Redner(in): Angela Merkel
Datum: 15.05.2008

Anrede: Sehr geehrter Herr Benavidas, sehr geehrter Herr Cáceres Sayán, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/05/2008-05-15-rede-eu-lateinamerika-wirtschaftsgipfel,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich sehr, heute auf diesem Wirtschaftsgipfel zu Ihnen sprechen zu können. Ich möchte auch all den Initiatoren dieses Gipfels ganz herzlich dafür danken, dass sie sich entschlossen haben, hier vor dem EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel dieses Treffen abzuhalten. Damit setzen sie eine wichtige Marke, bevor unser politischer Gipfel beginnt, in die Richtung, die wir erreichen wollen: Wir wollen eine engere wirtschaftliche Kooperation, die das Zentrum unserer gemeinsamen Zusammenarbeit sein könnte, und die unterstrichen und unterstützt wird durch die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen, für die wir dann in unseren Ländern innerhalb der Europäischen Union und innerhalb Lateinamerikas verantwortlich sind.

Ihr Gipfel unterstreicht also die regen, sehr intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika. Es sind Beziehungen mit einer inzwischen jahrhundertelangen Geschichte, auf die wir zurückblicken können. Heute sind Lateinamerika und Europa gleichberechtigte Partner, die voneinander lernen und voneinander profitieren. Wir Europäer wissen natürlich auch, dass wir inzwischen Wettbewerber auf der Welt bekommen haben. In Peru wird in diesem Jahr noch ein anderer Gipfel stattfinden. Das ist der APEC-Gipfel. Das Interesse in die asiatische Region hinein wird von uns natürlich auch genau beobachtet. Deshalb wollen wir heute und morgen mit unserer Anwesenheit noch einmal unterstreichen, wie sehr wir den Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika eine besondere Bedeutung beimessen.

Ein Teil meiner Delegation ist eine Wirtschaftsdelegation, geleitet von der Parlamentarischen Staatssekretärin aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Wir wollen insbesondere mittelständischen Unternehmen eine Chance geben, Lateinamerika besser kennen zu lernen und die Möglichkeiten eines wirtschaftlichen Engagements besser nutzen zu können. Ich glaube, wir haben auf dieser Reise auch schon wichtige Zeichen setzen können, durch die deutlich wird: Dieses Engagement von deutschen Unternehmen ist gewünscht, und es wird weiter ausgebaut. Auf diesem Weg wollen wir weitermachen.

Seit Anfang der 90er Jahre haben sich die Handelsströme zwischen Europa, Lateinamerika und der Karibik mehr als verdoppelt. Das sind gute Zahlen. Unser bilaterales Handelsvolumen lag 2006 bei mehr als 160Milliarden Euro. Man muss deutlich machen, dass insbesondere die Exporte Lateinamerikas und der Karibik nach Europa stark zugenommen haben: in den letzten fünf Jahren mit Wachstumsraten von über 10Prozent. Das ist sehr beeindruckend. Wir können auch sagen: Die Investitionen europäischer Unternehmen in Lateinamerika und der Karibik haben inzwischen eine Höhe von 260Milliarden Euro erreicht. Damit können wir stolz darauf blicken, dass die Europäische Union der wichtigste Investor ist.

Diese Zahlen sind ein sehr deutlicher Beleg dafür, dass sich der wirtschaftliche Austausch für die lateinamerikanischen Nationen und die Länder der Karibik lohnt. Aber sie sind für uns als Mitglieder der Europäischen Union auch eine klare Aussage dafür, dass wir hier bei Ihnen investieren und für Sie ein zuverlässiger Partner sein wollen. Deshalb sage ich auch ganz klar: Das Potenzial unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist aus meiner Sicht noch nicht ausgeschöpft. Wir können noch vieles möglich machen.

Deshalb ist es so wichtig, dass auf diesem Gipfel und um diesen Gipfel herum Kontakte zwischen Unternehmen geknüpft werden, Erfahrungen ausgetauscht werden, bestehende Kontakte intensiviert werden und wir uns einfach besser kennen lernen. Ich glaube, dass mit diesem Kennenlernen und dem Austausch der wirtschaftlichen Beziehungen, wie ich es am Anfang gesagt habe, ein wichtiger Pfeiler unserer gesamten Zusammenarbeit zwischen den beiden Regionen gestärkt wird.

