Redner(in): Angela Merkel
Datum: 29. Januar 2013
Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Professor Keitel,sehr geehrter Herr Grillo,sehr geehrter Herr Bundespräsident Köhler,sehr geehrte Kollegen aus dem Kabinett,sehr geehrte Fraktionsvorsitzende,liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2013/01/2013-01-29-merkel-bdi.html
Exzellenzen, Präsidenten,
Die Länge meiner Anrede deutet schon darauf hin, dass heute etwas Wichtiges stattfindet. Als ich vor vier Jahren bei Ihnen zu Gast war, übernahmen Sie, lieber Herr Professor Keitel, das Amt des BDI-Präsidenten. Und man konnte mit Fug und Recht sagen: Sie taten das in schwierigen Zeiten. Es war die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise. Für eine weltoffene Volkswirtschaft wie Deutschland war sie durchaus mit großer Auswirkung verbunden. Wir hatten einen starken Wachstumseinbruch. Wenn man sich heute daran erinnert minus fünf Prozent, dann weiß man, dass das der größte Einbruch war, den die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Geschichte erlebt hat.
Wir haben damals mit den Sozialpartnern, mit dem BDI und vielen anderen oft zusammengesessen und haben gemeinsam in dem Geist gehandelt, dass die deutsche Wirtschaft, und insbesondere auch die deutsche Industrie, die Grundlagen unseres Wohlstands legt und dass die in den Unternehmen Beschäftigten das sind, was den Schatz unserer Bundesrepublik Deutschland ausmacht. Es gab eine große Gemeinsamkeit von Sozialpartnern, von BDI, von Politik. So erwuchs aus dem Bangen um Betriebe und Arbeitsplätze die Möglichkeit, in einer schwierigen Zeit eine Brücke zu bauen. Sie, Herr Keitel, haben immer dafür geworben, dass wir das gemeinsam hinbekommen. Wir haben dann gesehen, dass der Kern der deutschen Industrie doch so fest war, dass es uns gelungen ist, diese Substanz über eine schwierige Zeit hinweg zu erhalten, und dass die Jahre der Anpassung an die Wettbewerbsfähigkeit zuvor auch eine Grundlage dafür waren, diese Brücke überhaupt beschreiten zu können.
Sie, Herr Keitel, haben auch immer dafür geworben, dass wir uns nicht von der Realität entfernen, sondern die Interessen der deutschen Industrie immer klar und sachgerecht formulieren. Und weil Sie immer ein fairer und verlässlicher Ansprechpartner waren das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, haben Sie auch mehr Gehör gefunden, als wenn Sie nicht auch die Fähigkeit gehabt hätten, anderen und ihren Argumenten zuzuhören. Und natürlich haben Sie sich auch im Laufe der Jahre immer wieder zu Wort gemeldet, ganz besonders Herr Grillo hat es eben gesagt im Zusammenhang mit der schwierigen Situation für den Euro.
Ich habe es neulich bei den Gewerkschaften gesagt und sage es heute beim BDI sehr gern wieder: Es war alles andere als selbstverständlich, dass die großen Gruppen in unserer Gesellschaft immer gemeinsam dafür geworben haben, dass der Euro Teil unserer Zukunft ist, dass der Binnenmarkt wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass wir in der Welt erfolgreich sein können. Und wir müssen alles daransetzen, dass Europa als interessanter, wettbewerbsfähiger Kontinent auch in Zukunft ein Kontinent ist, auf dem die Menschen in Wohlstand leben und diesen Wohlstand auch weiterentwickeln können.
Deshalb haben Sie die Prinzipien ich zitiere Sie jetzt "Keine Leistung ohne Gegenleistung, keine Solidarität ohne Kontrolle; Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung sind geboten" immer aus tiefer Überzeugung und auch aus eigener Erfahrung ausgesprochen und dies nicht nur in Deutschland und nicht nur gegenüber Ihren Unternehmen und der hiesigen Politik, sondern auch in vielen Begegnungen mit unseren Partnern in der Europäischen Union.
