Redner(in): Angela Merkel
Datum: 05.03.2008
Untertitel: in Erfurt
Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Dieter Althaus, sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, sehr geehrter Herr Präsident des Landesverfassungsgerichts, sehr geehrter Herr Bischof, sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung des Freistaats, sehr geehrte Kollegen des Landtags, sehr geehrte Kollegen des Deutschen Bundestags, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/03/2008-03-05-rede-merkel-thueringer-zukunftskonferenz,layoutVariant=Druckansicht.html
Ich freue mich, heute hier dabei zu sein. Der Einladung der Thüringer Landesregierung bin ich sehr gern gefolgt, weil ich glaube, dass es eine gute Zeit ist, ein Stück weit ein Resümee zu ziehen. Denn diejenigen, die zum Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung geboren wurden, sind nun mehr oder weniger volljährig. Im nächsten Jahr feiern wir den zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls. Dies fällt zusammen mit dem Jahr, in dem die Bundesrepublik Deutschland 60Jahre alt wird. So haben wir immerhin ein Drittel der Wegstrecke der Bundesrepublik Deutschland in Ost und West gemeinsam zurückgelegt. Der unglaubliche und uns alle glücklich stimmende Vorgang der Deutschen Einheit ist Teil unserer gemeinsamen Geschichte, der Geschichte der gesamten Bundesrepublik.
Die Deutsche Einheit ist aber immer noch eine Gestaltungsaufgabe für diejenigen, die heute Politik aktiv betreiben. Vergleichbare Lebensverhältnisse sind der berechtigte Wunsch der Menschen in den Ländern, die als neue Länder nach dem Ende der DDR zur Bundesrepublik Deutschland hinzugekommen sind. Es ist klar, dass wir dabei noch Probleme haben, dass wir den Fakten und Realitäten ins Gesicht schauen müssen, dass wir weiter anpacken müssen. Ich halte es für ausgesprochen wichtig, dass die Thüringer Landesregierung dies insbesondere unter dem Blickwinkel des demografischen Wandels tut.
Der demografische Wandel vollzieht sich in ganz Deutschland, muss aber in den neuen Bundesländern als erstes gestaltet werden. Man kann die Dinge so oder so sehen: Man kann sagen, dass es eine Bürde für uns ist, oder man kann sagen, dass wir Maßstäbe setzen, wie wir mit einem solchen Wandel umgehen, dass wir vormachen, wie man es zum Beispiel beim Abitur nach zwölf Jahren richtig machen kann.
In den vergangenen 20 Jahren haben wir bei etlichen Problemen gesehen, dass sie zwar nicht einzigartig in den neuen Bundesländern sind, dort jedoch viel stärker zum Ausdruck kommen. Wenn wir in den neuen Bundesländern kreative Antworten finden, dann kann das zum Nutzen für ganz Deutschland sein. Das wird in den alten Bundesländern nicht immer sofort erkannt. Ich bin dennoch sicher, dass das zutrifft.
Meine Damen und Herren,
die Regionen in Deutschland stehen miteinander in einem produktiven und kreativen Wettbewerb. Der Freistaat Thüringen ist durch seine geografische Lage in der Mitte Deutschlands nicht nur gekennzeichnet, sondern auch privilegiert. Thüringen hat die Chance, an seine Nachbarregionen anzuknüpfen. Und ich glaube, dass Thüringen diese Chance genutzt hat.
Sie, die Sie hier in diesem Saal sitzen, wissen um die Stärken Thüringens. Sie wollen natürlich überlegen, wie diese fortentwickelt werden können. Dabei muss man den Bogen in die Vergangenheit schlagen. Denn es ist eine Volksweisheit, dass nur derjenige, der sich seiner Vergangenheit, seiner Tradition, seiner Stärken und seiner Wurzeln bewusst ist, selbstbewusst in die Zukunft blicken kann.
Um Thüringen muss einem wirklich nicht bange sein, wenn man sich allein den kulturellen Reichtum dieses Landes anschaut. Dass Deutschland den Ruf hat, das Land der Dichter und Denker zu sein, ist in hohem Maß dem Land Thüringen geschuldet. Luther, Bach, Goethe und Hegel sind nur einige Persönlichkeiten, die Geschichte geschrieben haben und in Thüringen ihre Wirkungsstätten hatten. Dies steht exemplarisch für das, was in Thüringen in den vergangenen Jahren geleistet wurde, und das steht auch für die Schaffenskraft, die Thüringen heute ausmacht. Die vielen Besucher Thüringens können sich davon ein Bild machen.
