Redner(in): Angela Merkel
Datum: 08.10.2010
Untertitel: in Iserlohn
Anrede: Sehr geehrter Herr Jochen Kirchhoff, den Rest der Familie begrüße ich insgesamt: liebe Familie Kirchhoff, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Herr Bürgermeister, lieber Jürgen Rüttgers, lieber Matthias Wissmann, liebe Festversammlung,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/10/2010-10-08-jubilaeaum-witte,layoutVariant=Druckansicht.html
ich grüße auch meinen Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, Herrn Heider!
Ich bin gern heute hierher gekommen. 225Jahre sind ein Jubiläum bemerkenswerter Art 225Jahre, die, wie wir soeben in dem Rückblick gesehen haben, im Wesentlichen die gesamte Industrialisierungsgeschichte Deutschlands an einem Beispiel erzählen. Deshalb möchte ich zuerst natürlich ganz, ganz herzlich gratulieren zu dem Erfolg, zu dem Durchhaltevermögen in guten und vor allen Dingen auch in schwierigen Zeiten. Und ich möchte Ihnen Dank sagen, weil ich glaube, dass die Familie und alle, die in diesem Unternehmen mitarbeiten, viel für unser Land tun. Herzlichen Dank dafür.
Sie sind das, was man ein Familienunternehmen par excellence nennt. Sie haben immer wieder deshalb ist das Motto des heutigen Tages auch so schön "Wissen. Werte. Wandel" Realität werden lassen. Sie haben Werte gelebt, wie man an interessanten Beispielen sehen konnte, zum Beispiel an der sehr frühen Einführung von Sozialpartnerschaft. Und Sie haben sich dem Wandel nie verschlossen, denn von der Nähnadel bis zum Hybrid-Abfallsammelfahrzeug war es ja gewiss ein weiter Weg. Tradition und Fortschritt, Bodenständigkeit und Weltoffenheit all das vereint Ihre Gruppe im besten Sinne.
Ich bin zudem sehr gerne hierher gekommen, weil sich auch an denen, die Ihre Kunden sind, an denen, die Zulieferer sind, an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zeigt, wie vernetzt wir in unserem Lande sind und woraus die Stärke und die Dynamik nicht nur der Kirchhoff Gruppe, sondern auch ganz Deutschlands besteht.
Sie sind auf ganz selbstverständliche Art Schritt für Schritt ein globalisiertes Unternehmen geworden. Wir sagen ja heute, dass die Globalisierung sehr stark und sehr schnell voranschreitet das ist sicherlich auch richtig, insbesondere durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, durch das Internet, die schnellen Informationsverarbeitungen. Aber was Sie von Ihrem Großvater oder Urgroßvater erzählt haben, der beschwerlichste Reisen in den asiatischen Raum unternommen hat, um die Akteure auf wegbrechenden asiatischen Märkten wieder aufzumuntern, das zeigt: Das persönliche Gespräch, die gute Beziehung zum Kunden ist eben durch nichts zu ersetzen.
Auch der Kampf innerhalb Europas ist nicht erst in unseren Tagen entbrannt; Wettbewerb gab es schon immer. Sie haben sich diesem Wettbewerb immer wieder gestellt. Sie geben also ein Paradebeispiel ab; und deshalb ist es auch ganz typisch, dass Sie an einem Ort feiern, an dem normalerweise gearbeitet wird. Auch das macht die Atmosphäre dieses Unternehmens aus.
Sie sind also ein deutsches Erfolgsmodell. Unsere Aufgabe heute besteht natürlich darin, solche Erfolgsgeschichten fortzusetzen und weitere Firmenjubiläen zu ermöglichen. Dafür muss natürlich jede Generation wieder die Weichen richtig stellen. Das tun Sie in einem Unternehmen, das sich der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlt, das die Werte der Sozialen Marktwirtschaft lebt. Sie haben es auch in schwierigen Zeiten immer geschafft, aber Sie können es natürlich besser schaffen, wenn die Politik die Rahmenbedingungen richtig setzt. Es wäre jetzt interessant zu wissen, ob der Beifall Lob oder Ansporn war. Ich nehme ihn mal als beides.
