Redner(in): Angela Merkel
Datum: 25.04.2009
Untertitel: Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Bundesdelegiertenversammlung des Familienbundes der Katholiken e. V. am 24.04.2009 in der Katholischen Akademie Berlin
Anrede: Sehr geehrte Frau Bußmann, Herr Kardinal Sterzinsky, Herr Nuntius, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/04/2009-04-24-rede-merkel-familienbund-katholiken,layoutVariant=Druckansicht.html
liebe Delegierte,
liebe Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
ich bin sehr dankbar für die Einladung zu dieser Veranstaltung des Familienbundes der Katholiken, denn sie gibt mir die Gelegenheit, zu Ihnen über ein zentrales Anliegen nicht nur der Politik der Bundesregierung zu sprechen, sondern auch über ein zentrales Element der Zukunft unserer Gesellschaft, denn die Familien sind das Fundament unserer Gesellschaft. Sie sind die kleinsten sozialen Einheiten, aus denen sich das große Ganze zusammensetzt. Sie sind so etwas wie Keimzellen der gesamten Gesellschaft oder, um es etwas technischer zu sagen, Moleküle, die die Festigkeit des gesamten gesellschaftlichen Konstrukts ausmachen.
Jeder Mensch wird dadurch geprägt, welche familiären Erfahrungen er in seinem Leben macht. Die Familie ist die erste und wichtigste Gemeinschaft. Hier werden die Grundlagen dafür gelegt, ob man später selbst Vertrauen geben, ob man seine Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln kann, ob man dadurch, dass man Liebe empfängt und erfährt, später auch Liebe weitergeben kann.
Das, was Familie auszeichnet, besteht darin, dass Familien die Gemeinschaften sind, in denen Eltern für Kinder und Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung übernehmen ob es einem gefällt oder nicht, ob es super läuft oder auch einmal ärgerlich ist. In der Familie nimmt man sich vor, dauerhaft für ein Leben Verantwortung zu übernehmen. Diese Definition ist sehr oft von den Eltern auf die Kinder hin ausgerichtet. Ich möchte sie auch in die entgegengesetzte Richtung ausweiten, nämlich von den Kindern auf die Eltern.
Damit ist Familie natürlich sehr viel mehr als ein Ort, an dem Kinder sind. Sie ist eine Verantwortungsgemeinschaft. Verantwortung kann nicht erzwungen werden. Sie muss gelebt werden. Dafür müssen Bedingungen geschaffen werden. Weil das, was in der Familie gelebt und weiterentwickelt werden kann, so einzigartig ist, ist es das ganz natürliche Interesse von vernünftiger und menschlicher Politik, dass Familien gestärkt werden. Deshalb ist für mich das Familienbild einer dauerhaften Verantwortungsgemeinschaft für mich auch aus dem christlichen Verständnis des Menschen heraus natürlich auch ein Auftrag an die Politik, den Menschen, der zur Freiheit berufen ist, den Menschen, der seine Freiheit in Verantwortung leben soll, zu unterstützen, zu stützen und dafür die richtigen Bedingungen zu schaffen.
Wir werden Menschen, die in der Familie nicht gelernt haben, Verantwortung füreinander zu übernehmen, mit Sicherheit schwerlich vermitteln können, über die eigene Familie hinaus Verantwortung zu leben. Insofern sind wir alle daran interessiert, dass diejenigen, die im Grunde die Garanten für eine verlässliche Gemeinschaft, für das Zusammenleben einer Gesellschaft sind, eben die Familien, auch ein familienfreundliches Klima vorfinden. Da gibt es viel zu tun.
Wir haben in den letzten Jahren einiges angepackt, weil wir wissen, dass Familien Garanten auch für Solidarität in der Gesellschaft sind. Aber wir können sicherlich nicht sagen, dass die Arbeit abgeschlossen ist. Deshalb werde ich Ihre Fachinstitution, wie es der Kardinal so schön gesagt hat, weiterhin gern um Rat und Tat bitten. Ich habe es gleich am Anfang auch zu Ihrer Präsidentin gesagt: Es ist in unserer Gesellschaft ja so, dass wir Gruppen, dass wir Bünde und Vereinigungen genau dafür haben, um Interessen zu bündeln und um in einem Konzert von ganz unterschiedlichen Interessen deutlich auf sich aufmerksam zu machen. Und da ist es wichtig, dass sich Familien zu Wort melden.