Thüringen ist also ein Land, das schon allein aufgrund seiner Vergangenheit optimistisch in die Zukunft blicken kann. Wenn ich von "blicken" spreche, dann kann ich auch Optikfragen mit einbeziehen. Denn Thüringen ist berühmt und bekannt dafür, dass die optische Industrie hier eine große Tradition hat. Beim Thema Optik ist Jena nach wie vor ein Zentrum dieser Industrie.
Unter der Lupe betrachtet um auch ein optisches Instrument zu nennen ist Thüringen wirklich gut aufgestellt. Das kann man sich auch um Erfurt herum anschauen. Hier hat der schwedische Möbelkonzern Ikea sein weltweit größtes Logistikcenter errichtet. Zu erwähnen ist auch das Erfurter Kreuz. Dies ist geradezu eine Drehscheibe in der erweiterten Europäischen Union ein Projekt, das mit Mitteln der Europäischen Union, des Bundes und des Landes gefördert wird.
Was erfolgreiche Investitionen in Thüringen anbelangt, so will ich nur wenige Beispiele anführen, obwohl mir auch viele weitere einfallen. Neulich habe ich mit dem Chef von Rolls-Royce gesprochen, der gelobt hat, was aus der Kooperation von Lufthansa und Rolls-Royce geworden ist. Ich war bei Lufthansa Technik in Hamburg und habe mir angeschaut, was dort repariert und zuvor in Thüringen behandelt wird. Das Opel-Werk in Eisenach ist ein weiteres Beispiel. Es ist eines der produktivsten Werke des Opelkonzerns weltweit. Ein weiteres Beispiel ist DaimlerAG, die in Thüringen eine der modernsten Produktionsstätten von Benzinmotoren betreibt. Zudem ist die Solarwirtschaft zu nennen. Photovoltaikfirmen stellen ein Kennzeichen für eine zukunftsträchtige Industrie dar. Die Grundsteinlegung für das Solarwerk der Wacker Schott Solar GmbH ist ein weiterer Meilenstein dessen, was Thüringen industriell zukunftsfähig macht.
Das sind natürlich nur Einzelbeispiele. Im Zuge der Gestaltung der Deutschen Einheit haben wir alle gelernt zumindest mir ging es so, dass sich die Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer nicht mehr wie früher durch große Konglomerate entfaltet, sondern dass es ein Mosaik aus vielen Initiativen ist, das letztlich eine große Vielfalt zeigt und vor allen Dingen auch ein Produkt unglaublicher Anstrengungen kleiner und mittlerer Unternehmen ist. Sie sind das Netz, sie sind sozusagen der Haltepunkt und die Bausteine, die insgesamt die Zukunftsfähigkeit eines Landes ausmachen.
Die thüringische Wirtschaft steht also auf einem soliden Fundament. Die industrielle Wertschöpfung ist in den vergangenen Jahren um fast 20Prozent gewachsen. Das ist eine gute Entwicklung, weil die Industrie für die thüringische Wirtschaft eine überdurchschnittlich große Rolle spielt. Die Zahl der industriellen Arbeitsplätze im Verhältnis zur Einwohnerzahl liegt man höre und staune, denn viele in Deutschland wissen das sicher nicht über dem Bundesdurchschnitt. Das ist also ein wesentlicher Faktor, auf den man in Thüringen wirklich stolz sein kann.
Es ist sehr erfreulich, dass der bundesweite Aufschwung in den beiden vergangenen Jahren auch die thüringische Wirtschaft erfasst hat und dass sich das auch auf dem Arbeitsmarkt widerspiegelt. Heute sind fast 60.000 Personen weniger als vor zwei Jahren arbeitslos. Dies entspricht einem Rückgang der Arbeitslosenquote um über 27Prozent. Hierbei treten natürlich auch demografische Effekte zutage. Es gibt aber auch Beschäftigungseffekte, die in die Zukunft reichen.
Ich denke, das spricht für die sehr konsequente Handlungsweise der Thüringer Landesregierung. Denn auch das wissen wir das sage ich auch auf Veranstaltungen in anderen Bundesländern: Wir arbeiten in einer globalisierten Welt, wobei die europäische Ebene, die Bundesebene, die Landesebene und die kommunale Ebene zu berücksichtigen sind. Die Dinge funktionieren, wenn diese Ebenen Hand in Hand arbeiten. Die Dinge funktionieren aber nicht, wenn sich irgendwo in der Kette dessen, was sich abspielt, jemand querstellt.
