Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 22.05.2008

Untertitel: Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede: Sehr geehrter Herr Minister Wöller, Sehr geehrter Herr Dr. Rentsch, Sehr geehrter Herr Reichel, Sehr geehrter Herr DreßlerSehr geehrter Herr Dr. Müller, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/05/2008-05-22-rede-chefbk-eroeffnung-uhrenmuseum,layoutVariant=Druckansicht.html


eine Uhr gibt einen Zeitpunkt an oder misst eine Zeitspanne.

Was aber ist Zeit? Das Wort Zeit bezeichnet im Alltag "die vom menschlichen Bewusstsein wahrgenommene und scheinbar kontinuierlich fortschreitende Ordnung im Auftreten von Ereignissen", sagt eine Definition von Wikipedia. Der Brockhaus definiert Zeit als die "nicht umkehrbare, nicht wiederholbare Abfolge des Geschehens, die als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft am Entstehen und Vergehen der Dinge erlebt wird." Unserem, dem menschlichen Leben gibt Zeit eine unersetzliche Ordnung, eine Orientierung, auch wenn wir die Abläufe vielleicht manchmal gern etwas anders hätten. Die Zeit teilt unser Leben unweigerlich in vorher jetzt nachher. Das menschliche Empfinden von Zeit wird vor allem durch das Vergehen geprägt. Vergehen heißt jedoch nicht zugleich "weg sein für immer","aus den Augen, aus dem Sinn". Zeit ist in unserer Wahrnehmung an den Raum und damit auch an Orte gebunden.

Ich will jetzt nicht allzu tief ins Philosophieren über den Zeitbegriff einsteigen: mit dem Ort Glashütte und seinem Uhrenmuseum haben wir jedenfalls einen Ort gewonnen, in dem wir Dinge und Eindrücke der vergangenen Zeit bewahren können. Glashütte ist durch seine Geschichte prädestiniert, Standort eines Museums zu sein, das letztlich dem Phänomen der Zeit gewidmet ist.

Um die Zeit zu messen, werden hauptsächlich Systeme verwendet, die periodisch in den selben Zustand zurückkehren. Bestimmt wird die Zeit durch das Zählen der Perioden. Ein solches System nennen wir Uhr.

Die Uhr ist heute inzwischen zumeist eine digitale Anzeige: ob auf dem Bahnhof, in den Regieräumen der Fernsehstudios, auf unseren Weckern, in den TV-Geräten, am Küchenradio. Sie werden zumeist per Funk gestellt.

Die "mechanische Uhr" aber, die Taschenuhr allzumal, widersetzt sich dem Druck der Zeit. Sie steht für das Bewahrende, Schreitende, das Verlässliche, für Innehalten und Besinnen.

Das vertraute Ticken verkündet eine andere Zeit als das unaufhaltsame Weiterlaufen digitaler Zahlenformationen. Für diese alte Uhrmacher-Kunst steht weltweit der Name Glashütte.

Glashütte verkörpert 160 Jahre deutschen Uhrmacherhandwerks in höchster Qualität. Heute sind Glashütter Uhren wieder bei Kennern und Liebhabern in aller Welt begehrt. Der Name "Glashütte" gilt als Gütesiegel. Das ist eine nationale als auch internationale Erfolgsgeschichte.

Davon zeugt unter anderem die hohe Exportrate der Erzeugnisse. Die Beschäftigten-Zahlen sprechen für sich: Während 1994 nur noch 72 Uhrmacher in Glashütte tätig waren, gibt es heute wieder rund 800. Die Erfolgsgeschichte gründet auf der Kombination von Erfindergeist, unternehmerischem Mut, Fleiß, Leidenschaft, geglückter Investorensuche und - vor allem aber - auf dem einmaligen Know how der Glashütter Spezialisten. So stammen zum Beispiel in der Glashütter Uhrenbetrieb GmbH über 90 Prozent der Mitarbeiter aus alteingesessenen Uhrmacherfamilien. Sie können stolz sein auf ihr Hand-Werk, das sich im Uhr-Werk wiederfindet.

Schon traditionell ist auch das Interesse der öffentlichen Hand an diesem Standort der Uhrenfabrikation und die damit verbundene Förderung:

Anfang des 19. Jahrhunderts war Glashütte ein "durch den gänzlichen Verfall des Bergbaues ganz verarmter Ort", dessen Bewohner zumeist mehr schlecht als recht von Landwirtschaft und Strohflechterei lebten.

