Redner(in): Johannes Rau
Datum: 6. September 2002
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2002/09/20020906_Rede.html
Herr Dr. Wehmeier hat in seiner Begrüßung so viele Stichpunkte und Stichworte untergebracht, dass man gern auf das eine oder andere eingehen möchte: Gewiss auf die enge Zusammenarbeit des jeweiligen Bundespräsidenten mit der Körber-Stiftung: Mindestens sechs der acht Bundespräsidenten haben gewusst und haben dankbar zur Kenntnis genommen, dass die Körber-Stiftung mithilft, politisches Engagement und gesellschaftliche Mitverantwortung zu fordern und zu fördern, denn das brauchen wir: Eine Gesellschaft, in der die Menschen sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen.
Ich komme gerade aus Russland, vorgestern Moskau, gestern Novgorod, Gespräche mit staatlichen Stellen und gesellschaftlichen Gruppen. Mir bleibt der Eindruck, dass bei allem, was an reformerischen Ansätzen vorangeht und allmählich auch zu wirtschaftlichen Erfolgen führt, der Aufbau der Zivilgesellschaft die eigentliche Aufgabe ist, die sich auch Russland stellt, damit nicht Oligarchen entscheiden, welchen Weg ein Land geht.
Ich bin dankbar dafür, dass Sie auf vielfache Weise das stützen und fördern, was nicht nur Bundespräsidenten, aber zuerst Bundespräsidenten zu ihrer Aufgabe machen. Lassen Sie mich ein Zweites sagen: Jeder Bundespräsident bekommt, wenn er morgens das Haus verlässt, einen Laufzettel, auf dem steht alles, was ihm im Lauf des Tages begegnen soll. Auf meinem Laufzettel für heute steht: Begrüßung durch den Bürgermeister, kennen lernen der Preisträger, dann werden einige Namen derer genannt, damit ich die auch im Kopf behalte, die dabei sein werden.
Ein Name stand da, der war nicht präsent. Das war der Name von Loki Schmidt, die eigentlich auch hierher gehört, und ich denke, da ist es richtig, wenn ich hier zuerst einmal sage: Auch dem Bundespräsidenten ist heute der Hamburger Ehrenbürger Helmut Schmidt besonders nahe, und alle unsere Genesungswünsche gehen in die Kieler Universitätsklinik, denn wir haben diesem Mann viel zu danken, nicht nur diese Stadt, sondern dieses Land und die Körber-Stiftung auch.
Lassen Sie mich noch eine dritte Vorbemerkung machen: In meinem Redemanuskript, von dem ich bisher noch nicht Gebrauch gemacht habe - ich muss es Ihnen aber ankündigen - steht auch, dass dieser Preis so etwas wie der "Hamburger Nobelpreis" wäre. Ich habe unterwegs dem Mitarbeiter gesagt, ich will das nicht sagen, nicht weil ich das für zu hoch gegriffen halte, sondern weil mir das zu sehr an Kurt A. Körber vorbeigeht. Das ist der Preis von Kurt A. Körber, und da muss nichts anderes hinzugefügt werden. Denn das, was dieser Mann gestaltet und gefördert hat, was er vorangebracht und vorangetrieben hat für seine Heimatstadt Hamburg, aber auch für Deutschland, das muss mit seinem Namen verbunden bleiben, das bedarf keines noch so renommierten Pseudonyms. Das ist meine persönliche Einschätzung.
