Redner(in): Günter Gloser
Datum: 15.05.2007

Untertitel: Die EU und ihre östlichen Nachbarn - Rede von Staatsminister Gloser anlässlich der 37. Konferenz der Europaausschüsse (COSAC) in Berlin
Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2007/070515-Gloser-Osteuropa.html


die deutscheRatspräsidentschaft befindet sich im Endspurt; wir sind auf den Verfassungsprozess konzentriert, verlieren aber die anderen Schwerpunkte nicht aus den Augen:

Einer davon ist der Ausbau eines europäischen Raumes der Sicherheit und Stabilität. Es liegt auf der Hand, dass die EU ein vitales Interesse an einer nachhaltigen Stabilisierung, Demokratisierung und Modernisierung ihrer Nachbarstaaten hat. Wir widmen dabei derzeit den Beziehungen zu den östlichen Nachbarn der EU besondere Aufmerksamkeit, denn gerade in Osteuropa hat die EU in den vergangenen Jahren viel geleistet und darauf gilt es aufzubauen.

Unser Präsidentschaftsakzent "Ost" besteht aus drei Komponenten:

1. Intensivierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik

2. Vertiefung der strategischen Partnerschaft der EU mit Russland

3. Erarbeitung einer Zentralasienstrategie.

Diese drei Schwerpunkte einer europäischen Politik gegenüber unseren östlichen Nachbarn ergänzen sich und bilden einen kohärenten Ansatz zur Verstärkung der EU-Beziehungen zu diesen insgesamt. Die Europäische Nachbarschaftspolitik leistet bereits jetzt einen wichtigen Beitrag zu Stabilität, Demokratie und Reformen. Die EU muss allerdings noch mehr politischen Gestaltungswillen zeigen und ihre Transformationskraft noch effektiver als bisher einsetzen. Wenn wir nicht Stabilität exportieren, werden wir auf Dauer Instabilität importieren. Die Stärkung der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist deshalb eine zentrale Priorität für unsere Präsidentschaft.

Wir möchten die Europäische Nachbarschaftspolitik insgesamt nach Osten und Süden vertiefen. Im Kern geht es darum, unsere Nachbarn im Süden und Osten schrittweise kompatibel zu machen mit der EU: politisch und wirtschaftlich. Ein wichtiger Anreiz für unsere Nachbarn, Reformen trotz teilweise hoher Kosten weiterhin voranzutreiben, ist ein besserer Zugang zum EU-Binnenmarkt. Damit einhergehend wollen wir unseren Nachbarn dabei helfen, in möglichst vielen Bereichen den "acquis" der EU zu übernehmen.

Eines unserer Leuchtturmprojekte ist daher das angestrebte neue Enhanced Agreement mit der Ukraine, das das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ersetzten soll. Die Verhandlungen hierzu haben am 5. März begonnen. Das neue Abkommen wird die Grundlage für eine sehr weitgehende Heranführung der Ukraine an die EU sein, die über Kooperation hinausgehend auch ein bedeutendes Ausmaß an Integration anstrebt: sowohl schrittweise wirtschaftliche Integration als auch vertiefte politische Zusammenarbeit.

Kern des neuen Abkommens soll ein "umfassendes und vertieftes Freihandelsabkommen" werden, das alle Handelsbereiche umfassen und auch schrittweise regulative Annäherung in Bereichen, die für Handel und Investitionen relevant sind, beinhalten soll. Verhandlungen über eine Freihandelszone können beginnen, sobald die Ukraine der WTO beigetreten ist.

Im Rahmen eines substantiellen Angebots an unsere Nachbarn im Osten und Süden der EU sind die Schaffung innovativer Finanzierungsmechanismen, eine verstärkte Kooperation in den Bereichen Energie, Umwelt und Transport und nicht zuletzt die Stärkung der menschlichen, zivilgesellschaftlichen Dimension der Europäischen Nachbarschaftspolitik.

Auch die innere Sicherheit ist eine zentrale Priorität der vertieften Europäischen Nachbarschaftspolitik: Verstärkte Hilfe beim Kapazitätsaufbau, der Grenzsicherung und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität sowie die anvisierten Visaerleichterungen für die Ukraine und Moldau im Gegenzug für Rückübernahmeabkommen, all dies sind wesentliche Punkte.