Deshalb war es der Politik auch möglich hierzu will ich ausdrücklich sagen, dass wir dies in vielen Punkten auch parteiübergreifend gemacht haben, Schritte zu gehen, die für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union unerlässlich waren und sind. Ob das der verschärfte Stabilitätspakt oder der Fiskalvertrag ist, ob das der Pakt für Wachstum ist, ob das die Bemühungen um mehr Wettbewerbsfähigkeit sind bei all diesen Dingen sind wir ein ganzes Stück vorangekommen. Die deutsche Wirtschaft hat sich dabei immer so eingebracht, dass sie auch anderen die helfende Hand gereicht, dass sie auf ihre Stärken aufmerksam, aber auch unmissverständlich klar gemacht hat: In einer Welt, in der wir global vernetzt sind, in einer Welt, wo außerhalb Europas 90 Prozent des Wachstums stattfinden, dürfen wir die Augen nicht verschließen, sondern müssen über den Tellerrand hinaus schauen. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken.
Nun wissen wir ja alle, dass wir in Deutschland in einer ganz besonderen historischen Erfahrung und Kultur stehen. Die Stabilität des Geldes ist für uns etwas sehr Wichtiges, gerade auch für die, die Eigentümer sind Herr Grillo hatte von Familienunternehmen gesprochen, aber auch für die, die das Eigentum anderer verwalten, sowie für die, die ihre Sparguthaben anlegen. Deshalb gibt es auch ein gemeinsames Verständnis und ich sage das, weil auch der Präsident der Bundesbank da ist, dass wir alles tun müssen, um jedem seine Aufgaben zuzuweisen.
Und genauso, wie die Politik nur zeitweise Brücken bauen kann, können auch die Notenbanken nur zeitweise Brücken bauen, um zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, zu mehr Reformen und mehr Solidität in den Finanzen zu gelangen. Daraus ergibt sich natürlich auch das Arbeitsprogramm, das Sie vertreten sicherlich manchmal sehr mahnend und auch aus eigenem Interesse. Herr Grillo hat es noch einmal beschrieben; und Herr Keitel hat es auch immer gesagt: Wir haben im Grunde die gleichen Ziele, haben aber unterschiedliche Aufgaben.
Bei der Politik ist es ja so, dass wir die Interessen möglichst vieler vertreten sollen. Sie sind viele, aber Sie sind nicht alle in der Republik. Insofern kann es manchmal auch zu Interessengegensätzen kommen. Ich will nicht sagen, dass es hilfreich und erfreulich gewesen wäre, aber beruhigend war es, lieber Herr Keitel, dass es manchmal selbst im Rahmen des BDI zu unterschiedlichen Meinungen gekommen ist was dann auch wieder das gegenseitige Verständnis gefördert hat. Sie konnten sich vorstellen, dass ich es auch mit anderen zu tun habe als Sie. Sie hatten ja selbst schon mit Menschen zu tun, die manchmal auch etwas anderes gesagt haben als Sie selber. Dennoch ist es dem BDI im Allgemeinen besser als uns in der Politik gelungen, Meinungsverschiedenheiten nicht zu publizieren. Dafür mein Kompliment.
Ein sicherlich besonders schwieriges Kapitel ist die Zukunft unserer Energieversorgung. Ich möchte mich dafür bedanken, lieber Herr Keitel, dass Sie nach den schrecklichen Ereignissen in Fukushima dafür geworben haben, die politische Realität einen schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie, als zu Beginn der Legislaturperiode absehbar war anzuerkennen und zu sagen: Okay, wir akzeptieren diese Realität, sind aber in dieser Situation noch mehr gefordert, die Interessen der Industrie deutlicher wahrzunehmen, als das vielleicht bei manch anderem Thema der Fall ist. Ich will ausdrücklich sagen, dass diese Beiträge, weil sie konstruktiver Natur sind, für uns natürlich wichtig sind. Und, Herr Grillo, ich darf Ihnen versichern: Das wird auch weiter so sein.
