Redner(in): Angela Merkel
Datum: 28.03.2007
Untertitel: Bundeskanzlerin Angela Merkelwiesvor dem Europäischen Parlamentin Brüssel auf die Bedeutung des Abschlusses der "Berliner Erklärung" hin. Dahinter stehe das Versprechen, sich gemeinsam für die Zukunft dieses Europas einzusetzen.
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Kommissionspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/03/2007-03-28-rede-merkel-bruessel,layoutVariant=Druckansicht.html
ich bin heute gerne wieder in das Europäische Parlament gekommen, dieses Mal nach Brüssel.
Wir haben so etwas wie eine Halbzeit in der deutschen Präsidentschaft. Ich glaube, dass wir nach dem vergangenen Wochenende sagen können, dass wir zwei wichtige Aufgaben, die in diesem Halbjahr vor uns allen liegen, ein Stück weit bewältigt haben.
Das gilt zum Ersten für das Thema Energie- und Klimapolitik. Darüber hat der deutsche Außenminister, Herr Steinmeier, Ihnen im Europäischen Parlament bereits berichtet. Ich möchte an dieser Stelle nur noch einmal hervorheben, dass es im wichtigen Bereich der Energie- und Klimapolitik dem Rat gelungen ist, auf der Basis der Vorschläge der Kommission wesentliche Schlussfolgerungen zu ziehen und damit in diesem Bereich die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union auch darzustellen.
Das ist deshalb so wichtig, weil wir natürlich wissen, dass Europa nur eine Vorreiterrolle in diesem Feld einnehmen kann, wenn es auch selber in der Lage ist, sich ehrgeizige Ziele zu setzen. Das, was die ehrgeizigen Ziele nun ausmacht, bedarf natürlich der weiteren Arbeit. Das wissen wir. Aber das ist ja normal in der politischen Realität: Man nimmt einen Schritt in Angriff und wenn er erfolgreich ist, tut sich eine Tür zu weiteren Schritten auf.
Der Geist, in dem wir es geschafft haben, eine Verbesserung von 20 % Energieeffizienz bis zum Jahre 2020 und bindende Ziele über erneuerbare Energien mit einem Anteil von 20 % zu vereinbaren, sollte uns auch in die Lage versetzen, sowohl in den internationalen Verhandlungen, die anstehen, gemeinsam aufzutreten als auch die nun notwendige Aufgabe zu bewältigen, nämlich das Herunterbrechen dieser Ziele auf die einzelnen Anteile der Nationalstaaten zu erreichen. Deshalb bitte ich an dieser Stelle um Unterstützung des Parlaments. Wir haben in diesem Bereich schon viel Unterstützung erfahren. Derart angefeuert werden wir als Rat die notwendigen Schlussfolgerungen sicherlich ziehen können.
Meine Damen und Herren, wir wollen als einen zweiten wichtigen Schritt das vergangene Wochenende ins Auge fassen. Die "Berliner Erklärung" hat zum Ausdruck gebracht, welche Erfolgsgeschichte die Europäische Union einerseits ist und vor welchen großen Aufgaben wir aber auf der anderen Seite noch stehen.
Ich möchte zuerst dem Präsidenten des Parlaments, Hans-Gert Pöttering, aber auch allen Präsidenten der Fraktionen im Europäischen Parlament ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Es ist gelungen, wirklich eine gemeinsame "Berliner Erklärung" von Parlament, Kommission und den Ratsmitgliedern unterzeichnen zu lassen. Ich glaube, dieses Gesamtgefühl, dass auf der Basis unserer Kooperation eine solche "Berliner Erklärung" möglich war, ist schon ein Wert an sich, weil dahinter das Versprechen aller in Europa Beteiligten steht, sich gemeinsam für die Zukunft dieses Europas einzusetzen.
Wenn wir uns die "Berliner Erklärung" anschauen, dann ist ein ganz wichtiger Teil in ihr die Definition unserer gemeinsamen Werte. Es wird auch sehr ambitioniert gesagt, dass wir ein gemeinsames europäisches Gesellschaftsideal haben und dass wir uns für dieses Gesellschaftsideal auch gemeinsam einsetzen wollen. Dieses Gesellschaftsideal besteht aus der Basis von Werten, die uns wichtig sind: Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit.
Wir werden jeden Tag immer wieder gefragt: Wie setzt ihr das konkret um? Deshalb hat es mich eben sehr berührt, dass die heutige Sitzung des Europäischen Parlaments mit einer klaren Aussage der Parlamentarier und des Parlaments zu dem begonnen hat, was in Simbabwe vorgeht. Ich habe in meiner Rede am Sonntag in Berlin deutlich gemacht, dass uns auch das Schicksal der Menschen in Darfur nicht kalt lassen darf; das darf es nicht, darum müssen wir hier agieren. Wir werden seitens der Ratspräsidentschaft alles daransetzen, auch härtere Resolutionen im UN-Sicherheitsrat einzubringen, um hier endlich einen Fortschritt zu erreichen. Aber ich glaube, wir müssen als Europäische Union auch überlegen, wenn das im UN-Sicherheitsrat nicht möglich ist, ob wir über Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Union nachdenken, denn dieses Thema darf uns nicht egal sein. Es ist uns ja nicht egal, aber wir müssen auch handeln.
