Redner(in): Johannes Rau
Datum: 24. März 2003

Anrede: Verehrter Herr Bischof Klaiber,meine Damen und Herren,
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/03/20030324_Rede.html


wenn man Termine annimmt, glaubt man immer, wenn der Termin kommt, sei alles in Ordnung. Mir geht es oft so, dass ich erst, wenn der Termin dann ins Haus steht, überlege, ob ich hätte zusagen dürfen. Passt das jetzt? Ich gestehe, ich bin heute im Hinterkopf mehr im Irak als in Bonn, mehr bei den Beratungen des Sicherheitsrates, die hoffentlich weitergehen, mehr bei der Suche nach Lösungen.

Wie anderen fällt einem natürlich das Gedicht von Matthias Claudius ein: ' s ist Krieg! ' s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,

und rede Du darein!

`s ist leider Krieg - und ich begehre,

nicht Schuld daran zu sein! "

Wir sind nicht schuld an diesem Krieg, niemand in Deutschland hat diesen Krieg gewollt, aber wir müssen jetzt aufpassen, damit wir nicht den Krieg der Worte fortsetzen. Wir wollen nicht zu denen gehören, die mithelfen, an Vorurteilen aufzurüsten, an antiamerikanischen, an antiislamischen, an antiisraelischen Vorurteilen.

Für mich war nach dem schmerzlichen und schrecklichen 11. September 2001 die wichtigste Erfahrung, dass unsere Sorge, wir könnten jetzt einen Kampf der Religionen in Deutschland bekommen, nicht eingetreten ist. Wir sind nach dem 11. September 2001 beieinander geblieben, auch wenn wir unterschiedliche Herkünfte und unterschiedliche Lebensentwürfe haben. Ich wünschte mir, dass das auch jetzt gelänge, wo Tausende und Abertausende vor allem junge Menschen auf die Straßen gehen, und das nicht nur in Deutschland. Bisher ist das so gut wie immer friedlich gegangen, und deshalb bin ich besorgt über die ersten harten Auseinandersetzungen, die es heute in Hamburg gegeben hat. Das darf nicht Schule machen.

Wir dürfen das, was im Irak geschehen ist in den letzten zwei Jahrzehnten geschehen ist, nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es beginnt nicht erst jetzt Leid im Irak, sondern es gibt seit Jahrzehnten irakisches Leid bei Vätern und Müttern, bei Alten und Jungen. Der Streit geht nicht darum, ob es dieses Leid gibt, sondern um die Frage, wie man dem ein Ende setzt. Da sind die Völker und die Regierungen unterschiedlicher Auffassung. Darüber lohnt der Streit. Die Art, wie wir diesen Streit führen, sagt allerdings auch etwas darüber, wie wir in diesem Streit selber stehen.

Wir werden in diesen Tagen im Fernsehen permanent von Kriegsbildern bestürmt, man sieht kaum noch etwas anderes. Es muss uns klar sein: Hinter den Bildern, ist noch viel mehr Leid als wir sehen. Wir können nur ahnen, was hinter diesen Bildern an wirklicher Angst und Not versteckt wird.

Hunderttausende gehen auf die Straßen. Ich finde das gut, dass sie Zorn und Empörung ausdrücken, aber ich warne davor, Vorurteilen nachzulaufen und Protest in Feindseligkeit umschlagen zu lassen. Das darf uns jetzt nicht geschehen.

Als ich Ihr Programm las "Lade Deinen Nachbarn ein", dachte ich: Passt das zum 24. März? Müsste man jetzt nicht über andere Fragen der Nachbarschaft sprechen? Ich denke aber, es ist gut, wenn wir das heute aufgreifen, was Sie, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, der Zentralrat der Juden und der Zentralrat der Muslime aufgenommen haben und was wir heute Abend miteinander in einem Festakt begehen. Wir nehmen einen Dialog auf, der nötig ist, und der nicht nur in theologischen Seminaren, Akademien und Konferenzen stattfinden darf, der nicht nur zwischen Völkerrechtlern und international renommierten Leuten stattfinden kann, sondern der in unsere Häuser gehört. Lade deine Nachbarn ein..." : das ist ein gutes Motto für ein Projekt, das Sie miteinander jetzt seit fünf Jahren durchführen und über das Sie heute und morgen Bilanz ziehen und auswerten, was sich auf Ihre Initiative hin oder mit Ihrer Hilfe getan hat. Sie wollen sehen, was gut war und was verbesserungswürdig ist.