Solide Partnerschaften was sind das? Das sind Partnerschaften, die zuverlässig sind. Diese Eigenschaft wird europäischen Unternehmen in Lateinamerika zugeschrieben. Wir sind darauf stolz, wollen aber auch die Dinge einlösen, die wir versprechen. Wir wissen, dass wir an manchen Stellen schneller werden müssen. Aber ich sage auch: Was wir von europäischer Seite brauchen, das sind vor allen Dingen verlässliche Rahmenbedingungen, rechtliche Rahmenbedingungen, die wir vorfinden müssen. Es gibt eine Vielzahl lateinamerikanischer Länder, in denen das inzwischen eine Selbstverständlichkeit ist.

Wir wissen, dass Sie hier inzwischen Spitzentechnologien fertigen. Wir wissen, dass wir hierbei hilfreich sein können. Es gibt ein wachsendes Feld der Umweltkooperation mit spannenden Projekten. Natürlich wissen Sie alle, dass europäische Unternehmen, wenn sie in Lateinamerika investieren, auch einen Beitrag dazu leisten, dass die Sozialstandards gefestigt werden. Ich war gestern in Brasilien und habe lange mit Präsident Lula gesprochen. Es war sehr interessant, dass er mir noch einmal in Erinnerung gerufen hat, dass die erste Mitarbeiterbeteiligung der Betriebsrat bei VW war. Das war eine Position, die er eingenommen hat und aus der er gelernt hat, was Teilhabe bedeutet und auch, was es bedeutet, den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit aufzulösen.

Das ist unser Modell, auf das wir in Europa, aber ganz besonders auch in Deutschland stolz sind: die Soziale Marktwirtschaft. Die Soziale Marktwirtschaft ist fast genau vor 60Jahren in Deutschland eingeführt worden. Das war damals ein sehr mutiger Schritt, der auch von vielen mit äußerster Skepsis beäugt wurde. Deutschland war nämlich damals, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, wirtschaftlich völlig ruiniert. Mangel war an der Tagesordnung.

Ganz bewusst hat Ludwig Erhard, unser damaliger Wirtschaftsminister und der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, gesagt: Diese Situation kann nur verbessert werden, wenn wir uns entscheiden, an die Kraft des einzelnen Menschen zu glauben. Aber Ludwig Erhard hat nicht einfach den Wettbewerb Wettbewerb sein lassen, sondern er hat für einen geordneten Wettbewerb geworben. Er war immer ein Mann, der gesagt hat: Die kleinen und mittelständischen Unternehmen müssen eine Chance haben. Wenn man keine Ordnung in den Wettbewerb bringt, dann wird das zu einer schrittweisen Monopolisierung und Konzentration von wirtschaftlicher Macht führen. Das ist keine gerechte Ordnung.

Deshalb hat er auch sehr starke Kämpfe mit der damaligen deutschen Industrie geführt, als er gesagt hat: Ich muss ein Wettbewerbsrecht einführen. Ich darf die beliebige Konzentration von Einfluss nicht zulassen. Dieser geordnete Wettbewerb ist eine nicht wegzudenkende Säule einer Marktwirtschaft, die allen zugute kommt und von der zum Schluss alle oder sehr, sehr viele in Deutschland gesagt haben: "Wohlstand für alle" ist keine Überschrift, sondern gelebte Realität.

Wenn wir heute auf beeindruckende Wachstumsraten in Brasilien blicken, aber vor allen Dingen auch hier in Peru, dann ist Wachstum kein Selbstzweck. Wachstum ist vielmehr nur dann gut und richtig, wenn Wachstum auch den Menschen zugute kommt. Dazu wollen wir als europäische Unternehmen einen Beitrag leisten.

Wo liegen die Potenziale, die Möglichkeiten? Wir wissen, dass Investoren in Zeiten der Globalisierung die Standorte sehr stark unter die Lupe nehmen. Ich sprach schon von den rechtlichen Rahmenbedingungen, die sehr wichtig sind. Ich glaube, dass wir miteinander auch über den Schutz des geistigen Eigentums sprechen müssen, eine ganz wichtige Sache. Wir alle werben dafür, dass wir geistiges Eigentum nicht als eine einfach zur Verfügung gestellte Ware betrachten, die man beliebig kopieren kann, sondern dass der Schutz des geistigen Eigentums wirklich eine geachtete Größe und ein sehr wichtiger Beitrag zur Investitionssicherheit ist.

