Redner(in): Angela Merkel
Datum: 28. Mai 2013
Untertitel: in Berlin
Anrede: Meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2013/05/2013-05-28-integrationsgipfel.html
Ich darf Sie alle im Namen der Bundesregierung ganz herzlich zu unserem 6. Integrationsgipfel begrüßen. Ich möchte mich bei allen, die bei der Vorbereitung mitgemacht haben, und bei allen, die heute dabei sind, ganz herzlich bedanken. Wir haben uns in diesem Rahmen, wie gesagt, schon fünfmal vorher getroffen und schon viele Themen bearbeitet.
Die Zusammensetzung dieser Veranstaltung und die Tatsache, dass sie im Internationalen Konferenzsaal stattfindet, deuten darauf hin, dass Integration eine Querschnittsaufgabe ist eine Querschnittsaufgabe in der Bundesregierung; und eine Querschnittsaufgabe, die sich zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufteilt. Deshalb begrüße ich auch die Vertreter der Länder und der Kommunen ganz herzlich der neue Präsident des Deutschen Städtetags, Herr Maly, ist in seiner Funktion zum ersten Mal hier. Ich begrüße außerdem natürlich die Vertreter der Organisationen der Migrantinnen und Migranten, mit denen ich mich eben schon zu einem kurzen Treffen zusammengefunden hatte, sowie die Vertreter der zivilgesellschaftlichen Organisationen ich nenne die Arbeitgebervertreter, die Arbeitnehmervertreter, die Wirtschaftsverbände, die Medien und viele andere mehr. Ich heiße auch die Vertreter des Deutschen Bundestags willkommen. Sie sehen also, wir sind hier in einer umfassenden Runde. Und wie immer wird das Hauptproblem sein, dass die Zeit nicht reichen wird, um auch wirklich alles zu besprechen.
Wir haben uns einen Themenschwerpunkt für unsere heutige Besprechung gesetzt. Nachdem wir im letzten Jahr den Nationalen Aktionsplan Integration vorgestellt haben, geht es heute praktisch wieder um die Fragestellung von Schwachpunkten und Fortschritten, wenngleich wir wegen des kurzen Zeitraums zwischen 2012 und 2013 noch keinen genauen Überblick gewonnen haben. Das wird dann im Jahr 2014 und in den folgenden Jahren eher möglich sein.
Es gab im Laufe des Integrationsgipfelprozesses doch einige Veränderungen. 2008 und 2009 waren zum Beispiel Jahre, in denen mehr Menschen aus- als einwanderten. Und jetzt haben wir eine Situation, in der es wieder sehr viel Zuzug nach Deutschland gibt. Ich werte das zum Teil auch so, dass wir als ein Land, das weltoffen ist, durchaus attraktiv für viele Menschen sind. Wir hatten im letzten Jahr einen Wanderungsgewinn von 370.000 so viele Zuwanderer wie seit 17 Jahren nicht mehr.
Wir haben durch die komplizierte Arbeitsmarktlage in einigen unserer europäischen Partnerländer natürlich auch eine große Wanderung innerhalb der Europäischen Union. Hierzu will ich ganz klar sagen: Das hat Licht- und Schattenseiten. Ich selber habe einen Wahlkreis im Nordosten Deutschlands. Wenn wir nicht die Binnenwanderung nach Bayern und Baden-Württemberg gehabt hätten, hätte ich heute in meinem Wahlkreis bestimmt auch noch eine Arbeitslosigkeit von 30 Prozent. Ich kenne aber auch den Schmerz, den es verursacht, wenn junge Menschen weggehen. Wir haben eine wunderbare Fachhochschule in Stralsund; und wenn jeder Absolventenjahrgang zu 50, 60 oder 70 Prozent einen Zug etwa in Richtung Stuttgart oder München benutzt, dann ist das für die Eltern und die Großeltern durchaus eine schmerzhafte Sache. Das heißt, Mobilität kann eine Brücke sein, aber es bleibt auch die Aufgabe, möglichst breitflächig Arbeitsplätze und Lebensperspektiven zu schaffen. Und wenn ich jetzt sage "von Stralsund nach München", dann ist der Schritt mit Sicherheit nicht so groß, wie wenn ich sage "von Griechenland nach Deutschland". Wenn ich dann noch daran denke, was wir für Wintermonate haben, dann vermute ich, dass das für Menschen, die diesbezüglich etwas Besseres gewöhnt sind, eine echte Herausforderung ist.
Wir wollen ein Integrationsland sein und haben unsere gesamte Integrationspolitik auf das Dialogprinzip gestellt. Maria Böhmer hat es immer wieder gesagt: Wir können nur im Gespräch miteinander stärker werden. Natürlich ist es so, dass der Rahmen für das Zusammenleben in unserem Land vor allen Dingen durch das Grundgesetz gebildet wird. Die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte gelten für jeden. Die Würde des Menschen ist unantastbar das gilt für jeden. Daraus ergeben sich Gleichberechtigung von Frauen und Männern, die Religions- und Meinungsfreiheit und anderes mehr. All das ist tief in unserer Gesellschaft verankert.
Aber wir haben auch Rückschläge und schwerwiegende Vorkommnisse erlebt. Ich denke dabei an die NSU-Morde. Das sage ich auch vor dem Hintergrund, dass sich heute der Mord in Solingen zum 20. Mal jährt. Ich habe vor einem Jahr bei der Gedenkstunde vor den Angehörigen der Opfer der NSU-Morde um Entschuldigung gebeten. Wir tun alles, um die Dinge aufzuarbeiten und um die Strukturen so zu gestalten, dass sich so etwas nicht wiederholen kann. Daran wird auf den verschiedenen Ebenen gearbeitet. Ich habe mit Herrn Kolat heute auch über das Thema gesprochen, wie tief Rassismus in unserer Gesellschaft verankert ist. Ich möchte Ihnen sagen: Wir ducken da den Kopf nicht weg, wir sehen den Tatsachen ins Auge. Wir müssen uns auch mit unangenehmen Dingen auseinandersetzen, ohne diese gleich für alle zu verallgemeinern. Das ist eine wichtige Aufgabe.
Integration ist ja ein tiefgehender Prozess. Das ist ein Prozess, der im Grunde in Partizipation und Teilhabe mündet. Ich habe mir, wie viele andere natürlich auch, Gedanken darüber gemacht, wie es ist, wenn man bei uns lebt und erkennbarerweise sozusagen nicht so bleichgesichtig wie wir aussieht. Wann ist man eigentlich integriert? Ich kann mir durchaus vorstellen, dass manch einer sagt: "Was soll ich denn jetzt noch machen? Ich habe Deutsch gelernt, ich habe einen deutschen Pass, ich habe dies und habe jenes. Was muss ich tun, damit ich als integriert wahrgenommen werde?" Wir müssen, wenn wir doch wissen, dass unsere Gesellschaft vielfältiger wird, dann auch eine gewisse geistige Offenheit entwickeln. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist man daran gewöhnt, dass Menschen unterschiedlich aussehen. Bei uns müsste man doch endlich auch daran gewöhnt sein.
Ich werde nie vergessen, dass, als ich einmal eine Diskussion mit Premierminister Erdoğan hatte, eine junge Schülerin eine Gymnasiastin mit einem Kopftuch sinngemäß gesagt hat: "Wenn ich über die Friedrichstraße gehe, brauche ich mir nur die Blicke anzuschauen. Da fragt jeder: Kann die rechnen und schreiben; oder treffe ich die gleich wieder, wenn sie irgendwo noch Geld fragt?" Das ist etwas, das aus den Köpfen heraus muss. Das empfinden viele; und deshalb ist auch unser Gipfel hier sehr wichtig.
Wir haben für heute nochmals das Thema Arbeitsmarktintegration gewählt. Im Augenblick haben wir ja eine gute Arbeitsmarktlage in Deutschland. Wenn man es in solchen Zeiten nicht schafft, den Arbeitslosenanteil der Migrantinnen und Migranten an den Anteil anzugleichen, wie wir ihn in der Gesamtbevölkerung haben, dann wird man es in schwierigen Zeiten noch schlechter schaffen. Man muss an dieser Stelle wirklich sagen, dass wir das, was noch zu leisten ist, auch leisten müssen.
Ich will auf der anderen Seite sagen: Maria Böhmer hat zum Beispiel die Charta der Vielfalt ins Leben gerufen. 1.500 Unternehmen mit 6,5 Millionen Beschäftigten haben mitgemacht; das ist eine tolle Sache. Ich möchte allen danken, die sich darauf eingelassen haben. Darüber wird in Betrieben gesprochen. Da werden die Probleme benannt. Das alles ist sicherlich nicht allein durch gesetzliche Maßnahmen zu leisten.
Wir haben in dieser Legislaturperiode aber eine Sache auf den Weg gebracht, bei der die Umsetzung natürlich auch noch richtig in die Gänge kommen muss, nämlich die bessere Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen. Es ist doch wirklich ein Unding, dass das so lange gedauert hat. Der Mensch, der zu DDR-Zeiten in Moskau Mathematik studiert hat, hat über den Einigungsvertrag sozusagen sein Diplom anerkannt bekommen, aber wer aus der Bundesrepublik stammend in Moskau Mathematik studiert hat, der hat es schwieriger. Wir sind jetzt dabei, das zu korrigieren. Aber die Vertreterin der polnischen Migranten hat heute noch einmal gesagt: Das müssen wir jetzt auch bekannt machen. Denn viele haben schon gar nicht mehr daran geglaubt, dass Deutschland zu so einem Gesetzeswerk fähig ist. Ich möchte auch darum bitten, dass jeder, der es einrichten kann, es denjenigen, die um die Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Berufsabschlüsse nachsuchen, leicht macht.
Nun möchte ich das Wort gerne an Maria Böhmer übergeben, dann an den Vertreter der Ministerpräsidentenkonferenz, Herrn Ministerpräsident Torsten Albig, und anschließend an Herrn Maly als Präsidenten des Deutschen Städtetags und jetzt auch Vertreter der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände.