Redner(in): Frank-Walter Steinmeyer
Datum: 03.03.2015
Untertitel: Rede von Außenminister Steinmeier bei der 28.Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen
Anrede: Herr Präsident,sehr geehrte Damen und Herren!
Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2015/150303-BM_VN_MRR.html
Hoher Kommissar, Exzellenzen,
Es ist mir eine Ehre und ein Bedürfnis, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind enorm.
Wir sind mit einer Vielzahl von internationalen Krisen und Konflikten konfrontiert, die in der jüngeren Vergangenheit beispiellos ist.
Die Welt scheint aus den Fugen geraten.
Dieser Befund ist keinesfalls abstrakt. Sondern jetzt wie in allen Problemlagen, die diesen Rat beschäftigen, geht es um das Leben und Leiden von Menschen:
Menschen in Syrien, im Irak, in Zentralafrika, aber auch ganz in unserer Nähe, in der Ukraine, müssen Furchtbares erdulden und selbst das sind nur einige der Orte, in denen Krieg und Konflikte toben.
Überall dort, in jedem dieser Konflikte, wird das grundlegendste aller Menschenrechte auf aber-tausendfache Weise verletzt: das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit!
Und mit diesem fundamentalen Recht werden weitere essenzielle Rechte auf eine Art und Weise gebrochen, die einem nur schwer über die Lippen kommt: Menschen werden gefoltert, Familien werden vertrieben, und insbesondere Frauen und Mädchen werden misshandelt, versklavt, verkauft, getötet.
Deshalb können wir über die Lage der Menschenrechte in dieser Welt nicht sprechen, ohne über diese zentralen Konfliktherde der internationalen Politik zu sprechen. Und deshalb dürfen wir niemals vergessen, dass unsere Arbeit für Menschenrechte und unsere Arbeit für Frieden und Sicherheit untrennbar miteinander verwoben sind:
Ohne Frieden und Konfliktlösung sind die Menschenrechte niemals sicher!
Doch dieser Satz gilt auch in der umkehrten Richtung: Ohne Achtung der Menschenrechte ist der Frieden niemals sicher!
Denn Missachtungen und Verletzungen der Menschenrechte sind nicht nur Folge, sondern Ursache von Konflikten. Wo Menschenrechte systematisch in Frage gestellt sind, bahnen sich soziale und politische Krisen an; ist Unfrieden praktisch vorprogammiert. Deshalb ist der Menschenrechtsrat aufgerufen, solche Situationen zu untersuchen und zu reagieren.
Wenn das Recht auf ein faires Verfahren verweigert wird; wenn willkürlich inhaftiert oder gefoltert wird, dann darf niemand erwarten, dass Menschen sich damit abfinden! Wenn das Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten und die Debatte über die Zukunft einer Gesellschaft erstickt wird, dann darf niemand erwarten, dass Menschen sich in ihrem Gemeinwesen aufgehoben fühlen und es stärken! Sondern dann wächst die Gefahr, dass Ausgrenzung und Unterdrückung ein anderes Ventil finden und dass sich Meinungsunterschiede und Proteste in eine radikale Richtung entwickeln. So gesehen ist das Eintreten für Menschenrechte eine sehr praktische und sehr direkte Art der Konfliktprävention! So gesehen kann unsere Arbeit für Frieden und Stabilität niemals vollständig sein, ohne dass wir Menschenrechtsverletzungen systematisch erkennen und frühzeitig einschreiten.
Autoritäre Regime betonen gern die Notwendigkeit von Stabilität bisweilen auch auf Kosten der Menschenrechte.
Ich halte das für eine trügerische Rechnung. Denn in einer dynamischen Welt erhält man Stabilität nicht durch Zwang. Sondern in dieser dynamischen Welt sind Gesellschaften nur dann stabil, wenn sie und ihre politischen Systeme in der Lage sind, sich stetig anzupassen, sich frei und friedlich weiter zu entwickeln. Eine Gesellschaft, die für solche Entwicklung keinen Raum gibt, ist zwangsläufig zerbrechlich.