Wir wissen, dass gerade im Bereich der Investitionssicherheit hervorragende Fortschritte erzielt wurden. Wir haben hierbei, als wir im letzten Jahr die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und auch die G8 -Präsidentschaft inne hatten, viele Fortschritte erzielt. Ich glaube, dazu zählt auch, dass die Europäische Union jetzt Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika und der Andengemeinschaft aufgenommen hat. Präsident García hat gerade in unserer Pressekonferenz gesagt: Man muss mit den Ländern beginnen, die bereit sind, eine solche Bindung mit der Europäischen Union eingehen. Wir wissen aus der Entstehungsgeschichte der Europäischen Union, dass es am Anfang auch nur sechs Länder waren. Dann waren es 15. Heute sind wir 27 Mitgliedstaaten, und in Zukunft werden wir noch mehr sein. Man kann nicht immer auf den letzten warten, sondern man muss manchmal auch mit einer Gruppe von Ländern voranschreiten.

Wichtige Bestandteile solcher Abkommen werden neben Vereinbarungen zur politischen Zusammenarbeit auch Regelungen über den Freihandel sein. Schon heute gibt es solche Abkommen mit Mexiko und Chile. Seit dem Abschluss dieser Abkommen hat sich der Handel der Europäischen Union mit diesen beiden Ländern besonders kraftvoll entwickelt. So kann man berichten, dass allein zwischen 2004 und 2006 das Handelsvolumen der Europäischen Union mit Mexiko um 40Prozent gestiegen ist, mit Chile sogar um 60Prozent.

Es freut mich besonders, dass die Europäische Union Ende des letzten Jahres die Verhandlungen mit der Karibik über ein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abgeschlossen hat. Damit gibt es seitens der karibischen Länder inzwischen einen fast vollständig zollfreien Marktzugang zur Europäischen Union. Mit Mercosur konnten wir seitens der EU einen solchen entscheidenden Fortschritt in den letzten Jahren leider noch nicht erzielen. Ich glaube, dass wir schauen müssen, wie wir damit umgehen können. Denn Mercosur ist ja doch eine gewichtige Größe in Lateinamerika.

Bei all dem, was ich jetzt zu Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Ländern Ihrer Region gesagt habe, will ich allerdings als Überschriftdarüber setzen: Das Allerwichtigste ist, dass wir in der Doha-Runde vorankommen, dass wir nicht überall immer nur bilaterale Abkommen abschließen, sondern dass wir versuchen, den multilateralen Handel möglichst vernünftig zu regeln. Ich glaube, hierbei haben wir alle unsere Hausaufgaben zu machen. Das betrifft natürlich die Agrarseite. Hierüber diskutieren wir auch innerhalb der Europäischen Union sehr hart. Aber das betrifft natürlich auch die Frage des Zugangs von Industrieprodukten zu Ihren Ländern. Wir wissen nämlich, dass mit jeder Runde, die wir im Bereich des Welthandelsabkommens vorangekommen sind, die Möglichkeit gestärkt wurde, dass sich der Handel vernünftig entwickelt und zwar zum Wohle aller.

Ich darf jetzt, wenn ich schon beim Worte bin, die Abgeordneten aus dem Deutschen Bundestag, die auch zu unserer Delegation gehören und die gerade gekommen sind, begrüßen. Ich muss, glaube ich, auch zugeben, dass ich verfrüht begonnen habe. Herzlich willkommen also! Wir haben auch eine parlamentarische Delegation in unserer Gesamtdelegation, die all das, was wir hier über Lateinamerika erfahren, in unsere parlamentarischen Debatten einspeisen wird. Das ist von allergrößter Bedeutung.

Wir wollen? das will ich noch einmal zur Doha-Runde sagen? keinen Gegensatz von Nord und Süd, sondern wir müssen die klassischen, alten und immer schon bekannten Gegensätze überwinden. Wir brauchen eine Partnerschaft. Das heißt, dass jeder von seinen Maximalforderungen abrücken muss und dass wir alle zu Kompromissen bereit sein müssen.

Das führt mich auch zu der Gesamtstimmung, in der wir morgen unseren Gipfel abhalten sollten. Wir können die großen Konflikte, vor denen die Welt steht, heute nur gemeinsam lösen. Es gibt kein einziges Land auf der Erde mehr, das die großen globalen Probleme allein lösen könnte, sondern wir brauchen einander. Geradezu prototypisch sieht man das an den großen Herausforderungen, vor denen alle stehen, so im Hinblick auf die Knappheit der Ressourcen und eine wachsende Weltbevölkerung. Wir sehen das im Augenblick auch an den steigenden Erdölpreisen, den steigenden Erdgaspreisen, den steigenden Lebensmittelpreisen. Gerade in Ländern, die an der Schwelle zu mehr Wachstum und Wohlstand stehen, hat dies natürlich ganz fatale Auswirkungen. Deshalb müssen wir hierbei miteinander kooperieren.

