Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 05.05.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/75/8575/multi.htm


Sehr geehrte Frau Präsidentin Sandstedt,

meine sehr verehrten Unternehmerinnen!

Vielen Dank für die Einladung zu Ihrer Jahresversammlung nach Bremen, der ich gerne gefolgt bin.

Mich beeindrucken die Risikobereitschaft und die Durchsetzungskraft, mit der Frauen wie Sie sich unternehmerisch betätigen.

Denn das unternehmerische Engagement von Frauen ist auch heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, noch alles andere als selbstverständlich.

Trotz aller Fortschritte ist die Gründung und Leitung eines Unternehmens eben nach wie vor Domäne der Männer.

Dies zeigen schon die Zahlen: Nur jede vierte Selbstständige ist weiblich. Auch bei den Existenzneugründungen sind Frauen mit einem Anteil von 30 Prozent deutlich unterrepräsentiert.

Aber: Es sind heute in Deutschland mehr Frauen als je zuvor Unternehmerinnen. Noch nie gab es so viele weibliche Führungskräfte wie am Anfang dieses Jahrtausends.

Dies gilt auch und gerade im Dienstleistungsbereich.

Der Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft begünstigt ganz eindeutig die Teilhabe und die Gestaltungsmöglichkeiten von Frauen im Wirtschaftsleben.

So fanden in den 90er Jahren knapp eine halbe Million Frauen zusätzlich Arbeit.

Allerdings: Nach wie vor ist weibliche Beschäftigung konzentriert auf sogenannte typische Frauenberufe mit relativ geringem Einkommen und eingeschränkten Karriereperspektiven. Dies gilt es zu ändern.

Meine sehr verehrten Damen,

schon der Titel Ihrer Jahresversammlung ist wegweisend: "Die Dienstleistungsgesellschaft - Herausforderung für Wirtschaft und Politik".

Eine wichtige Aufgabe der Politik ist es, die Beschäftigungschancen gerade in diesem Zukunftsbereich der Dienstleistungsgesellschaft zu verbessern.

International vergleichende Untersuchungen weisen darauf hin, dass im Dienstleistungssektor bei uns Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze entstehen könnten.

Die Bundesregierung wird alles daran setzen, diese Beschäftigungs-Potenziale besser als bisher auszuschöpfen.

Dabei denke ich vor allem an die Informations- und Kommunikations-Wirtschaft.

Nur Volkswirtschaften, die bei Information und Kommunikation Spitzenleistungen erbringen, werden die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen können.

Deutschland hat dabei eine gute Ausgangsposition. Es gibt wohl kaum ein Land der Welt, das über eine so ausgezeichnete Infrastruktur für Informations- und Kommunikations-Technologien verfügt.

Allerdings müssen wir selbstkritisch feststellen, dass wir bei der Nutzung der neuen Kommunikationstechnologien und bei der Gründung innovativer IT-Unternehmen noch aufholen müssen. Deshalb hat die Bundesregierung ein ehrgeiziges Aktionsprogramm "Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts" mit weit über 100 Einzelmaßnahmen auf den Weg gebracht.

Zwei Faktoren sind dabei vorrangig:

Erstens müssen wir den mittelständischen und kleineren Unternehmen, den Existenzgründern - und hier denke ich ganz besonders an die Frauen - die Einsatzmöglichkeiten und die großen Vorteile der neuen Medien deutlich machen.

Zweitens müssen wir Teilhabemöglichkeiten schaffen. Wir müssen Wege aufzeigen, die jeder und jedem einzelnen den Zugang zu den neuen Techniken ermöglichen. Damit alle die damit verbundenen Chancen nutzen können.

Deshalb setze ich mich so vehement dafür ein, dass bis zum Jahr 2001 alle Schulen Zugang zum Internet bekommen.

Dabei haben wir bereits die Unterstützung verschiedener Telekommunikationsunternehmen gewinnen können - eine beispielhafte Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft.

Ebenso wichtig ist mir, den Anteil von Frauen in den IT-Berufen und Informationsstudiengängen signifikant zu erhöhen. Unsere Ziele sind ehrgeizig. Um sie zu erreichen, müssen wir alle Kräfte bündeln.