Wenn man sich anschaut, wie die Bedingungen und die Situationen der Familien sind, darf man die Augen vor der Realität nicht verschließen. Die Zahl der Eheschließungen sinkt. Das hat zum Teil demographische Ursachen. Das hat aber auch die Ursache, dass oft lange gewartet wird, bis man sich zu einer Ehe entschließt. Die Zahl der Alleinerziehenden in unserer Gesellschaft steigt. Die Geburtenrate in Deutschland gehört leider zu den niedrigsten in Europa. Wir werden im nächsten Jahrzehnt eine Situation spüren, die wir derzeit schon in den neuen Bundesländern haben: Der Altersaufbau unserer Gesellschaft verändert sich dramatisch und der Anteil der über Sechzigjährigen steigt durch eine längere Lebenserwartung, worüber wir uns ja freuen, aber der Anteil der Jüngeren sinkt. Wir werden uns verstärkt mit der Tatsache zu befassen haben, dass rund 20Prozent unserer Bevölkerung im Ausland geboren sind oder einen Migrationshintergrund haben. Bei den jungen Menschen unter 25Jahren sind es inzwischen in vielen Regionen Deutschlands zwischen 40 und 50Prozent. Wer sich Einschulungen in deutschen Großstädten anschaut, weiß, dass wir gerade in der Frage der Integration zunehmend etwas zu tun haben.
Das sind Entwicklungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Sie müssen uns umtreiben. Gleichzeitig müssen wir natürlich im Auge behalten: Was sind unsere Grundsätze? Da will ich ganz deutlich sagen: Der grundgesetzliche Schutz von Ehe und Familie ist für mich unverzichtbar. Er ist ein wichtiger Bestandteil des Grundgesetzes. In wenigen Tagen feiern wir 60Jahre Grundgesetz. Aber ich will natürlich nicht verschweigen, dass uns auch mit Blick auf die Alleinerziehenden in der Politik Folgendes umtreibt. Wenn wir uns in der Fraktion wenn ich einmal an Johannes Singhammer denke mit Familienpolitik befassen, müssen wir die Problematik auf der einen Seite aus dem Blickwinkel der Kinder und auf der anderen Seite aus dem Blickwinkel des expliziten Schutzes von Ehe und Familie betrachten.
Was können wir leisten? Wir gehen vom christlichen Menschenbild aus, wir gehen davon aus, dass Menschen selbst entscheiden können, wie sie ihr Zusammenleben organisieren. Wir fördern stabile Verbindungen deshalb ja auch der Schutz der Ehe. Wir wollen den Menschen Wahlmöglichkeiten eröffnen und wir wollen durch unsere Politik verhindern, dass wir bestimmte Entwicklungen präferieren und andere schlechter stellen. Das dürfte auch der Bereich sein, in dem die Debatten zu den konkreten Entscheidungen beginnen. Wie groß sind die Wahlmöglichkeiten heute? Da gab es zwei Entscheidungen in dieser Legislaturperiode, die ziemlich viele Diskussionen hervorgerufen haben. Deshalb will ich sie auch ansprechen. Das eine ist die Entscheidung für die Einführung des Elterngeldes. Das andere ist die Entscheidung für den Ausbau der Betreuung für die unter Dreijährigen.
