Redner(in): Johannes Rau
Datum: 1. Oktober 2003

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/10/20031001_Rede.html


I. Herzlich willkommen im Schloß Bellevue! Gern bin ich der Gastgeber für die Eröffnung des zweiten Deutsch-Spanischen Forums in Berlin. Ich freue mich darüber, daß ich unter den Teilnehmern einige vertraute Gesichter sehe.

Ich erinnere mich gut an das erste Treffen des deutsch-spanischen Forums im November vergangenen Jahres während meines Staatsbesuchs in Spanien. Beim Staatsbankett des Königs und beim Mittagessen bei Ministerpräsident Aznar habe ich mit einigen von Ihnen sprechen können. Es ist den beiden Ko-Präsidenten des Forums, Ihnen, lieber Herr Schulte-Hillen und Ihnen, sehr geehrter Herr Cremades, auch diesmal wieder geglückt, einen eindrucksvollen Kreis von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenzubringen.

Auf ihrer "deutsch-spanischen Plattform" können sich Ideen frei entfalten. Sie können der politischen Diskussion den Weg in die Gesellschaft weisen und die Vertreter der Gesellschaft können ihre Meinungen und Gedanken in die Politik einbringen.

Politische Entscheidungsträger sind auf einen solchen Dialog mit der Zivilgesellschaft immer wieder angewiesen, wenn sie den Gefahren entgehen wollen, die sich aus der Distanz zwischen Politik und Gesellschaft ergeben können. Gleichzeitig kann ein solcher Dialog die Grundlagen verbreitern, auf denen politische Entscheidung getroffen werden, und vielleicht werden politische Entscheidungen so besser und leichter akzeptiert.

II. Das Thema Ihres Forums heißt: "Die Wiedervereinigung Europas gemeinsam gestalten - Deutsch-spanische Perspektiven vor der Osterweiterung". Ich meine, das verspricht spannende Vorträge und Diskussionen.

Deutschland und Spanien haben sich ja von Anfang an entschieden für die Erweiterung der Europäischen Union ausgesprochen und eingesetzt. Das war und das ist in unserem gemeinsamen Interesse. Für mich ist es auch eine Frage der Solidarität, dass die alten europäischen Staaten, die jahrzehntelang daran gehindert waren, jetzt an der europäischen Erfolgsgeschichte teilhaben können. Wenn wir aber diese Erfolgsgeschichte fortsetzen wollen, dann müssen wir die Gemeinschaft reformieren und dann müssen wir sie für die Zukunft handlungsfähig machen.

Der Konvent hat einen guten Entwurf für die Europäische Verfassung erarbeitet. Aber jetzt sehen wir, dass eine Vielzahl von Änderungsvorschlägen angekündigt wird, auch von denen, die im Konvent vertreten waren. Das scheint mir einerseits verständlich zu sein, denn ein Kompromiss zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass alle Beteiligten Abstriche von ihren Maximalpositionen machen. Auf der anderen Seite entsteht natürlich die Gefahr, dass das Kompromisspaket aufgeschnürt wird und das man nachher nicht mehr richtig verpacken kann. Deshalb rate ich zur Zurückhaltung und ich hoffe, dass auch die Regierungskonferenz, die in drei Tagen beginnt, ihre Arbeit zügig und erfolgreich abschließen kann. Es kommt jetzt darauf an, die Handlungsfähigkeit und die Legitimation der Europäischen Union zu stärken und über Nizza hinauszugehen.

Ihre Diskussionen stehen heute und morgen unter dem Thema "Was können Deutschland und Spanien für Europa tun?" Ich meine: Das Wichtigste, was wir gegenwärtig tun können, ist es, dafür zu sorgen, dass die Regierungskonferenz gelingt. Natürlich ist es legitim, nationale Interessen zu wahren. Aber das große Werk der europäischen Integration kann ohne Solidarität und ohne Kompromissbereitschaft nicht erfolgreich sein.

Unsere Länder tun auch etwas für Europa, wenn sie ihre regionale Rolle übernehmen. Spanien kann Europas Brücke zum Mittelmeer, nach Lateinamerika und nach Afrika sein. Der Barcelona-Prozess ist auch für uns Deutsche von großer Bedeutung. Und Deutschland kann Europa sicherlich aufgrund seiner traditionellen Bindungen nach Mittel- und Osteuropa besonders nutzen.

III. Alle Politik ist nichts ohne Menschen, die Ideen und Politik weitertragen und die über die offiziellen Kontakte zwischen Staatsoberhäuptern und Regierungen hinaus wirken. Das Deutsch-Spanische Forum hat in seinen beiden Ko-Präsidenten dafür ideale Botschafter gefunden. Ihnen sind die Pflege und der Ausbau der Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien und ihre Rolle in Europa eine Herzensangelegenheit.

Das sind gute Voraussetzungen zum Gelingen dieses zweiten Deutsch-Spanischen Forums.

Ich wünsche Ihnen anregende Gespräche über Europa, über Deutschland, über Spanien; über das, was unsere Länder verbindet und über das, was sie unterscheidet - denn die Vielfalt Europas ist der Reichtum unseres Kontinents.

Noch einmal herzlich willkommen.