Darüber hinaus möchten wir mit unseren ENP Partnern die Zusammenarbeit im Bereich Migration vertiefen. Migration wird eine immer größere Herausforderung für die Europäische Union und ihre Nachbarn. Ziel der EU ist es daher, die Migration möglichst gut zu steuern, und nicht zu einem destabilisierenden Faktor werden zu lassen.

Schließlich wollen wir das Engagement der EU in und mit dem Schwarzmeer-Raum stärken mit dem Ziel, regionale Zusammenarbeit zu fördern und die Beziehungen der Region mit der EU auf allen Ebenen auszubauen. Mit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ist die EU zum Schwarzmeer-Anrainer geworden. Damit steigt das unmittelbare Interesse der EU an Modernisierung und Stabilität der Schwarzmeer-Region. Alle östlichen ENP Partner, das heißt Ukraine, Moldau und die Südkaukasus-Staaten, gehören der weiteren Schwarzmeer-Region an.

Durch eine intensivierte EU-Schwarzmeer-Politik können wir die bilateralen Maßnahmen der EU im Rahmen der ENP durch regionale Maßnahmen verstärken. Konkret geht es um Förderung praktischer, ergebnisorientierter Zusammenarbeit in Bereichen von grenzüberschreitender Bedeutung wie zum Beispiel Energie, Umwelt, Transport, Migration und Bekämpfung von organisierter Kriminalität.

Neben dem wirtschaftlichen Nutzen kann pragmatische regionale Zusammenarbeit, insbesondere in Bereichen, die nicht politisiert sind, dazu beitragen, Vertrauen zwischen den Ländern der Region zu stärken und ein besseres politisches Klima für die Lösung der "frozen conflicts" in der Region schaffen.

Die deutsche Präsidentschaft wird dem Europäischen Rat im Juni einen zukunftsorientierten Fortschrittsbericht vorlegen, der Stand und Perspektiven der Stärkung und Weiterentwicklung der Europäischen Nachbarschaftspolitik aufzeigt. Wir wollen damit ein deutliches politisches "Commitment" der EU erzielen, die Europäische Nachbarschaftspolitik dauerhaft zu intensivieren, und ein detailliertes, glaubwürdiges Angebot vorlegen. Umgekehrt ist klar, dass die ENP ein europäisches Angebot zu einer Modernisierungspartnerschaft ist. Es liegt deshalb auch an unseren ENP-Partnern, Ehrgeiz zu zeigen und auf der Basis der Aktionspläne den Reformweg zu beschreiten. Hierbei leistet die EU massive finanzielle und technische Unterstützung.

Zweiter Ost-Schwerpunkt sind die Beziehungen zu Russland. Die EU und RUS verbindet eine strategische Partnerschaft, zu der es für beide Seiten keine Alternative gibt, auch wenn die Zusammenarbeit nicht immer einfach ist. Unsere gemeinsamen Interessen und gegenseitigen Abhängigkeiten sind im Zeitalter der Globalisierung weitaus größer als das, was uns trennt.

Das gilt etwa für den Bereich der Energie; hier wird oft vergessen, dass Russland zu 80 % seiner Gasexporte von der EU als Konsument abhängt. Russland braucht für die dringend erforderliche Modernisierung seiner Wirtschaft die Kooperation mit der EU.

Auch die großen globalen Herausforderungen können wir letztlich nur gemeinsam bewältigen: den Kampf gegen den internationalen Terrorismus ebenso wie die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder die Gefahr eines globalen Klimawandels. Bei den internationalen Konflikten, ob Kosovo, im Iran oder Naher Osten, ist die enge Zusammenarbeit zwischen der EU und RUS unverzichtbar, wenn wir Erfolg haben wollen.

Die aktuellen Reibungspunkte in den EU-Russland Beziehungen dürfen nicht den Blick auf die Bedeutung dieser strategischen Partnerschaft und ihres Zukunftspotentials für beide Seiten verstellen. Als deutsche Präsidentschaft möchten wir deshalb den EU-Russland Gipfel am 18. Mai in Samara nutzen, um die strategische Partnerschaft zu bekräftigen und durch konkrete Fortschritte weiterzubringen.