Meine sehr verehrten Damen,

es ist vordringlich, den derzeit bestehenden Fachkräftemangel in den IT-Berufen zu überwinden.

Dabei ist es natürlich die Hauptaufgabe von Schulen, Hochschulen und ausbildender Wirtschaft, den Nachwuchs im eigenen Lande zu qualifizieren.

Deshalb haben wir nach dem Regierungswechsel zügig eine Bildungsoffensive in den allgemeinbildenden Schulen, den Berufsschulen und den Hochschulen gestartet.

Im Bündnis für Arbeit ist es uns gelungen, die Zahl der Ausbildungsplätze innerhalb von zwei Jahren zu verdreifachen.

Unser ehrgeiziges Ziel, bis zum Jahr 2002 in den IT-Berufen 40.000 Ausbildungsplätze zu mobilisieren, werden wir bereits Ende dieses Jahres erreicht haben.

Aber die Versäumnisse der Vergangenheit lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen beheben.

Aktuell fehlt es an mehreren zehntausend Fachkräften.

Um diese Lücke zu schließen, haben wir in der Initiative D 21 ein Sofortprogramm beschlossen.

Wir haben uns darauf verständigt, 20.000 Computerspezialisten von außerhalb der Europäischen Union befristet nach Deutschland zu holen. In der Öffentlichkeit hat diese Maßnahme unter dem Stichwort s » sGreen Cards « s für besondere Aufmerksamkeit gesorgt.

Dabei wird übersehen, dass Wirtschaft und Staat gleichzeitig ihre eigenen Ausbildungsanstrengungen im IT-Bereich erheblich erhöhen: Die Unternehmen werden, über die bereits beschlossenen 40.000 hinaus, noch einmal 20.000 zusätzliche Ausbildungsplätze bis zum Jahr 2003 schaffen. Die Bundesanstalt für Arbeit stellt 1,2 Milliarden DM für zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung.

Mit diesem Sofortprogramm regieren wir auf die Entwicklung in der IT-Branche, die längst zu einer Schlüsselbrance geworden ist.

Jährlich entstehen in der Informationswirtschaft weltweit etwa 600.000 Arbeitsplätze. In Deutschland sind in diesem Bereich derzeit mehr als 1,7 Millionen Menschen beschäftigt.

Allein in den Bereichen Software und Dienstleistungen sind von 1998 bis 1999 in Deutschland 11 Prozent mehr Arbeitsplätze entstanden. Keine andere Branche weist so hohe Steigerungsraten bei der Beschäftigung auf.

Doch dieses Wachstum stößt inzwischen an seine Grenzen, weil qualifizierte Spitzenfachkräfte fehlen. Die Vorgängerregierung hat diese Entwicklung verschlafen. Wir dagegen wollen die enormen Potentiale der IT-Branche nutzen und in Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung umsetzen.

Das wird uns aber nur gelingen, wenn wir den kurzfristigen Bedarf an IT-Spitzenkräften sofort und soweit nötig mit ausländischen Spezialisten decken und gleichzeitig alles dafür tun, damit mittel- und langfristig der Fachkräftebedarf aus eigener Kraft gedeckt werden kann.

Darum werden wir in Absprache mit der Wirtschaft befristete Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse für IT-Spezialisten einführen.

Nur so können wir verhindern, dass bei uns die nicht besetzbaren Arbeitsplätze verlorengehen und ins Ausland verlagert werden.

Eines möchte ich denn auch besonders unterstreichen.

Bei der Einführung der sogenannten Green-Card geht es der Bundesregierung um die Sicherung und um die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Deutschland.

Denn durch jede Spitzenfachkraft werden bei uns fünf bis sechs zusätzliche Arbeitsplätze im High-Tech-Bereich entstehen.

Meine sehr verehrten Damen,

die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen Deutschlands im internationalen Wettbewerb sind so günstig wie lange nicht mehr. Die gesamte deutsche Wirtschaft befindet sich im Aufschwung.

Die weltwirtschaftlichen Turbulenzen sind überwunden. Die Exporte nehmen weiter kräftig zu. Und - was noch wichtiger ist - auch die Inlandsnachfrage erholt sich nach jahrelanger Schwäche.