Es gibt Menschen, die zum Elterngeld sagen: Ganz klar, das ist sozusagen die Ökonomisierung der Familienpolitik. Damit wird nun sozusagen alles darangesetzt, dass über das Elterngeld die Erwerbstätigkeit in besonderer Weise wieder präferiert wird, und zwar von beiden Elternteilen. Ich sage, dass das Elterngeld eine sehr interessante Entscheidung in der Familienpolitik ist, die deshalb kann ich auch gut verstehen, wenn es Kontroversen gibt weit über die Sozialpolitik hinausgeht. Denn wenn es nur um Sozialpolitik ginge, dürfte man eigentlich kein einkommensabhängiges Elterngeld zahlen. Man hat sich ja ganz bewusst entschieden, ansetzend am Einkommen des zu Hause bleibenden Elternteils zu fördern, also entsprechend des vorher gehabten Lebensstandards. Diese Entscheidung wurde bewusst gefällt, weil wir nicht nur die Entscheidung für Kinder derjeniger fördern wollten, die wenig haben, auch wenn wir sie in besonderer Weise unterstützen müssen, sondern weil wir gesagt haben: Auch unter denen, die Mittel- und Besserverdienende sind, ist die Entscheidung für ein Kind heute keineswegs mehr eine banale Entscheidung, denn in dem Moment, in dem ich mich für ein Kind entscheide, habe ich alle Mühe, das, was ich vorher ohne Kind hatte von Miete bis zu anderen Dingen noch aufrechtzuerhalten. Nun kann man die Frage stellen: Ist es richtig, dass das Elterngeld nur ein Jahr lang gezahlt wird? Wir haben auch eine Kontroverse über die Vätermonate gehabt. Von "Wickelvolontariat" und sonstigem war die Rede. Ich muss Ihnen aber ganz ehrlich sagen: Wenn ich sehe, wie rasant das Elterngeld in Anspruch genommen wurde, scheint es eine bestimmte Faszination entwickelt zu haben.
Ich sage Ihnen auch: Wenn wir zu wirklicher Wahlfreiheit in der Gesellschaft kommen wollen, dann müssen sich nicht nur die Lebensperspektiven der Frauen ändern, sondern dann müssen sich auch die Väter ein bisschen ändern. Im Übrigen wird mancher Vater vielleicht dankbar dafür sein, dass ihm die Freude am Kleinkind nicht erst im Alter des Großvaters zuteil wird. Bei den Großvätern ist es dann allgemein eine ungeteilte Freude.
Das Elterngeld ist auch eine Antwort auf die Frage, wie es mit der beruflichen Wiedereinstiegsmöglichkeit aussieht. Es ist durch die Verkürzung auf ein Jahr immer in Verbindung mit der Frage gesehen worden: Wie ist es, wenn man sich dafür entscheidet, länger als ein Jahr lang zu Hause zu bleiben? Es gibt im Übrigen zum Teil noch Landeserziehungsgeld.
Wir haben im Zusammenhang mit einer zweiten Entscheidung sehr bewusst noch eine dritte ins Auge gefasst. Diese ist in dieser Legislaturperiode noch nicht umgesetzt. Sie hat auch viele Kontroversen hervorgerufen, aber zwei und drei gehören zusammen. Wir haben gefragt: Wie ist es denn mit der Wahlfreiheit? Mit der Wahlfreiheit ist es heute so, dass es einen hohen Prozentsatz von Kindern im ersten Lebensjahr gibt, die zu Hause sind, dass aber schon im zweiten und dritten Lebensjahr des Kindes das wird wohl niemand bestreiten die Nachfrage nach Betreuungsmöglichkeiten deutlich größer ist als das Angebot. Das heißt, faktisch gibt es keine Wahlfreiheit. Wir haben mit der Entscheidung, die Möglichkeiten der Betreuung der unter Dreijährigen auszubauen, nicht etwa eine Entscheidung für die Präferenz eines bestimmten Lebensmodells getroffen, sondern wir haben gesagt: Wenn wir jetzt von Wahlfreiheit reden, müssen wir auch etwas dafür tun, dass Wahlfreiheit gelebt werden kann. Es kann nicht sein, dass die Reicheren, die sich eine persönliche Betreuung zu Hause erlauben können, eine Wahlfreiheit haben, und jeder, der das nicht kann, kein Angebot dafür findet.