Wir haben zugegebenermaßen eine schwierige Zeit hinter uns: die große Krise der Weltwirtschaft, hervorgerufen durch eine Krise der Finanzmärkte, durch Exzesse auf den Finanzmärkten, die dann auf die so genannte Realwirtschaft übergegangen ist. Ihr Unternehmen ist sehr zielsicher durch diese Krise gegangen, hat gar nicht alle Instrumente aufnehmen und nutzen müssen, die wir zur Verfügung gestellt haben. Aber ich glaube, wenn Sie auf die Branche insgesamt schauen, dann waren die politischen Entscheidungen durchaus richtig und wichtig.
Es gab natürlich erst einmal die Notwendigkeit, die Banken zu stützen. Wir haben an Lehman Brothers gesehen, was passiert, wenn man es nicht tut. Aber Sie werden auch verstehen, dass die Politik heute alles daransetzt, dass beim nächsten Mal nicht der Steuerzahler eintreten muss, sondern dass es möglichst kein nächstes Mal gibt und, falls es ein nächstes Mal gibt, dass die Banken Vorsorge getroffen haben, damit nicht wieder der Steuerzahler dafür geradestehen muss.
Da haben wir einiges erreicht, aber vieles muss auch noch getan werden. Deshalb werden auch die nächsten G20 -Treffen noch davon gekennzeichnet sein, dass wir hart diskutieren. Unser Ziel heißt: Jeder Finanzmarktakteur, jedes Finanzprodukt und jeder Finanzmarktplatz muss einer abgestimmten Regulierung unterworfen werden, damit sozusagen die Entfernung von der Realität, vom Boden, von der Bodenständigkeit, die für Ihr Unternehmen immer ganz selbstverständlich war, in den Finanzbereichen nicht so stattfinden kann, dass daraus dramatische Krisen entstehen können.
Wir haben die Kurzarbeit eingeführt. Das war vielleicht der Schlüssel, um eine Brücke zu bauen für das Wertvollste, das Deutschland hat: die gut ausgebildeten Facharbeiter, die Meister, die Ingenieure. Wir haben mit Konjunkturprogrammen, wie wir sie vielfach in der Welt hatten, natürlich vor allen Dingen auch versucht, die kleineren und mittelständischen Unternehmen bei Investitionen vor Ort, in den Kommunen, zu beteiligen. Das hat funktioniert, a ) weil wir es politisch nicht falsch gemacht haben, aber b ) auch nur deshalb, weil es im Lande Vertrauen zwischen der Politik und den Tarifpartnern gab. Es ist ja schon viel über die Tarifpartnerschaft geschimpft worden, sie ist kritisiert worden, aber gerade in der Zeit der Krise hat sich doch erwiesen, dass langjährig aufgebautes Vertrauen einen auch über schwierige Strecken hinwegkommen lassen kann.
Deshalb möchte ich den Verantwortlichen in den Unternehmen genauso wie den Betriebsräten und Gewerkschaften dafür danken, dass es gelungen ist, von den Flexibilitätsmöglichkeiten des Arbeitsrechts Gebrauch zu machen, auf Kurzarbeit zu gehen und das anzunehmen, aber eben auch risikobehaftete Entscheidungen in dieser Zeit zu fällen. Wie viele Unternehmer mögen in den Tagen und Monaten der Jahre 2008 und 2009 mit großen Sorgen schlafen gegangen sein und sich überlegt haben: Kann ich das Risiko solcher Entscheidungen eingehen? Es hat sich erwiesen: Das Zusammenspiel hat geklappt. Und darauf können wir, glaube ich, alle miteinander ein Stück weit stolz sein.