Die besten europäischen Fördermittel und die besten Bundesfördermittel werden in den Sand gesetzt, wenn sich Genehmigungsverfahren vor Ort ewig hinziehen und wenn kein politischer Wille dahinter steht, wirklich etwas zu machen. Das ist im Übrigen so spannend an Deutschland und seinem subsidiären Aufbau. Denn man kann hier etwas mit Willen und mit Leidenschaft gestalten. Das war in Thüringen sehr häufig der Fall.
Wenn wir auf Bundesebene in der Großen Koalition eine Politik solider Haushalte, eine Politik der Reformen und eine Politik der Investitionen betreiben, ist es wichtig, dass auch in Thüringen das Grundbewusstsein gegeben ist, das zu wollen. Es sollte also nicht in jedem Fall erst einmal eine große Risikodebatte geführt werden, sondern es sollte zugegriffen werden, wenn sich eine Chance bietet. Das hat die Thüringer Landesregierung gemacht, dafür steht Peter Althaus. Dafür sage ich ein herzliches Dankeschön.
Ich will nicht nur Lobeshymnen singen, sondern durchaus auch auf Probleme eingehen. Die Arbeitslosenquote ist mit rund 13Prozent zwar die niedrigste Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern. Das kann aber natürlich nicht zufriedenstellend sein, denn diese Arbeitslosenquote ist immer noch deutlich höher als die Arbeitslosenquote in den alten Bundesländern. Es ist aber einiges gelungen. Das gibt Mut. Deshalb sind wir heute zusammengekommen, um über die Zukunft zu sprechen und um zu sagen, dass sich das Anpacken lohnt.
Wir werden das habe ich vorhin bei den Arbeitslosenzahlen deutlich gemacht; im Bundesdurchschnitt liegen wir derzeit bei 8, 6Prozent, während die Arbeitslosenquote in Thüringen bei rund 13Prozent liegt noch eine ganze Zeit lang eine besondere Förderpolitik für die neuen Bundesländer brauchen. Als Bundesregierung stehen wir zu den Zusagen, die wir im SolidarpaktII eingegangen sind. Ich möchte mich dafür bedanken, dass es endlich gelungen ist, die verschiedenen Körbe so darzustellen, dass daraus eine gewisse Sicherheit erwächst. Mit dem SolidarpaktII gibt es eine gesicherte finanzielle Perspektive. Nun muss es gelingen, aus dieser finanziellen Perspektive eine Perspektive vor Ort zu machen, das heißt, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze für die Menschen zu schaffen.
Ich glaube, dass man sagen kann, dass die bisherige Investitionsförderpolitik Früchte zeigt. Ein Drittel aller Investitionen im verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands ist auf die Investitionsförderung zurückzuführen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass wir eine Anschlussregelung für das Investitionszulagengesetz brauchen, das Ende 2009 auslaufen wird, um die Notwendigkeit einer weiteren besonderen Förderung deutlich zu machen. Wir haben uns das politisch vorgenommen. Ich bin optimistisch, dass uns das auch gelingt. Wir werden sicherlich darüber diskutieren müssen, wie wir das EU-konform so ausgestalten, dass das erreicht wird, was notwendig ist. Ich bin der Auffassung, dass es umso besser für die Planungssicherheit ist, je schneller es passiert, denn das ist für Investoren von allergrößter Bedeutung.
Es geht auch darum, Einzelinvestitionen zielgenau fördern zu können. Deshalb werden wir die Förderung durch die Gemeinschaftsaufgabe "Regionale Wirtschaftsstruktur" im jetzigen Förderumfang fortsetzen. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass zum Wachstum der ostdeutschen Regionen auch die relativ günstigen Lohnstückkosten beigetragen haben. Das wird noch eine Zeit lang so bleiben, auch wenn das von Branche zu Branche unterschiedlich ist. Wir werden das insbesondere bei den Diskussionen um einen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn immer im Auge haben. Es ist allemal besser, wenn Menschen eine Perspektive haben und sich entwickeln können, als dass wir sie in der Arbeitslosigkeit sitzen lassen und ihnen Perspektiven verwehren.
Meine Damen und Herren,
dennoch ist es natürlich gut, klassische Industrieunternehmen hier anzusiedeln. Alles steht und fällt aber das hat offensichtlich in Ihren heutigen Beratungen auch eine Rolle gespielt mit der Frage, wie wir durch Innovationen langfristige und dauerhafte Wettbewerbsvorteile erreichen. Innovationen bedeuten nicht nur neue Arbeitsplätze, sondern sie bedeuten auch Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung und Arbeitsplätze, die Wohlstand bringen. Etwa in den Bereichen der Gesundheitsversorgung, einer effizienten Energieversorgung und in den spezifischen Stärken Thüringens sieht man die Möglichkeiten, die konsequent genutzt werden müssen.
