Redner(in): Johannes Rau
Datum: 18. Juli 2001

Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2001/07/20010718_Rede.html


Wortlaut der Rede:

I. Willkommen in Schloss Bellevue.

Das Parteiengesetz sieht vor, dass der Bundespräsident für die Dauer seiner Amtszeit eine Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung beruft.

Heute legt die von mir am 3. Februar des vergangenen Jahres berufene Kommission ihren Bericht mit Empfehlungen für Änderungen im Recht der Parteienfinanzierung vor.

Als ich diese Kommission berufen habe, beherrschten immer neue Facetten von Fehlverhalten im Umgang mit Parteispenden und Parteifinanzen die Schlagzeilen und die öffentliche Diskussion. Die Vorwürfe sind inzwischen teilweise erwiesen, teilweise eingestanden. Vieles ist nach wie vor ungeklärt. Rechtliche Verfahren sind zum Teil abgeschlossen, andere laufen noch.

Ich habe damals die Kommission aufgefordert, ihren Auftrag weit anzugehen und umfassend zu prüfen, ob - und wenn ja welche - Änderungen im Recht der Parteienfinanzierung sinnvoll oder geboten sind.

Die Kommission hatte selbstverständlich nicht die Aufgabe, konkrete Sachverhalte aufzuklären. Sie hatte nicht die Arbeit von Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zu tun oder die der Staatsanwaltschaften. Die Kommission sollte Vorschläge dafür machen, wie das Recht der Parteienfinanzierung in Zukunft besser gestaltet werden soll.

II. Nun liegen die Vorschläge der Kommission vor. Ich danke der Vorsitzenden der Kommission, der Präsidentin des Bundesrechnungshofes, Frau Dr. Hedda von Wedel, und den Kommissionsmitgliedern Herrn Professor Dr. Ulrich von Alemann, Herrn Hans Günther Merk, Herrn Dr. Hans-Dietrich Winkhaus und Herrn Dr. Dieter Wunder für Ihre Arbeit.

Ich danke auch den - heute nicht anwesenden - Mitgliedern des Beirats dafür, dass sie die praktischen Erfahrungen aus den Parteien, von denen sie benannt worden sind, in die Arbeit der Kommission eingebracht haben.

Die Kommission hat ruhig und gründlich gearbeitet. Sie hat sich mit allen wichtigen Vorschlägen und Anregungen auseinandergesetzt, die seit Anfang 2000 zum Parteiengesetz gemacht wurden, und sie hat dazu jeweils Stellung genommen. Sie hat nicht vor der Zeit das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gesucht. Die nüchterne, sachliche Arbeit in einem zugegeben schwierigen und komplizierten Rechtsgebiet wie dem der Parteienfinanzierung eignet sich dazu auch nicht.

Die Kommission hat durch juristische und betriebswirtschaftliche Gutachten weiteren externen Sachverstand genutzt. Sie hat die Schatzmeister der politischen Parteien angehört, genauso die Vertreter der Bundestagsverwaltung, die bei Rechtsverstößen finanzielle Sanktionen zu verhängen hat.

Frau Dr. von Wedel und die anderen Kommissionsmitglieder haben mich über den Gang und über die Ergebnisse ihrer Arbeit unterrichtet. Ich werde den Bericht intensiv studieren. Darum kann ich ihn heute noch nicht umfassend würdigen und abschließend bewerten. Ich möchte aber heute schon einige Punkte hervorheben, die mir besonders wichtig sind:

Die Kommission sieht keinen Bedarf für radikale Änderungen des Systems der staatlichen Parteienfinanzierung, d. h. hinsichtlich der Grundlagen und des Umfangs der staatlichen Zuwendungen. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Auch ich bin der Ansicht, dass das deutsche System der Parteienfinanzierung - bei aller berechtigten Kritik und bei allen Mängeln - besser ist als sein Ruf.

Die Kommission weist - wie ich finde zu Recht - darauf hin, dass die Rechtsverstöße der jüngeren Vergangenheit aber auch nicht abgetan werden dürfen als Fehlverhalten von einigen Wenigen. Ihr Handeln wurde begünstigt durch Mängel des Gesetzes, aber auch durch Defizite der innerparteilichen Demokratie und durch eine Einstellung mancher Verantwortlicher in den Parteigremien, die da lautet: "Besser, ich weiß nicht so gut Bescheid".