Wir wissen, dass der Erfolg der Energiewende existenziell für die Zukunft der deutschen Wirtschaft ist. Um uns herum entwickeln sich Gegebenheiten, die wir vor zehn, zwanzig Jahren so nicht gesehen haben. Herr Botschafter, Sie sitzen gleich neben Herrn Grillo, Sie sind der Botschafter eines Landes, in dem im Augenblick eine Entwicklung im Gang ist, bei der die Energie eher billiger wird und die Industrie sich deshalb angezogen fühlt. Wir befinden uns im freien Wettbewerb, wir sind gegen Protektionismus. Nichts wünschen wir uns mehr das sage ich, glaube ich, auch im Namen des BDI als ein Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union. Ich bin sehr froh, dass der amerikanische Präsident auch deutlich macht, dass er in diese Richtung arbeiten möchte. Das wäre eine tolle Sache.
Ich darf Ihnen auch verraten da wir vor wenigen Tagen das Jubiläum "50 Jahre Élysée-Vertrag" feierlich begangen haben, dass bereits in der Phase der Ratifizierung des Élysée-Vertrags die Frage eines Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten von Amerika eine große Rolle spielte, da nämlich die sogenannten Transatlantiker der Meinung waren, man könne sich entweder nur mit den Vereinigten Staaten von Amerika oder mit Frankreich vertragen. Die Gaullisten waren der gleichen Meinung. Es bedurfte dann großer diplomatischer Künste, um beide zu versöhnen. Ein Element des Standpunkts der Atlantiker war: Wir brauchen ein Freihandelsabkommen. Und dies scheiterte aber genauso wie in meinen ersten Jahren als Bundeskanzlerin, als ich gemeinsam mit George Bush nach einer Lösung gesucht habe an den Hähnchen. Anfang der sechziger Jahre waren es Frozen Chicken, heute sind es mit Chlor behandelte Chicken. Wie auch immer: Wir müssen über das Thema Chicken hinaus kommen. Das ist aber kein generelles Thema für den BDI, sondern eher für die Agrarwirtschaft; die Agrarministerin ist ja sicherheitshalber auch hier.
Bei allem fairen Wettbewerb reicht unsere karitative Ader jedoch nicht so weit, den Vereinigten Staaten von Amerika die gesamte deutsche Industrie zu überlassen. Deshalb müssen wir uns um unsere Energiewende selber kümmern. Wir haben an dieser Stelle noch einiges zu arbeiten.
Ich möchte ein weiteres Mal Herrn Keitel und damit auch Herrn Grillo erwähnen, und zwar im Zusammenhang mit neuen Zugängen zu Rohstoffen. Ich kenne mich nicht mit allen Dekaden der Existenz der Bundesrepublik Deutschland aus, aber es muss eine gegeben haben, in der man seitens der deutschen Wirtschaft relativ stolz darauf war, wenig mit Rohstoffen zu tun zu haben, außer, sie gab es im eigenen Lande. Da man nun bei uns aber Rohstoffe zum Beispiel im vergangenen Jahr im Wert von 21 Milliarden Euro produziert und für 138 Milliarden Euro Rohstoffe eingeführt hat, ist die Frage der Verteilung der Rohstoffe auf der Welt angesichts der Globalisierung und angesichts der Schwellenländer und der dortigen Wachstumsraten von einer ganz anderen Qualität.
Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, in Fragen der Rohstoffpolitik neue Wege zu beschreiten, ohne die Verantwortlichkeiten zu vermischen. Da gibt es auf der einen Seite das Gemeinschaftsprojekt des BDI mit mehreren Unternehmen, sich mit einer Rohstoffallianz verantwortlich zu fühlen das war auch vor allem die Arbeit von Herrn Grillo. Auf der anderen Seite gibt es die Bereitschaft der Politik, mit einigen Ländern Rohstoffabkommen zu schließen. Wir haben solche jetzt mit der Mongolei und mit Kasachstan. Mit Chile haben wir jetzt eine neue Entwicklungsstufe dorthin erreicht. Es können auch andere Länder folgen.
