Redner(in): Angela Merkel
Datum: 23.01.2007

Untertitel: am 23. Januar 2007 in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident, Herr Landrat Duppré,sehr geehrter Herr Prof. Henneke, sehr geehrter Herr Prof. Würth, sehr geehrte Landräte, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/01/2007-01-23-rede-bkin-landkreistag,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich, heute hier zu Ihnen trotz eines gedrängten Terminkalenders sprechen zu können. Der Deutsche Landkreistag blickt bereits auf eine 90-jährige Geschichte zurück. Ich glaube, dass man einerseits sagen kann, dass sich die Rahmenbedingungen in dieser Zeit natürlich dramatisch verändert haben, aber dass das Anliegen des Landkreistages doch immer das gleiche geblieben ist, nämlich Interessen von Kommunen zu bündeln, das heißt also, für ein stabiles Gemeinwesen Sorge zu tragen. Ich glaube, wir stimmen völlig überein, dass wir ein stabiles Gemeinwesen haben. Das klappt und funktioniert nur, wenn es lebendige und vitale Kommunen gibt und diese auch ihre Interessen deutlich artikulieren können.

Das Leben findet vor Ort statt in den Städten und Gemeinden unseres Landes. Dort erleben die Menschen unser Land in Bezug auf die Infrastruktur, in Bezug auf die Möglichkeiten von Kinderbetreuung und in Bezug auf die Möglichkeiten zu arbeiten. Ich will ausdrücklich sagen, dass das, was die Bundesrepublik Deutschland immer ausgezeichnet hat, die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit ist. Dies kann nur durch dezentrale Verantwortungsübernahme gewährleistet werden. Deshalb ist die Bundesregierung zuvorderst dabei, diese Vielfalt zu unterstützen und damit auch Ihre Arbeit im Deutschen Landkreistag.

Dem Bund sind nun durch die föderalen Systeme Grenzen gesetzt. Es gibt die Struktur der Länder. Ich glaube, wir sind uns auch einig ich bedanke mich auch für Ihre Aussage, dass es richtig war, die erste Stufe der Föderalismusreform durchzuführen. Auch wenn ich mir die Endphase der Verhandlungen anschaue, kann man heute mit Fug und Recht sagen: Wahrscheinlich konnte es nur eine große Koalition erreichen, auch wirklich diese Föderalismusreform durchzusetzen. Die anwesenden Bundestagsabgeordneten werden mir das bestätigen. Es waren zum Schluss so viele Interessen noch einmal zusammenzubringen, dass es einer wirklichen Kraftanstrengung bedurfte.

Es wird in Zukunft weniger zustimmungsbedürftige Gesetze geben. Wir erhoffen uns davon eine effizientere und schnellere Gesetzgebung. Wir hoffen auch, dass Verantwortung besser zugeordnet werden kann, das heißt, dass man sagen kann, wo die Verantwortung der Länder liegt und wo es eine Bundesverantwortung gibt, so dass damit auch Beschwerden und Belobigungen klarer an bestimmte Personen ausgerichtet werden können. Es ist ja immer sehr schwierig, wenn man in einer Demokratie überhaupt nicht mehr weiß, wer eigentlich für welche Entscheidung verantwortlich ist.

Sie Herr Duppré hat es eben gesagt profitieren natürlich auch von dieser Reform, weil der Bund nicht mehr direkt den Kommunen Aufgaben übertragen darf. Wir müssen mit dieser Regelung jetzt Erfahrungen sammeln. Bei aller Wertschätzung des Landkreistages möchte ich doch sagen: Ich glaube, der Bundespräsident hat seine Entscheidung aus eigener Überzeugung getroffen. Ich würde darauf viel Wert legen. Das ist auch in Ihrem Interesse. Wir werden jetzt schauen müssen, dass wir nicht wieder in zu große bürokratische Verfahren verfallen. Wenn der Bund den Ländern etwas überträgt und anschließend dann wieder alle Länder den Kommunen etwas übertragen, muss man schauen, dass das immer auch den Gegebenheiten angemessen abläuft.