Sie alle, und wir alle, die wir hier sind, wissen ja, worum es ging - und worum es auch in Zukunft gehen wird: Um die Integration von Zuwanderern in Deutschland, um das Bewusstsein, dass wir hier in Deutschland eine gemeinsame Heimat haben wollen, und dass wir uns eine gemeinsame Heimat schaffen müssen.

Ich habe schon gesagt, über Integration wird viel gesprochen. Es gibt eine Fülle von Konzepten: soziale und politische, pädagogische und ökonomische.

Es gibt Kommissionen für Integration: politische und gewerkschaftliche, kirchliche und akademische, Tagungen von Experten, Institute und Kongresse.

Das alles ist gut. Das alles brauchen wir. Das alles hat seinen Sinn; jedenfalls das meiste davon. Aber Integration, wirkliche, bleibende, tragfähige Integration findet im Alltag statt, vor Ort, im wirklichen Leben. Da, wo ganz normale Menschen leben, die keineswegs Experten für Integration sind.

Deswegen finde ich das Motto Ihrer Aktion so gut - und deshalb finde ich das Motto: "Lade deine Nachbarn ein" so richtig.

Ihre Initiative hat ja im Blick die Basis, wenn man so sagen will, sie richtet sich an die Menschen da, wo sie tatsächlich zusammenleben:

Wo sie sich verstehen oder nicht verstehen,

wo sie sich begegnen oder einander ausweichen,

wo sie sich übereinander freuen oder übereinander ärgern,

wo sie sich grüßen oder aneinander vorbei sehen,

wo sie sich auf die Nerven gehen oder wo sie sich gegenseitig bereichern.

Nun könnte man einwenden: Das ist eben in erster Linie gut gemeint. Eine Initiative, die sich nicht groß um tiefschürfende Konzepte schert, sondern irgendwie nette, mitmenschliche Projekte fördert. Ist das nicht ein bisschen zu wenig?

Wer so etwas behaupten sollte, der würde nach meiner Erfahrung zeigen, dass er die soziale Wirklichkeit in unseren Städten und Gemeinden nicht kennt - ja, dass er das Problem, das hinter dem Wort "Integration" steckt, überhaupt nicht erkannt hat.

Wenn wir Integration sagen, dann meinen wir ja gerade nicht in erster Linie einen akademischen Dialog, ein theologisches Streitgespräch, eine kluge Informationsveranstaltung über die Fremdheit oder über die Ähnlichkeit unterschiedlicher Kulturen.

Wir meinen das ganz konkrete Zusammenleben der Menschen in Straßen, in Stadtvierteln, in Gemeinden, in Städten. Integration meint das Leben vor Ort: in den Vereinen, in den Geschäften, in den Schulen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf den Spielplätzen.

Hier liegen auch die großen Aufgaben, die großen Schwierigkeiten. Hier liegen aber auch die Chancen, die ganz praktisch, ganz alltäglich, ganz konkret ergriffen werden können.

Das ist anders geworden. Die Kulturen, die sich oft sehr fremd und die von unterschiedlichen Traditionen geprägt sind, wohnen jetzt Wohnung an Wohnung, in einem Haus, in einer Straße, Sie haben unterschiedliche Geräusche, unterschiedliche Musik, unterschiedliche Gerüche. Haus an Haus, in der selben Straße, im selben Viertel. Sie sind jetzt buchstäblich Nachbarn geworden, nicht bloß im Sprachbild. Die Kinder gehen in die gleichen Schulen, die Jugendlichen und Erwachsenen sind in denselben Vereinen.

Genau das wollen wir ja: Dass wir einander begegnen und mit dem Bewusstsein leben, dass wir Nachbarn sind. Das wollen wir und das müssen wir wollen.

Ich will ganz deutlich sagen: Ich habe große Sorge, wenn ich sehe, wie unsere Städte sich - wenigstens in manchen Stadtteilen oder Straßenzügen - nach Kulturen, nach ethnischer Herkunft, nach nationaler Zugehörigkeit separieren. Ich habe große Sorge, wenn ich sehe und höre, dass sich Ghettos zu bilden scheinen. Eine Gesellschaft kann auf die Dauer nicht bestehen, wenn sie aus lauter kleinen Teilgesellschaften besteht, die voneinander nichts wissen und oft nichts wissen wollen, die nebeneinander her und vielleicht eines Tages dann auch gegeneinander leben. Da sind tiefe und schwere Konflikte schon programmiert, wenn wir nicht rechtzeitig etwas dagegen tun.

Natürlich ist da "die Politik", wie wir sagen, gefragt: Die Kommunalpolitik, die Innenpolitik der Länder und die des Bundes. Natürlich ist es allerhöchste Zeit, einen vernünftigen Kompromiss zu finden, damit endlich das dringend nötige Zuwanderungsgesetz verabschiedet wird und in Kraft treten kann, zuerst im Bundesgesetzblatt, und dann möglichst schnell im Alltag. Natürlich sind Bildungs- und Ausbildungspolitik gefordert. All das ist nötig und diese Notwendigkeit wird immer stärker eingesehen.

Dennoch haben die kleinen Initiativen, die Projekte und die vielen engagierten Menschen vor Ort die größte Bedeutung.

Nur vor Ort können die Menschen wirklich aufeinander zu gehen, nicht nur im übertragenen Sinne; nur vor Ort können Menschen, die nebeneinander leben, wirklich zu Nachbarn werden, die miteinander zu leben versuchen; nur vor Ort kann die Welt so gestaltet werden, dass sich in ihr alle menschlich behandelt und gut aufgehoben fühlen.

Dieser kleine Schritt ist es aber oder besser gesagt: diese vielen kleinen Schritte sind es, die weit mehr bedeuten als bloß eine nette, mitmenschliche Geste in der alltäglichen Begegnung: sie strahlen in die ganze Gesellschaft aus, sie tragen bei zu einem höchst notwendigen gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Prozess. Auf solche kleinen Schritte ist das große politische Ziel der Integration angewiesen, wenn es nicht eine reine Absichtserklärung, ein leeres Wort oder gar ein Alibi bleiben will.

Ich finde noch etwas an Ihrem Motto gut: "Lade deine Nachbarn ein", das ist eine positive Aufforderung, sich für etwas einzusetzen. Ich glaube, wir brauchen solche positiven Initiativen viel mehr und es gibt Gott sei Dank schon sehr, sehr viele. Man hätte ja auch sagen können: "Grenze deine Nachbarn nicht aus" oder irgendein anderes Motto, das gegenFremdenfeindlichkeit, gegen Separation, gegenAusgrenzung spricht.

Ich würde Ihnen gern von einer eigenen Erfahrung erzählen. Im vergangenen Jahr habe ich gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung zu einem Wettbewerb aufgerufen, an dem sich Initiativen zur Integration von Zuwanderern beteiligen konnten. Gesucht wurden möglichst nachhaltige, originelle aber auch nachahmungsfähige und -würdige Projekte.

Ich war sehr erstaunt: Innerhalb ganz kurzer Zeit meldeten sich sage und schreibe 1.300 Initiativen. Das hat mir gezeigt, was ich immer schon vermutet hatte: Es gibt in Deutschland viel mehr positives Engagement für die Integration von Zuwanderern, als viele glauben. Das kann uns dankbar und das kann uns ruhig auch ein bißchen stolz machen.

Ich wäre noch ein bisschen froher, wenn dieses Bild von unserem Land in den Köpfen stärker präsent wäre und wenn davon in den Zeitungen mehr die Rede wäre. Deutschland ist kein ausländerfeindliches Land. Daran können auch die schlimmen und immer wieder zu beklagenden Gewalttaten gegen Ausländer nichts ändern.

Das zweite, was mich beeindruckt hat - und ich denke, das werden Sie bei den Projekten, die Sie gefördert haben und heute Abend auch ehren, genauso festgestellt haben: Die einzelnen Projekte sind oft sehr originell, sehr ideenreich und von großem Engagement getragen. Ich habe eine ganze Reihe der Initiativen nach Berlin eingeladen, zu einem großen Fest Es gab ein eindrucksvolles Bild von dieser bunten Vielfalt.

