Redner(in): Michael Roth
Datum: 20.06.2016

Untertitel: Rede von Staatsminister Roth zur Eröffnung des zweiten deutsch-tschechischen Migrationsdialogs
Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2016/160620_StM_R_CZE.html


herzlich Willkommen zum zweiten Migrationsdialog im Rahmen des deutsch-tschechischen Strategischen Dialogs! Bei unserer ersten Begegnung im Januar in Prag haben wir bereits festgestellt, wie bereichernd und ermutigend ein gegenseitiger Erfahrungsaustausch ist. Deshalb habe ich Vladimír Špidla und seine Delegation gerne zur Fortsetzung unseres Dialogs hier nach Berlin eingeladen.

Beim zweiten Treffen in diesem Format schon von einer guten Tradition zu sprechen, ist vielleicht noch etwas gewagt. Aber es wäre doch großartig, wenn sich unser Dialog zu diesem so wichtigen Themengebiet in Zukunft weiter verstetigen würde.

In der vergangenen Woche haben sich Minister Steinmeier und Minister Zaorálek hier in Berlin zu einem Gespräch getroffen, bei dem sie sich auch ausführlich mit den Fortschritten des 2015 begonnenen Deutsch-Tschechischen Strategischen Dialogs beschäftigt haben. Unseren Migrationsdialog haben die beiden Außenminister dabei als besonders vorbildhaft und wegweisend für eine gute Verständigung hervorgehoben.

Gerade bei Themen, bei denen wir in Europa von ganz unterschiedlichen Ausgangspositionen kommen, brauchen wir den regelmäßigen Austausch, um die Standpunkte des anderen noch besser zu verstehen und am Ende zu gemeinsamen Antworten zu kommen.

Deutschland und die Tschechische Republik als Länder in der Mitte Europas sind dabei ganz wichtige Bindeglieder und Brückenbauer zwischen Ost und West, zwischen den alten und neuen Mitgliedstaaten. Denn wir brauchen dringend mehr Zusammenhalt und Solidarität in der Europäischen Union.

Nationale Alleingänge, gegenseitige Vorwürfe und europafeindliche Parolen bringen uns nicht weiter. Aufeinander zuzugehen, einander zuhören und gemeinsam nach tragfähigen Kompromissen suchen das ist gerade angesichts der aktuellen Meinungsverschiedenheiten wichtiger denn je.

Diesen Teamgeist wollen wir heute hier beim zweiten Deutsch-Tschechischen Migrationsdialog in Berlin erneut vorleben. Unter Freunden wollen wir heute offen und konstruktiv über das Thema sprechen, das die Menschen in unseren Ländern derzeit so sehr bewegt. Wir wollen uns über unsere unterschiedlichen Erfahrungen mit Zuwanderung und Integration austauschen, um voneinander zu lernen und um zu gemeinsamen Antworten zu kommen.

In Deutschland haben wir über die Jahrzehnte unsere eigenen Erfahrungen gemacht mit Zuwanderung und Integration. Selbstkritisch will ich sagen: Nicht alles ist dabei perfekt gelaufen aber es ist auch vieles geglückt.

Vielleicht können wir mit unseren positiven Erfahrungen ja denen, die derzeit noch Zweifel haben, Mut machen. Die vielen Erfolgsgeschichten von gelungener Integration können aufzeigen, welche vielfältigen Chancen und Potenziale Zuwanderung mit sich bringt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir müssen davon ausgehen, dass Europa auch weiterhin Zufluchtsort für eine große Zahl an Schutzbedürftigen bleiben wird. Viele Menschen werden für längere Zeit, manche sogar dauerhaft, bei uns bleiben. Das stellt uns vor die Aufgabe, wie wir sie erfolgreich in unsere Gesellschaften und Arbeitsmärkte integrieren können. Und nicht nur das: Sie zu echten Europäern werden lassen das sollte unser gemeinsames Ziel sein.

Berlin ist ein ausgezeichneter Ort, um sich mit Integrationsmodellen in Deutschland zu beschäftigen. Franziska Giffey, Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, sagte es Ihnen bereits im Januar in Prag: Berlin hat im zweiten Halbjahr 2015 etwa 80.000 Flüchtlinge aufgenommen. Innerhalb kürzester Zeit so viele Zuwanderinnen und Zuwanderer in eine Gesellschaft zu integrieren, wäre ohne die vielen zivilgesellschaftlichen Akteure und ehrenamtlichen Helfer sicher nicht gelungen.

Sie haben sich heute bereits verschiedene Einrichtungen hier in Berlin angesehen, beispielsweise mit Vertreterinnen des Projekts "Stadtteilmütter" gesprochen. Herr Sorgeç vom Bildungswerk Kreuzberg, das Sie auch besucht haben, ist auch jetzt hier bei uns. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Eindrücke und Anregungen von diesen Besuchen.

Und vielleicht gelingt es uns ja sogar über diesen Erfahrungsaustausch ein gemeinsames europäisches Verständnis von Integration zu entwickeln. Denn wir brauchen in Europa dringend einen Konsens darüber, wie wir es schaffen wollen, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen ethnischen, religiösen und kulturellen Hintergründen friedlich und respektvoll zusammenleben.

Wer dauerhaft bei uns bleiben will, der muss unsere Werte und Regeln respektieren ohne Wenn und Aber. Und ich spreche hier nicht nur über Strafgesetze. Ich denke auch an so grundlegende Dinge, wie die Gleichberechtigung von Frauen und Männern oder Toleranz gegenüber Minderheiten. Doch diese Werte fallen nicht einfach so vom Himmel, auch für die heimische Bevölkerung nicht: sie müssen vermittelt und erlernt werden in Kindergärten und Schulen, in Jugendgruppen und Sportvereinen.

Und Integration ist mitnichten eine Einbahnstraße. Es geht auch um die Frage, ob wir selbst uns nicht auch verändern müssen, wenn wir ein weltoffenes Einwanderungsland sein wollen. Es wird auf Dauer kaum funktionieren, den Zuwanderern einfach zu sagen: "Wir sind in der Mehrheit. Passt Euch gefälligst an!" Wir müssen akzeptieren, dass die Menschen, die zu uns kommen, mittelfristig auch unsere Gesellschaft verändern werden.

Wir sollten Migration als Chance und nicht als Bedrohung begreifen. Migration bedeutet Vielfalt und Buntheit. Und diese Vielfalt und Buntheit sind eine große Stärke!

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich denke, es gibt heute wieder viel zu besprechen! Damit wir zu einem interessanten Austausch kommen, begleiten mich erneut hochrangige Expertinnen und Experten, die Erfahrungen aus erster Hand aus der Perspektive der Bundespolitik, der Bundesländer, der Kommunen und der Wirtschaft mitbringen.

Ich hoffe, dass wir mit diesem Dialog Impulse zu einer Verständigung setzen können, die Deutschland und Tschechien als ausgezeichnete Nachbarn auch in dieser Frage noch näher zusammen bringt.