Hierzu benötigen wir geeignete Rahmenbedingungen. Zudem bedarf es vielfältiger beträchtlicher Investitionen in Bildung und Forschung. Der Grundansatz der Bundesregierung ist sicher richtig und unstrittig. Bis zum Jahr 2010 wollen wir dreiProzent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben. Ein Drittel hiervon sollen staatliche Gelder sein. Zwei Drittel müssen aus dem wirtschaftlichen Bereich kommen. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Je höher das Wirtschaftswachstum ist, umso höher müssen logischerweise die Beträge sein, die wir zusätzlich für Forschung ausgeben.
Allein in dieser Legislaturperiode stellen wir sechsMilliarden Euro mehr als in der vergangenen Legislaturperiode zur Verfügung. Dies ist der größte Anstieg der Forschungsmittel, den es jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat.
Unsere Forschungsministerin Annette Schavan hat natürlich erkannt, dass Geld allein an dieser Stelle nicht hilft. Vielmehr muss es eingebettet sein in eine vernünftige Strategie und eine vernünftige Vernetzung aller Aktivitäten. Zudem müssen diese mit vernünftigen Instrumenten kombiniert werden, so dass auch privates Geld in die Forschung fließt.
Deshalb haben wir seitens der Bundesregierung eine Hightech-Strategie entwickelt. Dabei wird in 17 Bereichen nüchtern analysiert, wo Deutschland steht, was wir schaffen wollen und wie wir an die Weltspitze kommen können. Alles andere macht keinen Sinn. Wenn wir uns mit Mittelmaß begnügen würden, wäre das vollkommen falsch.
Die Hightech-Strategie umfasst die gesamte Innovationskette von der Förderung der Grundlagenforschung über die Förderung der angewandten Forschung bis hin zur Förderung der Produktentwicklung hin zur Marktreife. Hierbei legen wir einen Schwerpunkt auf mittelständische Unternehmen. Denn wir wissen, dass es der Mittelstand oft schwer hat, sich auf Forschungsförderung zu konzentrieren. Sie alle kennen die Probleme der Eigenkapitalausstattung und die vielen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben. Wenn aber in Zeiten der Globalisierung unser Mittelstand weiter das Rückgrat unserer Wirtschaft bleiben soll, dann muss der Mittelstand an Innovationen, an neuen Entwicklungen und an Kreativität teilnehmen. Ansonsten wird der Mittelstand nicht mithalten können.
Die Bereiche der Informations- und Kommunikationstechnologie die gestrige Eröffnung der Cebit ist ein Beispiel hierfür, der Bereich der Gesundheit ein großes Feld für Deutschland und im Übrigen ein Feld, das insbesondere mit Blick auf den demografischen Wandel eine große Rolle spielt, der Bereich der Energie, der Bereich der Logistik und der Bereich der Optik sind von allergrößter Bedeutung. Deshalb wollen wir neue Märkte erschließen oder heute schon bestehende Märkte zu so genannten Leitmärkten für Deutschland weiterentwickeln. Wir sind in vielen Feldern vorne mit dabei. Es ist meines Erachtens alle Anstrengung wert, Spitzenplätze zu halten oder sie uns an anderer Stelle wieder zu erarbeiten. Auf der Cebit mussten wir feststellen, dass wir Lücken haben.
Mit Leibniz hatten wir in Deutschland vor Jahrhunderten denjenigen, der die Bedeutung des Dualsystems, also des binären Systems entdeckt hat. Mit Konrad Zuse haben wir denjenigen gehabt, der den ersten Computer gebaut hat. Aber schauen wir uns einmal an, wo heute Hardware und Software in großem Maße produziert werden. Mit SAP und der SoftwareAG in Darmstadt haben wir zwar große Betriebe dieser Branche. Ein Unternehmen wie Microsoft ist aber immer noch um Längen vorneweg. Hierzu haben wir auf der Cebit einen beeindruckenden Beitrag von Steve Ballmer gehört.
Deutschland hat meines Erachtens eine einzigartige Chance. Das will ich Ihnen auch in Thüringen ans Herz legen. Mit Ihrem relativ gut entwickelten industriellen Kern können Sie den Anschluss an die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie schaffen, weil die Informations- und Kommunikationstechnologie mit der klassischen Industrie sozusagen immer mehr harmonisiert und zusammenwächst. Dies gilt für den Automobilbereich, für den Bereich des Maschinenbaus, für den Bereich der Gesundheitsgeräte usw. Überall drängen die Fähigkeiten des Computers, des Internets, des Informationsaustauschs und der Softwareentwicklung hinein in die klassischen industriellen Produkte.