Nun greife ich noch einmal auf, dass ich aus Moskau komme und dass es Preisträger des Körber-Preises auch in Moskau gibt. Sie haben darauf hingewiesen, Herr Dr. Wehmeier, dieser Preis ist ein internationaler Preis. Das, was mich an seiner Geschichte in den letzten siebzehn Jahren besonders fasziniert hat, das ist, dass er die Grenze zwischen Ost und West nie respektiert hat in diesen siebzehn Jahren, dass er das immer gewusst hat und durch die Auswahl der Preisträger deutlich gemacht hat: Wir sind ein Europa, wir meinen nicht Westeuropa allein, wenn wir von Europa sprechen. So gab es auch in den Jahren der europäischen Teilung Preisträger, die wegen ihrer wissenschaftlichen Leistung ausgezeichnet wurden und in Moskau oder Sofia oder Kiew lebten und arbeiteten, weil sie wussten und weil sie durch ihr Lebenswerk deutlich machten: Forschung ist frei und Forschung muss frei sein von staatlicher Bevormundung.
Das macht Ihr Preis immer wieder deutlich und darum ist es gut - so schön das ist und so sehr wir uns miteinander darüber freuen, dass wir jetzt Preisträger haben aus Großbritannien, aus der Schweiz, dass es immer diese gesamteuropäische Dimension des Preises gegeben hat.
Obwohl ja Bundespräsidenten nie über Geld sprechen sollen: Ich finde den Preis auch angenehm hoch, denn ein Preis für Menschen, die noch wissenschaftlich tätig sind und sein sollen, der kann nicht den Sinn haben, ihnen ihre private Existenz ein bisschen schöner zu machen, sondern der muss der Sinn haben, ihnen noch mehr in die Hand zu geben, damit sie mehr forschen und mehr voranbringen können an wissenschaftlichen Erkenntnissen. Darum verstehe ich die Höhe des Preises als einen Ansporn zu wissenschaftlicher Arbeit und nicht als private Anerkennung zuerst.
Dieser Preis hat immer innovative Forschung gefördert und dadurch viel Ansehen gewonnen. Wenn ich soeben gesagt habe, es gibt ihn seit siebzehn oder seit achtzehn Jahren, dann hat man heute, im Jahr 2002, gelegentlich den Eindruck, diese Zeit liege in Wirklichkeit viel länger zurück als siebzehn Jahre. Es sei länger her, dass die Welt geteilt war in Ost und West, dass es die bloße Hoffnung auf ein freies und auf ein in Frieden vereintes Europa gab. Damals hatte diese Hoffnung fast etwas Romantisch-Verträumtes, und immer mehr Menschen kannten Europa nicht anders als durch den Eisernen Vorhang getrennt. Die Körber-Stiftung hat damals Zeichen gesetzt, und sie hat uns deutlich gemacht, dass es im Bereich von Wissenschaft und Forschung Entwicklungen gibt, die lassen sich durch Mauern und durch Stacheldraht nicht aufhalten.
In der Regel soll der Körber-Preis für ein Projekt vergeben werden, an dem Forscher und Forschergruppen aus mehreren europäischen Ländern gemeinsam arbeiten. Dabei haben Sie Forschergruppen aus Bulgarien ausgezeichnet und aus Russland. Das war mutig, und für diesen Mut möchte ich danken.
Es war alles andere als leicht, einen guten Überblick über die Forschungsaktivitäten in den Ländern zu gewinnen, in die wir nicht reisen konnten oder nicht reisen durften. Ihre Stiftung wollte in Ost und West diese Freiheit der Forschung deutlich machen und wollte klären und erklären, dass in Wissenschaft und Forschung nicht politische Systeme zu entscheiden haben, sondern die Suche nach der Wahrheit.
Das ist eine der großen Leistungen des Körber-Preises, aber es ist auch eine bleibende Aufgabe für alle privaten Stiftungen, dass sie Neues anstoßen, dass sie sich mutig auf noch unsicheres Terrain vorwagen, dass sie sich um Dinge kümmern, die vernachlässigt werden, dass sie Projekte und Entwicklungen auch dann fördern, wenn ein wirtschaftlicher Erfolg noch nicht absehbar ist.