Wir werden jetzt eine zweite Stufe der Föderalismusreform in Angriff nehmen. Sie haben gestern gemahnt, wenn ich das richtig gelesen habe, dass wir uns beeilen sollten. Ich würde sagen, dass das Datum 8. März, zu dem das losgehen soll, ganz okay ist. Ich habe verstanden, dass Sie mit Ihrer Beteiligung nicht ganz zufrieden sind. Sie werden aber bei den Themen, die Städte und Gemeinden betreffen, auch gehört werden und werden die Möglichkeit zur Teilnahme haben. Natürlich sind die Länder Ihre Freunde. Aber manchmal denken sie auch, sie wissen alles ganz besonders gut. Sie sind heute nicht vertreten. Jetzt wollen wir auch nicht über sie schimpfen. Das ist jedenfalls eine Sache, bei der wir Ihnen von der Bundesregierung aus zusagen können, dass wir Ihre Anliegen schon sehr aufmerksam hören und aufnehmen wollen.

Wir haben in diesem Jahr auf Bundesebene vieles zu tun. Wir haben auch die EU-Ratspräsidentschaft inne. Deshalb lassen Sie mich einmal daran erinnern, dass wir auch die Aufgabe im Rahmen dieser Ratspräsidentschaft haben, den Verfassungsprozess wieder in Gang zu bringen. Viele Menschen im Lande da brauchen wir uns gar keine Illusionen zu machen wissen gar nicht, was genau mit dem EU-Verfassungsvertrag gemeint ist. Deshalb wäre es mir sehr wichtig, dass auch gerade aus Ihren Reihen noch einmal deutlich gemacht wird, dass dieser Verfassungsvertragsentwurf ein Schritt in die richtige Richtung ist, nämlich zu mehr Bürgernähe und einem stärkerem Bekenntnis zur Subsidiarität. Das heißt, dass der Vertrag von Nizza mitnichten in irgendeiner Weise besser ist.

Wir haben in Deutschland den Verfassungsvertrag ratifiziert. Aber ich sage es auch z. B. in Richtung unserer polnischen Gäste. Es gibt dann zum ersten Mal die Anerkennung von regionaler und kommunaler Selbstverwaltung. Es gibt mit dem Ausschuss der Regionen und dem so genannten Subsidiaritätsfrühwarnsystem auch ein eigenes Klagerecht, wo wir Sie dann viel besser hören und aus der nationalen Verantwortung heraus etwas machen können. Das wird manchmal vor lauter Sorge um das Wort verkannt.

Der Verfassungsvertrag ist eine Antwort darauf gewesen, dass wir gemerkt haben, dass die Bürgerinnen und Bürger damit nicht mehr richtig klar kommen, wer für was verantwortlich ist. Der Versuch, hier mehr Ordnung hineinzubringen sicherlich ist das noch nicht in hundertprozentiger Weise gelungen, ist mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung. Deshalb brauchen wir die Regionen in Europa auch bei anderen Themen, wie Sie wissen: Bei Energieversorgung, Klimaschutz und anderen Fragen.

Wir sind in unserer Arbeit sowohl während der europäischen Ratspräsidentschaft, aber auch in der Bundesregierung noch einem anderen Thema sehr verpflichtet, das wir im März beim Frühjahrsrat auf die Tagsordnung des Rates setzen wollen. Das ist das Thema Bürokratie. Ich glaube, das ist auch unser gemeinsames Interesse. Die Europäische Union hat hier fast 50Jahre nach Verabschiedung der Römischen Verträge nach dem Motto "bessere Rechtsetzung", also "better regulation", endlich bekundet, dass auch einmal eine Richtlinie wieder abgeschafft werden kann. Bis jetzt ist in Europa immer nur etwas dazugekommen. Je älter die Europäische Union wird, umso mehr muss sie natürlich einmal darüber nachdenken, ob das, was 1960, 1970, 1980 verabschiedet wurde, nun noch immer so dringend ist. Ich habe den Eindruck, dass die jetzige Kommission und auch das Europäische Parlament bei dieser Frage sehr viel sensibler geworden sind, was wir wirklich für Europa brauchen.

