Redner(in): Günter Gloser
Datum: 22.05.2007

Untertitel: Staatsminister Gloser vor dem Europäischen Parlament zur Lage in Palästina
Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2007/070522-Gloser-Palaestina.html


In den letzten Tagen haben wir einen besorgniserregenden Anstieg der Gewalt in Nahost gesehen. Die innerpalästinensischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen haben über fünfzig Menschen das Leben gekostet. Über 150 Qassamraketen wurden in der letzten Woche aus dem Gazastreifen auf israelische Städte abgefeuert. Gestern abend starb eine Israelin. Bei den israelischen Militärreaktionen kamen bereits über 30 Palästinenser ums Leben.

Es besteht die ernste Gefahr einer weiteren Eskalation: Die im November zwischen Palästinensern und Israelis vereinbarte Waffenruhe im Gaza-Streifen wird zusehends brüchiger. Die mit saudischer Hilfe im Februar in Mekka erreichte innerpalästinensische Aussöhnung steht auf dem Spiel.

Zwar hat die Einigung von Mekka auch das Ende der islamistischen Alleinregierung der Hamas herbeigeführt: seit dem 18. März regiert in Palästina eine neue Palästinensische Regierung der Nationalen Einheit. Eine überwältigende Mehrheit, 83 von 86 Parlamentariern, darunter alle Abgeordneten von Hamas und Fatah hatte zuvor der Regierung ihr Vertrauen ausgesprochen.

Aber in der internationalen Gemeinschaft besteht weiter ein breiter Konsens, dass die palästinensische Regierung den Lackmustest noch nicht ganz bestanden hat. Denn auch von dieser Regierung werden die drei Quartettkriterien nicht vollständig erfüllt.

Die Europäische Union hat trotzdem an ihrer humanitären Unterstützung für die Palästinenser festgehalten: mit über 300 Millionen Euro hat die EU mehr gegeben als in den Jahren zuvor. Für eine völlige Normalisierung unserer Beziehungen zu den Palästinensern bleiben aber die Quartettkriterien der Maßstab: Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel und der bisherigen Abkommen zwischen Israel und der PLO sowie ein genereller Verzicht auf Gewalt.

Insbesondere beim Gewaltverzicht besteht aber noch ein erhebliches Manko: Von der palästinensischen Regierung erwarten wir uns gerade in diesen Tagen ein effektives Vorgehen gegen den Qassambeschuss und die Freilassung des israelischen Soldaten Shalit.

Gleichwohl hat die Europäische Union das Ende der Hamasalleinregierung für einen erneuten Aufbruch in der Nahostpolitik genutzt:

Dazu beitragen würde auch die von der EU immer wieder geforderte Freigabe der von Israel zurückgehaltenen Zoll- und Steuerrückerstattungen.

Seit Monaten bereits hat sich die Präsidentschaft für eine Wiederbelebung des Nahostquartetts und eine stärkere Einbindung der konstruktiven arabischen Partner engagiert. Nach ersten Erfolgen geht es uns nun insbesondere darum, das erreichte Momentum zu erhalten. Für uns bedeutet dies, dass wir noch engagierter dazu beitragen müssen, die Bemühungen aller Beteiligten im Nahostfriedensprozess zu forcieren:

Die bilateralen Treffen zwischen Präsident Abbas und Premierminister Olmert bringen bisher noch keine spürbaren Erfolge. Hier muss etwas geschehen: Zugang und Beweglichkeit für Palästinenser muss deutlich verbessert werden, israelische Zusicherungen müssen endlich umgesetzt werden; auf palästinensischer Seite vermisse ich die Durchsetzung des Gewaltverzichts und das Engagement bei der Freilassung des israelischen Soldaten Shalit.

Die Arabische Liga hat vor allem dank saudischen Engagements die Friedensinitiative von März 2002 bekräftigt. Ein erstes erfolgreiches Treffen der Arabischen Liga mit der EU hat auf unsere Einladung hin beim letzten Rat am 14. 5. stattgefunden.

Weitere Gespräche hat die Arabische Liga mit dem Quartett und auch Israel geführt. Zwar kann dieses Engagement keine bilateralen Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis ersetzen. Die Friedensinitiative kann aber ein positives Umfeld dafür schaffen. Dies sollte die EU weiter befördern.

Wir bemühen uns als Präsidentschaft um ein weiteres Treffen des Nahostquartetts innerhalb der nächsten Tage. Bei aller Skepsis angesichts der langsamen Fortschritte dürfen wir jetzt nicht in Resignation verfallen. Die Europäische Union ist sich in den letzten Monaten ihrer gewachsenen Rolle zunehmend bewusster geworden. Wir sind bereit, dieser damit gestiegenen Verantwortung gerecht zu werden.

Vielen Dank!