Deshalb hat Deutschland im vergangenen Jahr, als wir die G8 -Präsidentschaft inne hatten, auch vorgeschlagen, dass wir einen konstanten Mechanismus zwischen der G8 -Gruppe, der Gruppe der großen Industrieländer, auf der einen Seite und den sogenannten G5, den Schwellenländern, auf der anderen Seite gründen und daraus im sogenannten Heiligendamm-Prozess eine konstante Kooperation miteinander vereinbaren. Denn heute können die Industrieländer die Probleme der Welt eben nicht mehr allein diskutieren und bewältigen.

Die G5 besteht aus den Ländern Brasilien, Mexiko, Südafrika, Indien und China. Mit Brasilien und Mexiko sind zwei lateinamerikanische Länder dabei, die wir natürlich besonders gerne mit in diese Kooperation einbeziehen. Wir wollen in diesem Heiligendamm-Prozess Probleme miteinander diskutieren, die für uns alle wichtig sind: der Schutz von Investitionen, die Verbesserung der Energieeffizienz, eine wirksame Entwicklungspolitik, insbesondere in Richtung der Ärmsten. Das sind Probleme, die auch Sie in Lateinamerika haben, aber die es natürlich auch ganz besonders im Hinblick auf den afrikanischen Kontinent gibt.

Wir werden jetzt im Sommer unter der japanischen G8 -Präsidentschaft die ersten Ergebnisse dieses Dialogs miteinander beraten. Ich werde mich dafür einsetzen, dass dieser Heiligendamm-Prozess kontinuierlich fortentwickelt wird. Denn wenn wir einige Jahre voraus denken, dann wird die Kooperation all dieser Länder miteinander immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Meine Damen und Herren, morgen werden sich hier in Lima die Vertreter von mehr als 60Staaten zum fünften EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel treffen. Peru hat diesen Gipfel mit großem Einsatz und viel Kreativität vorbereitet. Ich habe mich eben schon beim peruanischen Staatspräsidenten für seine Gastfreundschaft bedankt. Wir wollen uns zwei Schwerpunkte vornehmen: zum einen die Bekämpfung von Armut und extremer sozialer Ungleichheit, zum anderen die Bereiche Umwelt, Klimawandel und Energie. Lassen Sie mich hier deshalb kurz skizzieren, mit welchen Erwartungen ich hierher, nach Lima, zu diesem Gipfel gekommen bin.

Die wirtschaftliche Entwicklung in Lateinamerika ist ermutigend. Es gibt auch wichtige Fortschritte bei der Armutsbekämpfung. Wir können davon ausgehen, dass Lateinamerika als Kontinent die Millenniumsziele erfüllen wird, insbesondere die Halbierung der Armut. Die Halbierung der extremen Armut ist ein erster Schritt, aber das kann natürlich noch nicht ausreichen.

40Prozent der Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika wird seitens der Europäischen Union geleistet. Ich glaube, dass wir hierbei auch erhebliche Fortschritte erzielt haben. Ich habe eben mit Präsident García sehr ausführlich und sehr punktgenau diskutiert, wo unsere Entwicklungszusammenarbeit ansetzen muss. Natürlich gehört zur Überwindung von sozialen Ungleichheiten die ganz konkrete Durchführung von Projekten. Aber es soll ja Hilfe zur Selbsthilfe sein. Hierbei wird gerade der Bereich, den Sie vertreten, nämlich die unternehmerische Aktivität, eine große Rolle spielen.

Wir wissen, dass kleine und bereits kleinste Unternehmen Menschen sehr viel selbstständiger und selbstbewusster machen und damit auch die Chancen von Wachstum verbreitern. Deshalb können wir zum Beispiel insbesondere die Erfahrung mit kleinen Unternehmen aus Deutschland, mit den sogenannten mittelständischen Unternehmen, einbringen. Wir können Ihnen berichten, dass ein hohes Maß der Robustheit unseres Industriestandortes auch angesichts weltwirtschaftlicher Krisen gerade aus den kleinen und mittleren Unternehmen resultiert. Wir wissen aber auf der anderen Seite auch, dass diese Unternehmen spezielle Hilfestellungen brauchen, um in der Globalisierung überhaupt bestehen zu können. Hierbei können wir sehr gut zusammenarbeiten. Unverzichtbare Voraussetzungen dafür sind natürlich offene Märkte und auch ein wirksamer Schutz des Privateigentums. Dafür werde ich morgen werben, wenn ich ein Impulsreferat zum Bereich der Armutsbekämpfung halten werde.

Wir wollen natürlich auch, dass bestimmte soziale Mindeststandards eingehalten werden. Die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation, hat solche Standards festgelegt. Eine der wichtigen Diskussionen, die wir miteinander führen müssen, ist, dass es nach meiner Überzeugung weltweit bestimmte Standards gibt, die für alle in ähnlicher Weise gelten müssen. Deshalb, glaube ich, ist die Diskussion über solche soziale Mindeststandards auch sehr wichtig.

Der zweite Punkt, der uns morgen beschäftigen wird, ist die Frage der Umwelt, des Klimawandels, der Artenvielfalt, der Energiesicherheit. Wir können in Lateinamerika beobachten, dass diese Themen selten so klar ineinander greifen, wie wir es hier, in diesen Ländern, sehen können. Auf der einen Seite ist die Erzeugung von Energie von großer Wichtigkeit für die Entwicklung einer industriellen Basis. Auf der anderen Seite ist die nachhaltige Entwicklung von Energie natürlich die Voraussetzung dafür, dass wir nicht an einer Seite etwas zerstören, um an einer anderen Seite etwas aufzubauen. Die Bedeutung der großen natürlichen Gebiete, zum Beispiel des Amazonas, für das gesamte Weltklima, die Fähigkeit von Mooren und Wäldern zur Absorption von CO2, ist natürlich ein wesentlicher Punkt, der nicht nur von nationalem Interesse einzelner Länder ist, sondern von globalem Interesse.

Wir müssen miteinander diskutieren, wie wir diese Dinge zusammenbringen, und dazu will ich für die Europäische Union und für Deutschland zwei Dinge sagen.

Erstens: Wenn wir über die gemeinsame Verantwortung sprechen, dann müssen wir auch einen Beitrag zu dieser gemeinsamen Verantwortung leisten. In wenigen Tagen wird die Artenschutzkonferenz im Rahmen des Biodiversitätsabkommens stattfinden. Deutschland wird der Gastgeber sein. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, dass der Schutz des Regenwaldes nicht nur eine schöne Überschrift ist, sondern dass die notwendigen finanziellen Ressourcen auch seitens der Industrieländer bereitgestellt werden müssen. Es ist nämlich so, dass es viele internationale Zusammenkünfte gab, bei denen manches versprochen wurde, was dann aber nicht immer eingelöst wurde. Damit komme ich wieder zu dem Punkt, den ich auch für ganz wichtig halte: Wir müssen uns in unseren Zusagen aufeinander verlassen können.

Zweitens: Die Industrieländer wissen im Bereich des Klimaschutzes um ihre Verantwortung. Die Europäische Union ist bereit, ihre Emissionen gegenüber 1990 um 30Prozent zu senken, wenn das innerhalb eines internationalen Rahmens auch von anderen großen Emittenten getan wird. Allerdings muss ich sagen, dass wir den Klimawandel seitens der Europäischen Union alleine nicht werden lösen können. Wir innerhalb der Europäischen Union haben heute einen Anteil an den weltweiten CO2 -Emissionen von 15Prozent. Dieser Anteil wird, wenn wir uns die wirtschaftliche Entwicklung von China und Indien anschauen, in den nächsten Jahren sinken. Das heißt, wir können an den Technologien arbeiten und mit gutem Beispiel vorangehen. Aber selbst wenn wir gar kein CO2 mehr emittieren würden, wäre das Weltklimaproblem nicht gelöst.

Deshalb sehen wir unsere Chance vor allen Dingen darin, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit auch zunehmend die Zusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien miteinander zu pflegen. Wir haben gestern gerade in Brasilien ein spannendes Abkommen unterzeichnet, durch das wir im Bereich der Verbesserung der Energieeffizienz der erneuerbaren Energien zwischen Deutschland und Brasilien intensiver zusammenarbeiten und auch darüber diskutieren wollen, wie wir das Ganze nachhaltiger gestalten können, also im Sinne von "sustainable development".

