Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 27.05.2009

Untertitel: In seiner RedezurAusstellungseröffnung imDeutschen Historischen Museum würdigt Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Einigkeit Europas und den Dialog über das Vergangene und die Zusammenarbeit von Deutschland und Polen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/05/2009-05-29-neumann-ausstellung-deutsche-und-polen,layoutVariant=Druckansicht.html


ich begrüße Sie im Namen der Bundesregierung hier im Deutschen Historischen Museum zur Eröffnung der Ausstellung anlässlich des 70. Jahrestags des Beginns des Zweiten Weltkriegs mit dem deutschen Überfall auf Polen. Der 1. September 1939 markiert eine tiefe Zäsur in der Geschichte Europas, in der Geschichte Polens und Deutschlands. Es war der Beginn des schonungslosen deutschen Vernichtungskriegs gegen Polen, der von langer Hand geplant war. Mit ihrer menschenverachtenden Ideologie verfolgte die deutsche Besatzungsherrschaft systematisch die Zerschlagung des polnischen Staates und die Auslöschung seiner Kultur.

Der vom nationalsozialistischen Deutschland vor 70 Jahren ausgehende Zweite Weltkrieg hat unaussprechliches Leid über Polen und ganz Europa gebracht. Millionen polnischer Männer, Frauen und Kinder wurden gewaltsam umgesiedelt, in Lager verschleppt, zu Zwangsarbeit gepresst und ermordet. Das Leid der unzähligen Opfer, das fast alle Familien in Polen betrifft, erschüttert uns bis heute.

Das polnische Volk hatte jedoch inmitten des Schreckens seinen heldenhaften Mut und die Freiheitsliebe nicht verloren. Ich begrüße sehr herzlich Edmund Baranowski, Kämpfer im Widerstand, und Frau Wanda Broszkowska-Pikalkiewicz, Überlebende des Warschauer Aufstandes. Herzlich willkommen!

Die Stimme der Zeitzeugen ist unmittelbar bewegend. Ihre Schilderung führt uns das Ungeheuerliche eindringlich vor Augen, ich danke Ihnen, dass Sie sich bereit erklärt haben, heute bei uns zu sein.

Ich begrüße auch die

stellvertretende Leiterin des Jüdischen Instituts in Warschau, Frau Edita Kurek. Ihr Haus hat zahlreiche Leihgaben zur Verfügung gestellt, die auf ergreifende Weise von den Schicksalen der Opfer des Warschauer Ghettoaufstands zeugen.

Die Ausstellung hier im Deutschen Historischen Museum will das Wissen um das dunkelste Kapitel der deutsch-polnischen Beziehungen vertiefen. Wir Deutschen wollen uns offen der Vergangenheit stellen.

Darum war es mir auch persönlich sehr wichtig, dass das Deutsche Historische Museum für die Planung dieser, für unsere beiden Länder so bedeutsamen Ausstellung kompetente Unterstützung aus Polen erhielt. Die Warschauer Historiker Prof. Szarota, Dr. Kunert, Dr. Majewski sowie Dr. Wnuk aus Lublin gaben als Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats nicht nur wichtige Hinweise zur Objektrecherche, sondern zeigten nationale Unterschiede in Wahrnehmung und Interpretation auf. Sie haben das Konzept um die polnische Perspektive bereichert. Das ist für das Gelingen dieser Ausstellung ganz entscheidend und grundlegend! Ich danke Ihnen sehr herzlich für ihr großes Engagement! Mein Dank für ihre hervorragende Arbeit gilt auch den deutschen Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats, Prof. Michael, Prof. Kleßmann, Prof. Reinhard Rürup sowie dem Ausstellungsteam unter der Leitung von Herrn Dr. Asmuss. Herrn Professor Rürup gratuliere ich zudem herzlich zu seinem 75. Geburtstag!

Haben Sie vielen Dank, dass Sie trotz Ihres Ehrentages heute Abend hierher gekommen sind.

Nach dem Krieg reichte Polen uns Deutschen die Hand zur Versöhnung. Menschen wie Edmund Baranowski, die Furchtbares erfahren hatten, setzen sich für das Werk der Versöhnung ein. Als Deutsche sind wir uns bewusst, welch " großen Mut und wie viel Vergebung diese zutiefst menschliche Geste erforderte. Nach den mörderischen Kriegen des 20. Jahrhunderts ist der dauerhafte Friede in Europa unsere größte Kulturleistung. Die Beziehung zwischen Polen und Deutschland ist dabei ein Gradmesser für Eintracht und Vertrauen in Europa. Darum gilt es, das Erreichte im beständigen Dialog zu verteidigen und entschieden jedem Versuch entgegenzutreten, alte Ängste und Ressentiments zu schüren.

