Redner(in): Monika Grütters
Datum: 31. März 2017

Untertitel: Für Kulturstaatsministerin Grütters ist die Ausstellung eine spektakuläre Schau. "Sie macht Paderborn zum Mekka für Kunstliebhaber". Die "wunderbare Ausstellung Wunder Roms" inspiriere aber als gutes Beispiel europaweiter Kulturkooperation auch dazu, sich mit der europäischen Identität auseinanderzusetzen, gerade mit Blick auf das Europäische Kulturerbejahr 2018.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/03/2017-03-31-bkm-wunder-roms.html


Für Kulturstaatsministerin Grütters ist die Ausstellung eine spektakuläre Schau."Sie macht Paderborn zum Mekka für Kunstliebhaber". Die "wunderbare Ausstellung Wunder Roms" inspiriere aber als gutes Beispiel europaweiter Kulturkooperation auch dazu, sich mit der europäischen Identität auseinanderzusetzen, gerade mit Blick auf das Europäische Kulturerbejahr 2018. Den Wundern Roms im italienbegeisterten Deutschland eine Ausstellung zu widmen, ist nicht ganz ohne Risiken und Nebenwirkungen. Wer schon mal an der Kasse der Vatikanischen Museen Schlange gestanden hat, weiß bestimmt, was ich meine: Zweihundert Meter Besucher-Rückstau entlang der Vatikan-Mauer sind nichts Außergewöhnliches.

Mit diesen Aussichten für den Markt- und Domplatz kann man der Stadt Paderborn nur eine gute Portion italienische Gelassenheit wünschen - und sich freuen, wenn man wie wir heute Abend, meine Damen und Herren, die Gelegenheit hat, die "Wunder Roms", die hier bis 13. August zu sehen sein werden, mit weniger Anstehen zu bewundern. Herzlichen Dank für die Einladung, lieber Erzbischof Becker!

Was ist es, was die "Ewige Stadt" zu einer ewig faszinierenden Stadt macht? Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, die viele Jahre in Rom zuhause war, hat es einmal so beschrieben: "Die Faszination: Rom als offene Stadt, keine ihrer Schichten kann als abgeschlossen betrachtet werden, […] sie hat sich nicht in diesem oder jenem Jahrhundert ausschließlich manifestiert. Das Kommen und Gehen und Wiederkommen - die Utopie in Permanenz, das geistige Heimatgefühl, das man hier empfindet, tritt an die Stelle des Gefühls von physischer Heimatlosigkeit, das in der Welt zunimmt." Das geistige Heimatgefühl, das man hier empfindet, hat seit dem Mittelalter zahlreiche katholische Pilger in Rom Quartier beziehen lassen. Und eben dieses Heimatgefühl hat Rom auch zur Pilgerstadt deutscher Dichter und Denker werden lassen. Ja, dieses geistige Heimatgefühl gehört mittlerweile - nicht zuletzt dank der Gedichte, der Texte und der Bilder, in denen deutsche Künstlerinnen und Künstler ihrer Liebe zu Rom ein Denkmal gesetzt haben - fast schon zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands. Die Ausstellung des erzbischöflichen Diözesanmuseums wird allein deshalb gewiss viele Besucherinnen und Besucher nach Paderborn locken.

Sie präsentiert Schätze, die teilweise noch niemals außerhalb Roms zu sehen waren, und entwirft damit ein grandioses Panorama der Rezeptionsgeschichte der Ewigen Stadt und ihrer kulturellen Attraktionen - ein Panorama, das die Wirkmacht der Antike in der abendländischen Kunstentwicklung bis in die Gegenwart eindrucksvoll offenbart. Für die großartige Initiative, all die Kostbarkeiten über die Alpen in den Norden zu holen, bin ich S. E. Kardinal Ravasi und Ihnen, verehrter Herr Erzbischof Becker, sehr dankbar.

Die Ausstellung ist nicht nur eine spektakuläre Schau, die Paderborn mit Schätzen aus Rom zu einem wahren Mekka für Kunstliebhaber macht. Sie ist auch und vor allem ein inspirierender Beitrag zur notwendigen, ja angesichts aktueller politischer Entwicklungen mehr denn je überlebenswichtigen Auseinandersetzung mit unserer Identität als Europäer. Sie offenbart, dass Europa mehr ist als eine florierende Freihandelszone.