Es bestehen sehr gute Aussichten, dass das tatsächliche Wachstum in diesem Jahr unsere Prognose von 2,5 Prozent noch übertreffen wird.

Die Forschungs-Institute erwarten für dieses Jahr ein reales Wachstum von 2,8 Prozent, Experten der Deutschen Bank haben sogar 3 Prozent prognostiziert.

Mit der günstigen Wachstumsentwicklung rücken wir unserem wichtigsten Ziel näher, nämlich dem schrittweisen Abbau der Massenarbeitslosigkeit.

Die Arbeitslosigkeit wird im Durchschnitt dieses Jahres nach allen Prognosen um mehr als 200.000 Personen zurückgehen und damit erstmals seit 1996 wieder unter die 4 Millionen-Grenze sinken.

Ich rechne damit, dass wir die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ende der Legislaturperiode auf unter 3,5 Millionen drücken werden. Jetzt kommt es darauf an, die Konjunkturbelebung in einen dauerhaften Wachtumsprozess überzuleiten.

Die Maßnahmen, die wir dazu ergriffen haben, bilden einen Dreiklang, nämlich: Haushaltskonsolidierung, Steuersenkungen, Sozialer Dialog.

Den Grundstein haben wir mit der Konsolidierung des Bundeshaushalts gelegt.

Sparen ist die Voraussetzung dafür, dass der Staat handlungsfähig bleibt. Erst dadurch gewinnen wir Spielräume für Zukunftsinvestitionen, zum Beispiel in den Bereichen Bildung und Forschung, sowie für den zukunftsfähigen Umbau der Systeme der sozialen Sicherung.

Meine sehr verehrten Damen,

Eckpunkte unserer steuerpolitischen Konzeption bis zum Jahr 2005 sind die schrittweise Senkung des Eingangsteuersatzes von derzeit 22,9 Prozent auf 15 Prozent, die Anhebung des Grundfreibetrags von derzeit 13.500 DM auf 15.000 DM, und die Senkung des Spitzensteuersatzes von derzeit 51 Prozent auf 45 Prozent.

Davon profitiert in besonderer Weise auch die mittelständische Wirtschaft.

Und zwar - entgegen einem verbreiteten Vorurteil - in der Mehrheit nicht etwa, weil der Spitzensteuersatz gesenkt wird. Sondern weil wir den Eingangssteuersatz herabsetzen und den Grundfreibetrag erhöhen.

Tatsache ist doch: 78 Prozent der Steuerpflichtigen mit überwiegend gewerblichen Einkünften erzielen ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von weniger als 100.000 DM.

Diese Unternehmen werden kräftig entlastet:

Bei einem zu versteuernden Jahresgewinn von 100.000 DM zahlt eine verheiratete Unternehmerin ab 2005 durchschnittlich nur noch 19,1 Prozent Steuern statt 25,3 Prozent in 1998. Die zukünftige durchschnittliche Gesamtbelastung einer Kapitalgesellschaft von rund 38 Prozent wird eine verheiratete Personen-Unternehmerin erst bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 400.000 DM erreichen.

Dieses Einkommens-Niveau überschreitet lediglich eine Minderheit des Mittelstands. Und auch diese Betriebe lassen wir nicht im Stich.

Ich nenne vor allem die Maßnahme, neben der bereits bestehenden Möglichkeit des Abzugs der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe künftig zusätzlich pauschaliert die Gewerbesteuer mit der Einkommensteuerschuld verrechnen zu können.

Es ist und bleibt so: Die Mittelständler - und nicht die Großbetriebe - sind die hauptsächlichen Nutznießer der Steuerreform.

Der Mittelstand wird im Zeitraum von 1999 bis 2005 netto um rund 20 Milliarden DM entlastet.

Meine sehr verehrten Damen,

neben der Haushalts-Konsolidierung und der Steuerreform gibt es ein drittes Element unserer Wirtschaftspolitik, auf das ich hinweisen will.

