Redner(in): Angela Merkel
Datum: 13.09.2008

Untertitel: in Bad Dürkheim
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2008/09/2008-09-13-bkin-bad-duerkheim,layoutVariant=Druckansicht.html


Sehr geehrter Herr Bürgermeister Lutz,

erst einmal herzlichen Dank für die wunderschöne Begrüßung mit der "Berliner Luft". Die ist heute etwas sonniger gewesen, aber in diesem Zelt scheint ja die Sonne auch bei Regen. Insofern herzlichen Dank all denen, die das mit organisiert haben.

Herr Bürgermeister, ich freue mich, dass ich mit Norbert Schindler, meinem Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, mit Maria Böhmer, der Staatsministerin aus dem Kanzleramt, und mit Christian Baldauf heute hier sein kann und mit vielen anderen Abgeordneten aus den Kommunalparlamenten, aus dem Landtag und mit den Partnergemeinden von Bad Dürkheim und Ihnen, die Sie heute extra hierher gekommen sind. Ein herzliches Dankeschön dafür, dass ich hier sein darf.

Christian Baldauf hat zu mir mal gesagt: Sie haben auch einen schönen Wahlkreis die Insel Rügen, Stralsund. Aber wir haben hier etwas ganz Besonderes: den Dürkheimer Wurstmarkt. Wenn Sie mal etwas von Rheinland-Pfalz kennen lernen wollen, dann sollten Sie hier unbedingt dabei sein. Gut, habe ich mir gedacht, hört sich super an. Eine Weile lang habe ich gedacht, der Markt hat im Wesentlichen etwas mit Würsten zu tun. Aber nachdem wir dem Ereignis näher kamen eben hat jemand zu mir gesagt, dass man die Wurst als Grundlage braucht, damit das Eigentliche dann zum Zuge kommen kann, habe ich mich dann doch auf ein Weinfest gefreut ein Weinfest, das in diesem Jahr zum 592. Mal gefeiert wird. Eine tolle Tradition.

Das ist es auch, glaube ich, was Deutschland so spannend und so interessant macht. Wir haben die unterschiedlichsten Traditionen, die unterschiedlichsten Wurzeln, die unterschiedlichsten Verbindungen. Jeder ist in seiner Heimat stolz auf das, was bei ihm angebaut wird, wächst, gebaut ist, auf alles, was in den Jahrhunderten vor uns dort passiert ist.

Sie werden sich manchmal auch fragen: Wie haben die Menschen vor 592Jahren hier begonnen? Da gab es auch Kulturen, den Weinanbau und vieles andere mehr. Wir leben jetzt miteinander im 21. Jahrhundert, unsere Bundesrepublik Deutschland wird nächstes Jahr gerade mal 60Jahre alt. Nächstes Jahr ist auch der Bürgermeister hat davon gesprochen der 20. Jahrestag des Falls der Mauer. Wir leben in einem wiedervereinigten Deutschland.

Eben wurde gesagt, Helmut Kohl war oft hier, bevor er Bundeskanzler wurde und nachdem er nicht mehr Bundeskanzler war. Als er Bundeskanzler war, ist er aus Gründen, die ich nicht kenne, nicht hergekommen, weil er wahrscheinlich viel in der Welt herumfahren musste. Aber weil ich so etwas Schönes wie Bad Dürkheim nicht in meiner Umgebung habe, bin ich als Bundeskanzlerin jetzt hierher gekommen.

Wenn wir politisch über Deutschland sprechen, dann sprechen wir ja sehr häufig über Steuern, über Abgaben, über Gesundheitssysteme, Rentensysteme. Das ist alles unglaublich wichtig. Aber als die Deutsche Einheit kam, hat für uns in den neuen Bundesländern etwas begonnen, was wir in der Zeit des Sozialismus unheimlich vermisst haben. Dort durfte man sich nämlich nicht um seine eigene Geschichte kümmern. Eine der ersten Sachen, nachdem die Deutsche Einheit geschaffen war, war, dass in den Ortschaften, in den Gemeinden, in den Dörfern, in den Städten plötzlich wieder Chroniken geschrieben und örtliche Museen eingerichtet wurden, Menschen über die geschichtlichen Verflechtungen miteinander gesprochen und sich an alte Traditionen erinnert haben und daraus Kraft für die Zukunft geschöpft haben.

