Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 08. Juli 2013

Untertitel: In seiner Rede anlässlich des Baubeginns für den Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Morde am Ort der Planungszentrale Tiergartenstraße 4 in Berlin (T 4-Denkmal) betonte Staatsminister Bernd Neumann: "Ich bin zuversichtlich, dass hier ein Gedenkort entstehen wird, der in unserer Hauptstadt einmal mehr Zeichen setzen wird gegen Hass, Verblendung und Kaltherzigkeit und für Toleranz, Mitgefühl und Achtung vor dem Leben".
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2013/07/2013-07-08-neumann-t4.html


In seiner Rede anlässlich des Baubeginns für den Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie" -Morde am Ort der Planungszentrale Tiergartenstraße 4 in Berlin ( T 4-Denkmal ) betonte Staatsminister Bernd Neumann: "Ich bin zuversichtlich, dass hier ein Gedenkort entstehen wird, der in unserer Hauptstadt einmal mehr Zeichen setzen wird gegen Hass, Verblendung und Kaltherzigkeit und für Toleranz, Mitgefühl und Achtung vor dem Leben".

Anrede,

ich begrüße Sie sehr herzlich zum heutigen Bauauftakt. In den kommenden Monaten entsteht hier, am Kulturforum, das zu den stark frequentierten kulturellen Zentren unserer Hauptstadt gehört, ein besonderer Gedenk- und Informationsort. Er wird an eines der grauenvollsten Verbrechen des NS-Regimes erinnern: Die so genannte "Aktion T 4" den Mord an wehrlosen Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung, an psychisch oder chronisch Kranken sowie an so genannten "Asozialen".

Nach den Denkmälern für die in der Nazizeit verfolgten und vernichteten Sinti und Roma sowie den Homosexuellen wird dies das dritte Denkmal sein, das sich einer Opfergruppe zuwendet und das in meiner Amtszeit verwirklicht wird. Das Besondere an diesem Gedenkort ist, dass er im Gegensatz zu genannten Denkmälern und dem Holocaust-Mahnmal an einem authentischen Täterort errichtet wird.

Hier, an der Adresse "Tiergartenstraße 4", befand sich die Planungszentrale, von der aus das nationalsozialistische Regime die Morde plante, die bewusst verharmlosend als "Euthanasie" dargestellt wurden.

In sechs eigens eingerichteten Gasmordanstalten ( fünf in Deutschland / eine in Österreich ) wurden von Januar 1940 bis August 1941 mehr als 70.000 Menschen systematisch und zentral geplant ermordet. 1941 wurde die "Aktion T 4" wegen Unruhen in der Bevölkerung und der Proteste einzelner prominenter Kirchenvertreter allen voran Clemens August Kardinal von Galen offiziell beendet.

Dieser hatte in seiner Predigt vom 3. August 1941 die "Euthanasie" -Morde auf das Schärfste verurteilt: "Hast du, habe ich nur so lange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind?", fragte er. Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den ' unproduktiven ‘ Mitmenschen töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir alt und altersschwach werden! "

Die "Aktion T4" wurde eingestellt; nicht jedoch das Morden. Dieses wurde nun dezentral mit Hilfe von Medikamenten und durch systematische Unterernährung in zahlreichen Pflege- und Heilanstalten fortgeführt. Was besonders erschreckt, ist die Teilnahme so vieler, die sich eigentlich der Heilung, der Hilfe und Fürsorge verschrieben hatten wie Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern.

In dem eindrucksvollen Buch von Götz Aly "Euthanasie 1939 - 1945" mit dem Titel "Die Belasteten" heißt es: " Den Euthanasiemorden fielen zwischen 1939 und 1945 etwa 200.000 Deutsche zum Opfer. Die vielen Beteiligten sprachen beschönigend von Erlösung, Lebensunterbrechung, Gnadentod, Sterbehilfe oder eben von Euthanasie.

Sie agierten halb geheim, doch inmitten der Gesellschaft. Viele Deutsche befürworteten den gewaltsamen Tod der "nutzlosen Esser", zumal im Krieg; nur wenige verurteilten das Morden deutlich, die meisten schwiegen schamhaft, wollten es nicht allzu genau wissen. Das setzte sich nach 1945 fort.

Nur ausnahmsweise erinnerten sich Familien ihrer ermordeten Tanten, Kleinkinder, Geschwister oder Großväter. Erste heute, nach rund 70 Jahren, löst sich der Bann."Die Stigmatisierung der" Euthanasie "-Opfer setzte sich nach 1945 fort. Sie waren zunächst jahrzehntelang vom öffentlichen Gedenken ausgeschlossen, denn die so genannten" Euthanasie "-Morde galten als" nicht typisches NS-Unrecht ".

