Redner(in): k.A.
Datum: 05.06.2008
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Ludewig, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/06/2008-06-05-grusswort-hildem_C3_BCller-b_C3_BCrokratie,layoutVariant=Druckansicht.html
ich möchte Sie auch im Namen von Frau Pons-Deladrière von der Europäischen Kommission sehr herzlich hier in Berlin zu unserer Konferenz zum Bürokratieabbau in Europa begrüßen.
Darüber, was Bürokratie ist und was Bürokratie nicht ist und wie man Bürokratie misst und abbaut, werden wir heute noch viel diskutieren.
Ganz klar ist aber: Bürokratieabbau hat etwas mit Freiheit zu tun und damit, Handlungsfähigkeiten wieder zurückzugewinnen.
Deswegen ist der Bürokratieabbau für diese Bundesregierung so wichtig.
Er ist ein zentraler Punkt in unserem Koalitionsvertrag.
Er ist aber vor allem auch ein zentraler Punkt in der Regierungspraxis der letzten zweieinhalb Jahre.
Zum ersten Mal rücken wir der Bürokratie systematisch und mit einer international erprobten Methode zu Leibe. Und zum ersten Mal können wir die Belastung und die Entlastung sichtbar machen. In Deutschland haben wir bereits einiges erreicht. Jetzt nehmen wir uns gemeinsam mit der EU-Kommission die Bürokratie vor, die aus Brüssel kommt.
Die meisten von Ihnen haben immer mal wieder vom Bürokratieabbau gehört und gelesen, einige haben in den letzten Monaten selber tatkräftig mitgeholfen. Für einige ist das vielleicht heute die erste Begegnung mit dem Thema. Mein persönliches Fazit zum Bürokratieabbau in zwei Sätzen:
Bürokratieabbau ist ein schwieriges und hartes Geschäft.
Bürokratieabbau ist zugleich aber auch ein sehr lohnenswertes Geschäft der lange Atem zahlt sich aus, für jeden Einzelnen von uns.
Warum ist der Bürokratieabbau ein so zähes und schwieriges Geschäft?
Man sollte meinen, dass niemand etwas dagegen haben kann, dass man überall offene Türen einrennt.
Die Sache ist vor allem deshalb so schwierig, weil wir beim Bürokratieabbau immer mit einem Bein mitten in der politischen Grundsatzdebatte stehen.
Für manche gesetzliche Kontrollpflicht oder Kennzeichnungspflicht haben Gewerkschaften oder Verbraucherschützer lange gekämpft. Wenn man das im Namen des Bürokratieabbaus "so nebenbei" wieder abschaffen möchte, darf man sich nicht wundern, wenn der Konsens beim Bürokratieabbau in Frage gestellt wird. Dann landet man wieder bei der Frage nach Sinn und Unsinn staatlicher Regulierung, und bei einer allgemeinen Wertediskussion:
Wieviel Kündigungsschutz können wir uns leisten?
Wieviel Verbraucherschutz, Umweltschutz, Klimaschutz?
Nichts gegen diese politische Debatte! Wir brauchen diese Auseinandersetzung. Wir müssen auch diese unbequemen politischen Fragen stellen.
Mein Ziel bleibt es, Zeit für das Wesentliche zu erhalten oder wo nötig wieder zu schaffen.
Die Beschränkung auf das wirklich Notwendige muss der Maßstab sein!
Diese politischen Debatten sollten wir aber unabhängig von dem gemeinsamen Projekt des Bürokratieabbaus sehen.
Es gibt ein enormes Potential an Entlastung das wir beim Bürokratieabbau erreichen können.
Für Unternehmen sollte dies bedeuten: Sie werden von unnötiger Bürokratie entlastet und gewinnen somit mehr Freiraum und Zeit.
Zeit, die sie in ihre eigentlichen Kernaufgaben das Wesentliche investieren können.
Deswegen mein Appell:
Den Bürokratieabbau machen wir sofort.
Weitergehende politische Grundsatzentscheidungen dann soweit vom Wähler gewünscht ab Herbst 2009. Mit dem international erprobtem Standardkosten-Modell haben wir eine Methode, die es uns erlaubt, das "Politische" vom "Unpolitischen" zu trennen.
Die Grundregel lautet:
a ) Die Folgen also die Kosten werden gemessen oder abgeschätzt.
b ) Das politische Ziel einer gesetzlichen Regelung wird nicht in Frage gestellt.
Wir fragen danach, ob wir dasselbe Ziel nicht mit weniger Verwaltungsaufwand erreichen können.
Wie das im Einzelnen abläuft, werden Sie heute im Laufe des Tages erfahren und in den Workshops selber testen können.
Es gibt einen zweiten Grund, warum der Bürokratieabbau ein so hartes und zähes Geschäft ist: Wir müssen uns um Details kümmern. Berichts- und Anmeldeformulare, Steuererklärungsbögen, das alles können wir nicht per Dekret einfach "abschaffen".