Die Versöhnung nach dem Krieg war ein wichtiger Schritt, vollendet aber wurde das europäische Friedenswerk erst mit dem Ende des Eisernen Vorhangs. Gerade in diesem Jahr, dem 20. Jahrestag des Mauerfalls, erinnern wir Deutschen uns daran, das wir das glücklichste Ereignis unserer jüngsten Geschichte zu einem guten Teil Polen verdanken. Ohne das Vorbild der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarność wäre auch die Friedliche Revolution in Deutschland nicht denkbar gewesen!

Am 1. Mai 2004 schließlich wurde Polen Mitglied der Europäischen Union. Gewiss: Polen war zu allen Zeiten ein Herzstück Europas. Aber der EU-Beitritt entfaltete eine neue Dynamik und eine bisher ungekannte Aufbruchstimmung. Gerade für die junge Generation von Polen und Deutschen spielen staatliche und geographische Grenzen nahezu keine Rolle mehr.

Umso mehr müssen wir Europäer die Grenzen in den Köpfen und in den Herzen überwinden. Nur so kann ein lebendiges Europa entstehen. Versöhnung bedarf auch der kontinuierlichen Verständigung, damit sie von Dauer ist. Dabei kann die Politik nur Impulse und Ermutigung geben. Letztendlich ist es an den Bürgerinnen und Bürgern in Polen und Deutschland, dass sich unser beiden Nationen in Frieden und Freundschaft begegnen. Dafür sehe ich viele gute Beispiele!

Heute Nachmittag haben wir gemeinsam die Ausstellung "Wir Berliner" über die Jahrhunderte währende Präsenz vieler Polen in Berlin besucht. Anschließend haben wir im Ephraim-Palais eine gemeinsame Erklärung zum Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität unterzeichnet. An ihm sind, neben Polen und Deutschland, auch die Länder Ungarn und die Slowakei beteiligt, und es soll auf ganz Mitteleuropa ausstrahlen.

Schon in wenigen Tagen werden wir gemeinsam mit unserer französischen Amtskollegin eine Konferenz zur kulturellen Bildung auf Schloss Genshagen eröffnen, das wir zum europäischen Zentrum für kulturelle Bildung und Vermittlung ausbauen.

Lieber Herr Minister Zdrojewksi, ich danke Ihnen, dass Sie heute nach Berlin gekommen sind. Unsere Gespräche und Begegnungen in den letzten Monaten sind für mich ein Beleg dafür, dass die deutsch-polnischen Beziehungen heute enger sind denn je. Mein Besuch in Ihrer Heimatstadt Breslau, deren Entwicklung Sie als Stadtpräsident entscheidend geprägt haben, hat mir eindrucksvoll gezeigt, wie auch schmerzliche Kapitel der deutsch-polnischen Geschichte ohne Tabus aufgearbeitet werden können. Daran wollen wir weiter wirken, auch mit der Ausstellung, die wir heute eröffnen.

Der Geist unserer Zusammenarbeit ist von Vertrauen gekennzeichnet. Dafür möchte ich Ihnen und Ihrer Regierung an dieser Stelle meinen Dank und meine Hochachtung aussprechen!

Der ehemalige Buchenwald-Häftling und Schriftsteller Jorge Semprún hat einmal gesagt: "Eine der wirksamsten Möglichkeiten, der Zukunft unseres vereinigten Europas einen Weg zu bahnen, besteht darin, unsere Vergangenheit miteinander zu teilen, unser Gedächtnis, unsere bislang getrennten Erinnerungen zu einen." Zu unserer Vergangenheit gehören, das dürfen wir nicht vergessen, auch Zeiten gutnachbarschaftlicher Beziehungen und eines blühenden kulturellen Austauschs.

Daher haben Minister Zdrojewski und ich gemeinsam beschlossen, eine Ausstellung zu fördern, die die über tausendjährige Beziehungsgeschichte zwischen Deutschen und Polen reflektiert. Sie wird derzeit in Kooperation zwischen dem Warschauer Königsschloss und dem Martin Gropius Bau erarbeitet und soll 2011 während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft auch in Berlin gezeigt werden.

70 Jahre nach Kriegsbeginn sind die Wunden größtenteils verheilt, aber die Narben deutlich sichtbar. Wenn wir heute durch diese Ausstellung gehen, dann kommt es darauf an, dass wir aus der Geschichte Lehren ziehen.

Die Einigung Europas eröffnet uns die einzigartige Chance zum Dialog über das Vergangene und zur Zusammenarbeit für unsere gemeinsame Zukunft.

In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung eine breite positive Resonanz und viele Besucher.