Die Aufnahme von Verhandlungen über ein neues, strategisch angelegtes Abkommen wäre ein wichtiges politisches Signal, dass beide Seiten trotz gegenwärtiger Irritationen engagiert an der Fortentwicklung ihrer Partnerschaft arbeiten. Wir bemühen uns deshalb gemeinsam mit der EU-Kommission mit Nachdruck darum, eine Lösung der noch offenen Frage des russischen Importbanns für polnische Agrarprodukte zu finden. Dass dies noch bis zum Gipfel gelingt, ist unwahrscheinlich.

Wir sind nichtsdestotrotz davon überzeugt, dass es in unserem gemeinsamen Interesse liegt, die Beziehungen zwischen der EU und Russland auf eine neue Grundlage zu stellen und neue, gemeinsame Perspektiven zu formulieren. Bundesminister Steinmeier reist daher heute nach Moskau, um für eine "Rückkehr der Vernunft" zu werben und sich für eine Lösung der Blockade um das PKA einzusetzen.

Eine gemeinsame Perspektive könnte zum Beispiel bei der Entwicklung einer Energiepartnerschaft zwischen der EU und Russland geschaffen werden auf der Grundlage verlässlicher Regeln und Rahmenbedingungen. Wir möchten auf dem EU-Russland Gipfel mit der russischen Regierung darüber sprechen, wie wir in Zukunft Irritationen im Bereich der Energiebeziehungen vermeiden und Unterbrechungen in der Versorgung verhindern können. Die Einrichtung eines Frühwarn-Mechanismus wäre eine wichtige Voraussetzung hierfür.

Die Energiepolitik ist eng mit der Klimapolitik verbunden. Daher sind Klimawandel und sicherheit auch Themen, die auf dem Gipfeltreffen behandelt werden sollten. Die EU ist bereit, bis 2020 ihre Treibhausgasemissionen um 30 % zu reduzieren, wenn andere Industriestaaten vergleichbare Verpflichtungen übernehmen. Es wäre ein großer Erfolg, wenn wir Russland ebenfalls dafür gewinnen könnten.

Die Partnerschaft zwischen der EU und Russland geht aber über Energie- und Wirtschaftsthemen hinaus: in Bildung, Forschung und Kultur liegt ein großes, noch bei weitem nicht ausgeschöpftes Potential für eine Intensivierung der EU-Russland Beziehungen.

Hier bietet sich für die EU in besonderer Weise die Chance, die Transformation Russlands im Sinne europäischer Werte zu begleiten. Wir möchten deshalb den Gipfel nutzen, eine vertiefte Zusammenarbeit auf diesen Gebieten auf den Weg zu bringen, etwa durch die Verstärkung des akademischen Austauschs und der Forschungs-Kooperation.

Die Stärkung der Sicherheit in Europa verlangt eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland. Das Gespräch mit Russland über dieses Thema war in jüngster Zeit nicht immer einfach. Mit Besorgnis haben wir die russischen Äußerungen über ein Moratorium des KSE-Vertrages vernommen. Hier - wie auch bei der Diskussion über die Raketenabwehr - muss alles getan werden, um eine neue Spirale des Misstrauens zu vermeiden. Nur durch gegenseitiges Vertrauen und praktische Kooperation wird es uns gelingen, dauerhaft Sicherheit in Europa zu verankern.

Deshalb werden wir Russland weiter davon zu überzeugen versuchen, dass es eine Lösung für die Kosovo-Statusfrage auf der Grundlage der Ahtisaari-Vorschläge mitträgt. Dies wäre ein entscheidender Beitrag Russlands zur europäischen Sicherheit.

Auf die konstruktive Mitwirkung Russlands kommt es maßgeblich auch für Fortschritte bei den sogenannten "frozen conflicts" in Moldau und dem Südlichen Kaukasus an.

Wirkliche Partnerschaft schließt den Dialog über kontroverse Fragen ein. Deshalb werden wir in Samara auch über die innere Entwicklung Russlands sprechen. Sie hat in der EU gerade in jüngster Zeit zu kritischen Fragen und auch Sorgen geführt. Das gilt vor allem für die Lage der Medien und der Zivilgesellschaft. Das harte Vorgehen der russischen Behörden gegen die Demonstrationen in Moskau, St. Petersburg und Nischnij Nowgorod ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung, die viele insgesamt als problematisch empfinden.