Weil wir aber wissen, dass sich viele, die sich entscheiden, längere Zeit zu Hause zu bleiben, vielleicht benachteiligt fühlen könnten, haben wir gesagt: Wenn wir den Ausbau der Kinderbetreuung geschafft haben im Übrigen bis zur Höhe eines Drittels der Kinder unter drei Jahren; man kann hier also nicht von einem flächendeckenden, hundertprozentigen staatlichen Angebot sprechen; wir werden aber noch einmal darüber reden, ob das Angebot für ein Drittel der Kinder reicht, dann wollen wir auch ein so genanntes Betreuungsgeld einführen. Dies ist scharf umstritten und wird in der Großen Koalition sicherlich nicht unter Anfeuerung der Sozialdemokraten durchgesetzt, sondern eher durch Unterstützung der CSU und der CDU. Das Betreuungsgeld wurde oft als "Herdprämie" diffamiert. Ich habe damals immer gesagt: Man freut sich, wenn heute einer zu Hause noch etwas kochen kann. Wenn es auch dazu noch einen Beitrag leisten würde, wäre mir das Recht. Das ist zu Unrecht verunglimpft und deshalb auch zum "Unwort des Jahres 2007" erklärt worden.
Es ist Teil unserer Programmatik, auch über die langfristigen Perspektiven in der Familienpolitik zu reden. Deshalb kann ich nicht erkennen, dass wir jetzt ausschließlich der Wirtschaft helfen, sondern wir haben mit diesem angesprochenen Dreiklang in dieser Legislaturperiode einen wirklichen Beitrag zu mehr Wahlfreiheit in der Gesellschaft geleistet.
Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Ab Mitte des nächsten Jahrzehnts werden händeringend Fachkräfte gesucht werden. Auch nach individueller Überzeugung vieler junger Frauen ist es doch heute so, dass Ausbildung, Beruf und Familie zusammengebracht werden wollen. Deshalb habe ich über Väter gesprochen, deshalb habe ich darüber gesprochen, dass sich die Wirtschaftswelt mehr der Lebenswelt der Familien anpassen muss. Das wird die Wirtschaftswelt im Übrigen verstärkt tun, je mehr sie gut ausgebildete Frauen braucht. Wenn die Väter auch noch vermehrt Elternmonate in Anspruch nehmen was meinen Sie wohl, wie sehr sich die Wirtschaft dann sputet, weil der Fachkräftemangel sonst noch dramatischer wird.
Viele mittelständische und auch größere Unternehmen zeigen heute, was möglich ist, wenn man es will, und was geht, wenn man es will. Wir müssen mit Sicherheit im 21. Jahrhundert diese klassische Teilung von Arbeitswelt und Familienwelt, die erst in der Industriegesellschaft entstanden ist, wieder überwinden. Diese strikte Teilung hat es über Jahrhunderte hinweg nicht gegeben. Allerdings hat es auch das Idyll, dass ein Elternteil ganztägig Zeit hatte, um sich um die Kinder zu kümmern, jahrhundertelang nicht gegeben. Da waren die Kinder zwar zu Hause, aber sie waren zumeist in einer Großfamilie. In dieser Großfamilie hat sich vielleicht dieser oder jener mal gekümmert. Aber dass da nun permanente Aufmerksamkeit durch eine Bezugsperson gegeben war, traf selten zu. Wir haben heute weit überwiegend Klein- und Kleinstfamilien mit einem Kind, was etwas ganz anderes ist, als wenn fünf oder sechs Kinder miteinander aufwachsen und eigentlich schon eine Gruppe bilden, die vielleicht größer ist als die, um die sich heute in einer Tagesbetreuung eine Person kümmert. Wir haben also sehr unterschiedliche Gegebenheiten.
Es war die Industriegesellschaft, die Arbeitsort und Familienort auseinander gerissen hat, die im Übrigen auch das Zusammenleben der Generationen stark verändert und dafür gesorgt hat, dass die Großeltern und Tanten plötzlich nicht mehr am gleichen Wohnort waren. Dann hat man in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einen materiellen Wohlstand aufbauen können, der einer Vielzahl der Familien zum ersten Mal erlaubte, zu entscheiden, wer was macht. Jetzt ist es unsere Aufgabe, Arbeitswelt und Familienwelt wieder enger zusammenzubringen, aber gleichzeitig auch dafür zu sorgen das ist auch Familienpolitik, die Generationen wieder enger zueinander zu bringen.