Da Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern einen starken industriellen Kern hat, ist die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie für uns der Schlüssel, um unsere industriellen Produkte auch im 21. Jahrhundert wettbewerbsfähig zu halten. Natürlich ist es ein großer Fortschritt, dass viele neue Werke und viele neue Arbeitsplätze entstanden sind, die von der gesamten Anlage her sehr viel besser geeignet sind, zukunftsfähige Produkte fortzuentwickeln.
Wir werden als Bundesregierung bis zum Jahr 2009 ungefähr 15MilliardenEuro für Spitzentechnologien und technologieübergreifende Querschnittsaufgaben zur Verfügung stellen. Als forschungsfreudige, aber rohstoffarme Nation haben wir geradezu eine Verpflichtung hierzu.
Es gibt glücklicherweise ein großes Umdenken in Deutschland. Der Leistungsgedanke ist nicht mehr so verpönt, wie er es vor etlichen Jahren war. Mit den Exzellenzinitiativen und den Eliteuniversitäten ist ein sehr wichtiger psychologischer Schritt gelungen. Wir haben aber ein Problem und darüber bereits mit den neuen Bundesländern diskutiert. Die großen Ansammlungen von Forschungs- und Universitäts-Know-how dabei denke ich beispielsweise an München oder Karlsruhe gehen natürlich mit einer strukturellen Übermacht bei dem einher, was zum Teil erst als neues Pflänzchen entstanden ist. Deshalb müssen hierzu ist die Bundesforschungsministerin bereit einerseits spezielle Förderinstrumente für Exzellenz gefunden werden, wenn sie sich nicht in der Breite entwickeln kann, wie dies teilweise in München, Stuttgart, Karlsruhe und anderen Stellen der Fall ist. Andererseits müssen für die neuen Bundesländer vernünftige Lösungen gefunden werden. Ich bin optimistisch, dass Annette Schavan noch im Frühjahr 2008 konkrete Maßnahmen vorstellen wird, die ganz besonders auf die ostdeutschen Gegebenheiten ausgerichtet sind.
Ich halte es für ein fast wundersames Ereignis, dass es gelungen ist, dass Deutschland nun eine Nationalakademie hat. Ich weiß nicht, ob ich das in Thüringen sagen darf, aber Halle ist schließlich nicht so weit weg. Dass die Leopoldina Nationale Akademie geworden ist, ist eine wichtige Strukturentscheidung. Ich bin den Bundesländern sehr dankbar für ihre Zustimmung. Man kann im Ausland nicht erklären, weshalb Deutschland sehr stolz auf seine vielen regionalen Akademien ist das kann es auch weiter sein, aber kein zentrales Aushängeschild hat. Mit der Leopoldina haben wir das jetzt.
Wir haben ein Weiteres geschafft, was man über Jahre nicht für möglich gehalten hat. Ein auch vom Bund getragenes Großforschungszentrum in Karlsruhe hat sich zusammengetan mit einer Universität, die sich in Landeshand befindet. Daraus wurde ein Forschungs- und Ausbildungskonglomerat. Hierzu kann ich nur sagen: Nutzen wir solche Möglichkeiten, wo immer sie sich ergeben. Wir müssen neue Wege gehen.
Ich sage das insbesondere im Freistaat Thüringen, denn Ihnen fällt das seit fast 20Jahren nicht schwer. Wenn man aber manchmal erlebt, wie es in den alten Bundesländern aussieht, dann muss ich sagen, dass auch dort gelernt werden muss. Von dem, was wir in den neuen Bundesländern gesehen haben, kann wirklich gelernt werden.
Ich glaube, exemplarisch für den Erfolg der Thüringer Innovationspolitik stehen die Technische Universität Ilmenau, die Fachhochschule Schmalkalden und der Wissenschaftscampus Beutenberg. Die Kooperationen mit Unternehmen sind beispielhaft und haben zur regionalen Entwicklung einen großen Beitrag geleistet.
Die gute Entwicklung Thüringens als Wissenschaftslandschaft zeigt sich auch daran, dass der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft Jena als "Stadt der Wissenschaft 2008" ausgezeichnet hat. Ich habe Braunschweig 2007 gratuliert und habe mich sehr gefreut, dass Jena diesen Titel im Jahr 2008 bekommen hat.
Wir merken also, dass Zukunft immer etwas mit Innovation zu tun hat. Innovation wiederum hat natürlich etwas mit Bildung zu tun. In diesem Zusammenhang ist auf das regelmäßig exzellente Abschneiden Thüringens bei den Pisa-Studien hinzuweisen. Das hat am Anfang niemand für möglich gehalten. Wir können dankbar sein, dass es inzwischen ein solches objektives Benchmarking gibt.
