Redner(in): Joachim Gauck
Datum: 1. Juli 2013
Untertitel: Der Bundespräsident ist am 1. Juli mit rund 150 ausländischen Botschafterinnen und Botschaftern und hochrangigen Vertretern internationaler Organisationen zu einer Informations- und Begegnungsreise nach Baden-Württemberg gereist. In seiner Rede vor den Diplomaten äußerte er sich unter anderem auch zu den aktuellen Berichten über geheimdienstliche Aktivitäten zur Überwachung der Kommunikation im Internet.
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/07/130701-Diplo-Ausflug.html
Für einige unter Ihnen war der Ort unserer Ankunft heute hier in der Region wohl etwas ungewöhnlich: ein Ausflug des deutschen Bundespräsidenten mit den in Deutschland arbeitenden Diplomaten. Und wo sind wir angekommen? Auf französischem Staatsgebiet.
Das ist eine wunderbare Beschreibung der Situation hier in dieser Region. Denn gerade dieser Flughafen Basel Mulhouse Freiburg, der ja gleich drei Städten aus drei verschiedenen Ländern dient, ist ein schönes Symbol dafür, was in offiziellen Dokumenten meist ein bisschen spröde "grenzüberschreitende Zusammenarbeit" genannt wird. Liebe Gäste von außerhalb Europas: Heute soll gerade für Sie ein klein wenig sichtbar werden, was es heißt, als Europäer im Alltag miteinander zu leben.
Es gab dann ja auch gleich ein weiteres Beispiel dafür, als uns die Fachleute vom deutschen Technischen Hilfswerk und ihre französischen Partner gemeinsam mit ihrer Vorführung zum Bevölkerungsschutz beeindruckt haben: beeindruckt deswegen, weil es sicherlich nicht selbstverständlich ist, dass Teams aus unterschiedlichen Ländern bei einem Erdbeben oder bei Hochwasser so reibungslos zusammenarbeiten, wie uns das vorhin vorgeführt worden ist.
Die Europäer unter Ihnen lade ich deshalb herzlich ein: Nutzen wir diesen Tag, um unseren Mitreisenden, die nicht aus Europa sind, näher zu bringen, was vielerorts in Europa und jenseits mancher außenpolitischen Debatte in unseren Hauptstädten oder in Brüssel Wirklichkeit ist: tägliches Zusammenleben in der Region ob als Kollegen in der Arbeit, beim Einkauf im Nachbarland oder am Wochenende, wenn wir bei grenzüberschreitenden Familienfesten, Film- und Musikfestivals oder einfach bei einer Wandertour miteinander ins Gespräch kommen.
Früher hätte man diese Region Südbaden als Grenzgebiet bezeichnet, vielleicht sogar als den äußersten südwestlichen Zipfel Deutschlands! Heute ist das anders Sie, sehr geehrter Herr Botschafter Frankreichs und verehrte Frau Geschäftsträgerin der Schweiz, können das bestimmt bestätigen. Denn auch für Ihre Länder ist das Oberrheintal das Zentrum eines Raums, der Grenzen überschreitet. Zu ihm gehören die nordwestliche Schweiz, das Elsass, die Südpfalz und Baden ein Raum, der sich übrigens längst auch politisch organisiert hat: in der "Trinationalen Metropolregion Oberrhein".
Die Ergebnisse sind ziemlich konkret: grenzüberschreitende Nahverkehrszüge und Busse, eine deutsch-französische Dienststelle für die Wasserschutzpolizei auf dem Rhein, ein deutsch-französisches Arbeitsamt, sogar eine gemeinsame Lehrerausbildung gibt es. Für einen Menschen meiner Generation war es kaum vorstellbar, dass das Wort "Grenzübergang" für junge Leute heute wie ein Relikt aus der Vergangenheit klingt.
So eng wirken die Menschen zusammen, dass man auf die Idee kommen könnte, es brauche für ein gutes Gelingen dies- und jenseits der Grenzen die Diplomatie eigentlich gar nicht mehr. Aber so weit will ich nun ausgerechnet heute nicht gehen. Ich kann Ihnen versichern, Exzellenzen, dass ich nicht dazu aufrufen werde, jetzt Ihre Ämter abzuschaffen!
Denn zum einen waren es ja nicht zuletzt Politiker und Diplomaten, die die Aussöhnung und die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland möglich gemacht haben wir denken in diesem Jahr ja insbesondere an diese Beziehung wegen des 50. Jahrestages des Elysée-Vertrages, dessen Jubiläum wir hier und in Frankreich begehen. Und zum anderen sind sich die Menschen ja meist längst nicht so nah auf der Landkarte wie auch im Umgang miteinander, wie es hier im Oberrheintal durchaus der Fall ist.
Faszinierend sind die vielen Beispiele der engen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit trotzdem. Wir sehen sie in all den Regionen, in denen deutsche Bundesländer, Landkreise und Städte mit ihren Nachbarn und oft in gemeinsamen Euregios zusammenkommen. Durch die entstandenen Netzwerke ist mit den Ländern südlich, westlich und nördlich von Deutschland Vertrauen gewachsen. Und genauso haben wir heute mit unseren östlichen Nachbarn ein enges Zusammenwirken das machte der politische Umbruch von 1989 möglich.