Deshalb ist das Projekt der Bundesfamilienministerin mit den Mehrgenerationenhäusern für mich ein ganz wichtiges Projekt, denn viele Kinder haben heute eben keine Kontakte mehr über die Elterngeneration hinweg und viele ältere Leute haben heute keinen Kontakt mehr zu jungen Leuten. Was ist das für eine Gesellschaft? Wie wollen wir auch über das menschliche Altern, das menschliche Sterben sprechen, wenn wir das Zusammenleben sukzessive aus unserer Gesellschaft herausdrängen, wenn wir so tun, als ob diejenigen, die älter als 55 oder 60 Jahre sind und nicht mehr im Arbeitsprozess stehen das ist heute leider oft der Fall, der jungen Generation über ihre Erfahrungen nicht mehr berichten können? Da das durch die Familienkonstruktion heute oft nicht möglich ist, müssen wir hier gesellschaftlich etwas tun, um solche Strukturen wieder zu fördern und auch Schwellenängste abzubauen.
Nun kommen wir zu der Frage: Wie ist es mit der materiellen Förderung der Familien? Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass das Ehegattensplitting erhalten bleibt. Das ist wichtig, weil es sonst gar keine Förderung der Ehe mehr gibt. Wenn wir auf eine verlässliche Bindung und auf dauerhafte Verantwortung setzen, sollte nach meiner Überzeugung der Staat auch eine Institution wie die Ehe dauerhaft fördern, ohne von Anfang an die Bedingung zu stellen: Wenn du keine Kinder hast, wird diese Institution nicht gefördert. Abgesehen davon: Wenn die Kinder einmal aus dem Haus sind, wäre das alles schwierig zu verrechnen. Nun haben wir in meiner Partei gesagt: Wir wollen ein Familiensplitting. Dabei wird immer vermutet, wir wollten der Ehe etwas wegnehmen. Es geht aber um etwas Zusätzliches. Das ist letztlich eine Frage dessen, dass auch Kinder beim Splitting ihre Rolle haben und ein gleicher Freibetrag für Erwachsene und Kinder einen ersten Schritt darstellen würde.
Bei der Frage, wie wir denn nun mit den Kinderfreibeträgen und dem Kindergeld umgehen, bin ich wieder im Sinne der Wahlfreiheit der Meinung: Die Eltern wissen in ihrer großen Mehrzahl durchaus, was sie mit dem Geld machen wollen. Das heißt, der Staat sollte nicht alles in die staatlichen Institutionen geben und ansonsten sagen: Die Familien müssen gucken, wie sie klarkommen. Da ist es allerdings so, dass es über die Kinderfreibeträge auch einen politischen Disput gibt. Ich bin dafür, dass die Kinderfreibeträge genauso behandelt werden wie die Erwachsenenfreibeträge und dass wir diese nicht sozusagen über einen Kappungsmechanismus reduzieren, sondern dass bei Eltern, die mehr Geld verdienen, die Tatsache, dass sie ein Kind haben, steuerlich genauso berücksichtigt wird wie die Tatsache, dass sie selbst existieren. Ich habe manchmal einen Disput mit meinem Finanzminister darüber und sage dann immer: Warum ist man eigentlich mit 17Jahren und 364 Tagen in bestimmten Einkommensgruppen steuerlich weniger wert als mit dem 18. oder spätestens 25. Geburtstag? Das muss man durchdenken.