Es ist und bleibt die Verantwortung der Tarifparteien, das, was wir mit der Konsolidierungs-Politik und der Steuerpolitik auf den Weg gebracht haben, in ihren tarifpolitischen Entscheidungen zu begleiten.

Im Bündnis für Arbeit sind die Tarifpartner darin übereingekommen, zunächst gemeinsam den gesamtgesellschaftlichen Verteilungsspielraum festzulegen und daran eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik auszurichten.

In der Tarifrunde 2000 sind Arbeitgeber und Gewerkschaften mit maßvollen Abschlüssen dieser Verantwortung gerecht geworden.

Meine sehr verehrten Damen,

wir sind auf einem guten Weg. Deutschland meldet sich zurück in der Spitzengruppe der Weltwirtschaft.

Um im internationalen Wettbewerb weiter erfolgreich zu bestehen, ist die Chancengleichheit und die Beteiligung aller am ökonomischen Prozess unabdingbare Voraussetzung. Das gilt in ganz besonderer Weise für die Beteiligung von Frauen.

Die Verwirklichung der Chancengleichheit ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, ein Auftrag der Verfassung, sondern zugleich ein Gebot ökonomischer Vernunft.

Die Voraussetzungen, Chancengleichheit zu verwirklichen, waren noch nie so gut wie heute.

Erstens ist das Qualifikationsniveau von Frauen kontinuierlich gestiegen und liegt inzwischen in vielen Bereichen über dem von Männern. So stellen heute Frauen die Mehrzahl der Abiturienten und Erstsemester in den Universitäten.

Zweitens bietet gerade eine wachsende Wirtschaft ausgezeichnete Chancen, um Teilhabe und Gestaltungsmöglichkeiten von Frauen im Wirtschaftsleben zu stärken.

Täglich werden neue Unternehmen gegründet, täglich entstehen neue, zusätzliche Arbeitsplätze. Hinzu kommt: infolge des anstehenden Generationswechsels werden in den nächsten Jahren Hunderttausende von Positionen neu besetzt.

Um diese Chancen für den Prozess der Gleichstellung von Frauen zu nutzen, setzen wir mit dem Programm "Frau und Beruf" viele Hebel gleichzeitig in Bewegung.

Ein wichtiges Aktionsfeld habe ich bereits genannt: die Verbesserung der beruflichen Chancen von Frauen in Zukunftsberufen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung des unternehmerischen Engagements von Frauen.

Wir haben uns viel vorgenommen:

Bis zum Jahr 2005 wollen wir den Frauenanteil an Unternehmensgründungen deutlich erhöhen.

Darüber hinaus haben wir ein neues Darlehensprogramm für kleine Gründungsvorhaben konzipiert. Es heißt: "Startgeld".

Dieses Programm wird vor allen Dingen von Frauen sehr gut angenommen: Während bei anderen Förderprogrammen nur knapp 25 Prozent der Fördermittel an Frauen fließen, sind es hier 37 Prozent! Ebenso wichtig ist es, Frauen durch gezielte Information und kompetente Beratung bei Unternehmensgründungen und -übernahmen zu unterstützen.

Ein guter Ansatzpunkt zur Stärkung des unternehmerischen Engagements von Frauen ist der anstehende Generationswechsel in den Unternehmen.

In den nächsten zehn Jahren suchen rund 700.000 Mittelständler, darunter 200.000 Handwerksmeister, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger.

Wir wollen Frauen ermutigen, hier einzusteigen und die Chancen zu nutzen.

Daher beteiligen wir uns - auch finanziell - an der Gemeinschafts-Initiative CHANCE / CHANGE - einer bundesweiten Internetbörse zur Förderung des Generationenwechsel in Unternehmen.

Diese Beispiele zeigen: Wir haben uns einer modernen Politik verpflichtet, in der die Anliegen von Frauen keine Sonderaufgabe mehr sind, sondern als selbstverständliche Querschnittsaufgabe wahrgenommen werden.

Ich möchte den Verband der deutschen Unternehmerinnen einladen und ermutigen, sich auch in Zukunft so aktiv und engagiert an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen unserer Gesellschaft zu beteiligen.

Ihnen allen wünsche ich weiterhin viel Glück und unternehmerischen Erfolg!