Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 26.11.2014
Untertitel: Rede von Außenminister Steinmeier anlässlich der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2014/141126_BM_Haushaltsausschuss.html
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viel Erfreuliches ist aus der internationalen Politik im Augenblick nicht zu berichten. Deshalb kommt es umso mehr darauf an, dass man sich der wenigen Sternstunden, die es in diesem Jahr gegeben hat, noch einmal vergewissert. Ich finde, es war eine Sternstunde, als hier in Berlin vor zweieinhalb Wochen Tausende von weißen Ballons in den Abendhimmel stiegen und uns daran erinnert haben, dass dieser Tag vor 25 Jahren ein wirklicher Glücksmoment in der deutschen Geschichte war und dass wir uns dessen sicher und gewiss sein sollen. Ich sage das nicht ohne Grund ganz am Anfang. Für mich und meine Generation wird an einem solchen Tag noch einmal klar: Wir, die wir nach dem Krieg geboren sind und heute an unterschiedlichen Stellen Verantwortung tragen, sind diejenigen, die von der Geschichte begünstigt sind. Wir durften sieben Jahrzehnte in einem Europa ohne Krieg leben. Uns sollte bewusst sein, dass das auf ganz vieles zurückzuführen ist, vor allen Dingen auf mutige Bürgerinnen und Bürger in vielen Staaten Osteuropas, besonders in der früheren DDR dass das aber auch auf viele Generationen Außenpolitik zurückgeht, die uns dem Fall der Mauer über die Jahre hinweg beharrlich nähergebracht hat. Was sagt uns das heute, meine Damen und Herren? Aus meiner Sicht, dass wir, die wir heute miteinander Verantwortung tragen, uns nicht nur der Erinnerung an unser Glück versichern dürfen, sondern dass wir dieses Glück als historische Verantwortung, als historische Pflicht begreifen müssen: nie wieder zuzulassen, dass dieses Europa an anderer Stelle neu gespalten wird. Das ist unsere Verantwortung. Dazu brauchen wir aktive Außenpolitik. Gleich zu Beginn meiner Rede will ich diesem Hohen Haus meinen Dank dafür aussprechen, dass es die Bemühungen unserer Außenpolitik ausdrücklich unterstützt, und zwar nicht nur rhetorisch, sondern dass diese Unterstützung ihren Niederschlag auch im Haushalt findet. Mein Dank gilt natürlich ganz besonders den Berichterstattern Doris Barnett, Alois Karl, Michael Leutert, Tobias Lindner, für konstruktive Diskussionen, die wir lang und ausführlich miteinander geführt haben, und für hilfreiche Ergebnisse. Ihnen danke ich stellvertretend für das ganze Parlament. Diesen Dank beziehe ich ganz besonders auf zwei Bereiche, die meistens im Schatten der öffentlichen Debatten stehen: erstens die humanitäre Hilfe. Wir dürfen unseren Blick nicht abwenden vom Elend in dieser Welt. Wir sind uns gewiss: Wir werden es alleine nicht abwenden, aber wir müssen unseren Teil beitragen, unerträgliches Leid wenigstens zu mindern. Seien es die Flüchtlinge aus Syrien, seien es die Opfer des IS-Terrors im Nordirak, seien es die Menschen in der Ostukraine oder seien es die Gesellschaften in Westafrika, die vom Ebolavirus immer noch heimgesucht werden‑ ihnen allen kommt die humanitäre Hilfe zugute, für die Sie die Mittel im Haushalt verdoppelt haben. Dafür danke ich ganz herzlich. Der zweite Bereich, den ich hervorheben möchte, fällt ebenfalls regelmäßig unter den Tisch, wenn wir im Deutschen Bundestag über Außenpolitik reden: die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Ich will das ausdrücklich sagen: Das ist