Wir haben in dieser Legislaturperiode etwas für Familien gemacht, was vielleicht noch gar nicht so gewürdigt wird. Sie haben gesagt, in unserem Konjunkturprogramm seien die Familien nicht so gut weggekommen. Wir haben gesagt, wir wollen die Krankenkassenbeiträge für Kinder nicht mehr nur in der Solidargemeinschaft der Beitragszahler finanzieren Stichwort: kostenlose Mitversicherung von Kindern, sondern wollen sie von der Gemeinschaft der Steuerzahler finanzieren lassen. In diesem Zusammenhang sind wir jetzt mit den Zuschüssen, die wir zum 01. 07. zu den Krankenversicherungsbeiträgen in Höhe von ungefähr 12 bis 13Milliarden Euro geben, plus den Beiträgen zur PKV ziemlich weit vorangegangen, sodass wir die Solidarität für Kinder auf eine viel breitere Grundlage gestellt haben. Denn alle, die bislang oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze verdient haben, haben nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze zur Finanzierung der Kindergesundheitskosten beigetragen, aber nicht darüber hinaus. Dafür gibt es meiner Ansicht nach keinen Grund. Für mich ist die Versicherung von Kindern im Falle der Krankheit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Nun haben wir die Aufgabe, insgesamt für eine familienfreundliche Gesellschaft einzutreten. Da gibt es viel zu tun. Das kann die Politik nicht allein. Deshalb brauchen wir Verbände und Helfer. In diesem Zusammenhang nenne ich die unsäglichen Gerichtsfälle wegen Kinderlärms. Ich war einmal Bundesumweltministerin. Ich habe mich ja noch mit der Sportstättenverordnung anfreunden können, nach der man nur zu bestimmten Zeiten mit einer Geräuschentfaltung bis zu bestimmten Dezibel in einer Großstadt Handball spielen darf. Aber dass Kinderlärm jetzt Gegenstand von Gerichtsverfahren ist, ist kein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft, weil es um einen immanenten Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens geht. Natürlich wird es immer wieder Fragen geben, ob Nachbars Kinder so oder so laut schreien dürfen und ob die Eltern ihre Kinder überhaupt noch ordentlich erziehen und ob sie am Samstagnachmittag nicht mal aufpassen können, dass die Kinder keinen Lärm verursachen oder selbst Mittagsschlaf halten. Ich glaube, das gab es immer und zu allen Lebenszeiten. Aber zu glauben, dass man derartige Probleme durch Gerichtsverfahren
und Verordnungen abschließend lösen kann, ist ein absoluter Irrglaube in unserer Gesellschaft.
Der für mich schwierigere Bereich ist allerdings die Tatsache, dass das, was wir fördern und wofür wir unsere Grundsätze in der Familienpolitik einsetzen, leider aus Gründen, die individuell nicht zu bewerten sind, nicht von allen gelebt wird. Wir haben eine Zeitlang immer wieder zu sagen versucht, dass sich die Eltern kümmern müssen. Ich bin auch der Meinung, dass dies immer der erste Zugang sein muss: Elternkraft und Erziehungsfähigkeit zu stärken, ist die Hauptaufgabe. Wir haben aber auch erleben müssen, dass das allein nicht ausreicht. Wir haben auch erleben müssen jeder wird solche Fälle kennen, dass Eltern, die sich gut um ihre Kinder kümmern wollen, auch damit konfrontiert sind, dass sie große Probleme haben, weshalb man das Scheitern von Erziehung nicht damit gleichsetzen kann, dass Eltern es nicht ernsthaft versucht haben. Deshalb ist der Bereich der Familienhilfe ein so wichtiger Bereich.
Ich habe für nächste Woche 200Sozialarbeiter und Menschen, die in der Eltern- und Jugenderziehung berufstätig sind, eingeladen. In diesem Bereich gibt es auch manchmal ein Spannungsverhältnis. Ich weiß nicht, wie es sich zwischen Ihnen und den hauptamtlichen staatlichen Institutionen verhält. Ich habe damals als Jugendministerin in den neuen Bundesländern die "Freie Jugendhilfe" aufgebaut. Ich habe mir damals den Mund fusselig geredet, dass jede freiwillige Einrichtung eine interessante ist, dass man Vereine nicht gegenüber dem benachteiligen darf, was der Staat leistet. Wir sind uns aber, glaube ich, einig: Ohne staatliche Ansprechpartner wird es nicht gehen. Wenn es zum Beispiel um das Thema Gewalt gegen Kinder geht, dann hat der Staat hier eine ganz klare Fürsorgepflicht.
Wir wissen, dass wir helfen müssen. Deshalb brauchen wir niedrigschwellige Angebote und Hilfen für Familien. Ich habe über die Familienstrukturen, gerade auch in großen Städten, gesprochen, in denen es ein großes Maß an Anonymität gibt. Hilfen dürfen nicht erst dann einsetzen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Viele haben Hemmungen und werden erst aktiv, wenn das Problem so manifest ist, dass man nicht mehr daran vorbeikommt. Deshalb begrüße ich alle Vor-Ort-Einrichtungen, in denen es niedrigschwellige Möglichkeiten gibt. Das sind die Mehrgenerationenhäuser, Familienhäuser und vieles andere. Es wird unglaublich viel in den kirchlichen Verbänden gemacht, damit Familien auch über kleine Sorgen sprechen können, damit aus kleinen Sorgen nicht große werden.