Deutlich muss sein und deutlich muss man machen und sagen, dass private Stiftungen die öffentliche Forschungsförderung nicht ersetzen sollen und wollen. Sie können Vieles nur anstoßen und auf den Weg bringen. Ihre Zuwendungen dürfen aber nie ein Alibi dafür sein, dass Forschungshaushalte gekürzt werden. Da, wo sich der eingeschlagene Weg als erfolgreich und sinnvoll erweist, da sind die Politik und die öffentlichen Hände gefragt und aufgefordert, das Begonnene weiterzuführen. Die Förderung internationaler Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung steht deshalb in Deutschland, aber auch in Europa weit oben auf der Tagesordnung. Gerade erst haben das Europäische Parlament und der Rat das sechste Forschungsrahmenprogramm auf den Weg gebracht, das für den Zeitraum von 2002 bis 2006 mit siebzehneinhalb Milliarden Euro ausgestattet ist. Damit verfolgt die Europäische Union das ehrgeizige Ziel, einen europäischen Forschungsraum zu schaffen.
Ich halte das für eine gute Entwicklung. Ich wünschte mir freilich, dass auch die Europäische Union Projekte allein danach auswählte, ob sie wissenschaftlich sinnvoll und erfolgversprechend sind. Nationaler Proporz ist kein gutes Auswahlkriterium.
In der Europäischen Union neigt man dazu, immer auch Rücksicht auf die Verteilungsinteressen der Mitgliedsstaaten zu nehmen. Deshalb meine ich, es lohnte sich, darüber nachzudenken, ob nicht eine unabhängige Institution auf europäischer Ebene die Forschungsmittel vergeben könnte - nach einem ähnlichen Muster, wie das zum Beispiel in Deutschland durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geschieht.
In diesem Jahr, meine Damen und Herren, kommen die Preisträger des Körber-Preises aus der Schweiz, aus Deutschland und aus England; zuvor unter anderem aus Belgien und Bulgarien, aus Finnland und Frankreich, aus Irland und Italien. Das zeigt uns doch, wie reich Europa in allen seinen Staaten an guten Wissenschaftlern, an exzellenter Forschung ist.
Der Körber-Preis zeichnet aber die Forscher nicht dafür aus, dass sie europäisch sind, sondern dafür, dass sie, so steht es in den Satzungsbestimmungen,"einen Beitrag zur Gestaltung und Erhaltung einer lebenswerten Umwelt liefern" können. Das kann man so übersetzen: Die Menschen - ganz gleich, wo sie leben - sollen einen greifbaren Nutzen von den Forschungsleistungen haben.
Darum verwundert es mich nicht, dass die Projekte, die Sie in den zurückliegenden Jahren ausgezeichnet haben, in der Regel auch für Laien verständlich sind. Mehr noch: Sie versprechen ihm Interessantes. Da ging es um die Erforschung klimatischer Veränderungen, um die Erkennung und Verhütung von Krebserkrankungen, die durch Umweltchemikalien hervorgerufen werden, es ging um Grundwasserqualität und um moderne Pflanzenzüchtung.
Auch die diesjährigen Preisträger arbeiten an einem Projekt, dessen Nutzen sich dem Laien leicht erschließt: Wenn Wunden künftig narbenfrei verheilten, dann wäre das für ungezählte Menschen eine große Erleichterung.
Der Körber-Preis trägt dazu bei, dass Erkenntnisse der Wissenschaft in die Gesellschaft getragen werden. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben. Gerade private Stiftungen können viel dazu beitragen, der Öffentlichkeit deutlich zu machen: Die Wissenschaft ist für den Menschen da und nicht umgekehrt. Dass Sie das zeigen, mit Ihrer Arbeit, mit dem Preis, mit dem Ergebnis der Jury, mit dem Impetus einer Stiftung, die sich für unser Vaterland engagiert, das hat mich gern dazu geführt, früher aus Novgorod zurück zu kommen, als ich mir das eigentlich vorgenommen hatte. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit, und ich wünsche mir, dass jede Stiftung dadurch, dass sie bekannt wird, andere anstiftet und fragt: Warum stiftest Du nicht auch Gutes?