Das Thema, an dem sich diese Diskussion im Augenblick festmacht, ist das Thema der Biokraftstoffe, auch ganz besonders das Thema Ethanol. Ich habe jetzt bei meiner Reise gelernt, dass wir aufpassen müssen, dass es nicht zu schnelle Urteile gibt, bevor man die Fakten wirklich kennt. In Europa sieht man die steigenden Lebensmittelpreise. Man sieht zum Teil auch besorgniserregende Zahlen in Bezug auf die Rohdung von Tropenwäldern und ist deshalb geneigt, eine sehr fundamentale Kritik an der Entwicklung der gesamten Biomassestrategie zu üben und zu sagen: Dies ist doch nicht der richtige Weg.

Ich sage an dieser Stelle: Ich halte die europäische Strategie zur Erhöhung der regenerativen Energien auf der Basis von Biomasse für richtig. Wir werden auch in Deutschland unsere Biospritstrategie nicht verändern, was die langfristigen Ziele anbelangt. Ich habe jetzt in Brasilien und anderen Ländern gelernt, dass die Diskussion hier so läuft: "Weil wir das besonders gut können, seid ihr in Europa auf dem Weg, protektionistische Maßnahmen zu unternehmen, um uns die Exportchancen zu verbauen." Deshalb will ich an dieser Stelle ganz klar sagen: Das ist absolut falsch. Wir importieren zum Beispiel eine Vielzahl von Palmölen nach Deutschland, und wir werden das auch weiterhin tun. Wir sagen nur: Das muss in einer nachhaltigen Art und Weise geschehen. Die Produktion muss transparent sein.

Deshalb bin ich auch sehr froh, dass es uns gelungen ist, mit Brasilien eine Arbeitsgruppe zu vereinbaren, in der wir uns die Bedingungen der Produktion anschauen, sowohl die Auswirkungen auf die Umwelt als auch die Auswirkungen auf die sozialen Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere der Landarbeiter. Wenn wir das so machen, dann können wir eine gemeinsame Biospritstrategie für unsere Länder entwickeln.

Ich bin sehr beeindruckt von den flexiblen Motoren, die heute in Lateinamerika, insbesondere in Brasilien, schon gang und gäbe sind und die Kraftstoffe jeder Qualität verwenden können. Davon können wir in Europa noch etwas lernen. Aber das Ganze muss, wie gesagt, transparent sein. Wir müssen auch sehen, ob und wann es zu Konflikten kommen kann. Die sehe ich weniger im Bereich des Zuckerrohrs. Bei der Frage der Sojabohnen ist das schon eine andere Lage. Deshalb müssen wir über diese Fragen intensiv diskutieren, und auch das wird morgen beim EU-Lateinamerika-Gipfel geschehen.

Meine Damen und Herren, es gibt viele Investoren aus Europa, die sehr mutig Neuland betreten haben und damit, glaube ich, einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Lateinamerikas geleistet haben. Es gibt umgekehrt sehr viele, die mit ihren Produkten den Weg nach Europa gesucht haben und damit die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten viel näher und besser kennen gelernt haben. Diesen Weg müssen wir miteinander beschreiten, diesen Weg müssen wir miteinander gehen.

Ich glaube, dass eine Vielzahl von gemeinsamen Vorstellungen, insbesondere auch über einen freien Welthandel und über möglichst wenige Barrieren im Handel, ein sehr gutes Fundament für die Entwicklung unserer weiteren Wirtschaftsbeziehungen bieten kann. Ich glaube, dass diese heutige Zusammenkunft mit den vielfältigen Referaten und Diskussionen, die Sie geführt hatten, einen Beitrag dazu geleistet hat. Ich werde mir darüber noch berichten lassen, um das dann auch in die politischen Debatten am morgigen Tage einfließen zu lassen.

Wir danken Ihnen ganz herzlich dafür, dass Sie diese Initiative ergriffen haben. Wir wünschen weiterhin gute wirtschaftliche Erfolge für alle, die sich engagiert haben. Staaten können nämlich vieles leisten: Wir können Menschen einstellen, wir können überwachen, wir können Gesetze verabschieden, wir können Rahmenbedingungen schaffen. Aber wir können nie die Kreativität eines Unternehmers ersetzen, der eine Idee hat, der sich auf den Weg macht, der etwas produziert, der sich um die Menschen sorgt, der sie ausbildet, der ihnen eine Chance gibt, der ihnen eine Perspektive gibt und der dankenswerterweise zum Schluss auch Steuern zahlt, mit denen der Staat erst arbeiten kann. Deshalb wissen wir, dass wir Sie brauchen. Herzlichen Dank, dass ich heute hier sein durfte!