Jeder kann sich ausmalen, welches Chaos ausbräche, wenn hier von heute auf morgen ersatzlos gestrichen würde. Oder wenn ohne Sinn und Verstand gestrichen wird. Die Kunst ist also, aus den vielen Formularen und Verfahren diejenigen Elemente herauszufiltern, die tatsächlich unverzichtbar sind. Auch hier hilft das Standardkosten-Modell. Denn es zerlegt die Bürokratie in ihre Einzel-Schritte. Dadurch erst werden bestimmte überflüssige "Schleifen" im Verfahren sichtbar.
Diese Fleißarbeit muten wir uns zu, insbesondere den Mitarbeitern in den Bundesministerien. Diese Fleißarbeit muten wir auch Ihnen heute zu. Wir müssen beides im Auge behalten: Das übergeordnete politische Ziel, zu dem wir hinwollen, und die einzelne Bürokratie-Vorschrift, die wir unter die Lupe nehmen, um zu prüfen, ob wir sie nicht abschaffen oder verändern können.
Ich glaube fest daran, dass sich diese Mühe lohnt. Wir haben hier die einmalige Chance, etwas eigentlich Unbezahlbares zurückzugewinnen nämlich Freiheit, das heißt: Freiräume, freie Zeit, freie Ressourcen. Eben: Zeit für das Wesentliche. In der Summe geht es um viele Milliarden EUR pro Jahr. Mir ist aber wichtig, dass diese Freiräume für jedes einzelne Unternehmen, für jeden Einzelnen von uns auch spürbar sind.
Und echte Freiheit bedeutet dann auch, dass jeder selber bestimmt, was sie oder er mit diesen Freiräumen macht:
Für einen Unternehmer ist Zeit Geld: Effiziente Verwaltungsabläufe und kürzere Genehmigungsverfahren bedeuten eine höhere Rendite. Oder aber: Mehr Luft für Investitionen und für Innovationen. Und damit auch mehr Arbeitsplätze.
Für den einzelnen Bürger bedeutet weniger Bürokratie mehr freie Zeit für das, was ihm wichtig ist: Freunde, Familie, Freizeit.
Für die Gesellschaft insgesamt bedeutet das: Mehr freie Ressourcen bei Staat und Privaten für andere wichtige politische Ziele, also für Bildung, Kultur, Forschung, Umwelt- und Klimaschutz.
Apropos Klimaschutz: Ich möchte das Beispiel des Klimaschutzes nehmen, um deutlich zu machen, was Zeit für das Wesentliche heißt. Dies heißt auch wettbewerbsfähig zu bleiben.
In den Diskussionen über die Kosten der europäischen Klimaschutzpolitik und Deutschland wird da weiterhin zu den Vorreitern gehören ist deutlich geworden, dass wir mit spitzem Bleistift ausrechnen müssen, was wir unseren Unternehmen an Belastungen zumuten können.
Wer weiß vielleicht sind es am Ende umgekehrt die Einsparungen aus diesem Programm zum Bürokratieabbau, die die entscheidenden Prozente an Entlastung bringen, um trotz der strengen Klimaschutzauflagen unsere Unternehmen gut im Wettbewerb zu halten.
Das nur als ein Beispiel. Mit anderen Worten:
Für jeden heute hier im Saal ist etwas für ihn Wesentliches dabei. Für jeden sollte es sich lohnen, beim Bürokratieabbau mitzumachen. Als Bundesregierung kommen wir heute nicht mit leeren Händen. Wir haben in den letzten zwei Jahren einiges erreicht.
Wir haben die Bürokratie auf Bundesebene und teilweise auch schon das EU-Recht gemessen. Dabei ist es mir persönlich übrigens besonders wichtig und das wird Herr Dr. Ludwig sicherlich auch nochmals unterstreichen dass wir die Bereiche des EU-Aktionsprogramms schnell und umfassend unter die Lupe nehmen.
Bislang haben wir gut 30 Mrd. EUR an Kosten ermittelt. Bislang einiges kommt noch nach.
Mit der Messung ist es aber natürlich nicht getan. Bis 2011 wollen wir 25 % der Bürokratiekosten abbauen. Im April haben die Ressorts aktualisierte Vereinfachungspläne mit über 250 Vereinfachungs- und Abbauvorschlägen vorgelegt. Diese haben ein Entlastungsvolumen von bislang fast 4,5 Mrd. EUR.
Soweit zum bestehenden Recht.
Für mich sehr entscheidend ist aber, dass wir auch neue Bürokratielasten vermeiden. Denn nur durch einen Nettoabbau erreichen wir eine wirkliche Entlastungswirkung. Das dürfte klar sein.
Deshalb bauen wir auf die Unterstützung eines neuen, unabhängigen Gremiums:
Seit Dezember 2006 prüft der Nationale Normenkontrollrat alle Gesetzesvorschläge aus den Ressorts auf ihre Bürokratie-Tauglichkeit.
Herr Dr. Ludewig, der Vorsitzende des NKR, wird dazu noch mehr sagen.
