Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 08.07.2010

Untertitel: In seiner Redezum 60. Jubiläum des Bundesverbandes Presse Grosso würdigt Staatsminister Bernd Neumann den Beitrag dieses Vertriebssystems für die Pressefreiheit und -vielfalt.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/07/2010-07-08-neumann-pressogrosso,layoutVariant=Druckansicht.html


als der Verband Deutscher Buch- , Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten e. V. Ende Juli 1950 in Köln gegründet wurde, konnte man sich noch keine Vorstellung davon machen, welche Veränderungen in den kommenden Jahrzehnten auf die Medien zukommen würden. Das Fernsehen steckte noch in den Kinderschuhen, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sowie der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen überschaubaren Hörfunkangeboten bildeten damals die wohlsortierte deutsche Medienwelt.

Die Einführung des privaten Rundfunks und vor allem die umfassende Digitalisierung, die vor rund fünfzehn Jahren begann, haben diese alte Medienwelt revolutioniert. Der Bundesverband Presse-Grosso war stets ein wichtiger Akteur der bewegten Mediengeschichte der letzten sechs Jahrzehnte. Dabei hat er nicht nur eine bemerkenswerte Innovationskraft bewiesen, sondern auch seine Identität gewahrt."Der Pressefreiheit und der Pressevielfalt verpflichtet", so lautet der Leitsatz, auf den sich der Verband in seinem Gründungsjahr eingeschworen hat und dem er bis heute treu geblieben ist eine bemerkenswerte Kontinuität in unserer schnelllebigen Welt!

Und eine notwendige: Denn Pressefreiheit und Pressevielfalt sind keineswegs nur Domänen von Verlegern, Grossisten und Lesern. Sie sind vielmehr auch genuin öffentliche Güter, die unser Grundgesetz unverbrüchlich gewährleistet. Der Bundesverband Presse-Grosso und seine Mitgliedsunternehmen sorgen mit höchster Zuverlässigkeit dafür, dass jedermann an jedem Ort nahezu jede Zeitung oder Zeitschrift zu einem erschwinglichen Preis erwerben und damit am gesellschaftlichen Diskurs in unserem Land teilhaben kann.

Für diese bedeutende Leistung spreche ich Ihnen heute im Namen der Bundesregierung Dank und Anerkennung aus und gratuliere Ihnen sehr herzlich zum 60. Jubiläum Ihres Verbandes!

Meine Damen und Herren,

mit einem Marktanteil von über 50 % ist das Grosso-System neben dem verlagseigenen Abonnement, dem Bahnhofsbuchhandel, dem werbenden Buch- und Zeitschriftenhandel sowie den Lesezirkeln das bedeutendste Vertriebsnetzwerk für Presseerzeugnisse. Derzeit arbeiten 70Grossisten und rund 120.000 Endverkaufsstellen dafür, dass den Leserinnen und Lesern circa 6.000 Titel zur Verfügung stehen. Das Presse-Grosso ist die gleichsam "handfeste" Seite der verfassungsrechtlich garantierten Meinungs- , Presse- und Informationsfreiheit. Völlig zu Recht gilt es als das effizienteste Vertriebswesen für Presseprodukte in der EU und ist darum international vorbildlich.

Trotz dieser beeindruckenden Erfolgsbilanz kämpft der Pressevertrieb aber zunehmend mit Problemen, vor allem dem gravierenden Auflagenrückgang von Zeitungen und Zeitschriften. So haben etwa die im Straßenverkauf vertriebenen Tageszeitungen von 1995 bis heute mit gut 33 % ein Drittel ihrer Auflage verloren. Mit etwa 30 % ist der Rückgang der Auflagen bei Sonntagszeitungen im Vergleichszeitraum ähnlich hoch. Die Auflagenverluste der Publikumszeitschriften verliefen innerhalb des genannten Zeitraums zwar milder, zeigen aber die gleiche Grundtendenz. Ob sich der negative Auflagentrend in den nächsten Jahren aufhalten oder gar umkehren lässt, kann heute niemand seriös prognostizieren.

Diese Entwicklung stellt für Grossisten und Verlage eine gravierende wirtschaftliche Belastung dar. Für die Verlage kommt erschwerend hinzu, dass auch die Werbeeinnahmen aus Zeitungen und Zeitschriften seit Jahren tendenziell rückläufig sind. Das Ringen zwischen Grossisten und Verlagen um die Verteilung der knapper werdenden Vertriebserlöse ist in den letzten Jahren zunehmend härter geworden ist. Mitunter konnte man bei den jüngsten gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Grossisten und Verlagen sogar den Eindruck gewinnen, es gehe inzwischen um die Frage, ob das Grosso-System in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft hat!

Für die Bundesregierung möchte ich an dieser Stelle klar bekennen: Als Vertriebssystem, das die Pressevielfalt "an der Ladentheke" gewährleistet, halten wir das Presse-Grosso nach wie vor für unverzichtbar! Und so haben wir es auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Darin heißt es wörtlich: "Das Presse-Grosso bleibt ein unverzichtbarer Teil unserer Medienordnung." Dies bedeutet freilich keine Präferenz für entsprechende staatliche Regulierungen. Im Gegenteil: Die vom Bundesverfassungsgericht postulierte privatwirtschaftliche Struktur der Presse legt es vielmehr nahe, dass der Bestand des Presse-Grosso vorrangig ebenso auf privatwirtschaftlicher also vertraglicher Grundlage zu erfolgen hat. Der Staat nimmt hier lediglich eine Reservefunktion wahr, die ihn nur dann zu einer hoheitlichen Regulierung nötigt, wenn keine zufrieden stellende privatwirtschaftliche Lösung erreicht wurde und dadurch das System als solches gefährdet wäre. Damit stehen also in erster Linie die Verbände und Unternehmen der Branche in der Pflicht. Dass sie diese Pflicht ernst nehmen, haben die Verbände der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger und der Bundesverband Presse-Grosso bereits in der Vergangenheit mit der so genannten "Gemeinsamen Erklärung" von 2004 eindrucksvoll bewiesen!

Seit 2004 ist die Situation der Grossisten und Verleger jedoch schwieriger geworden. Die Branchenverbände haben in den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Grossisten und Verlagen deshalb darum gebeten, dass die Bundesregierung die Moderation der aktuellen Verhandlungen über die Zukunft des Presse-Grosso übernimmt. Dieser Bitte sind wir mit Blick auf unseren medienpolitischen Auftrag nachgekommen. Fachleute meines Hauses und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie führen deshalb seit Februar dieses Jahres intensive Gespräche mit der Branche. Wir haben uns darauf verständigt, dass die Verbände bis Ende August dieses Jahres versuchen, ein gemeinsames Papier zu erarbeiten, in dem alle für den Fortbestand des Grosso-Systems wichtigen Punkte detailliert aufbereitet werden sollen. Dabei darf es keine Denkverbote geben: auch strittige Punkte müssen auf den Tisch. Auf dieser Grundlage werden wir dann möglichst noch im September des laufenden Jahres eine weitere Gesprächsrunde moderieren, um die dann noch bestehenden Streitfragen einvernehmlich zu lösen. Ich möchte in diesem Zusammenhang alle Beteiligten daran erinnern, dass es die gegenwärtige Lage auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt kaum erlaubt, Veränderungen der Geschäftsbedingungen prinzipiell abzuwehren und Maximalpositionen durchzusetzen! Aber eines ist klar, das System des Presse-Grossos kann für uns nicht in Frage stehen, ein Kahlschlag hätte für die Meinungsvielfalt in Deutschland verheerende Folgen.

Die bisherigen Verhandlungen haben gezeigt, dass es im Hinblick auf die Ermittlung der Umsatzrenditen von Verlagen und Grossisten unterschiedliche Berechnungen gibt. Es ist für die weiteren Verhandlungen unbedingt erforderlich, valide und von allen Partnern akzeptierte Berechnungsgrundlagen zu entwickeln, um bei der künftigen Verteilung der Umsatzerlöse tragfähige Ergebnisse erreichen zu können. Dies mag eine schwierige und konfliktträchtige Aufgabe sein. Die drei Branchenverbände müssen sie aber bewältigen, wenn sie eine für Grossisten wie Verleger gangbare Verhandlungslösung erreichen wollen. Ich bitte Sie hier und jetzt darum: Werden Sie Ihrer hohen Verantwortung gerecht, die das gedruckte Wort für unsere Demokratie hat!