Das, was in den Krisenzeiten auch sehr diskutiert wurde nämlich die starke Exportabhängigkeit Deutschlands, hilft uns jetzt wieder in der Phase nach der Krise, weil gerade durch die Exporte in den asiatischen Raum und durch unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten im Exportbereich wir in diesem Jahr ein sehr gutes Wirtschaftswachstum verzeichnen können. Wir werden über dreiProzent Wachstum haben. Man kann sagen: Das ist, gemessen an den 4, 9Prozent, die wir im vergangenen Jahr an Einbruch hatten, nicht besonders viel, aber es ist weit mehr, als wir erwartet haben. Dennoch sind wir noch nicht wieder auf dem Niveau, das wir 2007 hatten. Das darf man nicht vergessen. Die Krise ist also noch nicht vollkommen vorbei, aber wir haben ein gutes Stück Wegstrecke geschafft.
Wir haben aber vor allen Dingen das ist auch für die Stimmung, die die Binnennachfrage wieder beleben kann, ganz wichtig bei der Arbeitslosigkeit eine sehr, sehr positive Entwicklung. Im Frühjahr 2006 Ende 2005 wurde ich Bundeskanzlerin hatten wir fünfMillionen Arbeitslose in Deutschland. In diesem Herbst werden wir wahrscheinlich die Drei-Millionen-Grenze unterschreiten. Das zeigt, dass eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung auch bei den Menschen ankommt. Es gibt ja lange Diskussionen darüber: Was kommt bei den Menschen an? Ich glaube, das Allerwichtigste ist immer noch Teilhabe durch Arbeit und ein sicherer Arbeitsplatz. Das ist für die Menschen und die Familien von außerordentlicher Wichtigkeit.
Meine Damen und Herren, in dieser krisenhaften Situation der vergangenen zwei Jahre ist vieles passiert. Ich habe schon zu Beginn der Krise gesagt: In einer solchen Krise werden die Karten weltweit neu gemischt. Ich möchte gemeinsam mit der Bundesregierung, dass Deutschland stärker aus dieser Krise hervorgeht, als wir hineingegangen sind. Deshalb heißt die Aufgabe jetzt auch, sich genau die Kräfteverhältnisse weltweit anzuschauen. Da gibt es für Europa, für Deutschland Licht und Schatten.
Ich muss Ihnen sagen, dass die für mich schwierigste Phase der gesamten Wirtschaftskrise die Krise des Euro am Anfang dieses Jahres war; die Krise einer gemeinsamen Währung, die uns viel besser durch die Turbulenzen in 2008 und 2009 geführt hat, als es die verschiedenen Währungen in Europa hätten tun können. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie viele gegenseitige Stützungskäufe wir im europäischen System hätten vornehmen müssen, wenn wir nicht eine gemeinsame Währung gehabt hätten.
Dennoch hat die Krise wieder ganz deutlich sichtbar gemacht, dass die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Euro-Raums unterschiedlich ausgeprägt ist. Da war auch Spekulation dabei; nicht alle gönnen Europa den Erfolg. Es gab deshalb sicherlich auch übertriebene Spekulation. Aber wir wären nicht gut beraten, alles nur mit der Beschimpfung von Spekulanten zu erklären, sondern wir sind besser beraten, wenn wir uns einfach ein realistisches Bild von unserer europäischen Wirtschaftskraft machen. Es sind ja schnell wieder die Zinsunterschiede zwischen den einzelnen europäischen Ländern aufgetaucht, die wir zur Einführung des Euro hatten. Nachdem wir danach jahrelang ein fast gleiches Zinsniveau aller Euro-Mitgliedstaaten hatten, waren plötzlich diese Unterschiede wieder da; und sie haben natürlich auch etwas mit der Wettbewerbsfähigkeit zu tun.
Jetzt stellt sich die spannende Frage dabei muss Deutschland in seiner Positionierung ganz klar sein: Wer bestimmt das Niveau unserer Wettbewerbsfähigkeit? Ist das irgendein Mittel aus allen europäischen Ländern oder soll derjenige den Maßstab setzen, der die beste Wettbewerbsfähigkeit in einem bestimmten Bereich hat? Meine Antwort ist klar: Wir brauchen das beste Niveau und nicht irgendein mittleres; das muss unser Maßstab sein. Sonst sind wir bald am Schluss der Kette.
