Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 06.02.2007

Untertitel: am 06. Februar 2007 in Brüssel
Anrede: Sehr verehrter Herr Präsident Pöttering, sehr verehrte Frau Vizepräsidentin Kastner, Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident Barroso, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/02/2007-02-07-rede-de-maiziere-bruessel-parlamentariatstreffen,layoutVariant=Druckansicht.html


Mit dieser Veranstaltung bringen Sie die hohe politische Bedeutung zum Ausdruck, die das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente der Lissabon-Strategie beimessen.

Dafür ist Ihnen zu danken. Denn ohne die Unterstützung der Parlamente werden sich die grundlegenden Ziele der Lissabon-Strategie - mehr wirtschaftliche Dynamik, Sicherung des sozialen Zusammenhalts und Bewahrung der Schöpfung nicht verwirklichen lassen.

Die Lissabon-Strategie ist lange belächelt, jedenfalls aber nicht ernst genommen worden. Auch das hat zur Glaubwürdigkeitskrise der EU beigetragen.

Inzwischen zeigt sich, dass die Kritiker zu voreilig waren. Auch eine nicht so bewegliche EU kann sich bewegen lassen. Ich finde, dass sich die bisherige Bilanz durchaus sehen lassen kann.

So hat die Europäische Kommission und dieses Kompliment richtet sich insbesondere an Herrn Kommissionspräsidenten Barroso mehr als 75 % des Lissabon-Programms der Gemeinschaft umgesetzt.

Auch auf nationaler Ebene sind Fortschritte zu verzeichnen. Alle Mitgliedstaaten setzen Reformen zur Verbesserung des Unternehmensumfeldes, für mehr Innovationen und Bildung und zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme um. Präsident Barroso hat die Daten genannt.

Die wirtschaftliche Dynamik in Europa müssen wir nutzen. Nicht zum Ausruhen, sondern zum entschlossenen Weiterarbeiten an den eingeleiteten Reformen.

Dies muss im Rahmen der in 2005 unter luxemburgischer Präsidentschaft erneuerten Lissabon-Strategie geschehen, die zu einer stärkeren Verpflichtung der Mitgliedstaaten geführt hat.

Jetzt ist nicht Zeit für Strategiediskussionen, sondern es geht um die konkrete Umsetzung im Interesse der Bürger. Die Bürger erwarten Resultate und wir können wie gezeigt erste Erfolge vorweisen.

Viele der zu lösenden Probleme sind Daueraufgaben, die unsere, aber auch künftige Präsidentschaften beschäftigen werden und die wir gemeinsam mit der Kommission und Ihnen lösen müssen.

Es sind nicht alles Aufgaben, die die Politik alleine lösen kann. So hat Malcolm Harbour bei seinem Vortrag zum Ergebnis der Arbeitsgruppe 2 auf die Forschung hingewiesen. Wenn junge Leute nicht Ingenieur werden wollen, liegt das nicht nur am Geld, sondern auch an der Mentalität.

Gestatten Sie mir, das ich mich heute auf

Prioritäten unserer Präsidentschaft konzentriere: Bessere Rechtsetzung, Energiepolitik, Klimaschutz und transatlantische Partnerschaft.

Überflüssige Bürokratie ist ein zentrales Hindernis für mehr Wachstum in Europa.

Der Abbau von administrativen Lasten setzt insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft Ressourcen frei, die für mehr Innovationen und zur Schaffung von rentablen Arbeitsplätzen verwendet werden können.

Die Europäische Kommission schätzt, dass eine Reduktion der Bürokratielasten für die Unternehmen um 25 Prozent bis 2012 einen mittelfristigen Wachstumsimpuls von 1 ½ Prozent des EU-BIP auslösen könnte.

Die deutsche Präsidentschaft begrüßt diesen ehrgeizigen Vorschlag der Kommission, der das klare Verdienst von Präsident Barroso und Vizepräsident Verheugen ist.

Deregulierung und Bürokratieabbau sind kein Selbstzweck.

Unsere hohen Standards, z. B. im Umwelt- und Gesundheitsschutz, dürfen nicht angetastet werden. Wir wollen aber, dass diese Regulierungsziele mit möglichst geringem administrativen Aufwand für die Bevölkerung und die Unternehmen erreicht werden. Es gibt aber auch übernationale Bereiche, wo Standards geschützt werden, die eigentlich keinen Wert haben.

Wir streben gemeinsam mit der Kommission die Verabschiedung eines ersten Maßnahmepakets möglichst noch unter deutscher Präsidentschaft an.

Es soll zu einer ersten Absenkung der Bürokratielasten in Höhe von 1,3 Mrd. Euro führen. Das wäre ein zwar kleines, aber sehr glaubwürdiges Signal an die Unternehmen und die Bürger. Wir unterstützen auch die Initiative der "low hanging fruits".

Ich möchte die Mitglieder des Europäischen Parlaments an dieser Stelle bitten, gemeinsam mit dem Rat für eine rasche Verabschiedung dieser symbolisch so wichtigen Vorschläge zu sorgen.

Die Diskontinuität ist ein politisches Projekt, das wir nicht unter unserer Ratspräsidentschaft werden vollenden können. Wir werden aber weiter über die Frage diskutieren, also darüber, dass in der Europäischen Union nicht erledigte Gesetzesvorhaben am Ende einer Legislaturperiode des Europäischen Parlaments verfallen bzw. in gesonderten Verfahren zu Beginn der Legislaturperiode entschieden wird, welche Gesetzesvorhaben fortgesetzt werden.