nicht ein "nice to have", das ist nicht einfach eine nette Draufgabe, sondern das ist ein Teil der Außenpolitik, für den es einen dringenden Bedarf gibt, der sogar von Jahr zu Jahr weiter wächst. Schaut man nur auf die gefährlichsten Konflikte um uns herum‑ ob Syrien, ob Irak, ob Naher Osten oder Nordafrika‑ , stellt man fest, dass es in jedem dieser Konflikte eigentlich weniger um die klassischen politisch-territorialen Auseinandersetzungen geht. Alle diese Konflikte sind mindestens überlagert von religiösen, ethnischen oder kulturellen Konflikten, die wir‑ das ist mein Plädoyer‑ wenigstens verstehen sollten, bevor wir uns entscheiden, ob und auf welcher Seite des Konfliktes wir uns engagieren. Die Langzeitfolge der militärischen Intervention im Irak sollte unseigentlich eine Lehre sein. Wiederholungen dieser Art müssen für die Zukunft jedenfalls vermieden werden. Gerade weil sich die Welt nicht mehr allein um die europäische Sonne dreht, sondern weil China, Indien, Südamerika und Afrika mit großem Selbstbewusstsein mit Blick auf die eigene Geschichte, Kultur und Philosophie in der Welt auftreten, müssen auch wirunsere Werte und unsere Überzeugungen besser verständlich machen, als wir das in der Vergangenheit, vielleicht in großer Selbstsicherheit, getan haben. Auch das ist Teil von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik. Mit diesem Haushalt stärken wir nicht nur das Flaggschiff der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, das Goethe-Institut, das jetzt endlich einigermaßen ordentlich ausgestattet ist. Dadurch, dass wir dem Deutschen Akademischen Austauschdienst neue Stipendienmöglichkeiten zur Verfügung stellen, können wir auch mehr junge Leute aus aller Welt zu uns holen. Man darf den Erfolg nicht unter den Tisch fallen lassen, dass wir innerhalb der letzten sechs Jahre ungefähr 1500 Partnerschulen überall auf der Welt geschaffen haben, in denen junge Leute zum ersten Mal mit deutscher Sprache, auch mit deutschen Wertvorstellungen in Berührung kommen. Das alles ist nur möglich aufgrund der Haushaltsausstattung, die Sie uns gewähren. Deshalb auch dafür meinen ganz herzlichen Dank. Ich fange mit den Punkten an, die positiv sind. Aber ich kann natürlich nicht darüber hinwegsehen: Die Welt ist eine andere geworden. Sie ist schwieriger denn je."Eine Welt aus den Fugen", habe ich an anderer Stelle gesagt. Die Bilder aus den Konfliktgebieten, die uns jeden Abend in unseren Wohnzimmern erreichen, sind unerträglich. Auch wenn ich täglich damit zu tun habe, verstehe ich natürlich den Ruf der Menschen, die uns auf unterschiedliche Art und Weise kundtun: Jetzt tut endlich etwas, damit diese Konflikte gelöst werden. Viele haben den Eindruck, bei der Außenpolitik dauert alles viel zu lange. Das stimmt auch. Es dauert häufig viel zu lange, bis sich Engagement und Aktivität wirklich positiv bemerkbar machen. Aber diejenigen, die hier sind, wissen: Bei sehr festgefahrenen Konflikten besteht die Aufgabe der Außenpolitik eben auch darin, Schlimmeres zu verhüten. Mit dem Vorwurf, dass es zu lange dauert, kann ich also leben. Mit dem anderen Vorwurf, dass Außenpolitik eigentlich ein vergebliches Unterfangen ist, kann ich schon weniger leben. Man betrachte nur einmal ein Wochenende wie das, das wir gerade in Wien erlebt haben. Natürlich sage auch ich mir: Mein Ehrgeiz und meine Erwartungen an die Verhandlungen mit dem Iran, die zum Ziel haben, den Atomkonflikt