Wir brauchen mit Sicherheit keine Richtlinien, die die Dichte der Sonnenschirme in Biergärten europaeinheitlich regelt. Ich bin dem Europäischen Parlament zu großem Dank verpflichtet, dass sie diese Richtlinie abgelehnt und gesagt hat: Das ist vollkommener Unsinn. Das ruft jetzt eine gewisse Heiterkeit hervor. An dieser Stelle muss ich allerdings Folgendes sagen: Wir machen es uns in Deutschland mit den Richtlinien manchmal auch besonders schwer. Wenn ich meine europäischen Kollegen nach solchen spannenden Themen wie Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutzrichtlinie frage, dann haben sie nur einen Bruchteil von Problemen damit, weil es in Deutschland eine sehr weit verbreitete Eigenschaft ist, dass bestimmte Verbände andere Verbände in Brüssel immer wieder madig machen, um es einmal etwas lax zu sagen, und darauf dann die Kommission aufmerksam wird. Deshalb bitte ich auch Sie, von solchen Bestrebungen abzulassen, falls es einmal im Landkreistag so sein sollte, dass Sie jemand anderem eines überbraten wollen. Es zahlt sich letztlich nicht aus. Wenn uns dann die Kommission die ganzen Geschichten erzählt, welcher Deutsche gegen welchen Deutschen gerade vorgegangen ist, dann stehen wir als Land nicht gut da. Andere Mitgliedsländer machen das manchmal anders. Aber das ist jetzt eine sehr private Sache.

Zu den Bürokratiekosten: Wir wollen sowohl in der Europäischen Union als auch in Deutschland versuchen, den Unternehmen im Bereich der Berichts- und Statistikpflichten Bürokratiekosten zu ersparen. Etwa 25 % sind anvisiert. Ich freue mich, dass im Nationalen Normenkontrollrat mit dem ehemaligen Oberkreisdirektor Herrn Kreibohm und dem früheren Präsidenten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, Herrn Prof. Wittmann, zwei Personen vertreten sind, die wissen, wo den Kommunen der Schuh drückt.

Bürokratie abzubauen, ist kein Selbstzweck. Das wissen wir. Aber unser zentrales Ziel das ist Ihr Ziel, das ist unser Ziel ist natürlich der Abbau der Arbeitslosigkeit und vor allen Dingen auch wieder die Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Es reicht nämlich nicht, wenn wir die Arbeitslosigkeit statistisch bereinigen, sondern wir müssen auch wirklich mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben. Wir sind im Augenblick an einem spannenden Punkt. Es gibt einen wirtschaftlichen Aufschwung. Diesen müssen wir durch weitere Reformen festigen.

Ich möchte an dieser Stelle auch Ihnen allen ein ganz herzliches Dankeschön sagen, denn Sie als Landräte und als Menschen, die vor Ort tätig sind, kennen die Probleme. Sie wissen, wo den Menschen der Schuh drückt. Sie wissen über das Leid und die Not, die aus der Arbeitslosigkeit erwächst, Bescheid. Deshalb sind Sie der Ansprechpartner gerade auch für die, die langzeitarbeitslos sind. Wir müssen es schaffen, dass gerade auch im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit der Sockel wieder sinkt. Deshalb wollen wir alles daran setzen, die Anreize zur Arbeitsaufnahme zu verbessern. Wir wissen natürlich, dass bei HartzIV an einigen Stellen die Anreize sehr kritisch überprüft werden müssen. Gerade was die Zuverdienstmöglichkeiten anbelangt, sind wir uns, so glaube ich, alle einig, dass hier eine ganze Reihe von Problemen auftreten. So wie ich die Berichte von der kommunalen Ebene höre, ist das, was wir an Veränderungen insbesondere für die unter 25-Jährigen vorgenommen haben, auch aus Ihrer Sicht schon ein Schritt in die richtige Richtung.

Herr Duppré , Sie haben auf die Klagen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen. Das müssen wir jetzt abwarten. Sie wissen aber auch auch das gehört zur Realität, dass ich, wenn ich im Nachbarraum den Deutschen Städtetag zu Gast hätte und gleich hinübergehen würde, zumindest bei dem Punkt, den Sie bezüglich der völligen Kommunalisierung der Verantwortung genannt haben, eine gegenteilige, um 180 Grad gewendete Position hören würde. Da wir auch die Menschen in den großen Städten achten, stehen wir da vor einem Problem. Deshalb sage ich: Am schönsten ist es, wenn die Spitzenverbände der Kommunen eine einheitliche Meinung haben. Dann können wir an der Stelle auch wirklich vernünftig zusammenarbeiten. Herr Prof. Henneke, überzeugen Sie also Herrn Articus, und dann kommen Sie wieder zu mir.