Wir haben rasch erkannt, dass wir auch die EU-Ebene mit einbinden müssen. Aus Sicht eines deutschen Unternehmens ist es egal, ob es jeden Monat den immer gleichen Berichtsbogen ausfüllen muss, weil eine deutsche Verordnung das so anordnet, oder weil eine EU-Verordnung ihn dazu zwingt. Das alte Argument "Wir würden das ja gern vereinfachen, da ist aber leider die EU zuständig" soll in Zukunft nicht mehr gelten.
Deswegen unterstützen wir die EU-Kommission, die seit Mitte letzten Jahres systematisch die EU-Bürokratie abbaut. Es war die deutsche Bundeskanzlerin, die im März 2007 als EU-Ratsvorsitzende das Paket zum EU-Bürokratieabbau auf den Weg gebracht hat: Messung in 27 Ländern, dann Abbau von 25 % bis 2012. Ein extrem ehrgeiziges Projekt, allein von der Dimension. Frau Pons-Deladrière wird uns mehr dazu sagen.
Und auch bei einer anderen interessanten Neuheit in Europa haben wir uns das ist kein Geheimnis engagiert:
Seit Januar diesen Jahres gibt es auf EU-Ebene erstmals einen unabhängigen Bürokratiewächter, einen "Watchdog", wie die Engländer sagen: 15 Interessenvertreter aus verschiedenen Mitgliedstaaten, Umweltverbände, Gewerkschaften, Vertreter von Handel und Industrie, also eine ähnliche gute Mischung, wie wir sie hier heute versammelt haben.
Vorsitzender dieser hochrangigen Expertengruppe ist Dr. Edmund Stoiber.
Und ein wichtiges Mitglied dieser Gruppe ist heute hier: Herr Dr. Ludewig.
Wir selber wissen aus der Erfahrung mit dem deutschen Normenkontrollrat wie unbequem unabhängige "Watchdogs" sein können und zugleich, wie unverzichtbar sie sind.
Ich möchte dem Nationalen Normenkontrollrat und seinen Mitarbeitern ganz herzlich danken für die Arbeit, die sie in den fast vergangenen zwei Jahren geleistet haben.
Gut 500 Regelungsvorhaben wurden vom Rat bislang überprüft.
Gut 1 Mrd. EUR hat uns das Gremium durch seinen Rat dabei an Bürokratiekosten "erspart". Ich erinnere nur an Diskussionen über die Unternehmensteuer oder aktuell seine Hinweise zur Erbschaftsteuer, die dafür sorgen, dass im Bundestag auch über die Bürokratiekosten lebhaft diskutiert wird.
Ich bin mir sicher, die Arbeit des "NKR" ist ein ganz wichtiger Schritt, um Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen und damit die Chance zu vergrößern, mehr Arbeitsplätze wieder in unserem Land anzusiedeln.
Dieses Verfahren hat sich bewährt in den Ministerien hat sich ein sensibleres Bewusstsein für die Bürokratiefolgekosten einer Regelung entwickelt.
Auch die Europäische Kommission musste sich an ihren "Wachhund" erst einmal gewöhnen. Inzwischen ist sie aber froh, ihn zu haben, wie ich höre.
Das sind einige der Dinge, die Bundesregierung und Kommission gemeinsam angestoßen haben. Wir hätten das aber nicht geschafft ohne die Hilfe der Bundesländer und der Unternehmen und Verbände, die mitgeholfen haben, die Bürokratie aufzuspüren, Messungen durchzuführen, die Fallzahlen zu ermitteln.
Ganz herzlichen Dank dafür. Denn häufig haben wir auf Bundesebene bestimmte Informationen nicht: - Wieviele Unternehmen sind betroffen? - Wie oft wird ein bestimmter Antrag pro Jahr gestellt? Das wissen die Unternehmen und die Länder und Kommunen besser, die gemeinsam die Vorschriften Tag für Tag anwenden. Dafür brauchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Wir brauchen diese Untersützung auf allen Ebenen, denn jeder ist in seinem Bereich verantwortlich. Übrigens auch ein Grund, weshalb wir im Frühjahr die Selbstverwaltungsträger mit ins Boot unseres Programms geholt haben.
Zugleich hilft uns diese Zusammenarbeit auch die Wirksamkeit unserer Methode zu überprüfen. Denn vor allem brauchen wir Ihre Unterstützung auch, um herauszufinden, wo wir Verfahren so ändern können, dass sie für alle Beteiligten leichter ablaufen. Das Standardkosten-Modell mit den eingangs erwähnten unstreitigen Vorteilen ist und bleibt dabei das gemeinsame Dach.
Gute Lösungen für die Praxis können nur aus der Praxis kommen. Deswegen bin ich froh, dass wir hier heute einen echten Querschnitt durch unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft versammelt haben.
Ich wünsche Ihnen eine spannende und konstruktive Diskussion. Heute abend können wir nach einem Glas Wein, das wir uns dann redlich verdient haben vielleicht bereits die ersten konkreten Vereinfachungsvorschläge mit nach Hause nehmen.
Das ist aber erst der Anfang. Wir sollten über diesen Tag hinaus im Dialog bleiben. Wie gesagt, ein hartes Geschäft, für das man einen langen Atem braucht, aber ein sehr lohnendes. Ich danke Ihnen, dass Sie mit dabei sind.