Redner(in): Angela Merkel
Datum: 29.01.2009
Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Minister, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/01/2009-01-29-merkel-dt-chin-wirtschaftsforum,layoutVariant=Druckansicht.html
Dankeschön dafür, dass wir heute auf diesem Forum im Bundeswirtschaftsministerium sein können. Ich habe dem chinesischen Ministerpräsidenten schon gesagt: Das Bundeswirtschaftsministerium ist vielleicht das schönste Ministerium, das wir in unserer Bundesregierung haben abgesehen vom Kanzleramt natürlich, aber das ist etwas anderes.
Ich möchte der chinesischen Delegation noch einmal dafür danken, dass sie in dieser Festwoche zu uns nach Deutschland gekommen ist. Die guten Wünsche zum Beginn des Jahres des Büffels können wir alle sehr gut brauchen.
Wir haben heute in unseren Gesprächen, die sehr intensiv und auch sehr ausführlich waren, ein sehr gutes Miteinander in einer Zeit gefunden, die uns alle vor große Herausforderungen stellt. Gemeinsam mit einigen Vertretern der deutschen Wirtschaft habe ich schon beim ASEM-Gipfel in Peking gespürt: China geht diese Herausforderung im Geiste der Zuversicht an. Das tut auch Deutschland. Wir haben schon viele Herausforderungen bestanden und sind fest gewillt, stärker aus der Krise herauszugehen, als wir hineingekommen sind.
Genau hier ergeben sich auch die Brücken und die Möglichkeiten der Kooperation für mehr moderne Technologien, für mehr Energieeffizienz, für mehr Klimaschutz, für Bildung und für Forschung, die für unsere beiden Länder so außerordentlich wichtig sind. Wir spüren hier eine sehr breite Unterstützung auf chinesischer Seite. Zum Beispiel war China 2007 für deutsche Unternehmen nach den USA der zweitgrößte Exportmarkt außerhalb Europas. Für China wiederum ist Deutschland der mit Abstand größte Handelspartner in Europa. Wir haben hervorragende Beziehungen. Natürlich pflegen wir diese im Geiste der Freundschaft. Wir haben uns aber schon darauf eingestellt, dass wir den Titel des Exportweltmeisters eines Tages verlieren könnten das werden wir dann auch freundschaftlich hinnehmen und uns weiter anstrengen, denn angesichts der Wachstumsraten, die China hat, müssen wir einfach damit rechnen, dass wir es mit 80Millionen Einwohnern nicht das ganze 21. Jahrhundert über schaffen, diesen Titel zu verteidigen. Das wird uns aber nicht davon abbringen, in freundschaftlichem Wettbewerb mit China um die besten Produkte auf der Welt zu ringen.
Von Januar bis November 2008 sind Waren im Wert von 31, 3Milliarden Euro von Deutschland nach China geflossen. Das waren 14, 3Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Wir haben uns vorgenommen der chinesische Ministerpräsident hat das vorgeschlagen, unser Handelsvolumen trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation auch in diesem Jahr zumindest zu halten, wenn nicht sogar zu vergrößern. Das zeigt etwas ganz Wichtiges: Weder China noch Deutschland sind jetzt auf dem Kurs, protektionistisch zu werden und sich abzuschotten. Wir sagen vielmehr: Unsere Chance liegt in der Offenheit der Märkte. Diesen Kurs werden wir ganz entschieden weitergehen, auch in den internationalen Verhandlungen das haben wir heute miteinander besprochen, wenn es etwa um die Beendigung der Doha-Runde geht. Wir wissen, dass wir als Exportnationen von einem offenen Handel profitieren.
Deshalb haben wir beim Mittagessen in Anwesenheit einiger Vertreter der Wirtschaft auch sehr offen und sehr intensiv über einige der Probleme gesprochen, die wir noch sehen. Was den Schutz des geistigen Eigentums angeht, so haben wir inzwischen sehr gute Mechanismen, um über die anstehenden Probleme zu sprechen, und zwar sowohl bilateral als auch im Rahmen des so genannten Heiligendamm-Prozesses des Prozesses der permanenten Kooperation der G8 -Länder mit den O5 -Ländern. Diesen Prozess wollen wir auch fortsetzen. Wir haben die Frage des Technologietransfers besprochen. Wir sind der Meinung und werben dafür, dass Freiwilligkeit manchmal mehr erbringt, als bestimmte Quoten festzulegen, die dann über alles gestülpt werden. Ich glaube, dass wir auch darüber ein sehr gutes Gespräch geführt haben. Des Weiteren haben wir die Frage der Beteiligung von deutschen Unternehmen oder Joint Ventures an öffentlichen Ausschreibungen besprochen.