endlich zu Ende zu bringen, waren größer. Es hat aber nicht sollen sein. Es hat nicht gereicht. Wir sind nach drei Tagen und zwei Nächten Verhandlungen nicht an den Punkt gekommen, wo wir hätten sicher sein können, dass alle Nebenwege und Umleitungen, vielleicht doch zur Atombombe zu kommen, ausgeschlossen sind. Dennoch würde ich nicht unterschreiben, dass Außenpolitik deshalb vergeblich ist. Man muss vielmehr versuchen - das ist immerhin geschehen - , auch über drei Tage und zwei Nächte die unterschiedlichen Positionen ein ganz kleines Stück zueinander zu bringen. Rückblickend auf die letzten zehn Jahre sage ich: Wir haben im letzten Jahr mehr geschafft als in den neun Jahren zuvor. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Lösung immer noch möglich ist. Deshalb habe ich der Verlängerung der Frist für die Verhandlungen ausdrücklich zugestimmt. Ich bleibe zuversichtlich, dass das am Ende kein unlösbarer Konflikt ist. Mit Blick auf Krisenherde - Syrien ist vielleicht einer davon, ebenso die Ukraine - , ziehen viele Leute gelegentlich einen gefährlichen Schluss: Wenn man die Bilder ansieht, dann denkt man, dass das doch alles überflüssig ist. Viele sagen: Die Leute hören doch in Wahrheit nicht auf Sie. Es stimmt: Der Gipfel von Vilnius liegt nun schon ein Jahr zurück. Seither ist der Ukrainekonflikt durch viele Aggregatzustände gegangen: von den bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen in Kiew über die völkerrechtswidrige Annexion der Krim bis hin zur gewaltsamen Auseinandersetzung und Gewaltexzessen in der Ostukraine. Trotzdem, sage ich Ihnen, darf Außenpolitik sich nie in den Zustand der Aussichtslosigkeit begeben. Das war auch der Grund, weshalb ich jetzt noch einmal nach Kiew und Moskau gefahren bin und eines der 100 Gespräche, von denen die Kanzlerin heute Morgen gesprochen hat, geführt habe. Ich glaube, wir haben gar keine andere Möglichkeit, als mit den Konfliktparteien Einvernehmen darüber zu erzielen, dass das einzige Dokument, das im direkten Gespräch miteinander erreicht worden ist, nämlich die Minsker Vereinbarung, nicht der Geschichte überantwortet wird, sondern dass wir noch Anstrengungen unternehmen müssen, sie wirklich zur Grundlage der Entschärfung des Konfliktes und hoffentlich anschließend zur Grundlage für politische Lösungen zu machen. Die schwierige Aufgabe, die Ukraine zu stabilisieren, liegt vor uns - ökonomisch und politisch eine große Aufgabe. Und unser Verhältnis zu Russland wird neu vermessen werden müssen. Wie die europäische Sicherheitsarchitektur in 10 oder 15 Jahren aussehen wird, weiß auch ich nicht. Ich bin mir nur gewiss: Es wird überhaupt nur dann eine Sicherheitsarchitektur geben, wenn wir nicht sämtliche Gesprächsformate, die jetzt noch zur Verfügung stehen - es sind wenige - , entwerten und in den Mülleimer der Geschichte werfen. Das gilt, wenn ich das sagen darf, Marieluise Beck, auch für den Petersburger Dialog. Aber mir ist völlig klar: In dem Maße, in dem der gesellschaftliche Freiraum in Russland in den letzten Jahren kleiner wurde, ist der Dialog schwieriger geworden. Also sollten wir über Veränderungen und Modernisierungen nachdenken. Was ich aber nicht möchte, ist, dass aus dem Petersburger Dialog ein Berliner Monolog wird. Dann haben wir nämlich nichts gewonnen. In diesem Sinne bitte ich, bei all dem, was auf dem Weg ist, auch die Interessen deutscher Außenpolitik mit im Auge zu behalten. Vielen Dank.