Vorsätzliche Rechtsverstöße liegen nicht am Gesetz. Wichtig ist, dass Gelegenheiten für rechtswidriges Handeln vermindert werden. Mängel und Unklarheiten der Rechtslage, die das begünstigen, sollten beseitigt werden.

Die Kommission stellt in ihrem Bericht viele Mängel und Unklarheiten dar. Sie unterbreitet dazu eine Fülle von Vorschlägen - es sind insgesamt achtzig Empfehlungen.

Teilweise werden ganz grundlegende Änderungen vorgeschlagen. Teilweise betreffen sie ganz praktische Fragen und gehen sehr ins Detail - da, wo es ja bekanntlich oft unangenehm wird. Ich halte die Vorschläge für gut begründet und vernünftig. Sie sind auch ein Beitrag dazu, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Parteien und in die parlamentarische Demokratie zu stärken.

Die Kommission drängt vor allem darauf, für erheblich mehr Transparenz zu sorgen. Wenn ich das richtig sehe, hat sich noch keine der Kommissionen, die meine Amtsvorgänger eingesetzt haben, und noch keine Arbeitsgruppe in den Parteien so grundlegend mit den betriebswirtschaftlichen und buchhalterischen Fragen der Rechnungslegung befasst.

Zu den wichtigsten Vorschlägen, wie geltendes Recht geändert werden soll, gehören aus meiner Sicht: Spenden von Unternehmen in öffentlicher Hand sollen unzulässig sein. Großspenden sollen zeitnah veröffentlicht werden. Die Parteien sollen ihr gesamtes Finanzwesen über ausgewiesene Konten abwickeln. Finanztransfers zwischen Fraktion und Partei sollen ausgeschlossen werden. Die Rechnungslegung der Parteien soll umgestellt werden auf ein klares, stringentes System der doppelten Buchführung gemäß Handelsrecht. Die Parteien sollen besser als bisher Auskunft geben über ihre unternehmerischen Beteiligungen und über deren Erträge; die bisher gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Saldierung soll entfallen. Die Parteien sollen verpflichtet sein, die Wirtschaftsprüfer regelmäßig zu wechseln. Den Wirtschaftsprüfern sollen besondere Prüfungspflichten auferlegt werden. Ihre Prüfungsberichte sollen in Zukunft auch der Bundestagsverwaltung vorgelegt werden, damit diese eine bessere Grundlage für ihre Kontrolle hat. Die Vorschriften über die finanziellen Sanktionen gegen eine Partei bei Rechtsverstößen gegen das Parteiengesetz sollen präzisiert werden. Und: Es soll - in Anlehnung an die Bilanzfälschung nach dem Handelsgesetzbuch - ein spezieller Straftatbestand für vorsätzlich falsche Rechnungslegung eingeführt werden.

III. Wohlgemerkt: Das sind die Vorschläge der Kommission. Nun ist der Gesetzgeber, nun ist der Bundestag, nun sind die politischen Parteien und die Fraktionen gefordert.

Auf dem Höhepunkt der so genannten Parteispendenaffäre wurde oft gesagt: "Da wird wieder einmal nichts geschehen! Da wird sich rein gar nichts ändern!" Das habe ich in vielen Briefen von Bürgern gelesen, die mir geschrieben haben.

Damals hieß es quer durch alle Parteien, dass das Parteiengesetz - wo nötig - geändert und verbessert werden solle. Die Parteien haben Gelegenheit, ihren Worten jetzt Taten folgen zu lassen. Mit dem Bericht der von mir berufenen Kommission, der heute morgen dem Bundestag zugeleitet worden ist, hat der Gesetzgeber und haben die Parteien eine gute Ausgangsgrundlage.

Ich wünsche mir, dass die Vorschläge der Kommission im Bundestag und von den Parteien sorgfältig studiert werden.

Ich wünsche mir, dass alle Parteien sich um eine Verständigung bemühen, damit das Parteiengesetz möglichst schnell, auf jeden Fall vor der Bundestagswahl 2002, geändert werden kann.

Ich hoffe vor allem, dass die Parteien nicht der Versuchung erliegen, solche Vorschläge der Kommission beiseite zu schieben, die ihnen nicht so "willkommen," die ihnen vielleicht sogar lästig sind. Das hielte ich für ganz falsch. Das würde die oft beklagte Parteienverdrossenheit nur vergrößern.

IV. Dabei bestreitet ja niemand, dass wir Parteien brauchen. Jeder weiß, wie wichtig sie für die Willensbildung der Wähler sind. Das Grundgesetz weist ihnen diese Aufgabe ausdrücklich zu.