Auch wird die EU weiterhin die Bedeutung eines gedeihliches Verhältnis Russlands zu seinen Nachbarn thematisieren, das von offenem Dialog und guter Zusammenarbeit, nicht Druck, geprägt sein sollte. In diesem Sinne haben wir uns bei den jüngsten Spannungen zwischen Russland und dem EU-Partner Estland für eine Deeskalationeingesetzt. Wir werden diesen, gerade in Bezug auf Russlands baltische Nachbarn nicht immer einfachen Dialog auch weiterhin führen.

Die Entwicklung einer umfassenden, strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland wird auch weiterhin viel Geduld und Realismus auf beiden Seiten verlangen. Zu diesem Realismus gehören die Einsicht in das Machbare und das Bemühen, Erfolge Schritt für Schritt zu erarbeiten. Das wird nicht immer ohne Schwierigkeiten gehen. Dennoch: weder die EU noch Russland haben eine realistische Alternative zu diesem Weg der partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft widmet der Region Zentralasien besonderes Augenmerk. Zentralasien ist als Transitgebiet zwischen Europa und Asien im Herzen des eurasischen Kontinents von strategischer Bedeutung. Andere Akteure ( insbesondere Russland, China oder auch USA, Japan, Türkei ) sind bereits seit längerem in der Region politisch aktiv. Die EU wird dagegen in Zentralasien noch nicht als gewichtiger "Spieler" wahrgenommen, obwohl sie der wichtigste Investitions- und Handelspartner und auch wichtigster Geber in der Region ist.

Dabei geht es uns nicht um ein neues "great game", vielmehr wollen wir die Staatlichkeit und Souveränität der zentralasiatischen Staaten stärken. Denn auch wenn Zentralasien keine direkte Nachbarregion der EU ist, so hat die EU ein erhebliches Interesse daran, hier eine "weitsichtige Sicherheitspolitik" zu betreiben und ihren Beitrag dazu zu leisten, dass Zentralasien zu einem Raum der Stabilität, Sicherheit und Prosperität werden kann.

Drogenhandel, organisierte Kriminalitätoder die gesellschaftliche und politische Transformation der Staaten Zentralasiensnach dem Zerfall der Sowjetunion sind mit erheblichen Risiken für Stabilität und Staatlichkeit der Region verbunden.

Das Thema Energie ist ebenfalls von sicherheitspolitischer Relevanz für die EU, muss aber in den skizzierten Gesamtkontext eingeordnet werden. Ziel der EU ist daher, mit einem partnerschaflichen, transparenten und multilateralen Ansatz in Form der EU-Zentralasien Strategie Stabilität und Prosperität in der Region auf der Basis europäischer Erfahrungen zu fördern.

Dazu gehört ein gleichberechtigter Dialog mit allen zentralasiatischen Staaten, der ihre Unterschiede und Anliegen ernst nimmt. Auch mehr multilaterale Vernetzung und Verantwortung für die zentralasiatischen Staaten mit einem besonderen Fokus auf die OSZE ist Teil dieses Dialogansatzes.

Die Außenminister-Konferenz der EU-Troika mit denfünf Zentralasiatischen Staten in Astana am 28. 3. 2007 hat gezeigt, dass wir damit den Anliegen der Zentralasiatischen Staaten Rechnung tragen.

Die Zentralasiatischen Staaten sind zu Kooperation mit der EU in allen Bereichen bereit. Dies umfasst auch das schwierige Thema Menschenrechte und Demokratisierung, das integraler Bestandteil eines europäischen Stabilitätsverständnisses ist.

Im Juni 2007, zum Ende unserer Präsidentschaft, wird der Europäischen Rat dementsprechend politische Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen der EU und Zentralasien in Form einer EU-Zentralasien-Strategie verabschieden.

Die Chancen einer intensivierten Politik der EU gegenüber ihren östlichen Nachbarn liegen auf der Hand. Die EU hat ein überragendes Interesse an der Ausweitung des europäischen Raumes der Sicherheit, der Stabilität und der Freiheit. Die EU-Politik für die östlichen Nachbarn kann dazu mit ihrem Angebot einer Reformpartnerschaft einen wichtigen Beitrag leisten.

Zentralasienstrategie