Redner(in): k.A.
Datum: 26.01.2009
Untertitel: in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/01/2009-01-26-rede-boehmer-stiftungsymp,layoutVariant=Druckansicht.html
I Das Versprechen des Aufstiegs
Gebannt haben wir die Einführung von Barack Obamas als Präsident der Vereinigten Staaten verfolgt. Er und seine Frau stehen für den amerikanischen Traum. Sein Weg an die Spitze belegt: Nicht auf den Namen und die Hautfarbe, nein, auf das Können kommt es an! Weltweit sehen wir: Stark sind die Länder, in denen die Überzeugung lebt: "Ich kann es schaffen."
Darauf hat auch das deutsche Wirtschaftswunder nach 1945 beruht. Und auch heute ergreifen viele Ihre Chancen. Darunter sind viele, die nicht hier geboren wurden oder deren Eltern aus dem Ausland hierher kamen. Die Mehrzahl von Ihnen kommt aus einfachen Verhältnissen. Ihre Eltern sprechen oft kaum Deutsch. Aber sie erkämpfen sich eine Top-Ausbildung, einen Studienplatz oder einen Job, von dem ihre Eltern nicht einmal geträumt haben. Sie werden Polizistinnen, Unternehmer oder Professorinnen so wie Frau Zümrüt Gülbay-Peischard, die heute Nachmittag hier sein wird. Sie ist die jüngste Professorin Deutschlands.
Solche Beispiele gibt es noch zu wenige. Sie müssen selbstverständlich werden. Niemand schafft das allein. Jeder braucht Menschen, die ihn fördern, und Bedingungen, die den Aufstieg ermöglichen. Es liegt an uns, den Weg zu ebnen.
Dieser Weg ist bereits vorgezeichnet: Denn für Deutschland können wir sagen: Menschen aus Zuwandererfamilien, die es in den Arbeitsmarkt geschafft haben, stehen die Türen offen. Sie nutzen ihre Chancen ähnlich gut wie Einheimische. Wir stehen vor zwei großen Herausforderungen.
Erstens dürfen wir uns nicht zu sehr auf die abhängige Beschäftigung konzentrieren. Zweitens müssen mehr Migranten am regulären Arbeitsmarkt teilhaben können und das ist eine Frage der Bildung.
II Die Herausforderung durch die Krise
Gegenwärtig befinden wir uns in einer Wirtschaftskrise, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Einwanderer sind vom Strukturwandel und von Konjunktureinbrüchen stärker betroffen als andere. Zugleich ist Deutschland nach wie vor auf sie angewiesen in Zukunft sogar noch stärker.
Die Krise wird das Bewusstsein dafür schärfen, dass Bildung und Ausbildung das beste Schutzschild gegen die Arbeitslosigkeit und die wichtigste Grundlage für unseren Wohlstand sind. Deutschland investiert deshalb gerade in der Krise in die Bildung. Diese Investitionen kommen unserem Land zu Gute.
Die Krise muss zugleich dazu führen, dass wir die Rahmenbedingungen für die Selbstständigkeit verbessern, Stichwort: Bürokratieabbau. Wir müssen alle Potenziale nutzen: 500.000 Menschen in Deutschland verfügen über einen ausländischen Abschluss, der bislang nicht anerkannt wird. Das ist Ressourcen-Verschwendung. Ich setze mich dafür ein, dass sich das ändert. Und ich weiss hier die Stiftungen an meiner Seite.
Die demographische Entwicklung und der globale Wettbewerb um die besten Köpfe bleiben bestehen. Deshalb müssen wir gerade in der Krise Wirtschaftspolitik und Gesellschaftspolitik zusammen denken. Integration muss Priorität bleiben!
III Die Neuausrichtung der Integrationspolitik:
In immer mehr Ländern Europas wird Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik gestaltet. In Deutschland haben wir die Integrationspolitik neu ausgerichtet.
Wir setzen konsequent auf den Dialog mit den Migrantinnen und Migranten. Höhepunkte waren die drei Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin. Wir trauen Migrantinnen und Migranten mehr zu. Wir unterstützen sie dabei, als Bürgerinnen und Bürger selbstverantwortlich zu agieren. Gleichberechtigte Teilhabe auf der Grundlage gemeinsamer Werte: Das ist das Ziel der Integration. Dies ist auch der Leitgedanke des Nationalen Integrationsplans. Nicht nur der Staat, auch die Verbände, die Religionsgemeinschaften, die Wirtschaft, die Medien, die Stiftungen, der Sport, vor allem aber die Migrantinnen und Migranten haben hier Selbstverpflichtungen eingebracht. Integration gelingt nur gemeinsam.
