Redner(in): Angela Merkel
Datum: 09.11.2009

Untertitel: in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2009/11/2009-11-09-merkel-brandenburger-tor-zwanzig-jahre,layoutVariant=Druckansicht.html


Liebe politische Freunde,

liebe Bürgerrechtler,

liebe Bürgerinnen und Bürger,

liebe Gäste,

der heutige Tag, der 9. November, markiert eine wahrhaft glückliche Stunde der deutschen und der europäischen Geschichte. Heute vor 20 Jahren öffnete sich die Mauer, es öffnete sich das Tor zur Freiheit. Eine scheinbar unüberwindbare Grenze, die ein Volk und einen Kontinent geteilt hatte, war plötzlich durchlässig geworden. Ich glaube, fast jeder, der damals schon gelebt hat, kann sich daran erinnern, was er oder sie an diesem Abend getan hat und gefühlt hat. Für mich war es einer der glücklichsten Momente meines Lebens.

Meine Damen und Herren, heute wissen wir: es war eine epochale Zeitenwende, die Deutschland, Europa, ja auch die Welt, die damals in zwei Blöcke geteilt war, wieder zusammengeführt hat. Endlich war das Ende des Kalten Krieges gekommen. Es begann eine Ära der Einigkeit, des Rechts und der Freiheit in ganz Deutschland und in ganz Europa. Das macht den 9. November für immer zu einem großen Tag der Freude für uns alle.

Doch für uns Deutsche ist der 9. November auch ein Tag der Mahnung. Heute vor 71 Jahren wurde in der Reichspogromnacht das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte aufgeschlagen: die systematische Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden und vieler anderer Menschen. Auch das vergessen wir an diesem Tag nicht.

Beides zeigt uns: Freiheit entsteht nicht von selbst. Freiheit muss erkämpft werden. Freiheit muss immer wieder verteidigt werden. Dann bleibt Freiheit, was sie ist: das kostbarste Gut unserer politischen und gesellschaftlichen Ordnung. Ohne Freiheit keine Demokratie, ohne Freiheit keine Vielfalt, keine Toleranz und damit auch kein einiges Europa. Wir haben also allen Grund, dankbar auf die uns alle bewegenden Ereignisse vor 20 Jahren zurückzublicken. Wir haben allen Grund, heute miteinander ein fröhliches Fest der Freiheit zu feiern.

Wir feiern den Mut und den unbändigen Willen so vieler Menschen in der früheren DDR. Sie sind auf die Straße gegangen. Sie haben etwas riskiert als friedvolle Kämpfer für Freiheit und für ein selbstbestimmtes Leben.

Wir feiern das mutige Engagement unserer Nachbarn im Osten. Ob Prager Frühling und Charta 77, ob polnische Solidarność , ungarische Grenzöffnung oder die Reformpolitik Michail Gorbatschows die Einheit unseres Landes wäre ohne unsere Nachbarn in Mittel- und Osteuropa undenkbar. Dafür sind und bleiben wir ihnen von Herzen dankbar.

Wir feiern auch die Politik der Entschlossenheit und Besonnenheit des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, der heute nicht dabei sein kann, und des damaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher.

Wir feiern ebenso die Unterstützung unserer Partner und Freunde im Westen, allen voran der Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreichs und Großbritanniens. Sie sind im Kalten Krieg für die Werte der freiheitlichen Welt eingestanden. Sie haben unserem Land großes Vertrauen entgegengebracht. Auch dafür sind und bleiben wir ihnen von Herzen dankbar.

Meine Damen und Herren, gemeinsam konnten wir den Eisernen Vorhang beseitigen. Ich bin überzeugt: Daraus erwächst uns auch Kraft für das 21. Jahrhundert. Heute sind wir hier zusammengekommen, politisch Verantwortliche aus ganz Europa und der ehemaligen Alliierten. Wir sind heute zu unserem Glück vereint. Und dieses Glück verpflichtet uns. Dieses Glück verpflichtet uns, die Aufgaben unserer Zeit zu lösen, die Fragen von Frieden und Sicherheit in der Welt, die Stärkung von Wachstum, Wohlstand und Gerechtigkeit, den Schutz der Umwelt und unserer natürlichen Lebensgrundlagen sowie den Einsatz für Menschenrechte, wo auch immer auf der Erde.

Nutzen wir also das unschätzbare und alles andere als selbstverständliche Gut der Freiheit. Folgen wir gemeinsam weiter ihrem Ruf. Wir haben es in der Hand, auch die Grenzen unserer Zeit zu überwinden, so wie es uns 1989 hier in dieser geteilten Stadt gelungen ist. Wenn wir daran glauben, werden wir es schaffen angespornt von der Idee der Freiheit.

Herzlichen Dank.