Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 26. Juni 2013

Untertitel: Der Bundespräsident hat am 26. Juni den Präsidenten der Tschechischen Republik, Miloš Zeman, mit militärischen Ehren empfangen. Beim anschließenden Mittagessen sagte er: "Wir beide haben Jahrzehnte in Staaten gelebt, in denen freie Wahlen ein ferner Wunschtraum waren. Wir wissen um den Wert der Freiheit, für die unsere Bevölkerungen so lange kämpfen mussten."
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/06/130626-Staatspr%C3%A4sident-Tschechien.html


Es ist mir eine Freude, Sie heute als Gast im Schloss Bellevue begrüßen zu dürfen. Ich denke selber gerne an meinen Antrittsbesuch in Prag und die dort erfahrene Gastfreundschaft Ende vergangenen Jahres zurück.

Sie haben Ihr Amt erst vor wenigen Monaten übernommen. Ihr Amtsantritt hat eine besondere Bedeutung für die Tschechische Republik: Sie sind der erste direkt gewählte Präsident Ihres Landes. Sie stehen nun vor der reizvollen und gleichzeitig schwierigen Aufgabe, die Rolle des Präsidenten entsprechend Ihres direkten Mandats zu definieren ohne dabei eine zweite Regierungsmacht im Land zu schaffen. Dabei richten sich auch in Deutschland viele Augen auf Sie, gerade in der aktuellen Regierungskrise in Ihrem Land. Ich vertraue darauf, dass es Ihnen gelingen wird, mit Weitsicht und in enger Zusammenarbeit mit dem tschechischen Parlament, einen Kompromiss zu finden.

Die Direktwahl des Präsidenten in Tschechien geht einher mit der Hoffnung, das Interesse der Bevölkerung an der Politik wieder zu stärken. Mit Sorge sehen wir ein Abnehmen der Wahlbeteiligung. Ähnliche Tendenzen erleben wir auch in Deutschland. Die Wahl ist die oberste Bürgerpflicht und das erste Bürgerrecht. Wir beide haben Jahrzehnte in Staaten gelebt, in denen freie Wahlen ein ferner Wunschtraum waren. Wir wissen um den Wert der Freiheit, für die unsere Bevölkerungen so lange kämpfen mussten. Sie selbst traten in den Zeiten des Kommunismus für Ihre politischen Überzeugungen ein, obwohl es für Sie große persönliche Nachteile mit sich brachte. Das war keine Selbstverständlichkeit.

Wenn wir unsere Erfahrungen ernst nehmen, erscheint es mir besonders wichtig zu sein, dass wir unsere Ämter nutzen, um im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern für die demokratische Teilhabe einzutreten. Dabei wird ein Präsident gerade in stürmischen politischen Zeiten moderierend und ausgleichend wirken. Dafür muss ein Präsident die leisen Töne beherrschen und darf nicht polemisieren. Er soll gesellschaftliche Gräben überwinden und die Nation einen.

Sie sind zwar neu in Ihrem Amt, aber dennoch ein erfahrener Politiker. In den vergangenen Jahrzehnten haben Sie die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschechien beeinflusst. Sie haben Ihr Land vom ersten Tag seit dem Sturz des kommunistischen Regimes an mitgestaltet: als Parteivorsitzender, Premierminister, Parlamentspräsident und nun als Präsident Ihres Landes. Sie haben einen tiefen Einblick in die Probleme und Stärken Ihres Landes. Und Sie wissen um die einzigartige Bedeutung der deutsch-tschechischen Beziehungen.

Die Tiefe unserer gemeinsamen Beziehungen ist etwas ganz besonderes denn sie ist keine Selbstverständlichkeit. Im Wissen um die Gräueltaten, die deutsche Besatzungstruppen in Ihrem Land verübten, und der schmerzhaften Folgen für unsere beiden Völker reichten sich Politiker und Bürger unserer Nationen einander die Hand zur Versöhnung. Das wieder geschaffene Vertrauen, das die Basis unserer freundschaftlichen Zusammenarbeit ist, ist kein Geschenk. Engagierte Bürger und Politiker beider Nationen haben dieses durch gelegentlich auch mutig zu nennende Schritte begründet. Ich begrüße außerordentlich die Bemühungen um Aussöhnung gerade auch von sudetendeutschen Initiativen. Der Prozess der Verständigung und Aussöhnung muss auch weiter verstetigt werden. Gemeinsam mit Ihnen wollen wir auf diesem Weg voranschreiten.

Unsere beiden Länder liegen im Herzen Europas. Mit Freude habe ich festgestellt, dass die europäische Idee für Sie eine ebensolche Herzensangelegenheit ist wie für mich. Sie bezeichnen sich selbst als "kritischen EU-Föderalisten". Konstruktive Kritik ist wichtig, um Verbesserungen zu erzielen. Gleichzeitig unterstützen Sie die europäische Integration und eine aktive Partizipation Ihres Landes in Europa. Darüber freue ich mich von Herzen. Wir stehen vor einer großen Zahl an Problemen und vor Entscheidungen, die richtungweisend für die weitere Entwicklung der Europäischen Union sind. Ich begrüße es sehr, dass unsere beiden Länder einen intensiven Dialog führen, um gemeinsam die europäische Zukunft zu gestalten. Die europäische Union ist ein Projekt der Freiheit. Und wir beide wissen ich wiederhole dies gerne wie wichtig und lohnenswert es ist, für die Freiheit zu kämpfen.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitte ich Sie, mit mir das Glas zu erheben und zu trinken: auf Präsident Zeman, auf die Freundschaft unserer beiden Völker und auf das Glück auch in diesen schwierigen Zeiten ein überzeugter Europäer zu sein!