1843 suchte die Regierung per Aufruf Fachleute, die bereit waren, in sächsischen Notstandsgebieten mit staatlicher Hilfe Industrien aufzubauen. Da meldete sich der Uhrmachermeister Ferdinand Adolph Lange aus Dresden. Er unterbreitete den Vorschlag zur Gründung einer Taschenuhrfabrik im strukturschwachen Gebiet des Erzgebirges. Eine staatliche Kommission wählte dafür den Standort Glashütte aus. Lange erhielt für sein Vorhaben vom Königlich Sächsischen Ministerium des Innern ein Darlehen von 5580 Talern. In einem Vertrag vom 31. Mai 1845 mit der Regierung verpflichtete er sich, 15 Lehrlinge innerhalb von drei Jahren in der Uhrmacherei zu unterrichten. Die Keimzelle der Uhrenfabrikation in Glashütte war mit staatlicher Unterstützung gelegt worden.

Neben umfassender Aus- und Weiterbildung und Offenheit für Innovationen ermunterte der Chef seine fähigsten Mitarbeiter, sich selbstständig zu machen. Einige von ihnen nahmen die Herausforderung an. So ist die Glashütter Geschichte ist mit den Namen vieler berühmter Uhrmachermeister verbunden. An dieser Stelle muss unbedingt auch Moritz Großmann gewürdigt werden. Er gründete die "Deutsche Uhrmacherschule Glashütte". So wurden hier ab dem 1. Mai 1878 in der Lehranstalt des "Zentralverbandes der deutschen Uhrmacher" die ersten Lehrlinge unterrichtet.

Seitdem ist viel Zeit vergangen, die die vielen hier hergestellten Uhren in für den Menschen verdauliche Abschnitte eingeteilt haben. Heute schließt sich mit dem Einzug des Deutschen Uhrenmuseums Glashütte in das 1881 für die Uhrmacherschule erbaute Gebäude der Kreis.

Die aufwändige Sanierung dieses Hauses und dessen Ausbau zum Museum verdanken wir einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft der Stadt mit der Glashütter Uhrenbetrieb GmbH. Das Unternehmen mit der Marke Glashütter Original versteht sich als Wahrer der Tradition des gesamten Standortes, auch im Auftrag der schweizerischen Swatch Group

Stadt und Unternehmen tragen die "Stiftung Deutsches Uhrenmuseum Glashütte Nicolas G. Hayek". Durch Investitionen von mehr als 10 Millionen Euro in den nächsten 10 Jahrenbekennt sich das Unternehmen zur Tradition des Standortes.

In diesem schön sanierten Gebäude ist auch die nach Alfred Helwig benannte hauseigene Uhrmacherschule des Unternehmens angesiedelt. 45 Auszubildende absovieren hier die nicht nur in Deutschland begehrte Ausbildung zum Uhrmacher.

Das Museums ist nicht nur etwas für Philosophen, Uhrenliebhaber oder Technikbegeisterte.

Deutsche und Glashütter Geschichte wird für die Besucher plastisch in 450 ausschließlich aus Glashütte stammenden Exponaten illustriert. Der Blick zurück reicht von der Wilhelminischen Gründerzeit mit der Blütezeit der Taschenuhr um 1900 über die Umstellung der Produktion auf Taschenuhren nach dem 1. Weltkrieg bis zur Bombardierung am letzten Tag des 2. Weltkrieges, dem Zusammenschluss zum "VEB Glashütter Uhrenbetriebe" oder den "Wendejahren", die mit Treuhand, Marktanpassung und Arbeitplatzabbau verbunden waren. Auch die Flut des Jahres 2002, die schwere Schäden in Glashütte anrichtete wollen wir nicht vergessen.

Die Gegenwart nimmt einen eigenen Raum ein. Acht der derzeitigen Uhrenfirmen aus Glashütte stellen hier ihre Produkte vor.

Mein herzlicher Dank, der Bundesregierung, gilt allen an der Errichtung der Stiftung "Stiftung Deutsches Uhrenmuseum Glashütte Nicolas G. Hayek" und der Einrichtung dieses Hauses Beteiligten.

Ich wünsche dem Uhrenmuseum eine gute Zeit, Besucher mit Zeit und uns allen, dass wir die Zeit, die unsere Uhren messen, als wertvolle Zeit wahrnehmen und nutzen.