Ich habe am Sonntag auch deutlich gemacht? ich denke, das ist auch unser gemeinsames Anliegen? , dass uns bewusst ist, dass der 25. März der Tag der Unabhängigkeit von Weißrussland ist und dass wir auch unseren Freunden in Weißrussland zurufen: Auch Sie haben ein Recht auf die Verwirklichung der europäischen Ideale, wir werden Sie auf diesem Weg auch ganz bewusst unterstützen.
Ich möchte diesen Nachmittag im Europäischen Parlament auch dafür nutzen, um zu sagen: Wir werden als Europäische Union sehr deutlich machen, dass es völlig inakzeptabel ist, wenn 15 britische Soldaten gefangengenommen und im Iran festgehalten werden. Auch hier haben die Briten unsere absolute Solidarität.
Dies macht auch deutlich, dass unsere Stärke in einem gemeinsamen Auftreten liegt. Es gibt viele, viele Dinge, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn wir uns als Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in schwierigen Phasen füreinander verantwortlich fühlen sollen, dann müssen wir uns auch in möglichst vielen Fragen gemeinsam abstimmen. Integration, Gemeinsamkeit in schwierigen Situationen und Solidarität kann man nur einfordern, wenn sich auch jeder ein Stück weit um die Anliegen des anderen kümmert. Dies sollte unser Leitmotiv bei allen anstehenden schwierigen politischen Entscheidungen sein.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in der "Berliner Erklärung" der Zukunft zugewandt und gesagt: Wir wollen zwei Dinge schaffen. Das eine ist, uns bis 2009 eine "erneuerte gemeinsame Grundlage" zu geben, wie wir es in der "Berliner Erklärung" ausgedrückt haben.
Ich möchte an dieser Stelle, obwohl ich weiß, dass die große Mehrheit des Europäischen Parlaments dies massiv unterstützt? und für diese Unterstützung möchte ich Ihnen auch danken? , noch einmal deutlich machen: Ein Wahlkampf für das Europäische Parlament im Jahre 2009, bei dem wir den Menschen nicht sagen können, dass wir die Europäische Union erweitern können, wie viele Mitglieder denn nun die zukünftige Europäische Kommission hat, dass Energiepolitik in die europäischen Zuständigkeiten gehört, was ein Ausdruck gemeinsamer Energiepolitik ist, dass wir in Fragen der inneren Sicherheit und Rechtspolitik auf der Grundlage von Mehrheitsentscheidungen so zusammenarbeiten, wie es die Erfordernisse gebieten,
würde ein Wahlkampf sein, der die Distanz zwischen den Institutionen und den Bürgerinnen und Bürgern Europas nur vergrößern wird.
Deshalb kommt es auf die Fähigkeit von uns allen an, dass wir gemeinsam eine Lösung finden. Die Deutschen haben den Auftrag bekommen, hierfür einen Fahrplan vorzulegen. Wir werden nicht die Lösung des Problems schaffen? ich will das hier ganz deutlich sagen? , aber dieser Fahrplan muss die Richtung deutlich machen. Wir werden mit allem Elan daran arbeiten. Aber ich bitte auch Sie, das Parlament, uns weiter auf diesem Weg zu unterstützen. Wir können dringend alle Unterstützung brauchen, meine Damen und Herren.
Nachdem wir über die zukünftigen Aufgaben der Europäischen Union in der "Berliner Erklärung" gemeinsam Auskunft gegeben haben, liegen nun auf dem Weg zwischen heute und dem Juni-Rat noch einige Aufgaben vor uns, auf die ich auch kurz eingehen möchte.
Vorher möchte ich allerdings würdigen, dass es in einigen Fragen bereits auf der Grundlage einer großen Kompromissbereitschaft aller Mitgliedsstaaten einige Erfolge gab. Ich glaube, es ist gerade mit Blick auf die Bürgerinnen und Bürger gut, dass wir in praktischen Fragen des Alltags Fortschritte erzielen konnten. Es ist gut, dass Sie jetzt über "Roaming" -Gebühren im Parlament beraten können, dass der Zahlungsverkehr zwischen den europäischen Ländern einfacher wird, dass es gelungen ist, unter den Maßgaben des Europäischen Parlaments die Mittel für die Landwirtschaft freizubekommen und dass wir einen Fortschritt beim "Open-Sky" -Abkommen, wie es etwas verkürzt genannt wird, d. h. einen verbesserten Flugverkehr zwischen Europa und Amerika erreicht haben.
Das sind praktische Punkte, an denen die Menschen uns natürlich messen und sagen: Darum müsst ihr euch kümmern. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir in diesen Fragen Fortschritte erzielen konnten. Ich hoffe, dass einige praktische Fortschritte bis zum Ende unserer Präsidentschaft noch dazukommen werden.