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wie hier vor Ort, die Abschaffung von Grenzen gar das alles eröffnet Perspektiven, es schafft mehr Freiheit. Wir finden mehr Freiheit nicht nur im Territorialen, sondern auch im Internet. Wir finden einen Raum, wo es scheinbar grenzenlose Freiheit gibt aber wir merken dort auch, dass dies nicht ohne Probleme ist. Und ich will diesen heutigen Tag auch nutzen, um in das aktuelle Politikgeschehen hineinzublicken. Ich will ihn nutzen, um eine große Sorge auszudrücken, über das, wovon die Medien aktuell berichten: die geheimdienstlichen Aktivitäten zur Überwachung der Kommunikation ob im Internet oder bei klassischen Telefonaten. Ich halte es für unverzichtbar, dass diese Vorgänge sehr rasch aufgeklärt werden. Natürlich: Der Erhalt von Sicherheit und Freiheit muss unser Ziel sein. Aber mit Benjamin Franklin sage ich: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.
In Deutschland und Europa haben wir hohe demokratische und rechtsstaatliche Standards, wenn es um die geheimdienstliche Überwachung der Kommunikation geht. Gefahrenabwehr muss immer verhältnismäßig sein.
Die aktuellen Diskussionen zeigen: Für das Internet und für die neuen Kommunikationsformen, die territorial ja keine Grenzen kennen, benötigen wir dringender denn je einen internationalen Rechtsrahmen, der Datenschutz, demokratische Kontrolle und rechtsstaatliche Bindungen für alle Nutzer und zwar Behörden wie auch Private verbindlich regelt. Dies zu schaffen ist sicher eine sehr, sehr anspruchsvolle Aufgabe, auch und gerade für die Diplomatie. Eine Aufgabe, um das rechte Maß von Freiheit, Sicherheit und Kontrolle zu gewährleisten, ist es sicherlich.
Nach diesem Verweis auf die aktuelle Problemlage, die mich in diesen Tagen sehr beschäftigt, möchte ich aber nun wieder zurück in dieses gesegnete Fleckchen Erde kommen und zu unserem wunderbaren Ausflug, zurück auch in eine europäische Grenzregion.
Der Austausch in Europa funktioniert, zum Beispiel in der Arbeitsgemeinschaft europäischer Grenzregionen, in der sich über 200 Regionen treffen. Und wenn durch den heutigen Tag die Chancen, sich auch mit anderen Grenzregionen in der Welt auszutauschen, in den Mittelpunkt rücken, dann hat dieser Ausflug schon ein sehr, sehr schönes Ziel erreicht.
Ein ganz anderes, ganz wichtiges Ziel, das wir heute erreichen wollen, ist es, mit Ihnen, Exzellenzen, die Schönheit unseres Landes zu erleben. Sie wissen vielleicht, dass wir Norddeutsche beim Blick auf die Wetterkarte immer ein bisschen sehnsüchtig werden, wenn wir feststellen, wie viel wärmer und sonniger es hier ist, zwischen Rhein und Schwarzwald.
Die Badener lassen sich aber natürlich nicht auf das gute Wetter reduzieren und ich weiß, dass das auch für alle anderen Baden-Württemberger gilt. Wenn Sie heute die feine Küche und die erlesenen Weine kosten, werden Sie das bestimmt verstehen. Und noch beeindruckter werden Sie vielleicht sein, wenn Sie hören, dass Demokratie und Parlamentarismus sich hier, hier in dieser Region, besonders früh etablieren konnten: Denn es war schon 1818, als das Großherzogtum Baden eine Verfassung beschlossen hat, die ihrer Zeit weit voraus war. Es war die freiheitlichste im gesamten damaligen Deutschen Bund.
Ich freue mich sehr, dass wir den heutigen Tag in dieser wunderbaren Umgebung gemeinsam verbringen können. Und wenn Sie einmal alleine hier unterwegs sein sollten, besuchen Sie einen Ort, an den ich Sie heute nicht hinführen kann: die "Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte" in Rastatt. Das ist auch nicht allzu weit weg und es gibt Ihnen einen Blick auf die Dimension, die ich eben mit dem Datum 1818 angesprochen habe. Ich freue mich, dass wir ausgerechnet in dieser schönen Landschaft und in dieser geschichtsträchtigen Landschaft gemeinsam einen Tag verleben können. Ich erinnere mich gut an unseren wunderschönen Ausflug ins Bundesland Sachsen, nach Dresden, wo wir auf der Elbe zusammen unterwegs waren, die meisten von Ihnen waren dabei heute, ein ganz anderer Teil, im deutschen Südwesten. Es ist wunderschön, hier zu sein.
Zum Schluss möchte ich Ihnen, liebe Botschafterinnen und Botschafter von Herzen danken: für die professionelle Arbeit, die Sie für Ihr Land hier in Deutschland leisten, für die menschlich angenehme Zusammenarbeit. Und ich wünsche Ihnen für die weitere Tätigkeit in unserem Land, in meiner Heimat, alles Gute. Wir wollen gemeinsam einen schönen Tag haben und wollen uns über jeden gelungenen Kontakt freuen. Alles Gute!