Wir sind dann noch auf einen anderen Punkt gekommen, den ich sehr ernst nehme und bezüglich dessen wir die Gespräche in Europa noch einmal neu aufnehmen werden, nämlich auf den Wunsch Chinas, den Marktwirtschaftsstatus zu bekommen. Es ist klar, dass die Dinge einander bedingen: Auf der einen Seite ist es natürlich so, dass wir das Vertrauen in die chinesische Wirtschaft sehr positiv entwickeln können, wenn die Transparenz der chinesischen Herangehensweise deutlich wird. Ich sage im Umkehrschluss aber auch: Wenn China das garantiert, dann hat China auch ein Anrecht darauf, dass der Marktwirtschaftsstatus ernsthaft geprüft wird. Deutschland kann ihn nicht allein erteilen; das muss über die Europäische Union erfolgen. Aber der Ministerpräsident hat mich darauf hingewiesen, dass Deutschland zumindest eine wichtige Stimme in Europa hat. Herr Ministerpräsident, das finden wir auch. Wenn Sie das morgen auch noch dem Kommissionspräsidenten in Brüssel sagen könnten, wäre das für Deutschland sehr Erfolg versprechend.
Wir wissen und haben heute auch sehr intensiv darüber gesprochen, dass die augenblickliche Krise der internationalen Finanzmärkte, die auch eine Krise der Wirtschaft geworden ist, nur mit einem gemeinsamen Ansatz überwunden werden kann. China hatte bereits im Dezember deutlich gemacht, dass das Land mit einem eigenen Stimulierungsprogramm, einem eigenen Maßnahmenpaket zur Stärkung der Binnennachfrage seinen Beitrag zum Ingangkommen der Weltwirtschaft leistet. Deutschland hat in diesen Tagen auch ein umfangreiches Paket auf den Weg gebracht. Auch wir leisten damit gemeinsam mit allen anderen Ländern einen Beitrag dazu, diese Krise zu überwinden.
Aber ich sage auch: Wir sind uns einig, dass wir natürlich nicht nur gestärkt aus dieser Krise herauskommen müssen, sondern dass wir auch dafür Sorge tragen müssen, dass die Lehren aus dieser Krise so gezogen werden, dass sie sich nicht nach ein paar Jahren wiederholt. Was wir nämlich jetzt erlebt haben, ist, dass Globalisierung letztlich dazu führt, dass Fehlentwicklungen in einem Land oder in wenigen Ländern zu Risiken für uns alle werden können. Deshalb wird es notwendig sein, die internationale Kooperation zu stärken. Kein Land kann die Probleme einer internationalen Wirtschaft allein lösen. Das können wir alle nur gemeinsam. Wir sind der Meinung, dass der G20 -Gipfel im April deshalb auch ein ganz wichtiger Punkt ist. Wir werden Maßnahmen beschließen müssen, die eine Wiederholung dieses krisenhaften Vorgangs verhindern. Dazu gehören natürlich Transparenz und eine bessere Risikoabsicherung auf den Finanzmärkten.
Aber ich glaube, dass das nicht ausreicht, dass wir zu einer Form des Wirtschaftens kommen müssen, bei der auch Industrieländer nicht über ihre Verhältnisse leben, sondern bei der die Ungleichgewichte auf der Welt sozusagen vernünftig ausbalanciert werden. Das heißt zuallererst einmal, dass man im Grunde nur das verbrauchen darf, was man auch selbst erwirtschaftet. Ich sage es hier ganz freimütig, auch vor den Vertretern der Politik und Wirtschaft: Das ist für die westlichen Industrieländer gar kein einfacher Prozess, weil wir natürlich an einen bestimmten, hohen Lebensstandard gewöhnt sind. Deshalb sind die Quellen zukünftigen Wohlstands für uns Deutschland und China haben in diesem Jahr das gemeinsame Wissenschaftsjahr auch Wissenschaft und Technologie. Nur das sind die Wachstumstreiber, mit denen wir unseren Wohlstand garantieren können. Ansonsten könnten wir ein paar Jahre lang zwar mehr ausgeben, als wir einnehmen, aber zum Schluss würde das Ganze in sich zusammenbrechen. Diese Gemeinsamkeit von Wissenschaft, Forschung, Kreativität und Technologie in den Vordergrund zu stellen und zum Markenzeichen unserer Produkte zu machen das muss auch die treibende Kraft unserer gemeinsamen Kooperation sein.