Deshalb war und wird Deutschland im europäischen Maßstab solidarisch sein. Ich habe davon gesprochen, wie wichtig der Euro für uns ist, aber Hilfe muss Hilfe zur Selbsthilfe sein. Deshalb haben wir auch sehr hart verhandelt, was zum Beispiel die Veränderungen in Griechenland anbelangt, die jetzt auf einem für Griechenland jedenfalls bisher nicht gekannten Wege sind. Dass es wieder Vertrauen in den Euro gibt, sieht man zum Beispiel an den chinesischen Investitionen, die jetzt in Griechenland getätigt werden. Aber damit bin ich auch schon beim neuen Mischen der Karten in dieser Krise. Denn wenn jetzt China den größten europäischen Containerhafen baut, dann ist das natürlich eine der strategischen Investitionen, wie wir sie früher im europäischen Bereich nicht hatten. Das wird die Lage verändern, aber das ist nun einmal Wettbewerb.
Deshalb werden die nächsten Jahre, in denen die Stützungsmaßnahmen für den Euro noch laufen, natürlich wichtigste Jahre zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft in Europa sein. Deshalb wird die Aufgabe auch heißen, dass sich unser Kontinent, unsere Europäische Union darauf konzentriert, was zukunftsweisend ist, wie wir stärker werden. Das gilt für Deutschland allemal, denn unser Problem ist nicht nur der globale Wettbewerb, sondern wir blicken in den nächsten zehn Jahren auch auf eine starke Veränderung unserer Gesellschaft. Wir nennen das den demografischen Wandel. Der Altersaufbau unserer Gesellschaft wird sich massiv verändern. Darauf müssen wir reagieren.
Das heißt, die Aufgaben, die wir lösen müssen, sind: Wir müssen auf die Veränderung der Arbeitswelt, des Altersaufbaus der Gesellschaft und die schärfere Wettbewerbssituation heute Antworten finden, damit wir in zehn Jahren weiter sind, als wir heute sind. Deshalb ist die Bundesregierung dabei ich habe das als den Herbst der Entscheidungen bezeichnet, als christlich-liberale Koalition jetzt die wesentlichen Entscheidungen zu fällen, die wir für wichtig halten, damit Deutschland Familienunternehmen ein gutes Zuhause bleibt und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gute Arbeitsplätze bietet.
Was müssen wir dabei beachten? Ich habe mit Jürgen Rüttgers oft darüber gesprochen: Deutschland muss ein Industrieland bleiben, unsere Stärke ist die Industrie. Natürlich wird sich da vieles ändern; Dienstleistungen treten hinzu. Aber der Kern unseres Wirtschaftens muss durch industrielle Produktion geprägt bleiben. Deshalb brauchen wir vor allen Dingen auch eine vernünftige Energieversorgung. Darum haben wir sehr gerungen. Wir haben gesagt, wir wollen innovativ sein. Das Wissen ist ja ohnehin der Schlüssel zu unserem Fortschritt, ebenso Innovation, Forschung und Bildung.
Wir wollen das Zeitalter der regenerativen Energien schnell erreichen, aber wir wollen es so erreichen, dass der Strom bezahlbar bleibt und Deutschland in der Lage ist, seinen Strom selber zu produzieren. Deshalb sind wir dabei, ein Energiekonzept zu erarbeiten, in dem die Kernenergie eine Brückentechnologie ist, in dem wir die Dauer und die Länge der Brücke klar definieren und in dem wir mithilfe von Brückentechnologien dazu gehört natürlich auch die Kohle das Zeitalter der erneuerbaren Energien sogar schneller erreichen können, als es ohne diese möglich wäre.
Das Zeitalter der erneuerbaren Energien wird natürlich nur möglich sein, wenn, Forschung und Innovation bei uns einen hohen Stellenwert haben. Wir haben uns entschlossen, trotz aller Sparnotwendigkeiten in dieser Legislaturperiode im Bundeshaushalt pro Jahr dreiMilliardenEuro mehr für Bildung und Forschung vorzusehen und die Hightech-Strategie weiterzuführen, die ganz klar analysiert: Wo sind die Stärken Deutschlands, wo sind wir Marktführer, wo müssen wir besser werden? Diese Analyse wird in einer Allianz mit Unternehmen und Wissenschaftsinstitutionen vorgenommen. Ich glaube, das ist eine Herangehensweise, die wichtig ist, die wir brauchen.
