Redner(in): Horst Köhler
Datum: 15. Juni 2006

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2006/06/20060615_Rede.html


Ich freue mich sehr, Sie hier im Schloss Bellevue zur Verleihung des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Herrn Noach Flug begrüßen zu dürfen. Und ich bin froh und freue mich, dass auch der Botschafter des Landes Israel hier dabei ist.

Mit Ihnen, Herr Flug, darf ich heute eine Persönlichkeit auszeichnen, in deren Biografie sich die persönliche Erinnerung an furchtbares Leid verbindet mit der tatkräftigen Hoffnung und dem stetigen Werben um Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen Israel und Deutschland. Seit Jahrzehnten ist Ihr Wirken als Vertreter der Holocaustüberlebenden stets vom Geist der Versöhnung geprägt.

Ich bin Ihnen, lieber Herr Flug, zum ersten Mal bei meinem Besuch in Auschwitz begegnet, dem Ort, der für die nationalsozialistischen Verbrechen steht. Sie haben mich durch das Vernichtungslager geführt. Mit Ihnen habe ich die Baracken, die Gleise und die Rampe gesehen. Wir sind gemeinsam zu den Gaskammern und zu den Krematorien gegangen. Sie waren an meiner Seite und haben mir als Deutschem an diesem Ort geholfen. Und das Wort "geholfen" meine ich wörtlich, wie Sie mir das möglich gemacht haben. Wir haben uns dann in Jerusalem wieder gesehen, gesprochen und unterhalten. Es war ein schönes Treffen.

Sie haben unsägliches Leid erlitten. Als junger Mann wurden Sie nach Auschwitz deportiert und haben nicht nur das Lager, sondern auch den Todesmarsch überlebt. Fast alle Ihre Verwandten wurden von den Nazis ermordet. Trotz all dieses Leids haben Sie schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges das Gespräch mit den Deutschen gesucht und geholfen, einen intensiven Dialog aufzubauen. Das war alles andere als selbstverständlich in einer Zeit, als die Erinnerung an den Holocaust und die entsetzlichen Verbrechen des Nazi-Regimes noch unmittelbar gegenwärtig war. In den 80er Jahren wirkten Sie dann als Diplomat an der israelischen Botschaft in Bonn direkt an der Vertiefung und der Verbesserung der deutsch-israelischen Beziehungen mit.

Auch nach Ihrem Eintritt in den beruflichen Ruhestand fördern Sie diesen Dialog an führender Stelle weiter. Als hoch geschätzter Berater haben Sie die Verhandlungen zur Gründung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" begleitet und mit dazu beigetragen, dass diese zu einem erfolgreichen Abschluss fanden. Als Generalsekretär des Dachverbandes der Holocaustüberlebenden setzten Sie sich dafür ein, dass die Betroffenen in den Programmen der "Jewish Claims Conference" Statusrechte für individuelle Unterstützung erhielten. Auf diese Weise machten Sie für die Opfer den Weg zu weiterer Unterstützung aus Deutschland frei, um ihnen ein möglichst sorgenfreies Alter zu ermöglichen - zumindest weniger Sorgen zu haben.

Seit 2002 sind Sie Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees, dessen Präsidium morgen und übermorgen hier in Berlin tagt. Dass das Internationale Auschwitz Komitee 2003 sein Koordinationsbüro hier in Berlin errichtet hat und das Präsidium in Berlin tagt, werte ich als Zeichen, dass der Dialog zwischen den Holocaustüberlebenden und den Deutschen, der von Ihnen, Herr Flug, so gefördert wurde, fruchtbar war und weitergeht. Und dieser Dialog muss weitergehen, damit wir uns immer an das erinnern, was geschah und dass wir diese Erinnerung vor allen Dingen auch in unseren jungen Menschen wach halten. Dass das keine rhetorische Formulierung ist, sondern konkrete Bedeutung hat, das können wir doch auch an manchen Ereignissen ermessen, die sich auch jetzt gerade wieder in Deutschland vollziehen. Umso mehr freue ich mich, dass ich heute eine Ordensverleihung an Sie im Kreis des Präsidiums des Ausschwitz Komitees vornehmen kann.

Sie haben sich auf einzigartige Weise darum verdient gemacht, die Erinnerung an den Holocaust wach zu halten, die nötigen Lehren aus diesem Zivilisationsbruch zu ziehen und das Gespräch mit Deutschland und den Deutschen wieder in Gang zu bringen. Sie haben unermüdlich Erkenntnis, Verständigung, Versöhnung und Freundschaft gestiftet. Wir alle sehen Ihr Wirken voller Hochachtung und Dankbarkeit. Es ist mir eine Freude - wirklich eine große Freude - und wenn ich es so sagen darf, auch eine Ehre, Sie nun mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland auszuzeichnen.