Weil wir in Deutschland so ein Glück hatten und die alte Bundesrepublik gut gewirtschaftet hat, konnten wir auch die alten traditionellen Gebäude wieder herrichten. Die DDR ist ja nicht nur zusammengebrochen, weil die Menschen mutig waren, sondern vor allen Dingen auch, weil sie wirtschaftlich absolut am Ende war. In der Hansestadt Stralsund, die zu meinem Wahlkreis gehört, gab es 400Baudenkmale, von denen nahezu keines in einem Zustand war, in dem es noch ein paar Jahrzehnte überlebt hätte. Sie alle konnten wir wieder restaurieren.

So, wie Sie Ihre Tradition leben konnten, können wir nun unsere Tradition leben. Das ist das Schönste, dass wir das wieder gemeinsam können. Dass Sie auf die Wartburg fahren können, ohne gefilzt zu werden, dass Sie nach Weimar zu Goethe und Schiller fahren können und dass wir hier bei Ihnen sein können das macht die deutsche Vielfalt genauso wie die Deutsche Einheit aus. Dafür können wir sehr dankbar sein.

Helmut Kohl hat als Bundeskanzler, wenn ich das richtig verstanden habe, für alles, was er politisch gemacht und gestaltet hat, unglaublich viel Kraft aus seiner Heimat, aus der Tradition, aus der Verwurzelung geschöpft. Er hat immer gesagt: Die Deutsche Einheit und die europäische Einigung sind zwei Seiten einer Medaille. Dass heute Ihre Partnerstädte in Frankreich und inzwischen auch in Polen hier vertreten sind, das ist das, was mir miteinander geschafft haben. Ich sage zu Ihnen allen auch ein herzliches Willkommen und sage: Das ist das Schöne, dass wir jetzt in Europa miteinander in Frieden und mit offenen Grenzen leben können.

Einer wie Konrad Adenauer hat gesagt: Ich mache keine Deutsche Einheit, wenn sie nicht in Frieden und Freiheit möglich ist. Es hat sich gelohnt, dafür zu kämpfen. Dabei war meine Partei das dürfen wir ein bisschen mit Stolz sagen immer vorne mit dabei. Aber ich sage: Auch Sozialdemokraten Willy Brandt hätte vielleicht auch einmal hierher kommen können, was er aber nicht tat haben natürlich ebenso gemeinsam mit vielen anderen für diese Deutsche Einheit gekämpft.

Meine Damen und Herren, wenn wir nächstes Jahr hier bei Ihnen im Land in den Kommunen Wahlkampf haben und wenn wir gleichzeitig am 7. Juni die Europawahl haben, dann werden wir darüber sprechen, wie die Dinge zusammenhängen, dass wir niemals alle gleich werden wollen, sondern dass wir in Europa auf unsere Vielfalt stolz sind. Da sage ich ein bisschen spitz: Das lassen wir uns auch von Brüssel nicht nehmen. Das, was vor Ort entschieden werden kann, soll weiter vor Ort entschieden werden, weil wir unterschiedlich sind.

Aber auf der anderen Seite haben wir in Europa etwas geschafft, was Jahrhunderte vor uns nicht möglich war: Wir haben es geschafft, unter unseren Völkern in Europa in Frieden zusammenzuleben. Es ist noch nicht so lange her 60Jahre Bundesrepublik, es ist noch nicht einmal ein Menschenleben her, als die erbittertsten Kriege zwischen den Ländern, die heute hier auch als Partnergemeinden vertreten sind, geführt wurden. Deshalb ist das friedliche Zusammenleben ein ganz kostbares Gut, das man niemals aufs Spiel setzen darf. Wir wissen alle, wie schnell es Vorurteile geben kann. Deshalb ist es ganz, ganz wichtig, dass wir unsere Partnerschaften als gelebte Partnerschaften auch miteinander entwickeln.