Die Parteien ordnen die politische Debatte, sie entwerfen Modelle und Gegenmodelle, sie decken Schwachstellen und Widersprüche auf und benennen die Kosten und Folgen bestimmter Entscheidungen.

Es ist leicht,"das Parteiwesen" in Bausch und Bogen zu verurteilen. Wer das tut, muss sich aber fragen lassen: Welche Alternative wünscht er sich? Wer oder was träte an die Stelle der Parteien? Wem sonst würden wir es überlassen, über unsere Geschicke mit zu entscheiden?

Niemand kann sich ernsthaft die Rückkehr zum Ständestaat wünschen. Ich kann mir vorstellen, dass wir neben der Willensbildung, die über die Wahlen zum Deutschen Bundestag und über die Parteien erfolgt, auch plebiszitäre Elemente in das Grundgesetz einbauen. Deren Umfang und Einzelheiten müssten sorgsam bedacht werden.

Weil wir aber die integrierende Kraft der großen Volksparteien brauchen, brauchen wir auch die öffentliche Debatte darüber, wie die Parteiendemokratie sich verbessern lässt. Dabei geht es eben auch um die Frage, wie die Parteien sich finanzieren.

Die Parteien müssen sich dieser Debatte stellen. Sie sollten es am besten tun, indem sie darstellen, welche Arbeit sie leisten, dass diese Arbeit natürlich Kosten verursacht, aber dass sie diese Kosten auch wert ist.

Vor allen Dingen meine ich, dass die Parteien gut beraten wären, alles dafür zu tun, dass ihre Finanzen transparent sind. Gegen das, was die Kommission unter Transparenz-Gesichtspunkten fordert, kann eigentlich niemand etwas haben:

Bei den Spenden und Beiträgen geht es darum, offen zu legen, aus welchen privaten Quellen eine Partei Mittel erhält. Im negativen Fall geht es auch darum aufzudecken, ob jemand versucht, auf diese Weise Einfluss auf ihre Entscheidungen zu nehmen.

Zum anderen geht es um die staatlichen Zuwendungen an die Parteien. Es leuchtet unmittelbar ein, dass die Parteien diese Gelder nur bekommen können, wenn sie nach Recht und Gesetz über ihre Finanzen Rechnung legen, und dass Rechtsverstöße sanktioniert werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem letzten Urteil zum Recht der Parteienfinanzierung festgestellt, dem Gesetzgebungsverfahren in diesem Bereich mangele es an einem "korrigierenden Element gegenläufiger Interessen."

Das heißt: Die Parteien befinden sich in der - auch für sie nicht angenehmen - Situation,"in eigener Sache" zu entscheiden, ja entscheiden zu müssen.

Weil das so ist, hat das Gericht empfohlen, externen Sachverstand zu nutzen. Das hat zur Berufung einer Parteienfinanzierungskommission durch den Bundespräsidenten geführt.

Deren Vorschläge liegen jetzt vor. Sie sind das Ergebnis von mehr als fünfzehn Monaten intensiver, außerordentlich sorgfältiger Arbeit.

Gerade weil die Parteien "in eigener Sache" entscheiden, sollten sie die Empfehlungen der Kommission sehr ernst nehmen und sie möglichst bald durch eine Änderung des Parteiengesetzes umsetzen.

Wer einzelne Vorschläge nicht aufgreifen will, muss der Öffentlichkeit erklären, welche Gründe er dafür hat.

V. Sehr geehrte Frau Dr. von Wedel, meine Herren, ich danke Ihnen noch einmal herzlich für Ihre Arbeit oder besser: für das, was Sie bisher geleistet haben. Die Kommission bleibt ja im Amt. Sie werden das hoffentlich bald beginnende Gesetzgebungsverfahren gewiss fachkundig und interessiert, also kritisch begleiten. Das wünsche ich mir auch von möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern.

Ich wünsche mir lebendige, starke Parteien, die mit ihren unterschiedlichen Ideen, Konzepten und Perspektiven ein klares, unverwechselbares Profil haben.

Ich wünsche mir Parteien, die nicht in Spenden- und Finanzaffären befangen sind, sondern Parteien, in denen Bürgerinnen und Bürger sich gerne engagieren, um den notwendigen Streit über ihre unterschiedlichen Interessen und Meinungen demokratisch zu organisieren.

Nur so können die Parteien ihrer besonderen Aufgabe nach Art. 21 des Grundgesetzes gerecht werden, nämlich bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken.