Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 26.06.2009

Untertitel: im Hotel Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Aden, sehr geehrter Herr Jakubowski, sehr geehrter Herr Dr. Müller, sehr verehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/06/2009-06-26-chefbk-rede-bvv,layoutVariant=Druckansicht.html


seit nunmehr 100 Jahren bietet der BVV Lösungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung für die Beschäftigten in der Bank- und Finanzdienstleistungsbranche. Das zeigt, dass der BVV die sich wandelnden Bedürfnisse seiner Kunden sorgfältig berücksichtigt und seine Unternehmensstrategie darauf eingestellt hat.

Zu diesem Jubiläum möchte ich Ihnen heute meine herzlichen Glückwünsche aussprechen.

In den letzten Jahren haben sich im Bereich der Altersversorgung die Bedürfnisse insbesondere aufgrund des demografischen Wandels sehr verändert.

Bis vor ein paar Jahren reichte die gesetzliche Altersvorsorge aus, um den Lebensstandard im Alter zu halten. Durch die Folgen unserer heutigen Bevölkerungsentwicklung wird das jedoch immer schwerer.

Um daraus resultierende Versorgungslücken im Alter zu schließen, brauchen wir Unternehmen, die eine zusätzliche Altersversorgung anbieten.

Der BVV ist eines dieser Unternehmen. Nahezu alle privatrechtlich organisierten Kreditinstitute und zahlreiche Finanzdienstleistungsunternehmen haben sich bei der betrieblichen Altersversorgung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den BVV entschieden.

Die Finanzwirtschaft sieht sich wegen ihrer zentralen Rolle in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise starker Kritik ausgesetzt. Zu hohe Risikobereitschaft und mangelnde Solidarität werden ihr vorgeworfen.

Ähnliche Kritik wird auch gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft insgesamt laut insbesondere dann, wenn Unternehmen, die zunächst mit risikoreichen Geschäften viel Geld verdient haben, später den Staat um Hilfe bitten, weil sich das Geschäftsmodell als nicht nachhaltig erwiesen hat.

Der BVV zeigt, dass es auch anders geht. Als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit organisiert er unter seinen Mitgliedern Solidarität auf privatwirtschaftlicher Basis.

Dieses Einstehen füreinander, ohne den Staat um Hilfe zu bitten, ist ein gutes Beispiel praktizierter Sozialer Marktwirtschaft.

Meine Damen und Herren,

die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise stellt uns weiterhin vor große Herausforderungen. Die Krise birgt aber auch die Chance, die Dinge zum Besseren zu wenden.

So hatte die Bundesregierung bereits beim G8 -Gipfel in Heiligendamm vor drei Jahren eine strengere Regulierung der Finanzmärkte angemahnt, war damit aber nicht bei allen internationalen Partnern durchgedrungen.

Bedauerlicherweise bedurfte es erst den Erfahrungen aus dieser Krise, um bei unseren Partnern ein Umdenken in Sachen Finanzmarktregulierung zu bewirken.

Dies ermöglichte, dass die Staats- und Regierungschefs der im G20 -Prozess vertretenen Industrie- und Schwellenländer im November 2008 in Washington einen Reformprozess angestoßen haben. Am Ende des Prozesses muss eine globale Finanzmarktverfassung stehen, die eine solche Krise für die Zukunft ausschließt.

Auf diesem Weg sind die Staats- und Regierungschefs der G20 auf ihrem Weltfinanzgipfel am 2. April in London ganz entscheidende Schritte vorangekommen.

Sie haben unter anderem vereinbart, alle systemisch relevanten Finanzinstitute,

-märkte und -produkte einer lückenlosen Aufsicht und Regulierung zu unterstellen. Dies wäre noch vor der Krise undenkbar gewesen.

Die Finanzkrise hat auch auf europäischer Ebene politische Entscheidungen gefördert, die uns gestärkt aus der Krise hervorgehen lassen werden.

So wurde nicht zuletzt als Reaktion auf die Finanzkrise auf dem Europäischen Rat am 18. / 19. Juni die Errichtung eines Europäischen Systemrisikorates beschlossen. Dieser Rat soll die Defizite bei der Erkennung und Beseitigung systemischer Risiken beheben. Damit wird eine qualitativ neue Stufe der Aufsicht erreicht.

Zudem soll die Aufsicht in Europa über einzelne Institute verbessert werden und für eine bessere Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten gesorgt werden. Zu diesem Zweck hat der Europäische Rat die Schaffung drei neuer europäischer Behörden für die Banken- , Versicherungs- und Wertpapieraufsicht beschlossen.

Damit die Beschlüsse des Europäischen Rates bereits nächstes Jahr in Kraft treten können, wird die EU-Kommission hierfür im Herbst 2009 Legislativvorschläge vorlegen.

Im Bereich der Aufsicht arbeitet die Europäische Kommission zurzeit auch an der Verabschiedung einer Richtlinie zur Neuregelung der Versicherungsaufsicht, auch bekannt unter dem Namen Solvency II.

Mit Solvency II soll ein System der Finanzaufsicht im Versicherungssektor geschaffen werden, bei dem sich die Eigenmittelanforderungen künftig an den tatsächlichen Risiken der Kapitalanlagen orientieren.

Ziel von Solvency II ist die Verbesserung des Verbraucherschutzes, die Modernisierung der Beaufsichtigung, die Vertiefung der Marktintegration und die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Versicherungsunternehmen.

Mit einer Veröffentlichung der Richtlinie kann im Sommer 2009 gerechnet werden.

Auf nationaler Ebene hat die Bundesregierung im vergangenen Herbst als Reaktion auf die Finanzkrise das Finanzmarktstabilisierungsgesetz beschlossen.

Erste Erfolge dieser Maßnahme sind sichtbar. Die Risikoprämien für Interbankengeschäfte gehen langsam zurück und die Ausleihungen zwischen den Banken kommen allmählich wieder in Gang.

Eine flächendeckende Kreditklemme lässt sich bisher nicht diagnostizieren. Dennoch ist es für die Wirtschaft insgesamt schwieriger geworden, vor allem für große und langfristige Investitionen günstige Kredite zu bekommen.

Im wirtschaftlichen Abschwung ist das aber nicht ungewöhnlich, da Banken mit höheren Ausfallrisiken konfrontiert sind.

Um allerdings zu einer vollständigen Normalisierung zu kommen, braucht es auch eine Lösung für die sogenannten toxischen Wertpapiere. Sie sind noch immer in den Bilanzen der Banken vorhanden, auch wenn derzeit niemand ihren wahren Wert kennt.

Die Bundesregierung hat beschlossen, dass die betroffenen Kreditinstitute ihre strukturierten Wertpapiere an Zweckgesellschaften übertragen können.

Dabei ist es uns besonders wichtig, die Belastungen für die Steuerzahler möglichst gering zu halten. Deshalb ist im Gesetzentwurf vorgesehen, zur Deckung zu erwartender Verluste die Möglichkeit für Dividendenausschüttungen zu begrenzen und für die Garantien Gebühren zu verlangen.

Und trotzdem geht der Staat bei all diesen Stabilisierungsmaßnahmen beträchtliche finanzielle Risiken ein.

Dies war und ist unumgänglich, um einen Zusammenbruch des Bankensystems zu verhindern und die Kreditversorgung der Wirtschaft aufrecht zu erhalten.

Meine Damen und Herren,

wenn der Markt an wichtigen Stellen wie beispielsweise in der Kreditvergabe nicht mehr funktioniert, gehört es zu den staatlichen Aufgaben, dies wieder ins Lot zu bringen.

Nur so sind die tiefen Eingriffe ins Marktgeschehen, die wir zur Stabilisierung der Finanzmärkte getroffen haben bis hin zur zwischenzeitlich erwogenen Enteignung der HRE zu rechtfertigen.

In diesen Maßnahmen eine dauerhafte Verschiebung im Rollenverständnis von Staat und Markt zu sehen, wäre jedoch verfehlt.

Es geht uns nicht darum, den Einfluss des Staates in der Wirtschaft zu vergrößern, sondern darum, dort einen ordnungspolitischen Rahmen nachzubessern oder zu schaffen, wo er lückenhaft geworden ist oder sogar ganz fehlte.

Dieser ordnungspolitische Rahmen muss auf den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft basieren. Entlang dieser Prinzipien müssen wir auch dafür sorgen, dass sich die Banken auf ihre im Kern dienende Funktion für die Wirtschaft zurückbesinnen.

Zudem muss der Einfluss des Staates zurückgefahren werden, sobald sich die Lage auf den Finanzmärkten und in der Wirtschaft wieder beruhigt hat. Denn der Staat ist nicht der bessere Banker, Unternehmer oder Insolvenzverwalter.

Meine Damen und Herren,

die globale Dimension dieser Krise verdeutlicht, dass die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft auch über nationale Grenzen hinaus wachsen müssen. Wir brauchen auf internationaler Ebene geeignete Strukturen, um den Anforderungen einer weltweit vernetzten Wirtschaft besser gerecht zu werden.

Deshalb hat die Bundeskanzlerin die Idee einer Charta für nachhaltiges Wirtschaften in die Diskussion gebracht.

In einer solchen Charta könnten wir auf internationaler Ebene einen Konsens über die grundlegenden Prinzipien festschreiben, die für ein nachhaltiges Wachstum und für Wohlstand und Gerechtigkeit im globalen Maßstab unverzichtbar sind.

Dabei geht es nicht nur um eine stabile Finanzmarktarchitektur, sondern auch um die Offenheit der Märkte und die Beachtung sozialer Mindeststandards.

Es geht um eine nachhaltige Finanzpolitik ebenso wie um einen vernünftigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen und um eine faire Partnerschaft zwischen armen und reichen Ländern.

Die Charta-Initiative hat breite Unterstützung im Kreis der G20 -Partner erfahren. Ich bin zuversichtlich, dass wir bis zum nächsten Gipfeltreffen im September konkrete Fortschritte erreichen werden.

Meine Damen und Herren,

die deutsche Wirtschaft und dabei gerade auch die Bank- und Finanzdienstleistungsbranche stehen inmitten schwieriger Zeiten. Mit all den auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen sehe ich jedoch durchaus Chancen, dass wir gestärkt aus der Krise hervorgehen können.