Meine Damen und Herren, aber dennoch will ich Ihnen einfach ein ganz herzliches Dankeschön für die Arbeit vieler, vieler Menschen in den ARGEn mitgeben. Man hat sich an vielen Stellen um der Personen Willen, um die es geht, unter zum Teil schwierigen Bedingungen zusammengerauft. Ich darf sagen, dass der Bundesarbeitsminister sich hier viele, viele Beispiele angeschaut hat und schauen will, wie wir die Dinge auch vernünftig zusammenbringen. Ich will allerdings auch sagen: Unterschätzen Sie jetzt nicht, dass die überregionale Arbeitsvermittlung gerade auch für die jüngeren Menschen ein wichtiger Faktor ist. Insofern versucht die Bundesagentur für Arbeit mit Zielvorgaben die Vielfalt zu verbessern. Ich werde Sie jetzt nicht überzeugen können. Ich denke, wir müssen im Lichte der Rechtsprechung sehen, wie wir weiter vorangehen.

Ich glaube, dass wir mit der finanziellen Zusage, die wir gemacht haben, Ihre Interessen eigentlich sehr gut vertreten haben. Sie werden uns nicht loben, aber es hätte wirklich schlimmer kommen können. Ich finde, dass die Bundesregierung die Anliegen der Kommunen und auch die Länder die Anliegen der Kommunen sehr gut vertreten haben. Umso mehr müssen wir doch noch einmal über die 2, 5Milliarden Euro an Entlastung für die Kommunen sprechen. Sie haben unter ganz anderen Bedingungen zugesagt, die Mittel auch für die Kinderbetreuung auszugeben. Auf jeden Fall werden wir weiter darauf beharren. Wir müssen natürlich auch sehen, dass die Länder wirklich das Geld adäquat an die Kommunen weitergeben. Auch das ist ein wichtiger Punkt.

Kommen wir zu einem anderen Thema. Das Thema Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird uns noch eine Weile beschäftigen. Wir müssen hier in einem engen Kontakt bleiben. Ich bin auch immer wieder daran interessiert, dass man die Erfahrungen aus der Praxis sieht. Gerade auch der mittelfristige Vergleich der Optionskommunen mit den ARGEn wird für uns noch einmal von großem Interesse sein. Aber auch da scheint es so zu sein, wie es überall ist: Nicht eine Sache ist generell gut, sondern es gibt überall sehr gute und auch problematische Beispiele. Wichtig ist, dass sie genügend Manövrierraum haben, um für die Menschen das Richtige auf die Reihe zu bringen.

Ein zentrales Instrument der Bund-Länder-Politik und der kommunalen Politik ist die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Ich glaube, dass es richtig war, dass wir uns auf die Fortsetzung der GA verständigt haben. Es war in Rede, dass das beendet wird. Wir haben für 2007 650Millionen Euro vorgesehen. Ich glaube, dass sie auch zufrieden sind, dass es die Investitionszulage für betriebliche Investitionen speziell für die neuen Bundesländer weiterhin gibt. Auch das war ein ganz, ganz wichtiger Punkt.

Die Europäischen Strukturfonds sind weiterhin ein wesentlicher Punkt für die Förderung der Regionen in Deutschland. Wir führen auch in Ihrem Auftrag viele Gespräche, um das alles handhabbar zu halten und adäquat zu machen. In der Europäischen Union ich möchte das während unserer Präsidentschaft auch noch einmal aufnehmen besteht natürlich ein unablässiger Wettstreit in der Frage, was Wettbewerbsverzerrung und was politische Einflussnahme ist. Wenn Sie ordnungspolitisch ganz klar denken, können Sie natürlich sagen: Jede Form von Förderung ist irgendwo eine Wettbewerbsverzerrung.

Meine Damen und Herren, wenn nur noch die Marktkräfte wirken, dann brauchen wir die Politik nicht mehr. Dann wird Ungleiches immer ungleicher und das, was Sie zu Recht genannt haben, nämlich die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, wird unter ganz unterschiedlichen Bedingungen nicht möglich. Wir haben von der Notifizierung verschiedenster Beihilfen bis hin zu den verschiedensten Förderprogrammen einen immerwährenden Diskussionsprozess mit der Europäischen Union. Deshalb wird dieser auch weiterhin fortgesetzt werden müssen.

Ich glaube, dass es ein weiteres Thema gibt, wenn wir über Eingliederungshilfen für behinderte Menschen nachdenken. Sie haben auch noch einmal das Thema Grundsicherung genannt. Das sind Themen, die mit explodierenden oder zumindest sehr stark wachsenden Kosten verbunden sind. Deshalb brauchen wir hier natürlich auch Hilfe für die Menschen. Auf der anderen Seite muss das finanziell machbar sein. Hier stehen uns in der nächsten Zeit weitere Gespräche ins Haus. Wir haben auch das Thema "kommunizierende Röhren" zwischen Pflegeversicherung und Sozialhilfeaufgaben besprochen. Auch hier haben wir noch eine Menge zu tun.

Ich will Ihnen an dieser Stelle aber auch ganz ehrlich sagen: Wenn wir über die Rechtsetzung z. B. im Kinder- und Jugendhilferecht nachdenken, über die Sie, zum Teil auch nachvollziehbarerweise, sagen, dass Sie mit vielen Ansprüchen zu tun haben, die sich aus unbestimmten Rechtsbegriffen ergeben ", dann sehen wir an Beispielen, etwa an dem des kleinen Kevin, die Sie und die wir alle im letzten Jahr mit Schrecken erlebt haben, dass die Kinder- und Jugendhilfe natürlich ein ganz wichtiges Feld ist, weil wir heute nicht mehr davon ausgehen können, dass die Eltern in jedem Falle die erforderliche Erziehungskraft aufbringen. Das ist ein trauriger Befund, aber einer, vor dem der Staat die Augen nicht verschließen darf, denn jedes Kind muss eine Chance bekommen. Wir müssen vor allen Dingen auch die Erziehungskraft der Eltern fördern. Aber der Staat kann sich hierbei natürlich auch nicht immer mehr Aufgaben nehmen. Das ist aus meiner Sicht ein sehr schwieriges Feld.

Hinsichtlich der Integration von Zuwanderern sind wir uns einig, dass Integration die Voraussetzung für Bildungsmöglichkeiten und die Arbeitsaufnahme ist. Deshalb sind Integrationskurse und Migrationsberatung ganz wichtig. Wir wollen mit unserem Integrationsdialog, dem Aufstellen von Integrationsplänen oder auch bestimmten Richtgrößen versuchen, dieses Thema in das öffentliche Bewusstsein zu bringen. Wir kennen die Zuständigkeitsfragen. Es geht nicht darum, dass sich der Bund einmischt. Deswegen machen wir dies auch gemeinsam mit Ländern und Kommunen. Aber wenn wir ehrlich sind, ist das Thema Integration von Zugewanderten natürlich auch lange Zeit oft unter den Tisch gekehrt worden.

Wenn Sie sich einmal die demographische Entwicklung anschauen und sehen, dass heute in Städten wie Augsburg und in Kürze auch in München dabei kann ich andere Städte genauso nennen die Zahl der eingeschulten Migrantenkinder höher ist als die derjenigen Eingeschulten mit einem deutschen Hintergrund, dann wissen Sie, welche Probleme auf uns zukommen. Wenn wir immer mehr Kinder haben, die schon in der ersten Klasse ihren Lehrer nicht verstehen, dann werden wir zum Schluss Kinder haben, die keinen Schulabschluss machen und die keine Ausbildung machen können. Das alles können wir uns angesichts der sinkenden Zahl junger Menschen nicht leisten. Deshalb ist es unser gemeinsames Anliegen, dass wir Versäumnisse der Vergangenheit wieder gutmachen und jedem Kind auch eine Chance geben.

Sie wissen natürlich viel besser als ich, dass das komplizierte Dinge sind, weil die Ausländerbehörden mit den ARGEn, der Arbeitsvermittlung, den Kommunen und den Beratungsdiensten zusammenarbeiten müssen. Das ist ein Geflecht. Ich bin im Übrigen auch sehr dankbar, dass es unglaublich viel ehrenamtliches Engagement in diesem Bereich gibt. Das kann der Staat gar nicht alles schaffen. Aber das ist ein Thema, das uns in den nächsten Jahren beschäftigen wird.