Im Brüsseler Alltag verschwindet die gemeinsame Identität leider allzu oft hinter dem Kosten- und Nutzenkalkül der europäischen Partner. Und obwohl die Geburtsstunde der Europäischen Union vor fast auf den Tag genau 60 Jahren ein Ereignis ist, das man angesichts des von Deutschland verursachten Leids und Grauens zweier Weltkriege und der konfliktreichen Geschichte Europas getrost ebenfalls zu den "Wundern Roms" zählen darf, wollte zum Jubiläumstag der Römischen Verträge am vergangenen Wochenende keine rechte Feierlaune aufkommen. Brexit, Euro- und Flüchtlingskrise, wirtschaftliche Ungleichgewichte und unterschiedliche Interessen sorgen für Katerstimmung, und vielerorts werden populistische Rufe nach Mauern und Zäunen, nach Abschottung und Ausgrenzung lauter. Dem wieder aufkeimenden Nationalismus können und sollten wir den Stolz auf die vielfältige, im Austausch mit anderen Kulturen gewachsene europäische Kultur entgegen setzen. Denn ich bin überzeugt: Eine Gemeinschaft, die sich ihrer gemeinsamen Wurzeln und Werte sicher ist und sich ihrer immer wieder neu vergewissert, kann dem Anderen, dem Fremden Raum geben, ohne sich dadurch bedroht zu fühlen.

Und gerade in diesen Zeiten, in denen die europäische Idee an Strahlkraft verliert, kann die Beschäftigung mit dem gemeinsamen kulturellen Erbe Zusammenhalt stiften.

Deshalb werden wir im Europäischen Kulturerbe-Jahr 2018 allen Bürgerinnen und Bürgern - vor allem der jungen Generation - mit einer Vielzahl an Projekten Gelegenheit geben, das gemeinsame europäische Kulturerbe neu zu entdecken."Sharing Heritage" lautet das Motto dieses Kulturerbe-Jahres, das ich vor zehn Tagen gemeinsam mit der Präsidentin des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz offiziell eingeläutet habe. Auch mein Haus beteiligt sich daran und fördert bereits 2017 ausgewählte "Leuchtturm" -Vorhaben mit 3,6 Millionen Euro. Sharing Heritage ": Dazu trägt auch die im wahrsten Sinne des Wortes wunderbare Ausstellung" Wunder Roms "bei. Sie steht exemplarisch für die zahlreichen exzellenten Kulturkooperationen, die Deutschland mit Italien und auch mit den anderen europäischen Partnern verbinden, und sie zeugt einmal mehr vom großartigen Engagement der katholischen Kirche für die Kultur und für die Pflege unseres kulturellen Erbes. Ein herzliches Dankeschön all jenen, die zur gelungenen Präsentation der" Wunder Roms " im Erzbischöflichen Diözesanmuseum beigetragen haben, insbesondere auch den kooperierenden Einrichtungen, die Exponate als Leihgaben zur Verfügung gestellt haben!

Ich wünsche der Ausstellung die verdiente Aufmerksamkeit und viele begeisterte Besucherinnen und Besucher, und ich hoffe, dass sie zu jenem lebendigen, sich seiner selbst bewussten Europa beiträgt, das mittlerweile - dank der Bürgerinitiative "Pulse of Europe" - in mehr als 70 Städten in elf Nationen Flagge für Europa zeigt. Ja, Europas Puls schlägt laut und kräftig, wenn die Herzen der Europäer für Europa schlagen. Und das, meine Damen und Herren, wird letztlich nicht von der Höhe der Agrarsubventionen abhängen, und auch nicht allein von der Ausgestaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Es ist vielmehr unsere gemeinsame Kultur, die Herzen höher schlagen lässt - eine Kultur, zu der die großen humanistischen Traditionen von der Antike bis zur Aufklärung ebenso gehören wie nicht zuletzt auch das Christen- und Judentum, das Europa seine eigene, seine ganz besondere Prägung gab und gibt. Diese Kultur ist nicht das Ergebnis unseres wirtschaftlichen Wohlstandes; sie ist vielmehr dessen Voraussetzung. Sie ist nicht allein und auch nicht primär ein Standortfaktor, sondern sie ist vor allem eines: Sie ist Ausdruck von Humanität. Sie als "geistige Heimat" zu verteidigen - um Ingeborg Bachmanns eingangs zitierte Worte noch einmal aufzugreifen - , ist das Beste, was wir für ein starkes Europa tun können.