Vor uns liegen jetzt drei wichtige Gipfel, die ich hier kurz ansprechen möchte. Der eine ist am 30. April der EU-USA-Gipfel, auf dem wir das Thema transatlantische Wirtschaftspartnerschaft vertiefen wollen. Die Fortschritte im Bereich des Luftverkehrs sind ein gutes Zeichen. Aber wir wissen natürlich, dass wir noch viele Synergien zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika freilegen könnten. Ich möchte mich bei der Kommission und auch bei den Parlamentariern, die dies unterstützen, ganz herzlich bedanken. Das Thema "transatlantische Wirtschaftspartnerschaft" hat an Dynamik gewonnen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir auf diesem Gipfel Ende April auch wirklich spürbare Erfolge verzeichnen können.
Zweiter Punkt. Es wird natürlich das Thema Energie und Klimaschutz auf der Tagesordnung dieses Gipfels stehen. Wir wissen, dass unsere Vorstellungen seitens der Europäischen Union sehr weitgehend sind. Wir werden versuchen, dafür zu werben, dass aus diesen Vorstellungen auch globale Vorstellungen werden. Für mich ist ganz klar, dass sich Schwellen- und Entwicklungsländer uns nur anschließen werden, wenn die Industrieländer sich gemeinsam ambitionierte Ziele setzen. Deshalb werden wir dafür werben. Ich sage bewusst "werben", weil Sie alle wissen, dass dies ein dickes Brett ist, das wir zu bohren haben. Man darf an dieser Stelle auch nicht zu viel versprechen.
Wir werden diesen EU-USA-Gipfel auch dazu nutzen, um natürlich ein Stück weit den G8 -Gipfel in Heiligendamm im Juni vorzubereiten, obwohl es in der Sache gar nicht zusammenhängt. Wir haben seitens der deutschen G8 -Präsidentschaft arrangiert, dass es Anfang Mai ein Treffen der Sherpas nicht nur der Mitgliedsstaaten der G8 -Länder geben wird, sondern auch der fünf so genannten Outreach-Staaten, d. h. China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika, auf dem gemeinsam technische Details des Klimawandels diskutiert werden sollen, und zwar insbesondere auch mit Blick auf einen Austausch von neuen Technologien und Innovationen. Damit wollen wir den G8 -Gipfel ganz speziell auf das Thema Klimaschutz und Energie vorbereiten.
Dann wird es im Mai den Gipfel zwischen der Europäischen Union und Russland geben. Neben der transatlantischen Partnerschaft ist die strategische Partnerschaft mit Russland für uns von allergrößter Bedeutung. Ich hoffe, dass wir die Hemmnisse, die uns? besser gesagt: die Kommission? im Augenblick vom Verhandeln abhalten, überwinden können. Ich danke der Kommission, dass sie mit unglaublichem Elan und Einsatz daran arbeitet, denn die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen sind natürlich essentiell, insbesondere mit Blick auf die Fragen der Energiesicherheit und Energiepartnerschaft. Ich glaube deshalb, dass wir diesen Verhandlungen auch allergrößte Bedeutung bemessen sollten. Deshalb ist dieser EU-Russland-Gipfel in Samara in Russland von allergrößter Bedeutung.
Dann wird es auch noch einen Gipfel zwischen der Europäischen Union und Japan geben. Dieser EU-Japan-Gipfel soll sich auch wesentlich mit der Verbesserung unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit befassen. Ich glaube, die Menschen in Europa werden uns alle, die wir Europa vertreten, natürlich ganz wesentlich daran messen, ob wir das, was Europa stark gemacht hat? eine Wertegemeinschaft, eine Gemeinschaft der Menschen, die in ihrer individuellen Würde leben können, die den Menschen Wohlstand und sozialen Zusammenhalt gebracht hat? , auch für die nächsten Jahrzehnte weiter sichern können.
Ich habe in meiner Rede in Berlin gesagt: "Die Welt wartet nicht auf Europa." Wir haben die Verantwortung dafür, dass wir Europa in diese Welt mit unseren Vorstellungen einbringen und für unsere Vorstellungen werben. Das heißt nicht, dass man das mit Abwarten, Abschotten und mit Selbstbeschäftigung schaffen kann, sondern das kann man nur schaffen, wenn man offensiv für die eigenen Werte und Vorstellungen wirbt.
Dies kann Europa nur leisten, wenn es in sich selbst handlungsfähig ist, wenn es nicht den ganzen Tag mit sich selbst beschäftigt ist, wenn es sich nicht selbst im Wege steht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Handlungsfähigkeit möglichst schnell wiederherstellen, damit Europa für die Menschen dieser Europäischen Union das beitragen kann, was die Menschen zu Recht erwarten, dass sie nämlich auf eine sichere und freiheitliche Zukunft blicken können. In diesem Sinne sind wir vereint.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.