Sie haben eben gesagt, dass die Konjunkturmaßnahmen ein wenig an den Familien vorbeigehen. Ich will jetzt gar nicht den Kinderbonus erwähnen, der in diesen Tagen viele erreicht. Ich habe vorgestern mit Redakteurinnen von Frauenzeitschriften diskutiert. Die haben gesagt: Wenn ich mir auf der einen Seite die Betreuungskosten für einen Monat anschaue, meine Kindergartenabrechnung usw. und den Kinderbonus auf der anderen Seite … Okay. Wir haben uns aber überlegt, dass wir an dieser Stelle auch einen Punkt setzen wollen.
Zweitens. Wir haben das ist der wesentlichere Beitrag gesagt: Mit dem, was wir an Infrastrukturleistungen erbringen, setzen wir ein Zeichen für die Zukunft. Zwei Drittel der 12MilliardenEuro, die wir in den nächsten beiden Jahren zusätzlich und vor allen Dingen vor Ort in den Kommunen ausgeben, sind Maßnahmen für die Bildung, für die Verbesserung der Kinderbetreuung und für die Verbesserung der Situation in den Schulen. Das ist eine Zukunftsinvestition. Dazu wird dann aber
oft gesagt: Na, damit ist immer noch kein Lehrer bzw. keine Kindergärtnerin da. Richtig, aber ich sage immer: Wenn eine Schule oder ein Kindergarten schlecht ausgestattet ist und dazu noch kein Lehrer bzw. keine Kindergärtnerin da ist, ist das Problem größer, als wenn wenigstens schon die Schule bzw. der Kindergarten ordentlich ausgestattet ist.
Sie haben über qualitative Angebote gesprochen. Vielleicht macht es den Menschen, die außerhalb der Familie für die Zukunft unserer Kinder sorgen, an ihrer Arbeitsstelle arbeiten und sich engagieren, ab und an mehr Spaß. Ich finde, das könnte auch ein Momentum sein. Wir haben dort einen ganz klaren Schwerpunkt gesetzt. Insofern ist das, glaube ich, auch ein wesentlicher Beitrag.
Wir haben versucht das ist auch ein Beitrag für die junge Generation, die Schnittstellen im Leben von Menschen und damit im Leben von Familien etwas aufzubrechen, weil die Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland als föderalem Land natürlich nicht unbedingt dazu geeignet sind, dass jede Familie, die mal ein dreijähriges, mal ein sechsjähriges Kind und mal ein dreizehn- oder achtzehnjähriges Kind hat, sofort erkennt, an wen man sich im Problemfall wenden kann. Ich finde aber, es ist Aufgabe von Politik, dafür zu sorgen, dass das reibungslos funktioniert, und nicht Aufgabe der Familien, erst einmal in langen Broschüren nachzulesen, an welcher Stelle man sich an wen wenden kann. Deshalb habe ich immer zur Freude der Ministerpräsidenten gesagt: Es kann nicht sein, dass wir untereinander nicht ein paar Ziele vereinbaren.
In Deutschland war es lange so: Bis zum sechsten Lebensjahr spielt man und dann beginnt der Ernst des Lebens. Ich bin erfreut Barbara Stamm kennt sich da auch gut aus, dass es wenigstens in Modellprojekten möglich wird, dass die Grundschullehrer die Kindergärten besuchen und die Kindergärtner die Grundschulen besuchen. Dass dann vielleicht auch die Institutionen mehr untereinander absprechen, auch wenn die späteren Ausbildungsgänge unterschiedlich sind, erleichtert, glaube ich, den Familien zumindest alle Aufgaben, die damit verbunden sind, und auch alle Eingewöhnungsphasen. Das verbessert auch die Vorbereitungsmöglichkeiten auf neue Lebensphasen. Es ist gut, dass man nicht sagen kann: Weil die Länder für die Schule zuständig sind und die Bundesarbeitsagentur für die, die nicht ausbildungsfähig sind, spricht man auch nicht miteinander. Wir haben jetzt vereinbart, dass Berufsberatung in den Schulen, insbesondere in den Hauptschulen, stattfinden kann, weil damit die Chancen der Kinder wachsen. Dass wir die Zahl der Schulabbrecher halbieren wollen, ist auch ein ehrenwertes Ziel, weil es letztlich den Familien hilft. Ich kann dabei alle Eltern nur anfeuern, dafür zu sorgen, dass diese Ziele auch im Auge behalten werden. Insoweit haben wir auch hier einige Barrieren durchbrochen, ohne Zuständigkeiten infrage zu stellen. Aber es ist zu sagen: Es darf nicht auf dem Rücken der Familie ausgetragen werden, wenn unterschiedliche Zuständigkeiten gegeben sind.
