Redner(in): Johannes Rau
Datum: 26. Januar 2001
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2001/01/20010126_Rede2.html
I. Herzlich willkommen im Schloss Bellevue! Ihr Dialog über die weltweite Förderung der Demokratie findet in diesem Jahr zum ersten Mal in Deutschland statt. Keine andere Stadt wäre besser als Symbol für die Überwindung der Diktatur und die Teilung Europas geeignet, als Berlin! Ich bin froh darüber, dass ich Sie hier an meinem Amtssitz begrüßen kann. Ich möchte Sie, so gut ich kann, in Ihren Zielen und in Ihrem Bemühen unterstützen, zwischen den verschiedenen Stiftungen enger zusammenzuarbeiten.
Wer die Demokratie fördert, sichert den Frieden - oder macht ihn dort möglich, wo eine Gesellschaft friedlos lebt, weil ihre Bürger keine elementaren Rechte haben. Demokratie erlaubt Gesellschaften, zu atmen. Und darum ist sie eben weit mehr als nur eine "institutionelle politische Ordnung".
In Deutschland und in großen Teilen Europas ist die Demokratie lange nicht selbstverständlich gewesen. Auch nach 1945 behielten oder gewannen diktatorische und autoritäre Systeme in Osteuropa, aber auch in manchen Ländern Westeuropas und in vielen Ländern in Lateinamerika und in Asien die Oberhand. Das ist kein Ruhmesblatt der Geschichte der Demokratie, dass manche dieser Regime auch noch Unterstützung aus dem Westen bekommen haben.
Für die Änderungen möchte ich nur zwei Daten nennen: 1974 die "Nelkenrevolution" in Portugal und der historische Umbruch 1989 in Mittelosteuropa und in Deutschland, der für den Beginn einer demokratischen Organisation eine große Chance war. Schließlich ist die Welle der friedlichen Revolutionen bis nach Asien gelangt. Nach wie vor ist es für mich wie ein Wunder, dass ich Kim Dae Jung hier im Hause im vergangenen Jahr zu einem Staatsbesuch empfangen habe. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, in der ich ihm Briefe ins Gefängnis sandte.
Jetzt geht es darum, auch ein geeintes demokratisches Europa zu bauen. Für dieses Europa müssen wir jetzt eine Verfassung schaffen. Eine Verfassung ist eine "Grammatik der Freiheit", auf deren Regeln sich alle verständigen, auch wenn sie noch so verschiedenen Regionen, Kulturen oder auch demokratischen Traditionen entstammen.
Dass die Demokratie so einen Auftrieb hat, freut mich. Auch dass die deutschen politischen Stiftungen dabei häufig eine besondere Rolle gespielt haben. Sie sind zum Vorbild für den Aufbau vergleichbarer Einrichtungen in anderen Ländern geworden.
II. Die Arbeit Ihrer Stiftungen ist von der Überzeugung geprägt, dass die Selbstbestimmung des Einzelnen eng, ja unabdingbar mit der sozialen Bindung von Politik und Wirtschaft verknüpft wird.
Diese soziale Bindung von Kapital und Eigentum hat auch bei uns in Deutschland Tradition: Wir wollen die Vorteile des Marktes mit der Beseitigung von sozialen Ungerechtigkeiten verknüpfen. Meine Überzeugung ist: wenn das nicht geschieht, kommt es, wie die Geschichte belegt, immer wieder zu gewaltsamen Konflikten. Die sozial gebundene Marktwirtschaft ist wie die Demokratie eine gesellschaftliche Friedensstrategie.
Es wird immer wieder gefragt, ob in der Globalisierung überhaupt noch Raum für eine soziale Ausrichtung der Marktwirtschaft ist. Eine Nation ist immer mehr als nur ein wirtschaftlicher Standort. Gerade dieses "mehr" ist es, das ein Land dann auch aus wirtschaftlicher Sicht wieder besonders interessant macht. Dazu gehören eine gewachsene Kultur des Miteinanders, tief verwurzelter sozialer Friede und die Möglichkeit zur freien Entfaltung des einzelnen. Wirtschaftliches Kalkül und demokratische Werte darf man nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss sie in einen produktiven Dialog bringen.
Ohne Wettbewerb ist Wirtschaft nicht möglich. Wenn freilich der Wettbewerb zum Gestaltungsprinzip inallenBereichen unserer Gesellschaft werden soll, dann scheint mir das grundverkehrt. Darum ist eine Wirtschaftsordnung - sei sie national, europäisch oder global - nur dann zukunftsfähig, wenn sie die Spannung zwischen wirtschaftlicher Freiheit und sozialer Gerechtigkeit aushält.
III. Hier zu helfen, das ist auch eine zentrale Aufgabe der politischen Stiftungen, die Sie vertreten. Sie haben Erfahrung und Sachverstand, wenn es darum geht, demokratischen Aufbau zu organisieren. Sie kennen die Partner vor Ort am besten, und Sie können sie über ihre Vertretungen unterstützen und sie in die internationale Zusammenarbeit integrieren.
Die politischen Stiftungen spielen nicht nur für die Zusammenarbeit mit ihren Partnern in anderen Ländern eine bedeutende Rolle. Ihre Auslandsarbeit ist auch für ihre Herkunftsländer wichtig.
Im "globalen Dorf" brauchen wir solche Kontakte und Verbindungen mehr denn je. Wir können unsere Probleme nicht mehr allein lösen. Wir brauchen den Austausch mit Anderen, und wir müssen wissen, was die Menschen bewegt, die in anderen Ländern Entscheidungen treffen, was ihr Handeln und ihre Urteile bestimmt.
Für diese wichtige Arbeit danke ich Ihnen. Ich wünsche Ihnen für Ihre zukünftige Arbeit viel Erfolg.