Das Thema Kinderbetreuung haben Sie auch angesprochen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass Kinder recht früh Bildungsangebote bekommen sollten. Hierbei hat sich etwas in der Diskussion geändert. Ich war Anfang der 90er Jahre Jugendministerin. Wenn ich davon gesprochen hätte, dass bereits im Kindergarten Bildungsangebote gemacht werden sollten, dann hätte man mich stirnrunzelnd angeschaut und gedacht man hat es ja nicht ausgesprochen: "Na ja, die kommt aus der DDR; die weiß halt nicht, was richtig ist". Aber inzwischen haben sich diese Dinge doch ein Stück weit verändert. Die frühkindliche Bildung ist einer der Schätze, die wir noch heben müssen, ohne die Kinder quasi zu früh zu verschulen. Deshalb ist der Ausbau der Kinderbetreuung eine wesentliche Aufgabe.

Ich kenne die Fragestellungen, die mit der Finanzierung verbunden sind. Darüber muss gesprochen werden. Aber zu wenige Kinderbetreuungsplätze werden in Zukunft auch ein Problem des Standorts sein. Sie als Landkreise befinden sich in einem Standortwettbewerb. Sie werden in den nächsten zehn oder 20 Jahren in einen Standortwettbewerb um junge Familien kommen; das sage ich voraus. Deshalb wird die Frage der Kinderbetreuung und des Lebensumfelds für junge Familien ein ganz wesentlicher Punkt sein. Sie müssen immer daran denken: Schon in vier, fünf Jahren wird der Run auf die Auszubildenden groß sein, obwohl wir heute noch darüber diskutieren, wie wir alle Auszubildenden unterbringen. Die Probleme werden sich vollkommen verschieben. Deswegen kann ich jedem nur sagen: Wer ein interessanter, attraktiver Lebensraum sein möchte, der mühe sich auch um ein familienfreundliches Klima.

Nun ist heute noch gar nicht über die erfreuliche Tatsache besserer Steuereinnahmen gesprochen worden. Die werden Sie wahrscheinlich in Form von Kreisumlagen auch irgendwie zu nutzen wissen. Das ist aber berechtigt. Ich bin ja dafür, dass die Aufgaben, die die Landkreise bestens durchsetzen, auch wirklich wahrgenommen werden können. Es soll aber bitte niemand sagen, ich hätte zu höheren Kreisumlagen aufgerufen das würde mir morgen zu viel Ärger einbringen; das ist nicht der Fall. Man muss dabei die richtige Balance finden.

Ich glaube, wenn wir über Familienfreundlichkeit sprechen, haben wir mit dem Elterngeld einen interessanten und wichtigen Schritt getan. Wahrscheinlich ist die Begeisterung über die Vätermonate in diesen Kreisen etwas gedämpft. Aber neulich war der schwedische Ministerpräsident bei uns und hat uns von schwedischen Erfahrungen erzählt. Es war ganz lustig, dass er sagte, es habe eine Häufung der Väter, die Elternmonate genommen hätten, während der Fußball-Weltmeisterschaft gegeben. Das ist eigentlich nicht das Ansinnen des Elterngeldes. Aber wir haben mit dem Elterngeld das möchte ich vielleicht noch einmal in Erinnerung rufen etwas ganz Spannendes gemacht. Wir haben nämlich eine Verschiebung durchgeführt von der Frage der Unterstützung aus Gründen der sozialen Bedürftigkeit, wie es vorher war, hin zu einer Kompensation in gewisser Weise für das Nicht-zur-Verfügung-Stehen am Arbeitsmarkt. Das heißt also, auch für diejenigen, die besser verdienend sind, ist das jetzt eine Leistung. Das ist also keine rein soziale Transferleistung, sondern eine Anerkennung des Staates für die Entscheidung für Kinder, die natürlich immer eine höchstpersönliche bleibt. Damit kommt sie allen Frauen zugute, die erwerbstätig sind.