Das heißt natürlich, dass man nicht nur zusammenarbeitet, sondern dass man auch gemeinsam feiert. Dafür sind Bad Dürkheim und sein Wurstmarkt natürlich ein tolles Beispiel.

Die Generation der Politiker nach dem Zweiten Weltkrieg hat es geschafft, dieses Europa aufzubauen; mit einer einheitlichen Währung für viele, weil man aus der Geschichte weiß: Leute, die mit dem gleichen Geld bezahlen, gegeneinander keine Kriege führen.

Aber dieses Europa hat für uns heute im 21. Jahrhundert auch noch eine andere Bedeutung. Am Anfang des 20. Jahrhunderts das ist, gemessen an der geschichtlichen Länge des Dürkheimer Wurstmarktes, auch noch nicht so lange her, war rund jeder vierte Mensch auf der Welt ein Europäer. Am Ende unseres Jahrhunderts wird nur noch jeder dreizehnte Mensch auf der Welt aus Europa sein. Das heißt, wenn wir unsere Kräfte nicht bündeln, wenn wir es nicht schaffen, für unsere Interessen in Europa gemeinsam in der Welt einzutreten, dann werden wir keine wichtige Stimme mehr haben.

Deshalb war es so wichtig, dass wir uns als 27 europäische Länder zum Beispiel in der Frage der militärischen Auseinandersetzung in Georgien geeinigt haben. Da wird manchmal gesagt, es dauert so lange, bis die sich einig sind. Ja, meine Damen und Herren, die Diskussion über manchen Regionalverkehrsverbund hat genauso lange oder länger gedauert. Es ist in Europa nicht einfacher als vor Ort.

Aber so, wie man in Regionen zusammenarbeiten muss, so muss man auch in Europa zusammenarbeiten, wenn man Dinge durchsetzen will, die uns allen gleich wichtig sind: Freiheit, die individuelle Würde jedes Menschen, die Menschenrechte, der Schutz des geistigen Eigentums, dass man nicht einfach Patente klaut, die Frage eines freien Handels, die Frage, dass nicht die einen auf der Welt die Kinder arbeiten lassen und die Umwelt ruinieren dürfen und die anderen alles ordentlich einhalten und wir uns dann wundern, wenn wir nicht wettbewerbsfähig sind. Alle diese Fragen können wir heute in unserem Sinne nur durchsetzen, wenn wir in Europa gemeinsam und in eine Richtung an einem Strang ziehen.

Deshalb ist die Aufgabe, vor der wir heute alle gemeinsam stehen, auf der einen Seite unsere Traditionen zu erhalten, sie fortzuentwickeln, sich Zeit dafür zu nehmen es muss nicht immer das Schnellste das Beste sein; man kann auch mal irgendwo eine Stunde sitzen und einen Schoppen Wein miteinander trinken; das alles gehört auch zur Lebensqualität und auf der anderen Seite, damit wir das auch gemeinsam schaffen können, für unsere Werte in der Welt zu kämpfen.

Deshalb macht es genauso viel Spaß oder vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, mal eine Stunde hier auf Ihrem Wurstmarkt zu sein, wie an anderer Stelle wieder in Brüssel zu verhandeln, weil alles zusammengehört.

Deshalb ein herzlicher Gruß an die Weinköniginnen die pfälzische und die deutsche waren eben hier. Deshalb eine gute Ernte für die Winzer in diesem Jahr. Deshalb Ihnen weiter eine gute Tradition und vor allen Dingen den Besuchern dieses Festes viel Freude, viele neue Bekannte, Freunde und gute Begegnungen.

Herzlichen Dank, dass ich hier sein darf.