Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 19.06.2011

Untertitel: In seiner Rede im Rathaus der Stadt Frankfurt am Main sprach Staatsminister Bernd Neumann über die Notwendigkeit der Förderung der zeitgenössischen Kunst und betonte, dass man mit Kürzungen bei der Kulturkeinen Haushalt sanieren kann.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2011/06/2011-06-19-neumann-mmk,layoutVariant=Druckansicht.html


ich gratuliere auch im Namen der Bundesregierung sehr herzlich zum 20-jährigen Bestehen des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt! Es gibt ja derzeit viel zu feiern im MMK. Ihnen, liebe Frau Dr. Gaensheimer, ist mit dem Deutschen Pavillon auf der diesjährigen Biennale in Venedig wahrhaftig ein Coup gelungen! Es hat sich als richtig erwiesen, dass Sie nicht von Ihrer Idee abgewichen sind, mit Christoph Schlingensief den Pavillon zu gestalten. Sein viel zu früher Tod hat uns alle sehr bewegt. Der Pavillon in Venedig ist durch den Tod Schlingensiefs sicher anders geworden als geplant, aber er lässt uns sein gesamtes Werk auch in einer ganz neuen Perspektive sehen.

Die Verleihung des Goldenen Löwen ist jedenfalls eine große, internationale Anerkennung für Christoph Schlingensief, für Deutschland und vor allem für Sie, liebe Frau Gaensheimer herzlichen Glückwunsch!

Meine Damen und Herren

liebe Frau Gaensheimer, am 4. Juni war Ihre Eröffnung in Venedig, und heute, kaum zwei Wochen später, findet nun hier in Frankfurt die ambitionierte Jubiläumsausstellung des Museums für Moderne Kunst statt. Diese hohe Schlagzahl, die auch ansonsten Ihre Biographie kennzeichnet, spricht für Ihre Kompetenz, Ihre Kraft, Ihr Engagement, aber auch für ein hervorragendes organisatorisches Talent und ein gutes Team. Aus Berliner Perspektive kann ich nur sagen: Für all das steht das MMK ja auch! Nicht umsonst hatte ich mich erfolgreich bemüht, Ihren Vorgänger, Udo Kittelmann der übrigens 2001 auch mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, als Direktor der Nationalgalerie in Berlin zu gewinnen!

Frankfurt ist sozusagen eine Kaderschmiede für Museumsleute ich denke da nur an einen weiteren hervorragenden Museumsmann, Max Hollein und daraus erwachsen fast zwangsläufig immer Abwerbeversuche! Dass die nicht immer glücken müssen, ist vor allem dem exzellenten Ruf der Kulturstadt Frankfurt zu verdanken. Was hier seit den späten 70er Jahren entstand, ist ein Erfolgsmodell. Alle Museumsareale, -inseln, -quartiere weltweit sind immer auch ein Stück Frankfurter Museumsufer! Auch mit der Gründung des MMK 1981 durch den damaligen Oberbürgermeister Walter Wallmann, durch Peter Iden und Hilmar Hoffmann hat Frankfurt Zeichen gesetzt.

Eigentlich müsste es "Frankfurt-Effekt" und nicht "Bilbao-Effekt" heißen, wenn schon allein die Architektur eines Museums ein Besuchermagnet ist, so wie Hans Holleins "Tortenstück", das dann 1991 eröffnet wurde. Dazu kann man Ihnen, lieber Hans Hollein, noch heute gratulieren!

Meine Damen und Herren,

die ästhetische Feineinstellung, die wir durch die Beschäftigung mit Kunst erfahren, ist das wirkliche gesellschaftliche Potential gerade der zeitgenössischen Kunst. Sie stellt uns Fragen zu unserem Leben und zu unserem Land, zu unseren Überzeugungen, zu unseren Konflikten, aber auch zu unseren Gemeinsamkeiten. Sie stellt diese Fragen selten direkt, sondern schickt uns auf Umwege. Sie lässt uns zuweilen dabei auch ratlos zurück. Sie begeistert und stößt auch ab. Aber genau das darf sie, und genau das soll sie auch!

Sicherlich fragen sich manche, ob es einer Förderung der zeitgenössischen Kunst in diesem Umfang überhaupt bedarf, ob sich der Staat nicht gerade in Zeiten der Krise vorrangig dem Erhalt unseres klassischen Kulturerbes besonders annehmen sollte. Hierauf antworte ich mit einem dreifachen "Ja". Ja wir brauchen die Förderung der zeitgenössischen Kunst in diesem Umfang, ja wir brauchen junge Künstler, die anecken und provozieren, und ja auch die große Anzahl an Galerien und Ausstellungshallen brauchen wir, damit Künstler den notwendigen Raum zur Darstellung erhalten. Die Zeitgenossen von heute sind die Klassiker von morgen!

Auch Heinrich von Kleist gilt uns als "Klassiker" und war doch vielleicht so etwas wie ein Christoph Schlingensief seiner Zeit.

Welche Freiräume wir der zeitgenössischen Kunst anbieten und wie offen wir ihr gegenüber stehen, lässt auf unser Selbstverständnis als Kulturnation schließen. Der Bund hat vor über 10 Jahren die Kulturstiftung des Bundes gegründet, die sich mit einem Etat von rund 37 Mio. Euro nur der zeitgenössischen Kunst widmet. Darüber hinaus pflegt der Bund seit über 40 Jahren seine mittlerweile sehr anspruchsvolle Sammlung zeitgenössischer Kunst, die Bundeskunstsammlung, und baut sie kontinuierlich aus. Sie umfasst inzwischen fast 1.500 Werke. Wir wollen junge, aufstrebende und zum Zeitpunkt des Ankaufs meist noch unbekannte zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler und ihre Galerien gezielt fördern.

Zugleich dokumentieren wir hiermit das künstlerische Schaffen deutscher und in Deutschland lebender, junger internationaler Künstler. Die Arbeiten werden nicht in Depots weggeschlossen: An herausgehobenen Orten, so im Amtssitz des Bundespräsidenten im Bundeskanzleramt, in Obersten Bundesgerichten und deutschen Botschaften in aller Welt ermöglicht die Bundeskunstsammlung eine Begegnung mit junger zeitgenössischer Kunst aus Deutschland. Auch große Ausstellungen werden mit dieser Sammlung bestritten.

Meine Damen und Herren,

Kultur prägt die Identität unseres Landes, sie gibt uns Heimatgefühl und ist damit auch der sichere Boden, von dem aus wir anderen Kulturen begegnen. Die kulturelle Vielfalt in Deutschland ist ein Teil unseres historischen Erbes, das wir pflegen müssen. Es bedarf allerdings nicht nachlassender Anstrengungen, um das traditionell dichte Netz kultureller Einrichtungen zu erhalten. Ich wehre mich dagegen, dass in Zeiten ökonomischer und Finanz-Krisen hier und dort Kürzungen im Bereich der Kultur propagiert werden und in manchen Städten sogar Schließungen kultureller Einrichtungen bevorstehen.

Es ist meine Überzeugung, dass wir sie alle brauchen, die 150 Theater und 130 Orchester, die die öffentliche Hand in Deutschland finanziert, die tausenden von Museen ( 6.256 ) , Ausstellungshallen ( 486 ) , Festivals und Kulturveranstaltungen. Denn es ist die Kultur, die unser Wertefundament bildet, es sind die Künste, die uns zum Reflektieren und Besinnen ermuntern, die ganz wesentlich die Basis unseres Gemeinwesens bilden. Lassen Sie es mich plastisch sagen: Kunst ist nicht das Sahnehäubchen, sondern die Hefe im Teig! Sparmaßnahmen sind in allen Haushalten nach wie vor unverzichtbar aber mit Kürzungen bei der Kultur kann man keinen Haushalt sanieren, liegt doch ihr Anteil in Ländern und Gemeinden bei mageren 1,9 % . Allerdings macht Frankfurt hier eine rühmliche Ausnahme: Mit über 9 % Kulturanteil am Gesamthaushalt steht die Stadt einzigartig gut in Deutschland da!

Darum ist mein Apell an die Länder und Kommunen: Schont die Kultur!

Allerdings kann man hier nicht Wasser predigen und Wein trinken. Der Bund geht trotz massiver Einsparungen in seinem Gesamthaushalt mit gutem Beispiel voran. Der Kulturetat wurde seit meinem Amtsantritt 2005 Jahr für Jahr kontinuierlich erhöht.

Grundlage dafür ist unsere Koalitionsvereinbarung, in der es heißt: Kulturförderung ist keine Subvention, sondern eine unverzichtbare Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft!

Meine Damen und Herren, Kultur ist mittlerweile ein nicht zu übersehender Standortfaktor für mich kein "weicher", sondern ein "harter" ! Eine Stadt wie Frankfurt ist auch darum so attraktiv, weil hier ein inspirierendes kulturelles Leben herrscht. Dazu trägt auch der Bund ein wenig bei. Hier in Frankfurt unterstützen wir zum Beispiel das Deutsche Filminstitut, und auch der Ausbau des Filmmuseums wurde jüngst im Rahmen des Konjunkturprogramms II mit 1,726 Mio. € gefördert. Und die Deutsche Nationalbibliothek das Gedächtnis unserer Kulturnation ziert ebenfalls die Stadt.

Das Freie Deutsche Hochstift als Träger des Goethe-Geburtshauses und des Goethe-Museums erhält jährlich über eine halbe Million Euro durch den Bund und wir werden die Förderung für diese wichtige Stätte der Klassikerforschung noch erhöhen. Denn wenn auch Karl der Große momentan aus Frankfurt verschwunden zu sein scheint Goethe wird bleiben!

Hessen steht durch die documenta international vor allem auch für zeitgenössische bildende Kunst, das Frankfurter Ensemble modern für die zeitgenössische Musik; an beiden ist der Bund finanziell maßgeblich beteiligt.

Meine Damen und Herren,

Udo Corts

hat mir in seinem Einladungsschreiben für die heutige Veranstaltung mitgeteilt, dass es ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen im Vorstand des Freundeskreises des MMK gelungen ist, den Ankaufsetat in den letzen drei Jahren deutlich aufzustocken. Das ist höchst erfreulich.

Bürgerschaftliches Engagement von Freunden und Förderern, von Privatpersonen, Stiftungen und Unternehmen, sind unersetzbare Helfer, neue Ankäufe in Museen zum Teil überhaupt zu ermöglich.

Museen sind neben Bibliotheken und Archiven die wahren Schatzkammern unserer Identität. Weil Museen immer auch von der Weiterentwicklung ihres Bestandes leben und darüber hinaus einen wichtigen Standortfaktor für eine Stadt oder Region darstellen, können wir nicht hinnehmen, dass viele Museen und dies trifft leider auch für dieses Museum zu über keinen eigenen Ankaufsetat verfügen. Umso mehr für Udo Corts und den Freundeskreis des MMK ein herzliches Dankeschön für ihre Unterstützung!

Meine Damen und Herren,

lassen Sie mich zum Abschluss noch einen eher grundsätzlichen Gedanken anfügen. Während für uns in Deutschland die Freiheit von Kunst und Kultur mittlerweile selbstverständlich ist die Vielfalt der heute zu eröffnenden Jubiläumsausstellung dokumentiert es wird diese in anderen Ländern der Welt mit Füßen getreten. Hier denke ich in diesem Moment an China und Ai Weiwei, dessen Vasen-Installation in der Ausstellung zu sehen ist.

Wir alle sind aufgefordert, bei Unterdrückung von Künstlern uns niemals daran zu gewöhnen, es nicht bei einmaligem Protest zu belassen, sondern immer wieder die Freiheit der Kunst einzufordern, den Unterdrücker damit zu nerven. Und das heißt konkret: Wir missbilligen das brutale Vorgehen der chinesischen Machthaber gegenüber Ai Weiwei und fordern seine Freilassung! Die Verantwortlichen der aktuellen Ausstellung zur Aufklärung in Peking sind aufgefordert, die dortigen Foren und Begleitveranstaltungen zu nutzen, die Verhaftung Ai Weiweis zu thematisieren und Flagge zu zeigen für die Freiheit der Künstler. Und von den Repräsentanten der Wirtschaft erwarte ich, dass sie die Freiheit von Kunst und Kultur nicht hinter ihren kommerziellen Interessen verstecken.

Meine Damen und Herren,

ich gratuliere dem Museum für Moderne Kunst zum 20jährigen Bestehen noch einmal sehr herzlich und wünsche ihm für die Zukunft viele spannende Präsentationen zeitgenössischer Kunst im "Tortenstück" !