Angesichts der gegenseitigen Abhängigkeit von Frieden und Sicherheit auf der einen und Menschenrechten auf der anderen Seite glaube ich, dass wir diese Säulen der Vereinten Nationen stärker verknüpfen und die Verbindung zu den einschlägigen Institutionen außerhalb der Vereinten Nationen weiter ausbauen müssen.
Der Menschenrechtsrat arbeitet nicht im luftleeren Raum. Einige der hier diskutierten Fragen sind auch für den Sicherheitsrat in New York und den Internationalen Strafgerichtshof von Bedeutung. Ich begrüße ausdrücklich die Bemühungen des Hohen Kommissars und des Präsidenten des Menschenrechtsrats, den Austausch mit den anderen Teilen des VN-Systems zu intensivieren. Auch dies gehört zum Gebot der Schutzverantwortung, dass wir umfassend wahrzunehmen haben.
Die internationalen Krisen dieser Tage nehmen neue, bedrohliche Formen an. Bewaffnete, nicht-staatliche Gruppen wie ISIS oder Boko Haram treten selbst die grundlegendsten aller Menschrechte mit Füßen. Sie massakrieren ganze Dörfer; vergewaltigen; nehmen und töten Geiseln. Wir erleben dort nicht weniger als die Rückkehr der Barbarei.
Es steht außer Frage, dass die Gräueltaten dieser nichtstaatlichen Akteure unmissverständliche Antworten erfordern. Wir müssen diese Gruppen mit allen verfügbaren Mitteln bekämpfen. Doch um ihnen nachhaltig den Nährboden zu entziehen, müssen wir auch kritisch hinterfragen, wie solche mittelalterlichen Denkweisen zu Beginn des 21. Jahrhunderts überhaupt Fuß fassen können. Wir müssen uns fragen, warum junge Menschen, die mitten in unseren eigenen Gesellschaften aufgewachsen sind, von den Predigern des Hasses und der Barbarei in ihren Bann gezogen werden. Wir müssen die grundlegenden Ursachen für Extremismus angehen und wir müssen den Normen der Menschenrechte und des Völkerrechts, die die Gemeinschaft der Staaten im letzten Jahrhundert niedergelegt hat, auch in diesen Zeiten von nicht-staatlichen Bewegungen, von kulturell-ideologischen Gegensätzen, von digitalen Realitäten und weltweiter Vernetzung, neue Geltung verschaffen.
Doch es gibt Hoffnung. Für mich persönlich ist diese Hoffnung verkörpert in den unzähligen mutigen Menschen, die sich rund um die Welt für die Menschenrechte einsetzen. Vielen von ihnen begegne ich auf meinen Reisen. Sie agieren oft gegen die Masse, gegen Widerstand, sogar gegen körperliche Unterdrückung, im Risiko von Freiheit und Leben.
Auch wenn manche das nicht wahrhaben können oder wollen: Diese Menschen machen ihre Gesellschaften erst zukunftsfähig!
Doch Menschenrechtsverteidiger verdienen nicht nur unseren Respekt, sondern unsere volle Unterstützung. Mit großer Besorgnis nehmen wir die Tendenz in einigen Ländern rund um den Globus wahr, den Raum für die Zivilgesellschaft zu begrenzen und die Aktivitäten nichtstaatlicher Organisationen einzuschränken. Ich fordere den Menschenrechtsrat auf, dies hier nicht zuzulassen und für das Recht der Bürger überall auf der Welt einzutreten, sich umfassend an der öffentlichen Debatte zu beteiligen. Ich möchte dem Präsidenten des Menschenrechtsrats, meinem Landsmann Botschafter Rücker, dafür danken, dass er an den festen Platz erinnert hat, den die Zivilgesellschaft in diesem Rat einnimmt. Ich unterstütze seine Bereitschaft, allen Berichten über Repressalien gegenüber Personen, die hier vor dem Rat erscheinen oder erscheinen möchten, nachzugehen.
Letztes Jahr haben zwei mutige Menschenrechtsverteidiger den Friedensnobelpreis erhalten:
Kailash Satyarthi und Malala Yousafzai. Es ist der rechte Preis für sie! Denn wer Menschenrechte stärkt, stärkt den Frieden. In einer Welt, die aus den Fugen ist, dürfen wir diese doppelte Hoffnung niemals aufgeben.
Vielen Dank.