Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 13.07.2007

Untertitel: Staatsminister Bernd Neumann gratulierte dem Delmenhorster Kreisblatt zum 175-jährigen Bestehen. In seinerFestrede äußerte er sich auch zum Verhältnis zwischen Print- und digitalen Medien.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/07/2007-07-13-neumann-175-jahre-delmenhorster-kreisblatt,layoutVariant=Druckansicht.html


ich wundere mich, dass jeden Tag genauso viel passiert, wie in eine Zeitung hineinpasst " so brachte Karl Valentin das Wesen des Mediums ebenso ironisch wie liebevoll auf den Punkt. Man könnte es auch moderner und abstrakter formulieren: Zeitungen reduzieren die kaum mehr überschaubare Komplexität unserer Welt auf ein für unser tägliches Leben erträgliches, handhabbares Maß.

Sie helfen uns, den Überblick zu behalten und geben uns Orientierung. Sie bieten mehr als bloße Information, sie stellen Zusammenhänge her und erklären die Ursachen der uns umgebenden Ereignisse und Entwicklungen. Zeitungen erklären freilich nicht nur, sie üben in der Demokratie auch ein unverzichtbares Wächteramt aus, indem sie den Mächtigen auf die Finger schauen und den weniger Mächtigen öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen. So ermöglichen sie uns die mündige Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Geschehen.

Diese Vorbemerkung über die gesellschaftliche und politische Funktion der Zeitung erhellt die Leistungen des heutigen Jubilars, die zu würdigen wir die Ehre haben. Über viele Generationen hat das Delmenhorster Kreisblatt als Lokalzeitung erfolgreich gewirkt und eine ebenso zufriedene wie treue Leserschaft gewonnen.

Sie gehört damit gleichsam zum Inventar der Region und ist buchstäblich ein Stück Heimat der hier lebenden Menschen geworden. Als Bremer verfolge ich regelmäßig insbesondere den Bremen-Teil des Delmenhorster Kreisblattes und weiß die objektive Berichterstattung sehr zu schätzen. Die für ihren Erfolg unabdingbare regionale Verwurzelung wurde und wird aber nicht durch die Beschränkung auf einen lediglich lokalen Blickwinkel erkauft, sondern durch die eingängige Spiegelung der großen Ereignisse des Weltgeschehens im konkreten Alltag der Leserinnen und Leser erreicht. Auch die von den Verantwortlichen stets gesuchte, kluge Verbindung von Tradition und Modernität hat sicher einen wichtigen Anteil an der Erfolgsgeschichte ihrer Zeitung.

In diesem Sinne gratuliere ich dem Verleger und den Herausgebern, den Mitgliedern der Redaktion und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags sehr herzlich zum 175jährigen Bestehen des Delmenhorster Kreisblatts. Sie dürfen auf ihr Werk wirklich stolz sein!

Meine Damen und Herren,

die Geschichte unseres Jubilars ist auch eine Familiengeschichte. Das sollte gerade heute, im Zeitalter kurzfristiger Gewinnerwartungen und anonymer, austauschbarer

Finanzinvestoren besonders herausgehoben werden. Hinter oder, noch besser: vor! dem Delmenhorster Kreisblatt stehen seit jeher die Angehörigen der Familie Rieck, die mit ihrem Namen, ihrer Reputation und ihrer wirtschaftlichen Existenz für Ihre Zeitung bürgen. Verleger zu sein, war und ist für sie nicht nur eine unternehmerische Herausforderung, sondern auch eine öffentliche Verpflichtung.

Ihre Persönlichkeiten prägten stets die Identität ihrer Zeitung. Das Delmenhorster Kreisblatt hatte dadurch für seine Leserinnen und Leser immer ein vertrautes Gesicht. Ich kann Ihnen, meine sehr verehrten Herren Dallmann und Schulte-Strathaus, also nur wünschen, dass es Ihnen auch in Zukunft gelingen möge, diese gute Familientradition erfolgreich fortzuführen.