Wir brauchen neue Formen der Zusammenarbeit, gerade auch von Staat und Stiftungen.
IV Strategische Partnerschaft Staat-Stiftungen
Stiftungen identifizieren Defizite und entwickeln innovative Lösungen. Sie arbeiten gewissermaßen im Labor: Sie können etwas ausprobieren, weil das Scheitern keine Katastrophe darstellt. Die Fähigkeit der Stiftungen, schnell und innovativ zu handeln ist gerade im Bereich der Integration entscheidend. Die Probleme sind riesig und die Politik hat nicht früh genug gehandelt.
Letzte Woche habe ich Berliner Schulleiter ins Bundeskanzleramt eingeladen. Sie hatten in einem Brandbrief an den regierenden Bürgermeister von Berlin geschrieben: "Die Integrationsproblematik muss endlich ernst genommen und als vordringliche Aufgabe aller Bildungseinrichtungen formuliert werden."
In dem Gespräch mit ihnen wurde deutlich: Die Schulsituation hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Schulen mit 80 % , 90 % Jugendlichen aus Zuwandererfamilien sind keine Seltenheit mehr.
Es geht um mehr Geld für die Schulen, mehr Zeit für die Schüler, um mehr Schulsozialarbeiter. Aber das allein genügt nicht. Es geht vor allem um die dringend notwendige innere Schulreform. Schule muss zum Ort der Integration werden. Voraussetzung dafür ist ein Bewusstseinswandel auf allen Ebenen: Das Bewusstsein davon, wie sehr sich die Schule verändert hat; wie sehr sich unsere Gesellschaften verändert haben. Zu diesem Bewusstseinswandel müssen und können Politik und Stiftungen gemeinsam beitragen.
Auf dem ersten Stiftungssymposium im vergangenen Jahr haben wir uns der Integration durch Bildung zugewandt. Heute stellen wir den sozialen Aufstieg und die Integration in den Arbeitsmarkt ins Zentrum. Lassen Sie uns beim Thema "Sozialer Aufstieg" gemeinsam noch mehr Impulse setzen. Fünf Fragen sind dabei für mich entscheidend:
Wie machen wir Vorbilder sichtbar? Dabei denke ich nicht primär an Stars, sondern an die Polizistin, den Lehrer, die Ärztin. Wie fördern wir begabte junge Menschen? In Deutschland setzen das START-Programms der Hertie-Stiftung, der Förderunterrichts von Mercator und das Chancen-Programm von Vodafone Standards, die noch größere Verbreitung finden müssen. Wie begeistern wir junge Migranten für bestimmte Berufe, in denen wir sie brauchen? Z. B. den Lehrerberuf. Die ZEIT-Stiftung und die Hertie-Stiftung gehen voran. Einige Bundesländer werben gezielt. Aber hier muss schnell mehr geschehen. Wie öffnen wir den Arbeitsmarkt für Migranten und ihre vorhandenen Qualifikationen? Und schließlich: Wir verankern wir das Versprechen des Aufstiegs als gesellschaftspolitisches Leitmotiv in der Öffentlichkeit? Gerade in der Krise müssen wir uns gegen den Pessimismus eines Landes stemmen, das immer noch an der Spitze des Wohlstands steht.
V Die gefühlte Integration
Vieles sind keine spezifisch deutschen Herausforderungen: Wir können und müssen in globaler und in europäischer Perspektive voneinander lernen.
In allen OECD-Ländern hat sich die ungleiche Verteilung von Einkommen und Wohlstand seit 1990 verstärkt. Einwanderer sind besonders davon betroffen. Immer mehr europäische Länder begreifen Vielfalt als Chance: Dafür steht in Deutschland und Frankreich die Charta der Vielfalt. Wir tauschen uns intensiv über unsere Erfahrungen aus und geben sie gerne weiter. Integration wird überall zur gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Alle Länder haben in den vergangenen Jahren Integrationskrisen und probleme durchlebt. Viele reagieren mit konkreten und pragmatischen Integrationsprogrammen.
Aber Reformen und Programme sind das eine. Damit allein werden Ängste und Enttäuschungen auf allen Seiten nicht weniger weder die Diskriminierungserfahrungen der Migranten; noch die Angst vor dem Fremden, der Veränderung der Heimat; dem Verlust von Arbeitsplätze bei den Einheimischen.
Wir müssen das Gefühl, zusammenzugehören, stärken. Das Gefühl, willkommen zu sein. Das Gefühl, eine echte Chance zu haben.
Vielfalt ist noch nicht per se gut. Wir müssen Sie zur Bereicherung machen. Die Arbeitsmarktintegration ist der Motor dafür, Aufstiegschancen der Antriebsriemen.
Vielen Dank.