte. Da war das dann eben "der erste DDR-Deutsche im Weltall" und fünf Jahre später war es "der erste Bundesdeutsche im Weltall". Man hat dann versucht, das von beiden Seiten auch publizistisch ein bisschen auf die eigene Linie zu bekommen.

Ich finde, das Schönste ist, dass diese Zeit vorbei ist, dass wir heute die Raumfahrt nicht mehr sehen als eine Waffe gegen den anderen, als einen Standortvorteil, sondern dass Ost und West gemeinsam, dass Sigmund Jähn und Ulf Merbold gemeinsam dafür sorgen, dass aus der Raumfahrt ein Gewinn kommt, der uns auch auf der Erde hilft: in der Medizin, in der Kartografie, bei der Wettervorhersage. In vielen, vielen technischen Gebieten und auf vielen Feldern sind die Ergebnisse der Raumfahrt das Entscheidende.

Es ist schön, dass hier heute zwei deutsche Raumfahrer - einer mit 25 Jahren und einer mit 20 Jahren Erinnerung an den Weg um unseren Planten - zusammen sind; aber noch schöner ist, dass auch amerikanische und russische Raumfahrer hier sind, dass wir heute ein Stück weit feiern, dass die Spaltung der Welt zu Ende ist.

Dazu möchte ich sagen: Das ist nun nicht nur eine Sache im Weltall. Das ist auch eine Sache für uns hier unten auf der Erde, die wir voller Bewunderung, voller Staunen und voller Unverständnis und voller Zweifel auf die Weltraumfahrt sehen. Für uns es wichtig, dass Brücken gebaut werden, dass Ost und West nicht mehr gegeneinander stehen, dass Amerika und Russland zusammenfinden, zusammenkommen und zusammenarbeiten, wie das jetzt im Nahen Osten offenbar dringend nötig ist. Darum wünsche ich mir, dass wir heute nicht nur ein Dankfest für Raumfahrt feiern, sondern dass wir ein Friedensfest miteinander haben im schönen Vogtland, in einer der zu Unrecht zu wenig bekannten Regionen Deutschlands, die mit ihrer Schönheit, mit der Lieblichkeit der Landschaft, mit der Intelligenz und der Kreativität der Menschen bis in den Musikinstrumentenbau hinein eine Bereicherung für uns alle ist.

Ich wünsche Ihnen allen einen schönen, aufregenden und anregenden Tag, und ich grüße alle Astronauten und alle Erdenbürger und ganz besonders Sigmund Jähn und Ulf Merbold.