Redner(in): Johannes Rau
Datum: 2. Oktober 2003

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/10/20031002_Rede.html


Siebzehn Monate haben Sie auf mich gewartet. Es ist nicht so, dass ich nichts getan habe in diesen siebzehn Monaten. Das war damals der 4. Mai, an dem ich hierher kommen wollte, aber der Hubschrauber sich weigerte, genauer gesagt der Pilot. Er hielt es für zu gefährlich zu fliegen und so bin ich denn heute gekommen und habe den Verdacht, dass Sie mich an diese Stelle der Rednerliste gesetzt haben, weil Sie mir zutrauen, so lange zu sprechen bis es wirklich dunkel ist.

Ich selber habe aber eine ganz andere Sorge Herr Ministerpräsident, Herr Professor Kuhn, meine Herren Landräte. Achten Sie bitte sorgfältig auf meine Frau, denn das weiß ich aus Sydney in Australien und von vielen anderen Orten, meine Frau neigt dazu, solche Geräte zu beklettern. Ich steh dann unten und habe Angst. Das ist ja ein so gewaltiges Werk mit seinen 500 Metern Länge, dass man auch schon ohne die Beleuchtung erkennt: Hier ist Industriekultur in einer Dimension wie es sie in Deutschland nur ganz, ganz selten gibt. Dass die erhalten worden ist und dass dazu eine internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land gekommen ist, das halte ich für einen Glücksfall nicht nur für die Lausitz, nicht nur für Brandenburg, sondern für Deutschland.

Ich komme aus Nordrhein-Westfalen und war da zwanzig Jahre Ministerpräsident. Wir haben den Berlinern die Idee einer internationalen Bauausstellung abgekuckt. Dann haben wir die internationale Bauausstellung im Ruhrgebiet gemacht, an den verschiedensten Orten. Ich weiß, dass von da aus gewissermaßen ein Funkenflug in die Lausitz gegangen ist und dass bis in die Person der Gestaltenden hinein, wenn ich an Karl Ganser denke. Diese IBA Fürst-Pückler-Land hat mit der in Nordrhein-Westfalen große Ähnlichkeit und viel Verwandtschaft.

Ich kann Ihnen aus meiner Heimat berichten: Eine solche internationale Bauausstellung ist nicht nur während sie stattfindet, sondern auch wenn sie gewesen ist, ein Gewinn für eine Region.

Wir haben Länder in Deutschland, die sind stolz auf Schlösser und Burgen. Brandenburg kann sich da wahrlich sehen lassen, eher als Nordrhein-Westfalen, wir hatten so was nicht. Wir waren stolz auf unsere Bürgerstädte aber nicht auf Schlösser, nicht auf Burgen. Aber wir haben eine Ähnlichkeit und eine gemeinsame Entdeckung: Wenn wir die Industriekultur nicht erhalten, wenn wir die Fördertürme, wenn wir die Kraftwerke, wenn wir die Bergwerke nicht erhalten, dann rauben wir den Heranwachsenden und den nach uns Kommenden ein Stück unserer gemeinsamen Geschichte. Darum ist Industriekultur genauso wichtig wie sogenannte Kunstkultur.

Ein solcher Tag und eine solche Eröffnung ist für eine Region ein Signal. Das Signal aus der Lausitz kann nur heißen: Kommen sie her, sehen sie dieses Land an, stellen sie fest, welche Erfahrungen, welche Kenntnisse und welche Probleme wir haben. Die Probleme mit 22 Prozent Arbeitslosen im Bezirk Cottbus und 25 Prozent hier in Lichetrfeld und in Lauchhammer, die sind wahrlich nicht gering. Es ist nicht die Schuld der fleißigen Lausitzer, dass die F60 nur wenige Monate Abbaubetrieb gehabt hat.

Aber dass hier eine fleißige, kenntnisreiche Bevölkerung ist, dass wissen wir aus der Geschichte des Landes und aus der Geschichte der Lausitz. Das gilt für den Bergbau und für die Glasindustrie und für die Textilindustrie und für all das, was einmal Leuchtsignal für die Lausitz gewesen ist.

Darum werde ich als Bundespräsident nicht müde, zwei Dinge zu tun: Erstens, oft in die sogenannten neuen Länder zu fahren und den Versuch zu machen, Mut zu machen zur Zukunft. Zweitens, in die sogenannten alten Länder zu fahren und denen da zu erzählen, dass wer hierher kommt nicht betrogen ist, und dass wer hierher kommt Chancen hat, auch Chancen auf eine gute ertragreiche Zukunft. Da kann der heutige Tag ein neues Signal sein und ich hoffe, dass das mit Lichteffekten gelingt, die weit über Lauchhammer und über Lichterfeld und über Brandenburg hinausgehen.

Wir leben in einer Zeit, in der viele, viele Menschen sich ehrenamtlich engagieren. Wir leben in einer Zeit, in der viele junge Menschen glauben, sie hätten überhaupt keine Zukunftschance. Ich halte das für eine Irrlehre und für eine Sinnestäuschung. Man muss nur anpacken, man muss nur mittun. Ich denke, dieser Tag kann dazu einladen. Darum gratuliere ich zu diesem Kunstwerk, das wir gleich im Licht sehen werden.

Heute ist der 2. Oktober. Das ist ein guter Tag in der Geschichte der Lausitz. Es ist ein wichtiger Tag für das Land Brandenburg, am Vortag dessen, was wir morgen in Magdeburg feiern mit dem Tag der Deutschen Einheit. Ich kann uns Deutschen nur raten, dass wir am Tag der Deutschen Einheit und auch am 9. November aus dem Staunen nicht herauskommen, dass wir miteinander lernen, dass wir unsere Zukunft gewinnen können, wenn wir uns selber Mut machen und wenn wir anpacken, statt um uns selber zu kreisen.

Alles Gute für diesen Tag, herzlichen Glückwunsch zu diesem Kunstwerk.