Wir haben auch einen Schwerpunkt bei der Integration gesetzt, weil wir der festen Überzeugung sind, dass sich der Staat um die Familien kümmern muss, in denen die Kinder die deutsche Sprache nicht ausreichend lernen, oft gar keine Sprache lernen, wodurch es dann zu Desintegrationserscheinungen in der Gesellschaft kommt. Ich habe auf meiner Bildungsreise Kindergärten besucht. Es ist natürlich einfach gesagt: Natürlich sollen die deutschen Kinder mit den Kindern mit Migrationshintergrund zusammenleben. Aber spätestens bei der Einschulung fragen sich die Eltern, ob sie denn den Bildungsansprüchen ihres eigenen Kindes noch gerecht werden können, wenn das Kind in einer Klasse ist, in der zwei Drittel der Kinder die deutsche Sprache nicht vernünftig beherrschen.
Mir haben Pädagogen das war mir gar nicht so klar; Ihnen ist das wahrscheinlich klar gesagt: Es ist natürlich schön, wenn die Kinder mit drei Jahren in den Kindergarten kommen. Dann können die Kinder mit deutschem Hintergrund fließend Deutsch sprechen. Wenn dann Kinder mit Migrationshintergrund kommen, die nahezu kein deutsches Wort kennen, dann ist das karitative Potential der kleinen Kinder noch nicht so stark ausgebildet, dass sie es als ihre herausragende Aufgabe ansehen, dem Kind mit Migrationshintergrund die deutsche Sprache beizubringen. Das dreijährige Kind guckt erst einmal, dass es selbst vorankommt. Das heißt, gerade hier, im Bereich der Migration, ist es wichtig, dass die Eltern, die wollen, wenigstens die Möglichkeit bekommen, ihre Kinder auch in frühkindlichen Betreuungseinrichtungen betreuen zu lassen. Denn wenn die Mutter die deutsche Sprache schlecht beherrscht, wird es nicht möglich sein, dass sie dem Kind die deutsche Sprache zu Hause beibringt. Wenn ein Elternteil die deutsche Sprache beherrscht, ist es zumeist der erwerbstätige Vater, der aber vielleicht zu wenig Zeit hat, abends sein Kind die deutsche Sprache zu lehren. Das heißt also, in der Mischung aus Grundsätzen, die wir beibehalten und nicht infrage stellen wollen, damit die Mehrheit nicht zum Sonderfall wird und die Minderheit zum täglichen Gesprächsgegenstand das ist ganz wichtig, müssen wir uns trotzdem auch um die kümmern, die ein Problem haben.
Ich glaube, ein Teil der Rebellion entsteht aus diesem Gefühl: Hier kümmert man sich nur noch um die Problemfälle, und wer unauffällig seine tägliche Familienarbeit erledigt, wer alles hinbekommt, ist eigentlich nicht mehr Gegenstand der politischen Diskussion. Das darf nicht sein. Dass Sie dafür Ihre Stimme erheben und auch uns sagen, dass immer wieder gesagt werden muss, wie wir uns Familienpolitik vorstellen, ist richtig. Deshalb sind Sie Kardinälen sollte man nicht ins Wort fallen eine Fachinstitution, aber Sie sind auch Familie mit gelebtem Engagement in unserer Gesellschaft für die Starken und die Schwächeren. Dafür Ihnen allen ein herzliches Dankeschön.