Dies ist in den meisten Mitgliedstaaten gute demokratische Praxis und könnte auch auf EU-Ebene übertragen werden. Wir sind der Meinung, dass dadurch beim Antritt einer neuen Kommission und eines neuen Parlaments dann jeweils ein politischer Neuanfang möglich wäre. Es gibt auch Bestimmungen dazu in der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments. Eine solche demokratische Zäsur würde den Wahlen zum Europäischen Parlament noch größere Bedeutung verleihen.

Energiepolitik. Ich muss über die Bedeutung dieses Themas in diesem Kreis nichts sagen.

Während unserer Präsidentschaft wollen wir mit Russland, unserem wichtigsten Energielieferanten, über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen verhandeln. Klar formulierte Grundsätze sollen dazu beitragen, unsere Versorgung langfristig zu sichern.

Wir wollen im Rahmen der EU auch den Dialog mit den Transit- und Verbraucherländern weiter ausbauen. Bei Letzteren denke ich besonders an die Vereinigten Staaten.

Ich glaube, wir können unseren gemeinsamen Einfluss nutzen, um auch bei unseren Partnern in den USA auf einen nachhaltigeren Umgang mit Energie zu drängen. Es gibt viele Bereiche, wie etwa Energieeffizienz oder erneuerbare Energien, wo beide Seiten von einer verstärkten Zusammenarbeit profitieren. Diese Überzeugung ist auch auf Seiten der USA gewachsen. Wir sollten diese Chance nutzen.

Allein durch Maßnahmen für mehr Energieeffizienz lässt sich in Deutschland der Energieverbrauch bis 2020 gegenüber 2005 um mehr als 20 Prozent senken. Stellen Sie sich einmal vor, was da europaweit noch möglich ist.

Ich denke, hier ergeben sich auch äußerst attraktive Möglichkeiten für die Industrie. Intelligente Technologien, die Energie und damit Geld - sparen, helfen uns nicht nur zu Hause effizienter zu produzieren. Vor allem entstehen Exportmöglichkeiten, denn auch andere Länder werden sich dafür interessieren. Das ist dann eine geglückte Verbindung von Umweltschutz und Energiepolitik.

Auf dem Europäischen Rat im März wollen wir mit der Verabschiedung eines "Energieaktionsplans für Europa" dazu einen aktiven Beitrag leisten.

Meine Damen und Herren,

eng verwoben mit der Energiepolitik ist der Klimaschutz. Der gemeinschaftliche Beitrag, den wir leisten können, ist größer als die Summe nationaler Anstrengungen.

Das liegt daran, dass wir innerhalb der EU Instrumente entwickelt haben, um das Problem der globalen Erwärmung koordiniert anzugehen. Mit dem Emissionshandel haben wir ein modernes und effektives Instrument zum Schutz des Klimas eingeführt, das auch den Ansprüchen der Wirtschaft gerecht wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir als Nationalstaat die letzten Streitpunkte mit der EU ausräumen.

Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir globale Anknüpfungspunkte finden. Deswegen wurde der EU-Emissionshandel mit den flexiblen Instrumenten des Kyoto-Protokolls verbunden.

Das Sprechen mit einer Stimme verstärkt unsere Position in multilateralen Klimaschutzverhandlungen. Dafür wollen wir auf dem anstehenden Frühjahrsgipfel auch den Klimaschutz zum Thema machen und eine Verhandlungsposition für ein multilaterales Klimaregime nach 2012 festlegen.

Wir unterstützen den Vorschlag der Kommission, die Treibhausgasemissionen der EU bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Unter Einbindung der anderen großen Emittenten wäre für uns ein Abbau-Ziel von 30 Prozent akzeptabel. 20 plus 10 oder 30 minus10 ist dann mehr eine Frage der Kommunikation.

Auch im Kreise der G 8 wird uns diese Frage beschäftigen. Als Vorsitz streben wir auf dem G 8 Gipfel in Heiligendamm Impulse für ein weltweites Klimaschutzabkommen für die Zeit nach Auslaufen des Kyoto-Protokolls an.

Wie beim Thema Energie, hängt hier viel von der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten ab. Ich denke, die letzte Rede zur Lage der Nation von Präsident Bush hat gezeigt, dass auch auf amerikanischer Seite das Interesse an Fragen des Klimaschutzes wächst.

Wir teilen mit den USA viele gemeinsame Werte und Interessen. Die Vereinigten Staaten sind auch jenseits der Außen- und Sicherheitspolitik auch der wichtigste Handelspartner für die EU. EU und USA sind füreinander der jeweils wichtigste Investitionspartner.

Gleichzeitig verursachen unterschiedliche Regulierungsansätze auf beiden Seiten des Atlantiks unnötige Kosten. Im Interesse europäischer und amerikanischer Unternehmen, wollen wir deswegen unter deutscher Ratspräsidentschaft Felder für eine verstärkte Zusammenarbeit ausloten.

Ich denke an technische Standards in ausgewählten Industriebranchen wie etwa Automobile oder Chemie, Patentrechtsharmonisierungen, den Kampf gegen Produktpiraterie und den Bereich der Finanzmarktaufsicht. Dieses Thema wird uns auch im G8 -Prozess beschäftigen. Ich hoffe, dass wir auf dem EU-USA Gipfel am 30. April in dieser Hinsicht Fortschritte machen.

Meine Damen und Herren,

Sie sehen: Wir haben Einiges vor. Wir alle brauchen den Erfolg. Wir haben uns ein Motto gesetzt: Europa gelingt gemeinsam. Damit die Menschen sehen, dass es ihnen durch Europa besser geht. Nur dann wird die weitere europäische Integration im politischen Bereich ich denke hier an die Fortführung der Verfassungsdebatte eine Chance haben.

Ohne konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Rat und dem EP sowie zwischen den Regierungen und den nationalen Parlamenten werden wir unsere gemeinsamen Ziele nicht erreichen.

Herzlichen Dank.