Wir können in gemeinsamer Verantwortung wie gesagt, ohne die Dinge zu vermischen deutsche Stärken einbringen: sei es im Bereich der Bildung, im Bereich der universitären Möglichkeiten, der Forschungsmöglichkeiten oder sei es das Engagement der deutschen Wirtschaft in Ausbildungsfragen, Technologiefragen und für eine faire Partnerschaft. Ich glaube, diesen Weg sollten wir fortsetzen.
Wir tun das alles in der Überzeugung, dass die Globalisierung für uns sicherlich eine Herausforderung, aber vor allen Dingen eine Chance ist. Deutschland verfügt über so gut entwickelte ich will sagen: fast wunderbare Strukturen, um Verantwortung zu übernehmen, Konflikte zu lösen, immer wieder im demokratischen Wettstreit Lösungen zu finden. Das gelingt mit unserer politischen Stabilität, mit unserer wirtschaftlichen Tradition, mit unserer Wissenschaftskraft, mit unseren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und mit der Tradition der Unternehmen, die, wie Herr Grillo sagte, auch als mittlere und größere Familienunternehmen in langen Zeitreihen denken. Wir verfügen über die Kraft, in der Globalisierung eine gute Rolle zu spielen und unseren Wohlstand zu bewahren. Wir brauchen uns vor Wettbewerb nicht zu fürchten.
Aber wir dürfen nicht stehen bleiben. Dazu gehört auch das, was Sie auf all den Auslandsreisen, lieber Herr Keitel, die wir gemeinsam gemacht haben, immer wieder deutlich gemacht haben: einerseits stolz sein auf das Land, aus dem Sie kommen, für das Sie den Bund der Deutschen Industrie vertreten, und andererseits aufmerksam sein, was sich woanders tut, auch anerkennen können, wie schnell andere sind und auch neue Wege gehen. Deshalb haben wir auch immer gut zusammengearbeitet, wenn es darum ging, Freihandelsabkommen zu schließen. Auch da ist es ja nicht so ganz einfach, BDI-Präsident zu sein. Herr Wissmann ist hier, er vertritt auch seine Interessen. Ich könnte auch andere nennen. Matthias, es war jetzt nicht böse gemeint, aber wenn es um Japan und Südkorea geht, dann sind die Interessen der deutschen Industrie auch oft unterschiedlich.
Im Grunde haben wir immer einen Weg gefunden, um die Dinge zusammenzubringen. Und deshalb, lieber Herr Keitel, noch einmal ganz herzlichen Dank für Jahre vertrauensvoller Zusammenarbeit auch in schwieriger Zeit. Sie werden ja nicht von der Bildfläche verschwinden. Das heißt, Ihren Rat kann man vielleicht auch noch in Zukunft bekommen. Ich möchte auch Ihrer Frau danken. Es ist ja immer so: Wenn der Mann nicht da ist, dann muss die Frau darauf achten, dass zu Hause alles in Ordnung ist. Und ich kann bestätigen, dass Herr Keitel öfter mal nicht da war. Hoffentlich verbessert sich das jetzt.
Herrn Grillo möchte ich alles, alles Gute im neuen Job wünschen. Sie haben den Eindruck erweckt, dass Sie nach hundertsiebzigjähriger Firmengeschichte Ihres Familienunternehmens über das notwendige Sensorium verfügen. Seien Sie nicht überrascht, wenn noch neue Herausforderungen hinzukommen. Ich wünsche Ihnen jedenfalls eine glückliche Hand.
Herrn Keitel herzlichen Dank, Herrn Grillo alles Gute. Herzlichen Dank dafür, dass ich heute Abend dabei sein durfte.