Ich sage Ihnen aber auch voraus: Weil diese Leistung nur ein Jahr bestehen wird, wird der Druck hinsichtlich mehr Betreuungsmöglichkeiten sei es auch hinsichtlich individueller Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren wachsen. Auch das ist die Realität. Dennoch können wir uns nicht damit zufrieden geben, dass sich gerade im akademischen Bereich viele Frauen und Männer gar nicht mehr für Kinder entscheiden. Dieser Entscheidungsdruck zwischen Karriere und Familie, den es in anderen europäischen Ländern so nicht gibt, muss in Deutschland aufgehoben werden. Das ist ein sehr vielschichtiges Problem, aber ich glaube, dass gerade die Kommunen sehr zur Lösung beitragen können.

Ich möchte ein Thema ansprechen, das uns allen Sorge macht. Das ist Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus. Wir haben unser Programm erneuert und auch erweitert. Aber ich bitte Sie einfach auch um ehrliche Rückmeldungen. Wir wissen nämlich, dass nicht jede Programmdurchführung schon ein Erfolg ist. Vor allem braucht man in diesem Bereich Menschen, die einfach auch couragiert und mutig sind. Ich weiß, dass viele Kommunalpolitiker das sind. Anders wird es nicht gehen, denn diejenigen, die sich dem Extremismus verschrieben haben, sind eben Menschen, die auch ein Stück weit testen, wie weit man das mit dieser Gesellschaft machen kann. Ich würde sagen, hier muss es heißen: Null Toleranz gegenüber allen Gewalttätigkeiten, ob von rechts oder von links.

Meine Damen und Herren, wir arbeiten an der Unternehmensteuerreform. Ich glaube, Sie können das vergleichsweise entspannt verfolgen, obwohl Sie gut hinschauen werden. Aber wir haben von der Abschaffung der Gewerbesteuer abgesehen. Ich glaube, dass wir jetzt im Bereich der Unternehmensteuern Lösungen gefunden haben, die sowohl den Kommunen Einnahmen ermöglichen auf die Rekordeinnahmen habe ich ja schon hingewiesen als auch gleichzeitig den deutschen Unternehmen die Möglichkeit geben, wettbewerbsfähig zu agieren. Gerade die Landkreise, die in Grenzregionen liegen, wissen, wovon die Rede ist. Das heißt, wir können nicht zusehen, wie unsere Unternehmen letztendlich in andere europäische Länder ausweichen und die Steuereinnahmen dort ankommen. Deshalb ist eine kurzfristige Belastung zu Beginn einer solchen Unternehmensteuerreform natürlich allemal besser als der dauerhafte Verlust von Steuereinnahmen in Deutschland. Zusammen mit der Erbschaftsteuerreform haben wir, glaube ich, recht gute und interessante Pläne.

Letzter Punkt: Die Sparkassen: Ich glaube, wir haben unseren Beitrag geleistet, um eine Sicherung der Sparkassen zu ermöglichen. Ich bitte nur darum, dass wir uns an dieser Stelle nicht selbst wieder die Ursachen dafür schaffen der Präsident, Herr Haasis, ist hier, und das werden Sie auch in Ihrem Rahmen machen, dass wir am Ende Kämpfe auszutragen haben. Es ist ganz wichtig: Wenn man zum Drei-Säulen-Modell steht, dann darf man sich nicht, wenn es gerade einmal passt, falsche Verbindungslinien suchen. Das wird in Brüssel genau beobachtet, aber vor allen Dingen auch in anderen Ländern.

Meine Damen und Herren, ich habe jetzt einmal einen Durchgang durch die Dinge gemacht, die uns zueinander bringen. Sie sehen: Trotz der Tatsache, dass wir Ihnen keinerlei Aufgabe mehr übertragen dürfen, sind wir nicht auf völlig getrennten Wegen. Das liegt auch in der Natur der Sache, denn Sie machen Politik für die Menschen im Lande und wir machen Politik für die Menschen im Lande. Das wollen wir so machen, dass wir uns nicht dauernd in Kompetenzstreitigkeiten befinden, sondern so, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck vermitteln, dass wir für sie, ihr Leben und dieses schöne Land arbeiten, das lebenswert und Heimat bleiben soll, eine vielfältige Heimat, aber zum Schluss doch immer eine deutsche Heimat. Deshalb herzlichen Dank für Ihre Arbeit, für Ihr Engagement im Deutschen Landkreistag, das nicht selbstverständlich ist, und auf eine weitere gute Zusammenarbeit!