Ich erinnere nur daran, welche Diskussionen Anfang der 90er Jahre geführt worden sind, als die Abiturjahrgänge umgestellt wurden, was bei der Kultusministerkonferenz alles abgeliefert werden musste, wie man seitens der alten Bundesländer alle möglichen Zweifel zusammengepackt hat. Für mich war es fast wie ein Befreiungsschlag, als sowohl Thüringen als auch Sachsen bei der Pisa-Studie so wunderbar abgeschnitten haben.
Wir versuchen von Bundesseite, die Bestrebungen, die im Lande im Gange sind, durch eine so genannte "Nationale Qualifizierungsinitiative" zu unterstützen. Wer einen demografischen Wandel zu bewältigen hat, muss sich noch mehr um jeden jungen Menschen kümmern. Denn der Schlüssel zum Wohlstand ist die Innovation. Es geht nicht darum, dass die jungen Leute irgendwie durch die Schule kommen, sondern sie müssen gut durch die Schule kommen, sie müssen leistungsfähig sein, sie müssen neugierig sein und müssen die Bereitschaft mitbringen, sich in Berufen zu engagieren, die eine Zukunft haben.
Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir kein staatlich gelenktes Berufsauswahlsystem haben. Scherzhaft sage ich aber immer: Wenn nur noch Betriebswirtschaft studiert wird, aber keine Betriebe gegründet werden, dann geht es nicht voran. Wenn es darüber hinaus nur noch Juristen gibt, wäre dies auch etwas wenig. Wenn die beiden dann von einem Soziologen begutachtet werden, reicht das immer noch nicht zur Wertschöpfung aus. Wir müssen also zusehen, dass wir unsere Jugend für zukunftsfähige Felder begeistern. Dabei fällt den Erwachsenen natürlich eine große Aufgabe zu. Die Hochschul- und Fachhochschullehrer müssen auch in die Schulen gehen und müssen vom Kindergarten an die Dinge fördern.
Das bundesrepublikanische Bildungssystem lernt hinzu. Wir können uns inzwischen der Tatsache nähern, dass man eventuell auch von Bildung sprechen darf, wenn man noch nicht in die Schule geht. Es war ein langer Weg, bis man anerkannte, dass es nicht nur um Spielen und Betreuen geht, sondern dass Kinder ein sehr reges Gehirn haben. Was bis zur Schulzeit im Gehirn ist, kommt, wenn man älter wird, schwerer wieder heraus als alles andere, was man später lernt. Ich plädiere jetzt nicht für die Verschulung des Kindergartens. Ich möchte nicht, dass jetzt eine falsche Schlagzeile entsteht. Ich glaube jedoch, dass spielerische Bildung im Kindergartenalter sehr viel bewirken kann.
Im Zusammenhang mit der Ausbildung möchte ich der Wirtschaft in Thüringen und in vielen anderen Bundesländern einen herzlichen Dank sagen. Denn im vergangenen Jahr ist es gelungen, nahezu jedem jungen Menschen einen Ausbildungsplatz anzubieten.
Wir dürfen aber nicht verdrängen, dass wir das in den vergangenen Jahren nicht immer geschafft haben. Deshalb hat die Bundesregierung einen Ausbildungsbonus für die Schaffung von Ausbildungsplätzen für Altbewerber geschaffen. Meine herzliche Bitte gilt jedem Unternehmer, den jungen Leuten eine Chance zu geben, wann immer dies möglich ist. Wer keine Chance zur Berufsausbildung hat, der wird es im folgenden Lebensabschnitt sehr viel schwerer haben, ein eigenständiges Leben ohne staatliche Transferzahlungen zu gestalten.
Es zeigen sich gegensätzliche Welten. Auf der einen Seite steht die recht hohe Arbeitslosigkeit, auf der anderen Seite der Fachkräftemangel, den es objektiv gibt. Diesen gibt es besonders im Maschinen- und Fahrzeugbau sowie in der Elektrotechnik. Wir haben seitens der Bundesregierung versucht, zum Beispiel den Zuzug von Elektroingenieuren und Maschinenbauingenieuren zu erleichtern. Unter dem Strich müssen wir als deutsche Politiker aber auch darauf achten, dass wir zunächst einmal unseren Bürgern im Lande eine Chance geben. Deshalb kommen die Botschaften immer sehr kontrovers an. Denn auf der einen Seite steht die Arbeitslosigkeit und auf der anderen Seite der Fachkräftemangel.