Erst seit dem Ende der 1980er Jahre wird den Opfern am historischen Ort Tiergartenstraße 4, an dem wir uns heute zusammengefunden haben, durch eine in den Boden eingelassene Gedenktafel sowie eine den Opfern gewidmete Plastik von Richard Serra gedacht.

Allerdings stand die Tiergartenstraße 4 weiterhin nicht im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, so dass eine Aufwertung des bestehenden Denkmals vor allem von bürgerschaftlichen Initiativen angemahnt und gefordert wurde.

Es war insbesondere der Runde Tisch "Überlegungen zur Umgestaltung des T4 -Gedenkortes", der seit seiner Gründung im Jahr 2007 tatkräftig dafür eingetreten ist, den historischen Ort wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Besonders nennen möchte ich an dieser Stelle Frau Sigrid Falkenstein, als Initiatorin des Runden Tischs: Sie haben aufgerüttelt und viel bewegt!

Als eine der wenigen haben Sie das verschämte Schweigen im Jahr 2012 gebrochen und in ihrem beeindruckenden Buch "Annas Spuren. Ein Opfer der NS- ' Euthanasie ‘" das Schicksal ihrer Tante Anna Lehnkering beschrieben, die am 7. März 1940 in der Gaskammer Grafeneck sterben musste. Wir danken Ihnen dafür von Herzen.

Im November 2011 fasste der Deutsche Bundestag den Beschluss zur Realisierung eines "Gedenkortes für die Opfer der NS-" Euthanasie "-Morde". Darin stellte er ausdrücklich fest ich zitiere: "Die nationalsozialistischen Morde an behinderten Menschen beziehungsweise Patienten gehören in das kollektive Gedächtnis unserer Nation. Die Erinnerung daran ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung und gesamtstaatlicher Verantwortung."

Mit dem heutigen Baubeginn sind wir einen entscheidenden Schritt zur Realisierung dieses bedeutsamen Vorhabens voran gekommen. Damit wird nun endlich auch in der Bundeshauptstadt Berlin ein angemessener Ort zur Erinnerung an die Opfer der Euthanasie-Morde geschaffen, nachdem die Bundesregierung bereits seit etlichen Jahren die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein dauerhaft fördert sowie Projekte der Gedenkstätte Grafeneck, der Gedenkstätte Hadamar und der Dokumentationsstelle Brandenburg an der Havel unterstützt.

Der Bund stellt für das Denkmal hier in Berlin eine halbe Million Euro bereit, das Land Berlin steuert das Grundstück bei. Für dieses Engagement des Landes Berlin möchte ich Ihnen, liebe Frau Senatorin Kolat, Dank sagen.

Die von meinem Haus finanzierten Einrichtungen Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Stiftung Topographie des Terrors sind gemeinsam für die Umsetzung und die künftige Betreuung des Erinnerungsorts verantwortlich. Die Verantwortlichen beider Einrichtungen, Ulrich Baumann und Andreas Nachama, begrüße ich hier.

Die Informationsinhalte werden in dem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Erinnern heißt gedenken und informieren" durch das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Technischen Universität München erarbeitet. Für die Ermöglichung des Projekts danke ich dem Vizepräsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herrn Professor Ferdi Schüth; ferner begrüße ich den Projektleiter, Dr. Gerrit Hohendorf.

Ich danke der Jury, die am 22. / 23. November 2012 unter Vorsitz der Landschaftsarchitektin Prof. Donata Valentien getagt hat. Mit dem 1. Preis ausgezeichnet wurde der Entwurf der Architektin Ursula Wilms, des Künstlers Nikolaus Koliusis sowie des Landschaftsarchitekten Heinz W. Hallmann.

Wir hoffen, dass dieses Denkmal zum Nachdenken anregt und vor allem auch die Aufmerksamkeit auf die Informationsmedien lenkt, die Teil des Konzeptes sind.

Für die Bundesrepublik Deutschland bleiben die Aufarbeitung der Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, das Gedenken an die Opfer und die Aufklärung und Information der nachfolgenden Generationen dauerhafte Aufgabe und Verpflichtung.

Ich danke allen Beteiligten und bin zuversichtlich, dass hier ein Gedenkort entstehen wird, der in unserer Hauptstadt einmal mehr Zeichen setzen wird gegen Hass, Verblendung und Kaltherzigkeit und für Toleranz, Mitgefühl und Achtung vor dem Leben.