Die Stärke Ihres Unternehmens, der Kirchhoff Gruppe, hat immer darin bestanden, dass Sie auf Forschung, auf Entwicklung gesetzt und damit immer schon die Weichen für die Zukunft richtig gestellt haben. Das müssen wir auch für das ganze Land so tun, meine Damen und Herren.
Das Thema Bildung ist natürlich wichtig. Ich will hier heute bei der Festansprache nicht weiter politisieren, ich bin aber der festen Überzeugung: Wenn wir jedem Menschen mit seinen Neigungen und Fähigkeiten gerecht werden wollen ich glaube, auch die Geschichte Ihres Unternehmens hat gezeigt, dass die Menschen unterschiedlich sind und dass man aus der Unterschiedlichkeit etwas machen kann, dann ist ein Einheitsschulsystem sicherlich nicht die richtige Antwort. Deshalb glaube ich, dass wir die Talente durchaus unterschiedlich fördern sollten.
Wir haben das Problem, dass wir auf der einen Seite jetzt schon von Fachkräftemangel reden und auf der anderen Seite bei einem Bundeshaushalt von 320MilliardenEuro in diesem Jahr 40Milliarden Euro für Langzeitarbeitslose ausgeben und die Kommunen noch mal zehnMilliarden Euro dazu. Wenn man an diesem Ausgabenblock, hinter dem ja Menschen und ihre Schicksale stehen, etwas verändern könnte, ihn vielleicht halbieren könnte ich will jetzt keine neuen Ziele ausrufen; ich sage nur, man muss sich das mal vorstellen, dann hätte man plötzlich 20Milliarden Euro, die man entweder für Schuldenabbau oder aber für Investitionen in die Zukunft verwenden könnte.
Wenn wir uns anschauen, wer diese Menschen sind, die langzeitarbeitslos sind, dann sehen wir: Es sind unter anderem allein erziehende Mütter, denen man in vielen Fällen durch eine verbesserte Kinderbetreuung den Zugang zum Arbeitsmarkt wieder öffnen kann, und es sind in überwiegendem Maße die über 50-Jährigen, die heute große Schwierigkeiten haben, eine Arbeit zu finden. Sie haben uns ja alle unterstützt, als wir wegen des sich verändernden Altersaufbaus der Gesellschaft die Rente mit 67 entwickelt haben; und darum habe ich eine Bitte an Sie. Besonders in den nächsten Jahren wird die Aufgabe heißen: Wie kann ich älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Chance im Unternehmen geben? Wenn wir das nicht schaffen, sind wir weder eine menschliche Gesellschaft noch werden wir es schaffen, die soziale Sicherung in vernünftiger Weise zu gestalten. Da muss viel neu gedacht werden, meine Damen und Herren.
Es geht außerdem darum, Anreize für Arbeit zu schaffen. Deshalb bin ich auch froh, dass es die Tarifpartner gibt, in deren Lohnfindung wir uns mal lieber nicht einmischen. Das hat im Übrigen auch der Bundeswirtschaftsminister nicht getan. Wissen Sie, wie das heute mit den Interviews ist? Das ist ja alles irgendwie irre. Ich will es Ihnen mal an diesem Beispiel erzählen. Der Wirtschaftsminister gibt ein Interview und am nächsten Tag lese ich in der Zeitung: "Liberaler Irrläufer Brüderle für starke Lohnerhöhungen." Ich denke mir, was war denn da los? Dann lese ich natürlich das Interview. Und dann antwortet der Regierungssprecher heute in einer Pressekonferenz auf die Frage, ob Frau Merkel wie Herr Brüderle auch für starke Lohnerhöhungen ist, dass ich natürlich Buchstabe für Buchstabe die Interviews meiner Minister lese und dass Herr Brüderle gesagt habe, es werde auch Lohnerhöhungen geben, es aber Sache der Tarifparteien sei, diese zu beschließen. Es habe jetzt solche Abschlüsse gegeben, bei denen die Löhne erhöht wurden; da die Tarifparteien das machen wollten, sollte es auch so bleiben. So, da konnte ich von einem liberalen Irrläufer nichts mehr erkennen. Kaum ist die Pressekonferenz vorbei, kommt die Agenturmeldung: "Merkel auch für starke Lohnerhöhungen." Ich bitte Sie also, wenn Sie sich mal wieder über uns aufregen: Lesen Sie alles und vollständig und ganz. Auch dann ist nicht sichergestellt, dass man gar nichts mehr zum Aufregen hat, aber zumindest weniger. Das verspreche ich Ihnen.