Natürlich ist es für uns von allergrößtem Interesse, dass sich China harmonisch, kontinuierlich und mit hohen Wachstumsraten entwickelt. Wir sehen natürlich, wenn wir für uns in diesem Jahr eine negative Wirtschaftsentwicklung in Höhe von 2, 25Prozent prognostizieren, dass es bewundernswert ist, wenn China glaubt, dass es auf plus siebenProzent oder achtProzent kommen kann. Das ist natürlich wiederum auch für uns in Deutschland gut, weil wir dann eine Chance haben, Exporte auch bei eigenem sinkendem Wachstum weiterhin realisieren zu können. So zeigt sich die gegenseitige Abhängigkeit, aus der sich auch der tiefe gegenseitige Wunsch nach erfolgreicher Entwicklung ergibt.
Dazu müssen wir uns näher kennen lernen. Dazu müssen wir uns austauschen. Dazu müssen wir Programme für die gemeinsamen internationalen Verhandlungen entwickeln. Es ist heute vollkommen klar, dass all diese internationalen Fragen nicht mehr allein von den G8 -Ländern gelöst werden können, sondern dass der Heiligendamm-Prozess unter der deutschen G8 -Präsidentschaft ein wichtiger Schritt war, um sich nicht nur einmal im Jahr für zwei Stunden zwischen den G8 - und den O5 -Ländern zu treffen, sondern daraus eine permanente Kooperation zu machen, die dann auch zu einer Selbstverständlichkeit wird, wenn man über internationale Probleme spricht.
Wir möchten mit diesem Wirtschaftsforum und mit Ihrem Besuch, Herr Ministerpräsident, heute deutlich machen: Deutschland weiß darum, dass es für uns von großem Vorteil ist, freundschaftliche, intensive Kontakte zu China zu haben. Wir wissen darum, dass China seiner Verantwortung in der Welt gerecht wird und ein wichtiger Baustein für das weltweite Wachstum ist. Wir werden auch zunehmend darüber sprechen, wie wir zum Beispiel in Afrika Entwicklungshilfe oder auch Entwicklungshilfestandards gemeinsam entwickeln können. Wir sind auch zwei Länder, die an die multilateralen Prozesse sowie an die Notwendigkeit der Vereinten Nationen glauben und deshalb neben Grundlagen der Sicherheitspolitik und des Klimaschutzes sicherlich auch zunehmend Grundlagen eines gemeinsamen Wirtschaftens entwickeln werden.
Wir haben eine Vielzahl von Foren und Möglichkeiten, einen strategischen Dialog durchzuführen, unter anderem in der Wirtschaft. Wir haben heute vereinbart, dass über Normungsfragen, zum Beispiel über Fragen von Musterklagen, nicht nur die deutsche und die chinesische Wirtschaft miteinander diskutieren sollen, sondern dass sie das auch einmal den Wirtschaftsministern vortragen, sodass wir das dann auch politisch begleiten können.
So ist unsere gegenseitige Beziehung davon geprägt, dass wir um unsere jeweilige Bedeutung wissen, aber auf der anderen Seite auch ganz praktisch und in offener Atmosphäre die Themen aufbringen und lösen können, die uns jeweils wichtig sind. Dabei werden ich bin davon zutiefst überzeugt beide Länder gewinnen. Deutschland ist nicht nur bereit, sondern Deutschland freut sich darauf, diesen Weg gemeinsam mit China zu gehen.
Noch einmal Ihnen allen ein ganz herzliches Willkommen und auf ein arbeitsreiches und trotz aller schwierigen Bedingungen doch auch erfolgreiches Jahr 2009.