Redner(in): Angela Merkel
Datum: 20. August 2013
Untertitel: in Dachau
Anrede: Sehr geehrter Herr Staatsminister Spaenle,sehr geehrter Herr Freller,sehr geehrte Frau Hammermann,sehr geehrter Herr Dietz de Loos,sehr geehrter Herr Mannheimer,sehr geehrte Überlebende,liebe Frau Knobloch,liebe Gerda Hasselfeldt,liebe Vertreter des bayerischen Landtags,meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2013/08/2013-08-20-merkel-kz-dachau.html
Für Ihre Einladung, die KZ-Gedenkstätte Dachau zu besuchen, danke ich Ihnen sehr. Wir alle verbinden mit diesen Gebäuden ein beispiellos furchtbares und unmenschliches Kapitel unserer deutschen Geschichte. Sie aber, lieber Herr Mannheimer, und die anderen Überlebenden unter uns haben das Grauen selbst erleben müssen. Für Sie waren Entrechtung und Verfolgung, Hunger und Krankheit, Terror und Gewalt bis hin zu willkürlichen Ermordungen einst bitterer Alltag. Für mich ist es ein sehr bewegender Moment, mit Ihnen, weiteren Zeitzeugen und Angehörigen von Opfern an diesem Ort zusammenzutreffen. Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen allen bedanken, dass Sie gekommen sind. Ich weiß, dass es jedes Mal viel Kraft kostet, dorthin zurückzukehren, wo Sie oder Ihre Nächsten so viel Leid erfahren haben.
Ein solch tiefer Schmerz hallt ein Leben lang nach. Zugleich bleibt er mit seinen steinernen Zeugen verbunden. Daran knüpft das Konzept von Gedenkstätten wie dieser an. Sie erreichen neben dem Verstand auch die Gefühle der Besucherinnen und Besucher. So rückt das, was einst an diesen Orten geschah, wieder eindrucksvoll nahe.
Die Anfänge des Konzentrationslagers Dachau liegen 80 Jahre zurück. Zu Beginn des Jahres 1933 hatten die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen. Umgehend begannen sie, politische Gegner, Juden, Sinti, Roma, Behinderte und Homosexuelle zu verfolgen. Erste Konzentrationslager entstanden. Darunter war das KZ Dachau.
Der Name Dachau erlangte traurige Berühmtheit. Denn das Lager Dachau diente als Modell für das KZ-System, auf das sich die nationalsozialistische Verfolgungsmaschinerie Deutschlands bis hin zum grausamen Zivilisationsbruch, der Shoah, gestützt hat. Als einziges Konzentrationslager blieb es während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus bestehen. Insgesamt mehr als 200.000 Häftlinge waren im KZ Dachau oder einem seiner Außenlager. Rund 41.500 fanden hier den Tod. Am 29. April 1945 befreiten amerikanische Truppen die Überlebenden.
Jeder Häftling ob nun aus dem KZ Dachau oder aus einem anderen Konzentrationslager hatte selbstverständlich eine ganz persönliche Lebensgeschichte, die grausam durchbrochen oder gar ausgelöscht wurde. Die Erinnerung an diese Schicksale erfüllt mich mit tiefer Trauer und Scham.
Zugleich geht von Orten wie der KZ-Gedenkstätte Dachau eine eindringliche Mahnung aus: Wie konnte es in Deutschland so weit kommen, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer politischen Gesinnung oder ihrer sexuellen Orientierung die menschliche Würde und das Recht zu leben einfach abgesprochen wurde und die übergroße Mehrheit der Deutschen nicht dagegen vorging, sondern dies zumindest zuließ? Orte wie dieser mahnen jeden Einzelnen mitzuhelfen, dass so etwas nie wieder geschieht, dass nie wieder gleichgültig, achselzuckend oder sogar Beifall klatschend zugelassen wird, wenn Menschen benachteiligt, bedrängt, verfolgt werden und sie am Ende schutzlos um Leib und Leben fürchten müssen.
Das ist die bleibende Verantwortung, die uns Deutschen aus dem, was geschehen ist, erwächst. Das ist auch ein Grund, warum wir Einrichtungen, die der Opfer gedenken und an die Verbrechen Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus erinnern, fördern. Wir wenden uns entschieden gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus und unterstützen Zivilcourage und ehrenamtliches Engagement. Wir wissen aus dem Geschehenen: Die Erinnerung muss von Generation zu Generation weitergegeben werden. Junge Menschen müssen wissen, welches Leid von Deutschland ausgegangen ist. Sie müssen lernen, wie sie extremistischen Tendenzen entgegentreten können. Auch sie, die heute jung sind, müssen es später wieder ihren Kindern und Enkeln vermitteln.
Lieber Herr Mannheimer, als Überlebender des Holocaust legen Sie Zeugnis von den Schrecken des Nationalsozialismus ab. Ihr Anliegen ist es dabei immer gewesen ich zitiere: "aus dem Dunkel der Geschichte Brücken zu bauen für Aussöhnung und Annäherung, die Demokratie zu stärken und Antisemitismus und Rassismus zu bekämpfen".
Viele Zeitzeugen und Überlebende haben es Ihnen gleich getan oder tun es hochbetagt bis heute. Ich empfinde eine aufrichtige Hochachtung, dass Sie das für uns tun, die wir diese Schrecken nicht erleben mussten. Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar. Deshalb ist es mir eine große Ehre, dass Sie mit mir gemeinsam die KZ-Gedenkstätte Dachau besuchen. Ich danke Ihnen dafür, weil ich weiß, dass es alles andere als selbstverständlich ist. Es ist eine Brücke von der Geschichte in die Gegenwart, die wir auch in die Zukunft weiterbauen wollen.
Herzlichen Dank, dass ich heute hier sein darf.