Wir müssen natürlich das Gesundheitssystem und die sozialen Sicherungssysteme insgesamt immer wieder zukunftsfest machen. Ich erspare Ihnen jetzt einen Gesundheitsvortrag, ich sage an dieser Stelle nur: Dafür hätte ich mir manchmal schon ein bisschen mehr Lob gewünscht. Wir erhöhen jetzt die Beiträge zur Krankenversicherung auf das Niveau, das wir schon vor der Krise hatten. Wir hatten in der Krise gesagt, wir wollen mit der Senkung der Lohnzusatzkosten einen Beitrag dazu leisten, dass die Arbeitsplätze nicht so unter Druck kommen. Jetzt gehen wir wieder auf das Niveau von vor der Krise. Das ist genau das, was man eine Exit-Strategie aus einem Konjunkturprogramm nennt.
Dann entkoppeln wir mit Blick auf die zukünftig ansteigenden Kosten und sie werden ansteigen, wenn die Medizin besser wird und die Menschen älter werden die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten. Ich finde, es müsste eigentlich eine Jubelarie bei der BDA zu hören sein, aber das Gegenteil ist der Fall. Das bleibt für mich ein Mysterium. Aber da wir heute eine Festveranstaltung haben, möchte ich nicht weiter darauf herumreiten. Ich sage nur: Eine Regierung braucht ab und zu auch einmal Unterstützung. Wenn alle immer gegen einen sind, von rechts, von links, von vorne und von hinten, dann verliert man irgendwie auch ein bisschen Kraft. Aber das tun wir nicht, wir gehen unseren Weg.
So werden wir jetzt Schritt für Schritt die verschiedenen Weichen stellen, weil es wichtig für uns in unserem Land ist. Und wir werden insgesamt darüber zu sprechen haben: Wie stellen wir uns diese Gesellschaft in der globalisierten Welt vor?
Dazu möchte ich eine letzte Bemerkung machen: Ich glaube, dass es für unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren wichtig sein wird, zu fragen: Was tut der Einzelne für dieses Land über das hinaus, was er für sich tun muss? Was nimmt er dafür auch in Kauf?
Wenn ich die Debatten über Infrastrukturprojekte sehe dabei geht es ja nicht nur um "Stuttgart21", sondern auch um jede Hochspannungsleitung, die die Windenergie in den Süden der Republik bringen soll, um Kohlekraftwerke, um Sendemasten und Breitbandtechnologien usw. usf. , dann weiß ich gar nicht, ob es Deutschland in dem Zustand, in dem wir jetzt gerade sind, in der Zeit, als es noch keine Bahnschienen und keine elektrischen Leitungen gab, gelungen wäre, sich zu elektrifizieren und Bahngleise zu legen. Ich habe meine Zweifel.
Da wir hier ein 225. Jubiläum bei einem Unternehmen feiern, bei dem die Dampfmaschine noch eine Innovation war, als es jung war, einem Unternehmen, bei dem der elektrische Strom erst noch dazukam, glaube ich, dass ein solches Jubiläum auch die Gelegenheit ist, zu sagen: Eine solche Erfolgsgeschichte klappt nur, wenn sich jeder nicht nur sich selbst verpflichtet fühlt, sondern auch ein Stück weit der Gemeinschaft. Das haben Sie vorgelebt und in dem Motto wunderbar wiedergegeben: "Wissen. Werte. Wandel". Dafür möchte ich Ihnen danken. Sie sind ein gutes Stück Deutschland.
Einen schönen Abend und eine schöne Feier.