Meine Damen und Herren,

mit dem Stichwort Zukunft komme ich auf eine Frage, die nicht nur Verleger und Journalisten, sondern auch Medienwissenschaftler und Politiker umtreibt:

Hat die Zeitung überhaupt noch eine Zukunft oder ist sie ein Auslaufmodell, das sich mit ihrer älter werdenden Leserschaft überleben wird? Kann es angesichts der nahezu täglich drückender werdenden Konkurrenz der elektronischen Medienangebote gelingen, die dorthin abwandernden jungen Leserinnen und Leser für die Zeitung zurück zu gewinnen oder gar zu begeistern? Und wenn ja, wie?

Die Antwort ist einfach und schwierig zugleich. Einfach, wenn man sie abstrakt beantwortet: Denn dann kann es keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, dass es das Medium Zeitung an sich auch in Zukunft noch geben wird. Die jüngste Entwicklung der Auflagen und des Anzeigengeschäfts deutet darauf hin. Die historische Entwicklung der Medien hat immer wieder gezeigt, dass neue Angebote vorhandene zwar zunächst durchaus bedrängen, aber letztlich doch nie verdrängen konnten.

Der anfänglich vermutete Substitutionswettbewerb führte stets zu einer weiteren, meist allerdings mit schmerzlichen Anpassungsprozessen einhergehenden Ausdifferenzierung der etablierten Angebote und schließlich zur friedlichen Koexistenz von neuen und gewandelten alten Medien. Die Zeitungen erleben heute eine Neuauflage dieses Prozesses, müssen ihn aber aktiv gestalten, wollen sie als Gewinner daraus hervorgehen.

Und genau hier wird das Terrain schwieriger, stellen sich doch sofort weitere komplexe und für Verlage und Redaktionen elementare Fragen. Welche Bedeutung wird die Zeitung in einem durch Digitalisierung und neue Medienangebote gewandelten Umfeld konkret haben? Wird sie ein politisches Leitmedium bleiben oder wirtschaftlich und publizistisch eher marginalisiert werden?

Wird sie ihren Status als Massenmedium halten können oder ein elitäres Sondermedium werden? Diese Fragen wird man angemessen nur sehr differenziert beantworten können. Ich möchte einige Aspekte aufgreifen, die mir bedeutsam erscheinen:

Meine Damen und Herren,

gefordert sind im Zeitalter der Konvergenz der Medien zunächst sicher neue Geschäfts- und Finanzierungsmodelle, die geeignet sind, Internet und Printmedien gleichsam miteinander zu versöhnen. Verlage, die auf diese Strategie setzen, verzeichnen inzwischen langsam, aber sicher publizistische und geschäftliche Erfolge.

Die wirtschaftliche und interaktive Verknüpfung gerade lokaler Printmedien mit internetgestützten, diversifizierten Dienstleistungsangeboten hat sich bereits bewährt. Dies scheint mir ein viel versprechender Weg zu sein, den ja auch das Delmenhorster Kreisblatt mit wie ich gern höre Erfolg eingeschlagen hat.

Die gelungene Verbindung von Print- und Onlineangeboten setzt freilich voraus, dass die Verlage einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen Übertragungswegen und -plattformen erhalten.

Es ist eine wesentliche Aufgabe der Medienpolitik, dies auch in Zukunft sicher zu stellen. Das gilt besonders dort, wo Telekommunikationsunternehmen künftig selbst als Inhalteanbieter auftreten und versucht sein könnten, neue Strukturen zu Lasten anderer Anbieter zu schaffen.

Eine Integration von Netzbetrieb und Contentangeboten darf im Übrigen nicht zu einer Entwertung der Inhalte führen. Plattformbetreiber dürfen Inhalteangebote nicht als billige oder kostenlose "Dreingabe" zum Netzbetrieb missbrauchen, um kurzfristig neue Marktpotentiale zu erschließen. Ebenso wäre es fatal, die traditionellen Contentanbieter in die Rolle bloßer "Zulieferer" zu drängen. Beides würde die Refinanzierungsmöglichkeiten gerade inhaltlich anspruchsvoller Angebote entscheidend schwächen.