Da gab es sogenannte Straßenkinder aus aller Herren Länder, die sich unter Anleitung freiwillig zu Gruppen zusammenfinden, ob als Breakdancer, als Theaterspieler, als Basketballer, und so lernen, in ihrer Verschiedenheit miteinander zu leben.

Da gab es Vertreter einer bunten Fußball-Liga mit über tausend Jugendlichen.

Da erzählten Deutsche und Zuwanderer, wie sie gemeinsam Kleingärten betreuen und sich dabei über Gartenbaukenntnisse und gemeinsames Kochen kennen lernen.

Da gab es griechische Zuwanderer, die beschlossen haben, den neu hinzu kommenden deutschen Spätaussiedlern zu helfen.

Da gab es das Beispiel eines Polizeipräsidiums, das regelmäßig einen Tag der offenen Tür nur für Zuwanderer veranstaltet, um ihnen die Angst vor Behörden und staatlichen Organen zu nehmen.

Da haben sich vietnamesische Opfer von rechtsextremen Übergriffen bewusst organisiert, um auf andere Migranten und auf die deutsche Bevölkerung zuzugehen. So haben sie in zehn Jahren erfolgreich Möglichkeiten der Begegnung geschaffen und das Klima in ihrer Stadt spürbar verbessert.

Da gab es engagierte Frauen, die türkische Mütter an den Schulen ihrer Kinder zum Deutschunterricht zu bewegen versuchen und sich darum nun seit Jahren kümmern.

Da gab es Studierende, die an ihrer Universität kostenlos Kurse einrichten, um ausländischen Studenten zusätzlichen Unterricht anzubieten.

Ich könnte jede Menge anderer, wunderbarer Beispiele aufzählen. Drei werden wir gleich sehen und von ihnen erfahren. Solche Auszeichnungen, wie Sie sie vornehmen, sind wichtig, denn diese Anerkennung für wertvolle Arbeit kann und muss sich herumsprechen.

Immer steht am Anfang das Engagement von wenigen, manchmal sogar von einem einzelnen. An jedem Beispiel sieht man: Den Ideen und den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Ich bin überzeugt davon, dass jedes solcher Projekte - und es gibt Tausende - sich lohnt: Für die, die direkt daran teilnehmen - aber auch für unsere ganze Gesellschaft.

Die Initiative geht im Übrigen keineswegs nur immer von Einheimischen aus. Das ist gut und ich finde das wichtig. Es kann bei dem großen gesellschaftlichen Projekt "Integration" nicht darum gehen, dass nur die einen etwas für die anderen tun. Zuwanderer sind nicht Objekte sozialer Fürsorge.

Wer für bessere Integration arbeitet, der tut das nicht nur aus Mitmenschlichkeit, sondern er tut es im aufgeklärten Eigeninteresse. Das Zusammenleben gelingt nur, wenn Vielfalt nicht mit Beliebigkeit verwechselt wird und wenn wir uns darüber einig sind, dass eine Gesellschaft keine Addition von Minderheiten ist. Wir brauchen eine gemeinsame Vorstellung davon, wie wir gemeinsam in Deutschland leben wollen. Dazu müssen wir uns verständigen und dazu müssen wir uns begegnen.

Integration gelingt nur, wenn beide aufeinander zu gehen. Integration ist nicht Assimilation und sie bedeutet auch nicht bloß ein schiedlich-friedliches Nebeneinanderleben.

Integration ist die Bindung aller an gemeinsame Werte, die immer wieder erneuert werden muss. Wer dauerhaft in Deutschland leben will, der braucht seine Herkunft nicht zu verleugnen. Er muss aber bereit sein, die Gesellschaft nach dem Leitbild des Grundgesetzes mitzugestalten. Das ist unser Angebot an alle.

Dieses Angebot konkretisiert sich am besten in lokalen Initiativen und Projekten, das konkretisiert sich daran, wenn Menschen nicht bloß nebeneinander wohnen, sondern wirklich Nachbarn werden.