Meine Damen und Herren,

auch wenn wir heute noch nicht wissen, ob Zeitungen und Zeitschriften in Zukunft weitere Auflagenverluste werden hinnehmen müssen, halte ich alle Abgesänge auf die Printmedien für verfehlt und kann nur davor warnen, Print- und Onlinemedien in einer Art Kulturkampf gegeneinander auszuspielen. Denn man muss wahrlich kein Maschinenstürmer oder Modernisierungsverweigerer sein, um zu wissen: Die Kultur des gedruckten Wortes stemmt sich gegen die Tendenz zum Flüchtigen und Ungefähren, die das Internet prägt. Die meisten Menschen brauchen einen Anker in der Flut der digitalen Information.

Und sie verlangen nach Medien, die regelmäßig und zuverlässig jene Themen und Debatten pflegen, die uns alle angehen und die unser demokratisches Zusammenleben prägen. Dies aber ist und bleibt nach allen bisherigen empirischen Befunden die Domäne von Zeitungen und Zeitschriften. Neue Geschäftsmodelle, die Print- und Onlineangebote nutzerorientiert und wirtschaftlich erfolgreich miteinander kombinieren, sind also gefragt. Unsere Verfassung weist diese Aufgabe den Medienunternehmen und Redaktionen zu. Die Politik darf darauf keinen direkten Einfluss ausüben. Wir sind uns jedoch einig: um wirtschaftliche Prosperität und Vielfalt der Printmedien zu sichern, müssen die Rahmenbedingungen passen.

Die für die Zeitungen und Zeitschriften bedeutendsten sind aus meiner Sicht:

Erstens: Der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 % für Presseerzeugnisse, damit sie auch künftig erschwinglich und konkurrenzfähig gegenüber elektronischen Medienangeboten bleiben. Dieser Steuersatz steht für uns auch bei der Gesamtüberprüfung ermäßigter Mehrwertsteuersätze nicht in Frage.

Zweitens: Die Refinanzierungsmöglichkeiten von Printmedien dürfen nicht durch unnötige und schädliche europäische Regulierungen beeinträchtigt werden. Ich möchte ausdrücklich feststellen, dass die Europäische Union keine Kompetenz hat, in das nationale Presserecht einzugreifen. Gegen die zunehmende Tendenz der Europäischen Union, Bürgern und Wirtschaft immer neue Werbeverbote verordnen zu wollen, hat die Bundesregierung in ihrem letzten Medien- und Kommunikationsbericht ein kategorisches "Nein!" gesetzt!

Drittens: Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag zur Verbesserung des Schutzes von Presseerzeugnissen im Internet an vereinbart haben. Ich bin für die zügige Einführung des Leistungsschutzrechts, aber wir müssen dabei natürlich die Interessen aller Beteiligten wahren. Mir ist wichtig, dass wir eine ausgewogene Lösung finden, die auch die Journalisten also die kreativen Köpfe angemessen berücksichtigt.

Meine Damen und Herren,

abschließend zu einer grundlegenden Frage, ohne die wir über die vorigen Punkte gar nicht weiter zu diskutieren bräuchten: Den Zeitunglesernachwuchs! Es ist eine schlichte Tatsache: ohne junge Leserinnen und Leser haben gedruckte Zeitungen und Zeitschriften keine Zukunft. Wenn die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen zunehmend ins Internet abwandert, ist es ein Gebot der Stunde, sie wieder für Zeitungen und Zeitschriften zu begeistern. Deshalb habe ich gemeinsam mit den Verleger- , Journalisten- und Grossoverbänden sowie anderen Institutionen im Jahre 2008 die "Nationale Initiative Printmedien Zeitungen und Zeitschriften in der Demokratie" ins Leben gerufen.

Wir können im dritten Jahr der Initiative auf eine erfolgreiche Arbeit zurückblicken. Ich danke den Verantwortlichen des Bundesverbandes Presse-Grosso für ihre tatkräftige Unterstützung der Initiative und hoffe, dass die Grossisten ihr Engagement sogar noch weiter verstärken.

Meine Damen und Herren,

ich wünsche dem Bundesverband Presse-Grosso für die Zukunft alles Gute!