Meine Damen und Herren,

ich weiß, dass den Zeitungsverlegern die Onlineaktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einiges Kopfzerbrechen bereiten. Man muss sicherlich akzeptieren, - so, wie es die EU-Kommission anlässlich ihrer letzten Entscheidung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland feststellte - , dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Auftrag auf allen Übertragungswegen nachkommen darf. Aber, und das ist entscheidend, eben unter Begrenzung auf diesen noch zu präzisierenden Auftrag. Wie Sie wissen, haben sich Länder und Bund mit der Europäischen Kommission im Beihilfeverfahren zur deutschen Rundfunkgebührenfinanzierung darauf geeinigt, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiter zu konkretisieren und zu präzisieren. Zudem wird ein neues Verfahren gesetzlich vorgegeben, das die Anstalten bei neuen digitalen und veränderten digitalen Diensten durchführen müssen, um sorgfältig zu prüfen, ob ein Angebot zum Auftrag gehört und zum publizistischen Wettbewerb beiträgt.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann und darf eben nicht alles machen, was möglich ist. Er hat einen Grundversorgungsauftrag und dazu gehört z. B. nicht, dass man für das Internet völlig neue Angebote und Formate wie beispielsweise Telespiele und Kontaktbörsen anbietet, die eindeutig nicht zum Grundversorgungsauftrag gehören. Wir werden genau darauf achten, dass die Balance zwischen den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten und den privaten Medien durch das Internet nicht zu Lasten der Privaten verschoben wird. Angesichts der Mitte Juni von den ARD-Intendanten beschlossenen Digitalstrategie und den Digital-Plänen des ZDF bestehen nicht nur bei Ihnen Besorgnisse, dass die Anstalten noch schnell zu ihren Gunsten Pflöcke einschlagen, bevor die Länder den zu verändernden Rundfunkstaatsvertrag ratifiziert haben. Ich werde mich deshalb dafür einsetzen und ich weiß, dass ich da mit der Rundfunkkommission der Länder einig bin, dass sich die Anstalten auch in der Übergangszeit bis zur Umsetzung der EU-Kommissionsentscheidung an ihre Vorgaben halten und keine vollendeten Tatsachen schaffen.

Meine Damen und Herren,

ein Bedeutungsrückgang der Zeitungen wäre deshalb in letzter Konsequenz auch ein Verlust von kultureller Substanz unseres Gemeinwesens. Umso wichtiger ist es, mehr junge Menschen als Leserinnen und Leser von Printmedien zu gewinnen. Es ist deshalb sehr erfreulich, dass sich die Branche dieser Aufgabe in jüngster Zeit verstärkt widmet und eine Vielzahl von Initiativen ergreift, um besonders Schülerinnen und Schülern unterschiedlichen Alters einen Zugang zu Printmedien zu erschließen.

Im Hinblick auf die Begrenztheit der Ressourcen ist es sinnvoll, die verschiedenen überregionalen Initiativen zur Förderung der Lese- und Medienkompetenz bundesweit zu bündeln. Mein Haus hat deshalb ein Konzept für ein "Nationales Netzwerk Zeitungen und Zeitschriften in der Demokratie" entwickelt, das mit dem BDZV, dem VDZ, dem Verband Deutscher Lokalzeitungen, dem Bundesverband Jugendpresse, der Stiftung Presse-Grosso sowie dem DJV, der dju / Verdi und der Bundeszentrale für politische Bildung bereits abgestimmt ist. Wir werden dieses Konzept in den kommenden Monaten gemeinsam weiter konkretisieren und noch in diesem Jahr beginnen umzusetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Bundespräsident Köhler hat in seiner viel beachteten Rede zum 50jährigen Bestehen des Deutschen Presserates völlig zu Recht festgestellt, dass es etwas ganz Besonderes sei, Zeitung machen zu dürfen. Das gilt vor allem, wenn es sich um eine so traditionsreiche Zeitung wie das Delmenhorster Kreisblatt handelt. In diesem Sinne wünsche ich dem Verleger, den Herausgebern, den Mitgliedern der Redaktion und allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Delmenhorster Kreisblatts auch weiterhin recht viel Erfolg!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!