Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 02.05.2011

Untertitel: In seiner Rede anlässlich der Eröffnung der Forschungs- und Begegnungsstätte LepsiushausinPotsdamunterstrich Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Notwendigkeit einer "ehrlichen Aufarbeitung der Geschichte".Deutschland wolle mit diesem Haus einen Beitrag dazu leisten, dass Türken und Armenier über die Gräben der Vergangenheit hinweg nach Wegen der Versöhnung und Verständigung suchen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2011/05/2011-05-02-neumann-lepsius-haus,layoutVariant=Druckansicht.html


sicut Phönix das steht als Motto im Signet des Vereins für das Lepsius-Haus. Wie Phönix aus der Asche, so steht nun auch nach Jahrzehnten der Vernachlässigung und des Verfalls das ehemalige Wohnhaus von Johannes Lepsius als Forschungs- und Begegnungsstätte in neuem Glanz da. Lepsius Orientalist und Theologe, evangelischer Christ und leidenschaftlicher Menschenfreund setzte sich über alle Widerstände hinweg für andere ein. Für ihn waren Barmherzigkeit und Mitgefühl universelle Prinzipien, denen er sein Leben widmete. Sein hier, in diesem Haus 1916 unter Drohung der Zensur verfasste und versandte "Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei" brachte die Gräuel ans Licht der Weltöffentlichkeit, die das Osmanische Reich gleichsam im Schatten der Wirren des Ersten Weltkrieges an den Armeniern verübte.

Das Lepsius-Haus will an dieses vorbildliche Leben erinnern, das kulturelle Menschheitserbe der Armenier erforschen und auch den Dialog zwischen Türken und Armeniern ermöglichen. Auch aus historischer Verantwortung heraus hat die Bundesregierung gemeinsam mit dem Land Brandenburg, der Landeshauptstadt Potsdam und dem Verein Lepsius-Haus die Forschungs- und Begegnungsstätte eingerichtet. Der Bund hat mit insgesamt 530.000 Euro für Wiederherstellung des Hauses und die Einrichtung der Ausstellung von den Zuwendungsgebern den mit Abstand größten Anteil geleistet. Viele haben sich dafür eingesetzt, besonders hervorheben möchte ich aber Professor Hermann Goltz. Er ist leider Ende letzten Jahres verstorben und kann heute nicht bei uns sein, um das Ergebnis seiner Bemühungen und seines Wirkens gemeinsam mit uns zu feiern. Ihm, der sich um das Erbe Johannes ‘ Lepsius und um die Geschichte der Armenier verdient gemacht hat, gebühren am heutigen Tag unser Dank und unsere Anerkennung.

Meine Damen und Herren,

wenn wir heute zusammengekommen sind, um uns dem Leben und Wirken von Johannes Lepsius zuzuwenden, dann hat dies auch mit der deutschen Geschichte zu tun. Wir müssen uns der Schuld stellen, die Deutschland als damals tatenlos Zuschauenden trifft.

Der amerikanische Botschafter Henry Morgenthau schrieb 1918 über die Massaker an den Armeniern: "Die türkischen Autoritäten waren sich bewusst, dass sie das Todesurteil über ein ganzes Volk verhängten und sie machten nicht einmal Anstalten, dies zu verschleiern!"

Im Antrag des Deutschen Bundestages vom 15. Juni 2005 heißt es: "Den Deportationen und Massenmorden fielen nach unabhängigen Berechnungen über 1 Mio. Armenier zum Opfer. Zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen bezeichnen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord."

Aus den Akten des Auswärtigen Amts geht hervor, dass die Deutsche Reichsregierung von Anfang an über die Verfolgung und Ermordung der Armenier informiert war. Deutschland als Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches schwieg dazu, ja verschwieg es völlig und verbot Veröffentlichungen darüber. Der deutsche Botschafter Wolff-Metternich forderte die Reichsregierung auf, angesichts dieser Verbrechen der türkischen Regierung in den Arm zu fallen. Vergeblich. Das Deutsche Reich stellte Bündnistreue über die Menschlichkeit. Dieses Verhalten Deutschlands muss uns noch heute mit Scham erfüllen.

Erst 2005 hat sich der Deutsche Bundestag als erstes deutsches Parlament mit der Vertreibung und Vernichtung des armenischen Volkes auseinandergesetzt nach 90 Jahren! Er hat die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches bedauert. Zugleich verneigt er sich "im Gedenken an die Opfer von Gewalt, Mord und Vertreibung, unter denen das armenische Volk vor und während des Ersten Weltkrieges zu leiden hatte".

Meine Damen und Herren,

wir Deutschen haben kein Recht, uns über andere Nationen zu erheben zu groß und schrecklich sind die Verbrechen, denen sich unser Land durch den Zweiten Weltkrieg und mit dem Holocaust schuldig gemacht hat. Wir bemühen uns seit Jahrzehnten und immer wieder um Offenlegung und Aufarbeitung unserer eigenen Geschichte auch als Mahnung an künftige Generationen. Das ist die Leitlinie der deutschen Erinnerungspolitik."Erst durch die Geschichte wird ein Volk seiner selbst vollständig bewusst". Diese Erkenntnis verdanken wir dem großen Philosophen Arthur Schopenhauer.

Ich bin der Überzeugung: So lange Verbrechen - wie die an den Armeniern - als solche nicht beim Namen genannt werden dürfen, solange sie verschwiegen oder bagatellisiert werden, so lange blendet eine Nation einen Teil ihrer eigenen Geschichte aus und wird der Opfer, ihrer Würde und ihrer Identität nicht gerecht.

Deutschland und die Türkei pflegen seit vielen Jahrzehnten gute Beziehungen. Erst vor wenigen Wochen habe ich mich mit meinem türkischen Amtskollegen

Günay im Bundeskanzleramt zu einem freundschaftlichen Gespräch getroffen. Gerade in einer guten und engen Beziehung zwischen zwei Staaten gehört es dazu, dass man sich Wahrheiten sagen kann und muss. Eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte ist notwendig und stellt die wichtigste Grundlage für Versöhnung dar. Wir, die Deutschen, wollen mit diesem Haus einen Beitrag dazu leisten, dass Türken und Armenier über die Gräben der Vergangenheit hinweg nach Wegen der Versöhnung und Verständigung suchen.

In der Türkei gab und gibt es unterschiedliche Bewertungen zur Verfolgung und Vernichtung des armenischen Volkes. Darum verstehe ich es als ein Zeichen guten Willens, wenn der Verein Lepsius-Haus auch die türkischen Sichtweisen in der Diskussion der tragischen Ereignisse von 1915/1916 auf einer Tafel in der Ausstellung dokumentiert, selbst, wenn man sich diese nicht zu eigen machen muss.

Sehr geehrter Herr Botschafter Martirosyan, ich freue mich sehr, dass Sie hier sind. Sie zeigen damit, dass es unser gemeinsames Interesse ist, diese für Ihr Volk so schmerzliche historische Phase aufzuarbeiten. Deutschland und Armenien sehen sich als Kulturnationen, getragen von der universellen Botschaft des Christentums, das zu Mitmenschlichkeit und Anteilnahme über Nationen und Religionen hinweg auffordert. Das verbindet uns.

Mit dem heutigen Tag sind wir dem politischen Wunsch des Bundestages einen deutlichen Schritt näher gekommen, Deutschland, Armenien und die Türkei ein wenig mehr zusammenzubringen. Unsere historischen und menschlichen Bindungen zu Türken und Armeniern sind vielfältig und werden nicht abreißen. Und deshalb ist es gut, dass wenige Tage nach dem Nationalen Gedenktag der Armenier am 24. April dieses schöne Haus am Fuße des Pfingstberges in Potsdam seiner Bestimmung übergeben wird.

Allen, die daran mitgewirkt haben, danke ich herzlich.