Ich kann mich nur wiederholen: Wir werden angesichts des demografischen Wandels darum ringen müssen, das lebenslange Lernen zu einer Selbstverständlichkeit zu machen. Es macht keinen Sinn, dass wir regelmäßig von der Software- und von der Informations- und Kommunikationstechnologiebranche hören, wie viele Fachkräfte fehlen. Dann wird irgendeine Maßnahme ergriffen. Wenn dann Menschen zehn Jahre lang im Job sind und das 40. Lebensjahr erreicht haben, wird ihnen bei der nächsten Generation der Programmiersprache erklärt, dass sie diese nicht mehr lernen könnten. Wenn sich das einmal herumspricht, dann gilt das natürlich nicht mehr als zukunftsfähiger Beruf.
Das heißt, es muss die innere Bereitschaft gegeben sein zumal wenn die Menschen erfreulicherweise älter werden, dass Menschen nicht bezüglich ihrer Bildungs- und Ausbildungsfähigkeit abgeschrieben werden in einem Alter, das gemeinhin als jung gilt. Wir müssen natürlich auch dazu kommen, dass die Älteren wieder spüren, dass sie auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben.
Die extensive Handhabung der Vorruhestandsregelungen in bestimmten Bereichen zum Beispiel in der Automobilindustrie und im Maschinenbau hat dazu geführt, dass massenhaft Ingenieure und immer mehr mittlere Leitungsebenen fehlen. Wenn nun aber die Globalisierung nicht mehr bewältigt werden kann, holt man die Menschen zum Teil aus dem Ruhestand zurück und bittet sie, Werke in Indonesien oder sonst wo aufzubauen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Jugend oft schneller und manchmal auch mit Detailwissen präsenter ist. Ein Land aber, das Erfahrung und Routine nicht schätzt, beraubt sich unglaublicher Fähigkeiten. Von den Erfahrungen im zwischenmenschlichen Umgang möchte ich in diesem Zusammenhang erst gar nicht sprechen. Alle Effizienzstudien zeigen, dass Diversifikation, dass das Zusammendenken von Jungen und Alten, von Frauen und Männern, von Ingenieuren und Geisteswissenschaftlern, aber nicht das Schmalspurdenken die Methode der Zukunft ist. Deshalb müssen die Älteren in unserem Arbeitsleben, in unserem Forschungsleben und in unserem Innovationsleben ihren festen Stand haben. Das muss in der Gesellschaft erkämpft werden. Das gehört auch zum demografischen Wandel dazu.
Natürlich ist es nicht einfach, wenn man mit 45 oder 50 Jahren erkennen muss, dass der 25-Jährige einem locker etwas beibringt und einem erklärt, welche Fehler man macht. Das bedeutet eine kulturelle Veränderung. Früher hat man gelernt, dann ist man Chef geworden, dann ist man in den Ruhestand gegangen. Heute muss man plötzlich feststellen, dass man, kurz bevor man Chef wird, von einem Jungen noch etwas erklärt bekommt.
Das ist eine Veränderung. Das hat etwas mit verschiedenen Formen von Autorität zu tun. Die Erfahrungsautorität und die Fachautorität können auseinanderfallen. Eine Gesellschaft aber, die sich dieser Situation nicht stellt und davor die Augen verschließt und glaubt, dass sie das Problem am besten dadurch löst, indem sie die Menschen in den Ruhestand schickt, eine solche Gesellschaft wird nach meiner festen Überzeugung scheitern.
Unsere Familienministerin sagt immer so schön, dass Deutschland insgesamt eine Chance habe. Die demografische Veränderung wird eine Veränderung vieler Industrienationen mit sich bringen. Das wird in Europa, in Russland und in China passieren. Japan hat heute schon in sehr großem Ausmaß damit zu tun. Das heißt, die Art und Weise, wie wir mit der demografischen Veränderung umgehen, kann ein Exportschlager für Deutschland werden und uns dabei einen führenden Platz einräumen.
Damit bin ich bei dem, was man gemeinhin als die weichen Faktoren eines Standortes bezeichnet. Es gibt die harten Faktoren, die in Thüringen sowieso gut sind. Es gibt aber auch die weichen Faktoren. Hierzu zählen die Lebensumwelt, die Kultur und natürlich auch das Angebot für Familien in einem Land.