Ich bin davon überzeugt, dass solche Initiativen auch dabei helfen, ein großes Problem noch intensiver anzugehen: Alle, die zu uns kommen, müssen wirklich deutsch lernen. Wenn es die Möglichkeit und das Interesse gibt, wirklich mit Deutschen zusammenzuleben, etwas gemeinsam zu erleben und zu gestalten, dann ist die Motivation dafür ungleich größer, als wenn man den Eindruck hat, die Deutschen sähen es sowieso lieber, man bliebe unter sich. Darum ist mein Appell und meine herzliche Bitte an alle, die zu uns kommen, dass sie von sich aus die Bereitschaft mitbringen, deutsch zu lernen. Umso leichter fällt es dann wiederum den Deutschen, wirklich "nachbarschaftlich" mit ihnen zu leben.

Es mag den einen oder anderen vielleicht ein bisschen wundern, dass die Initiative "Lade deine Nachbarn ein" von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen kommt. Denn die Sache der Arbeitsgemeinschaft ist es ja ursprünglich, das ökumenische Zusammenleben der christlichen Kirchen zu fördern. Aber es ist gut, wenn man sich nicht nur mit den Problemen untereinander beschäftigt, sondern gemeinsam in die gleiche Richtung schaut - dann erlebt man Gemeinsamkeit im Tun, und das kann der Verständigung untereinander sehr helfen.

Vielleicht ist es gerade die Erfahrung der christlichen Kirchen in Deutschland, die sie zu diesem Projekt besonders motiviert. Wir brauchen ja nicht mehr all zu weit zurückzublicken, um die an die teilweise bitteren Konflikte in Städten und Dörfern zu erinnern, die es zwischen "den Katholiken" und "den Evangelischen" gab. Ich habe das in der Kindheit noch erlebt. Wenn unsere katholische Untermieterin am Karfreitag die Treppe putzte, haben wir uns am Fronleichnam mit dem Aufhängen der Wäsche gerächt. Das alles hat es gegeben. Da ist es doch gut, dass wir Schritte weitergegangen sind. Dass wir nicht mehr vom "falschen Gesangbuch" reden, dass wir die harten, die zählebigen Vorurteile zwischen den Konfessionen abbauen, die Klischees und die Abwehrhaltungen. Vieles davon hat tief gesessen und ich kann mich daran gut erinnern. Um so mehr freue ich mich darüber, dass wir Ende Mai den ersten Ökumenischen Kirchentag in Deutschland haben werden.

Die gegenseitige Fremdheit ist überwunden worden - durch gegenseitige Einladung, durch Begegnung und Gespräch. Gewiss haben dazu die Akademiker und die Theologen einen Beitrag geleistet - aber mehr noch das praktische Miteinander der Christinnen und Christen in den Familien, in den Schulen und in den Gemeinden.

Nun kann das nicht einfach ein Modell sein für den sogenannten interkulturellen Dialog. Eine andere Religion ist sicher noch einmal etwas anderes als eine andere Konfession. Da sind die Unterschiede gewiss noch tiefer und da werden die Brücken, die wir bauen, länger sein müssen. Umso besser finde ich es für unser Bewusstsein, dass wir nicht mehr die andere Religion, die andere Glaubensüberzeugung als Alibi dafür hernehmen können, um uns zu bekämpfen oder zu bekriegen. Ich glaube, dass alle, die mit ein bisschen gesundem Menschenverstand begabt sind, inzwischen eingesehen haben, Religionskriege haben keine Legitimation mehr - im großen nicht und im kleinen nicht.

Darum halte ich es für ein ermutigendes Zeichen, dass sich der Zentralrat der Juden und der Zentralrat der Muslime in Deutschland dieser Initiative angeschlossen und tatkräftig mitgemacht haben. Ich möchte Ihnen, Frau Knobloch, und Ihnen, Herr Dr. Elyas, dafür ganz herzlich danken.

Wir wollen religiöse Unterschiede und unterschiedliche Glaubensgewissheiten ganz gewiss nicht kleinreden oder bagatellisieren. Ich glaube aber, dass jede Glaubensüberzeugung am meisten und am besten für ihre eigene Glaubwürdigkeit wirbt, wenn sie mithilft, die Welt ein Stück menschlicher zu machen.

Wir müssen und wir können nicht alle Freunde werden. Aber wir sollten versuchen, gute Nachbarn zu sein, die sich gelegentlich einladen, die miteinander reden, die sich schätzen, die voneinander lernen, die manchmal gerne etwas miteinander unternehmen oder zusammen feiern - die aber auch gelegentlich gerne unter sich sind. Auch das ist gewiss weiter erlaubt.