Thüringen ist ein familienfreundliches Land. Wenn es gewünscht wird, können Familie und Beruf verbunden und miteinander vereinbart werden. Das ist eine Tradition und eine gegenwärtige Erscheinung. Ich glaube, dass es wichtig ist, den Menschen einerseits die Entscheidung darüber zu überlassen, ihnen andererseits aber auch eine Entscheidung zu ermöglichen. Wenn man heute in einer westdeutschen Großstadt für ein Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz sucht, dann sucht man vergeblich. Dann ist die Entscheidung gefallen, aber nicht eigenmächtig, sondern durch die Tatsache, dass kein Krippenplatz da ist.
Wenn wir heute sagen, dass wir im Jahr 2013 für 35Prozent der unter Dreijährigen einen Betreuungsplatz haben wollen, dann ist das eine Aufgabe, um die sich Thüringen nicht mehr kümmern muss, denn hier ist sie heute schon gelöst. Ich habe noch staunende Zuwanderer aus Baden-Württemberg und Bayern vor Augen, die sich in Sachsen und Thüringen niedergelassen und plötzlich gemerkt haben, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hier kein Problem ist. Zudem wurden Wege gefunden, um die Ausstattung der Kinderbetreuung über das Programm weiter zu verbessern, mit dem auch der Bund hilft. Das ist meines Erachtens ein gutes Zeichen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Vermarkten Sie Ihre Familienfreundlichkeit offensiv als Standortfaktor für dieses Bundesland. Genauso, wie ich für den Ausbau der Kinderbetreuung bin, bin ich auch dafür, dass wir einen Schritt für Eltern machen, die sich dafür entscheiden, einige Jahre mit ihren Kindern zu Hause zu bleiben. Deshalb wollen wir das Betreuungsgeld einführen. Das haben wir mit den Sozialdemokraten rechtlich vernünftig verankert.
Die einen schreien, wenn das Elterngeld eingeführt wird. Wenn sich darüber hinaus der Vater zwei Monate um seine Kinder kümmern darf, ist gleich von einem "Wickelvolontariat" die Rede. Die anderen schreien, wenn man diejenigen unterstützt, die ihr Kind drei Jahre lang zu Hause erziehen wollen. Dann wird gleich von einer "Herdprämie" gesprochen."Herdprämie" ist von der Gesellschaft für deutsche Sprache zu recht zum "Unwort" des Jahres gewählt worden. Im Übrigen bin ich froh über jeden Menschen, der mit einem Herd noch etwas anzufangen weiß und nicht nur auf die Mikrowelle angewiesen ist.
Damit könnte ich unmittelbar zur Thüringer Küche übergehen. Das möchte ich aber gar nicht. Vielleicht kann man von Frankreich lernen. Frankreich will die französische Küche zum Weltkulturerbe erklären lassen und hat dies entsprechend bei der Unesco angemeldet. Damit möchte ich nur andeuten, dass Thüringer Klöße auch etwas Gutes sein können und die Thüringer Rostbratwurst natürlich allemal.
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Bewältigung des demografischen Wandels und die Bewältigung der Gestaltung der Deutschen Einheit sind zwei Aufgaben, die aller Anstrengung bedürfen, die im Übrigen der Anstrengung aller in der Gesellschaft bedürfen. Deshalb bin ich sehr froh, dass der Bischof heute hier ist. Es geht nicht immer nur darum, schmalspurmäßig Fachkräfte zusammenzusetzen, sondern es muss darüber einen Diskurs der gesamten Gesellschaft geben vom Kommunalpolitiker, über den Landespolitiker bis zum Bundespolitiker, von denjenigen, die im ehrenamtlichen Bereich tätig sind, über diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen, bis hin zu denjenigen, die sich im Sinne der Gesundheit und im Sinne der Familienförderung um die Menschen kümmern.
Jeder muss letztlich sagen: Dies ist mein Land, in diesem Land möchte ich meine Wurzeln behalten. Ich gehöre zu denjenigen, die glauben, dass das auch in einer globalisierten Welt möglich ist, dass die allermeisten Menschen in dieser sehr undurchschaubaren, in dieser unendlichen Flut von Informationen, von Möglichkeiten und Angeboten glücklich sind, wenn sie irgendwo ihren Heimathafen haben und ihre bodenständigen Wurzeln ein Stück weit leben können.
Deshalb sind wir froh über die Vielfalt der deutschen Lande. Daher ist der Freistaat Thüringen ein wunderbares Stück dieses Landes. Deshalb hat die Thüringer Landesregierung genau das richtige gemacht, nämlich sich mit der Zukunft des Landes befasst. Sie will das auch in verschiedenen Schritten fortsetzen. Ich kann dazu nur gratulieren und darf Ihnen sagen, dass die Bundesregierung alles daran setzen wird, Sie dabei zu unterstützen.
Herzlichen Dank.